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schaft der Arbeiter. Wir sehen auch hier wieder, wie in der französischen
Revolution von 1818, einen tastenden Versuch, auf dem Wege, die soziale
Frage zu lösen, in Verbindung mit der größten Sicherheit des politischen
Ziels. „Das allgemeine Wahlrecht, von 89 bis 96 Prozent der Bevölke
rung als Magenfragc aufgefaßt und daher auch mit Magenwärme durch
den ganzen nationalen Körper hin verbreitet — feien Sie unbesorgt,
meine Herren, es gibt keine Macht, die sich dem lange widersetzen würde!
Dies! st dasZei ch e n, dassieaufpflanzenmüssen. Dies
i st d a s Z e i ch e u, i n v e m S i e s i e g e n w e r d e n. E s g i b t k e i n
a n d e r e s f ii r S i e !" (Offenes Antwortschreiben 1. März 1863.)
Auf Marx stützte sich die Richtung der Eisenacher, deren Kampf mit
den Lassalleanern auf dem Einigungsparteitag von Gotha (1873) sein
Ende fand. Die Lassalleaner unter v. Schweitzers Führung
find die sozialistischen „Realpolitiker" jener Zeit, die Eisenacher
mehr die soztalrcvolutionären Theoretiker. Aus der Verschmel
zung der beiden Richtungen wurde die spätere Größe der
deutschen Arbeiterbewegung, und als ihre innigste Verbindung
erscheint uns die führende Persönlichkeit August Bebels. Kraft
der Initiative, Größe weiter Perspektiven vereinigt sich in ihm mit kluger
Berechnung gegebener Kräfteverhältnisse. Das bringt Ende der achtziger,
Anfang der neunziger Jahre, nach dem Fall des Sozialistengesetzes, die
Parteileitung in schärfsten Gegensatz zu den radikalisierenden „Jungen",
den „Unabhängigen", den Werner, Wildberger, Schippel, Auerbach.
Die sehen im Parlamentarismus und den aus ihm folgenden An
passungen an gegebene Möglichkeiten die Versumpfung der'Partei, ihr
Paktieren mit dem Kapitalismus, dem Klassenstaat, der Bourgeoisie und
träumen von einer Entscheidung auf der Straße.
Aber schon mahnt v. V d l l m a r, vor kurzem noch der Radikalsten
einer, auch die Mitte vor überstiegenen Hoffnungen: „Ernste Männer
verfolgen Ideale, aber sie vergegenwärtigen sich auch den langen Weg,
der zu ihnen führt, und die zahllosen Hindernisse, die zu überwinden sind."
(München 1891). Das sind Anschauungen, die Bebel entschieden bekämpft,
weil sie die Begeisterung lähmen, die Bewegung ihres großen Schwun
ges berauben. Dreizehn Jahrs später, auf dem Dresdener Parteitag, sehen
wir ihn aus gleichem Grunds im schärfsten Gegensatz zu den „Revisio
nisten", deren Theorie mittlerweile von Eduard B e r n st e i n entwickelt
worden ist.
Dem Streit um die revisionistische Theorie, die den Glauben an
einen plötzlichen Umschwung aufgibt und die soziale Evolution predigt,
folgt der Kampf gegen die reformistische Praxis der süddeutschen Budget-
bewilliger. Wenn der große Tag, auf sich warten läßt, der mit einem
Schlage die ganze Macht bringt, was bleibt anderes übrig, als die Arbei
terklasse durch eine entsprechende Taktik schrittweise vorwärtszubringen?
Aber da stößt der Reformismus auf ein ungeheures Hindernis, den
preußischen D r e i k l a s s e n st a a t, und, an ihm sich aufbäumend,
wird er radikal. Ludwig Frank, der badische Budgetbewilliger, wird zum
beredten Apostel des preußischen Wahlrcchtsmassenstreiks, unterstützt von