27
ihm allein die Verhandlung zu überlassen, da die Aufregung für die
betagte Herrschaft zu groß und das gnädige Fräulein nicht kompetent
dafür sei. Der junge Herr Offizier bei den Rathenower Husaren sei
noch nicht zurück, er hätte sich aber für morgen angemeldet, um noch
vor Weihnachten das Gut zu übernehmen.
Während sich der Inspektor entfernt, taut auch die Stimmung unter
den Landarbeitern auf. Die meisten sind der Meinung, der gnädige
Herr wird nichts ’rausrücken, obwohl riesige Kartoffelmieten ange-
legt sind. Einige Frauen mit abgearbeiteten Händen meinen zutrau-
lich: ,Müssen wir immer zu allem schweigen?' Wir klopfen lachend
auf unsere Pistolen und sagen: ,Wir schweigen nicht mehr nach allem,
was das arbeitende Volk in Stadt und Land in all den Jahren durch-
machen mußte.'
Der Inspektor kommt zurück. Er hat die Erlaubnis, uns einen Wispel
Kartoffeln (20 Zentner) zum ortsüblichen Preis zu verkaufen, wenn
die Miete ordnungsgemäß behandelt wird. Auch will er den Müller
beauftragen, uns zehn Sack Brotmehl abzulassen. Wir antworten, wir
haben heute genug geladen und werden morgen wiederkommen ...
Am Bahnhof Frankfurter Allee in Lichtenberg angekommen, flitze
ich vom Wagen und hole einige Genossinnen vom Arbeiter-Sama-
riterbund. Vier Matrosen gehen durch die Hinterhäuser ausrufen. Im
Nu ist unser Wagen umringt. Ein Eimer Kartoffeln wird an jeden
ausgegeben, der die Lebensmittelkarte vorzeigt. Er kostet 50 Pfennig.
Wir hoffen so, das von uns ausgelegte Geld wieder zu erhalten. Ein
Straßenbahnschaffner der Linie 71, die hier ihre Endstation hat, gibt
uns seinen Knipser, und dann legen wir los. Elli, meine Braut, knipst
jede Lebensmittelkarte, die ihr entgegengehalten wird. Die andere
Samariterin nimmt das Geld. Freude auf allen Gesichtern. Wir wollen
noch das Korn loswerden. Einer hat ein Maß aufgetrieben. Wir
lassen ein Maß auf 10 Pfund abwiegen, also 10 Pfund Brotgetreide
ebenfalls 50 Pfennig.
Eine große Menschenmenge hat sich angesammelt. Wir machen eine
kurze Pause. Ich steige auf das Dach des Lastwagens und halte eine
kurze Ansprache. Ich sage den Menschen, daß wir die Grüße der
Landbevölkerung überbringen.
,Wir sind nicht als Bettler hingefahren, wir haben alles bezahlt, weil
unsere Freunde auf dem Lande kein Geld haben, keine Aufklärung
und keine Hilfe. Sie schicken euch, was sie abgeben konnten. Wir
kommen morgen wieder und geben denen, die nichts zu essen im
Haus haben, dasselbe Quantum, für denselben Preis.' Ich erzähle auch
kurz, daß wir ein Gut aufsuchten, wo die sogenannte Herrschaft von
drei Personen über 3000 Morgen Land verfügt. Zurufe: 'Werft sie
von der Klitsche herunter, gebt den Bauern das Land. Teilt es unter
die Landarbeiter auf.' ... Auf der Fahrt zum Schloß sind unsere
Herzen freudig erregt. Wir haben den hungernden Menschen in
Lichtenberg geholfen. Wir haben die Landbevölkerung aufgesucht