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Weise zur Anwendung gebrecht. Schlimmer als der physische Mord ist
dermoralische Meuche ! mord, den die Spartakisten zu ihrer vor
nehmsten Waffe erwählten. Wenn sie die Schuld an dem, was sie selber
wollten, planten und planmäßig herbeiführten, ihren in Notwehr befind
lichen Gegnern zuzuschieben versuchten, so kann ihnen guter Glauben
nicht mehr zugesprochen werden, und man muß sich als anständiger
Mensch mit Abscheu von ihnen abwenden. Noch berechtigter ist
solcher Abscheu jenen Unabhängigen gegenüber, für deren krank
hafte Verleumdungssucht gegen ihre früheren Parteigenossen man
nicht einmal den bei den andern vorhandenen religiösen Wahnsinn als
niildernden Umstand geltend machen kann.
Die Stellung der Unabhängigen in der Regierung war dadurch aufs
äußerste erschwert, daß ein Teil ihrer Partei, unter Ledebours, Däumigs
und Richard Müllers Führung sich offen dazu bereit zeigte, mit dem
Spartakusbund zusammen die Regierung gewalisam zu stürzen. Sie
standen in einem Verhältnis der Solidarität zu den sozialdemokratischen
Kabinettsmitgliedern, dis ein Teil ihrer Parteigenossen noch immer mit
erbitterter Feindschaft verfolgte. Sie sollten eine ruhige, gewaltlose Ent
wicklung der Dinge, Ruhe und Ordnung gewährleisten, während
der linke Flügel ihrer Partei den S t r a ß e n k a in p f auf seine Fahne
geschrieben hatte. Durch diese innere Zerrissenheit ihres Anhangs kamen
sie in die unglücklichste Situation der Welt.
Die Sozialdemokraten im Kabinett blieben fest bei der demokratischen
Methode, sie blieben dabei, daß die Nationalversammlung zu
dem frühesten Termin, zu dem dies technisch möglich war, zu wählen sei,
daß in ihr der souveräne Wille des Gesamtvolks zum Ausdruck komme,
den Sozialdemokraten unbedingt respektieren müßten. Die Unabhängigen
dagegen erklärten sich zwar nicht, wie Däumig und Richard Müller, unbe
dingt gegen die Nationalversammlung/ suchten sich aber von einer ent
scheidenden Stellungnahme zu drücken, indein sic für eine möglichst weite
Hinausschiebung des Wahltermins eintraten. Es schien ihnen schon ein
großes Zugeständnis, daß sie sich mit der Vornahme der Wahlen in der
Mitte des April einverstanden erklärten, die Sozialdemokraten aber woll
ten die Wahlen schon Mitte Januar. Schließlich einigte man sich am
29. November dahin, den Wahltermin, vorbehaltlich der Zustimmung
des bevorstehenden Kongresses der A.- und S.-Räte, auf den 16. Februar
festzusetzen.
Inzwischen gestalteten sich die inneren Zustände immer bedrohlicher.
In der V o l k s m a r i n e d i v i s i o n, die das Schloß und das Marstall-
gebäude beherrschte, hatte die Linke starken Anhang gewonnen. Ver
handlungen über die Räumung dieser Baulichkeiten blieben ergebnislos
und wurden durch Löhnungsstreitigkeiten noch verworrener. Die Mann
schaften ließen sich am 23. Dezember dazu verleiten, die Regierung in der
Reichskanzlei gewaltsam einzuschließen, wodurch die Regierung oder
wenigstens ihre sozialdemokratischen Mitglieder — die Unabhängigen
waren nicht zu Hause! —, die Gefangenen ihrer eigenen Wache wurde.
Der sozialdemokratische Stadtkommandant Wels wurde gefangen
genommen und in den Marstall gebracht.