schien, vor keinem blutigen Opfer zurück. So trugen sie ebensowenig wie
die Schwarmgeister älterer Zeit das geringste Bedenken, um ihres rechten
Glaubens willen den Religionskrieg, diesmal den sozialistischen
Religionskrieg, zu entfesseln.
In uns, die wir die Dings anders sahen, erblickten sie in ehrlichem
Zorn Abtrünnige, Verräter, und kein Wort schien scharf genug, den nüch
terner denkenden Sozialisten ihre Verachtung auszudrücken. Sie waren
fest davon überzeugt, daß diese vom echten Glauben abgefallenen Element?
zu jedem Schurkenstreich fähig seien. Durch diesen unerbittlichen Eifer
erheben sie sich turmhoch über die bloßen Spekulanten einer falsch ver
standenen politischen Konjunktur.
Für sie gab es mit den „verräterischen Rechtssozialisten" keine Ver
söhnung. Mit besonderem Ingrimm haßten sie Scheidemann, der sie
noch vor der Revolution mit vieler Mühe aus dem Zuchthaus und aus
der Schutzhaft befreit hatte. Unser Bestreben, auch mit ihnen zu einem
Ausgleich zu kommen, erregte nur ihren Unwillen, sie empfanden es als
eine Unehrlichkeit. Wir waren für sie, wie für den orthodoxen Juden die
Verzehrer verbotener Speise, einfach die Unreinen, und die Verbindung,
die die Unabhängigen mit uns eingegangen waren, erschien ihnen als
ein Sündenfall.
Schon vier Tage nach der Regierungsbildung zerschnitt der Spar
takusbund die Fäden, die ihn bis dahin organisatorisch noch mit der Partei
der Unabhängigen verbunden hatten. Schon am 19. erklärte der unab
hängige, aber dem Spartakusbund damals nahestehende Richard
Müller, der Weg zur Nationalversammlung gehe nur über seine
Leiche. Schon in der Nacht vom 21. zum 22. erfolgte, von einer Liebknecht-
Versammlung ausgehend, ein Angriff auf das Polizeipräsidium, wo da
mals noch Emil Eichhorn residierte. Es folgte der Zusammenstoß in der
Chausscestraße am 6. Dezember und der Aufruf der „Roten Fahne" gegen
die Regierung, „die Verbrecherbands, die Putsche, Anarchie, Morde ver
anstaltet". ani gleichen Tag ein Ueberfall auf den bayerischen Minister
Auer in München, den man mit vorgehaltenem Revolver zur Abdankung
zwingt, und die vorübergehende Besetzung Münchener Zeitungsgebäude.
Am 8. Dezember wird eine bewaffnete Demonstration vor der Reichs
kanzlei unternommen, Soldaten in der Umgebung der Reichskanzlei,
denen verboten worden war zu schießen, werden beschimpft, mißhandelt,
entwaffnet. Die Soldaten erklären, sich nach solchen Erfolgen den
Gebrauch der Waffen künftighin nicht verbieten lassen zu wollen.
Kann man alle diese Taten und spätere verstehen, weil ein überhitzter
Fanatismus sie eingeleitet und eine Anhängerschaft, die man sich nicht
wühlen konnte, sie ausgeführt hatte, so gibt es für die politische
Heuchelei, von der sie begleitet werden, kein Verstehen und keine
Entschuldigung. Während der Spartakusbund die Lehre von der Ver
meidbarkeit des Bürgerkriegs als eine verräterische Irrlehre verdammte
und offen den Bürgerkrieg predigte, versuchte er doch immer wieder die
Schuld an geschehenem Blutvergießen der Regierung aufzubürden. So
wurde die alte Lehre vom Zweck, der die Mittel heiligt, in der fatalsten