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Deutschland wäre mit vollen Segeln in die Anarchie hineingesteuert,
wenn nicht die bewährten Vertrauensmänner der Partei und der Ge
werkschaften das Steuer gepackt hätten. Durch die praktische Schulung
der Arbeiterbewegung wurde viel Schaden verhütet.
Unter den A.- und S.-Räten, die in der Arbeiterbewegung schon
Bescheid wußten, waren die Anhänger der alten sozialdemokra
tisch e n P a r t e i in der erdrückenden Mehrheit. Das hat sich auf allen
Kongressen herausgestellt und hat bei der überraschten Minderheit ge
radezu heitere Effekte erzielt. Dieselben Leute, die aus ganzer Lunge
riefen: „Alle Macht den A.- und S.-Räten!", wollten Macht und Auto
rität dieser Körperschaften durchaus nicht mehr anerkennen, sobald diese
Macht und Autorität nicht so wollte, wie die unabhängig-kommunistische
Obrigkeit. Auf den ersten Kongreß Hagelten die dicksten Beschimpfungen
nieder, man versuchte, ihn unter den terroristischen Druck der Straße zu
stellen — alles vergebens!
Die A>- und S.-Räte sind keine dauernde politische Einrichtung in
Deutschland geworden, sie haben sich aber selbst ein ehrendes Denk
mal gesetzt durch den Beschluß, die eroberte Macht dem ganzen Volke
zurückzugeben und der Nationalversammlung, der ersten souveränen
Vertretung des Volkes, den Weg zu ebnen. Die A.- und S.-Räte haben
damit gehandelt, wie man es von guten Sozialdemokraten verlangen
und erwarten mußte.
Für die Soldatenräte war mü der Auflösung des alten Heeres die
Zeit vorbei. Dis Arbeiterräte werden auf wirtschaftlichem Gebiet als
Betriebsräte wieder auferstehen, und jeder Freund der Arbeiter
bewegung muß hoffen, daß sie in dieser dauernden und entwicklungs
fähigen Tätigkeit das gleiche Maß von praktischer Klugheit und ernstem
Verständnis für Arbeiterinteressen aufbringen werden wie die Mehrzahl
von ihnen in ihrer vorübergek-enden politischen Arbeit während der Re
volution. Deutschlands soziale Einrichtungen werden dann um einen
großen Schritt jenen Rußlands vorauseilen, wo die Arbeiterräte unter
der terroristischen Herrschaft der bolschewistischen Parteiregierung längst
zu einem traurigen Schattendasein herabgesunken sind.
Ausblick»
Auf das Jahr feit dem S. November können wir nicht zurückblicken,
ohne des Friedens von Versailles zu gedenken, durch den der
Weltkapitalismus der um ihre Befreiung ringenden deutschen Arbeiter
klasse sein Joch auferlegt hat. Wir können die deutschen Ereignisse dieses
Jahres nicht verstehen, ohne uns ihrer internationalen Verflechtung be
wußt zu werden. Von dem Zwang der Mehrwerterzeugung könnte
sich die deutsche Arbeiterklasse schon deshalb nicht befreien, weil ein großer
Teil der von ihr erzeugten Produkte dazu dienen wird, die unbe
grenzten Kriegsentschädigungen abzutragen, zu deren Leistung uns dieser
Friedensvertrag zwingt.