59
höhnischen Bemerkung beantwortet, daß dies nur nach Herbeiführung
eines entsprechenden Beschlusses aller sechs Kabinettsmitglieder mög-
lich sei. Barth hatte sich sofort um die Herbeiführung eines solchen
bemüht, war aber bei Ebert, Landsberg und Scheidemann auf starken
Widerstand gestoßen. Alle drei beteuerten scheinheilig, von den ganzen
Vorgängen nichts zu wissen, weigerten sich aber trotzdem, einen Befehl
zur Beendigung des Blutvergießens zu geben; sie versuchten, Zeit zu
gewinnen, indem sie vorgaben, auch Haases und Dittmanns Ein-
verständnis hierzu haben zu müssen; Ebert verhinderte nach dem Ein-
treffen der beiden zunächst, daß Haase dem Kriegsminister einen
solchen Befehl gab, und Ebert gab schließlich selbst telefonisch zwar
keinen Befehl, aber äußerte die Bitte, weiteres Blutvergießen zu ver-
meiden.
Kurz vor 12 Uhr wurden noch immer Angreifer entwaffnet. Die auf
dem Leipziger Platz stehende Geschützbatterie kam als letzte an
die Reihe. Der „Vorwärts“ schrieb darüber: „Plötzlich stürmten
Matrosen mit Handgranaten und entsicherten Gewehren heran und
stellten die Artillerie vor die Alternative, sich zu ergeben oder unter
Feuer genommen zu werden.“*)
Ein anderer Berichterstatter des „Vorwärts“ meldete: „Um 12 Uhr
sah ich ungefähr 200 bewaffnete Zivilisten in Marschkolonne in den
Marstall einrücken, die ganze Gegend um den Marstall einschließlich
der Königstraße bis zum Rathaus ist von Anhängern der Matrosen
mit Maschinengewehren besetzt. Die Matrosen und ihre Parteigänger
fordern, daß die Regierung Ebert—Haase sofort zurücktritt ... “**)
Die Matrosen hatten bei den Kämpfen sechs Tote zu beklagen, und
mehrere waren verwundet worden.
Der großartige Sieg der Berliner Arbeiter und Matrosen war zugleich
der Augenblick der größten Schwäche und Hilflosigkeit der Mili-
taristen, ihrer bourgeoisen Auftraggeber und der Arbeiterverräter.
Gescheitert war nicht nur ihr Plan der gewaltsamen Vernichtung der
Volksmarinedivision, sondern auch ihr ursprünglicher Plan, mit
Hilfe „zuverlässiger“ Fronttruppen die revolutionäre Bewegung in
Berlin niederzuringen. Am 24. Dezember verlor die vereinigte Konter-
revolution die Truppen, auf die sie seit dem 9. November alle ihre
Hoffnungen setzte, und blieb vorübergehend ohne bewaffnete Stütze.
Major von Harbou, der wenige Stunden zuvor dem Kriegsminister
prahlerisch hatte versichern lassen, daß „der Film“ klappen würde,
schrieb noch am 24. Dezember in seinem Bericht an die OHL: „Die
Truppen des Generalkommandos Lequis sind nicht mehr aktiv ver-
wendungsfähig. Es werden nur noch Reste kampffähiger Truppen
übrigbleiben ... Ich halte es für das beste, die hiesigen Truppen zu
demobilisieren. Sie lassen sich nicht mehr halten. Generalkommando
Lequis ist meines Erachtens unmöglich geworden. Empfehle seine Auf-
lösung.“***) Und General Groener selbst bezeichnete später die Tage
*) „Vorwärts“ vom 25. Dezember 1918.
**) „Vorwärts“ vom 24. Dezember 1918.
***) Zitiert nach Günter Paulus, Die soziale Struktur der Freicorps ..., In „Zeit-
schrift für Geschichtswissenschaft“, Nr. 5/1955, S. 685.