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Die Revolutionskämpfer fanden, wo immer auch über sie zu Gericht ge
sessen wurde, keine milden Richter. Wie konnte es auch anders sein? Standen
doch Proletarier, Arbeiter, vor Männern, die einer ganz anderen gesellschaft-
, liehen Klasse entstammten und die in jedem Arbeiter nur den Mob sehen,
der ihre geheiligten Klassenprivilegien antasten will. D-iese Richter hatten
vom Geist der Revolution nicht einen Hauch verspürt, und für sie war es
selbstverständlich, daß das unter Wilhelm II. wohlbewährte Strafgesetzbuch
in aller Schärfe zur Anwendung zu bringen war.
2. Untersuchungshaft.
Bereits im Vorverfahren zu den später stattfindenden Prozessen
zeigte sich die ganze rücksichtslose Schärfe, mit den man gegen das revolutionäre'
Proletariat vorzugehen gesonnen war. Sowohl im Januar wie auch im
Mürz fanden zahlreiche Verhaftungen statt. Die Gründe hierfür waren bis
weilen so fadenscheinig, daß oft später wieder eine Entlassung erfolgen mußte.
Hierbei braucht nur an die Verhaftung des Genossen .Däumig erinnert zu werden,
der gleichzeitig mit Ledebour verhaftet ivurde. Nur dem energischen Vorgehen
seiner Verteidiger war es zu danken, daß Däumig alsbald wieder entlassen
wurde, nachdem der Nachweis erbracht worden war, daß gerade Däumig sich
gegen eine revolutionäre Erhebung im Januar erklärt hatte. Es kam also
vfsenbar nur darauf an, hervorragende Führer der radikalen Parteien fest
zusetzen, und da man hierzu im Januar noch nicht das Mittel der Schutzhaft
hatte, wurde gegen diese Männer irgendwie der Verdacht einer strafbaren
Handlung konstruiert. Ledebour mußte sogar so lange im Untersuchungs
gefängnis sitzen, bis er von den Geschworenen freigesprochen wurde. Andere
Fälle sind bekannt geworden, in denen die Verhaftung nur auf einem
Versehen beruhen sollte, so z. B. die Verhaftung des Genossen Brandes
in Magdeburg. Der Haftbefehl wurde gegen die Revolutionäre auch dann
noch ausrecht erhalten, wenn schon bereits feststand, daß die Verhafteten
freigesprochen oder nur sehr gering bestraft werden würden. Nach Gründen
wurde hierbei nicht viel gefragt, galt es doch, einen bestimmten Zweck zu
erreichen, nämlich vorerst möglichst viele revolutionär gesinnte Männer hinter
Schloß und Riegel zu bringen. Auch Frauen und junge Leute wurden von
dem Geschick, unschuldig in Untersuchungshaft zu sitzen, betroffen. So wurde
ein junges Mädchen, Lina Stockfisch, sechs Wochen in Untersuchungshaft ge
halten, weil sie angeblich Regierungssoldaten entwaffnet hatte. Der Fall
klärte sich schließlich dahin auf, daß das junge Mädchen von einem fliehenden
Regierungssoldaten einen Stahlhelm in die Hand gedrückt bekommen hatte
und mit diesem Stahlhelm auf der Straße betroffen worden war. Sie
wurde daher freigesprochen, aber ihre in der Untersuchungshaft beschädigte
Gesundheit ist ihr nicht wiedergegeben ivorden. Die Zustände in den Unter
suchungsgefängnissen waren gerade in dieser Zeit grauenvoll, Ivie selbst der
damalige Gouverneur von Berlin, Schöpflin, zugeben mußte. Es mag hier,
einmal die Frage aufgeworfen werden, wie viel« von den Richtern, die gegen Ar
beiter Haftbefehle erlassen haben, sich davon überzeugt haben, welche Zustände in
den Gefängnissen herrschten und wie die von ihnen in Haft gesteckten Menschen
hiervon betroffen wurden. Die Antwort hierauf wird lauten müssen: keiner.
Was kümmerte es sie, wieviel Existenzen durch einen Federstrich vernichtet
wurden, welche Krankheiten und Leiden die Verhafteten erdulden mußten,
und ob ihnen jemals Genugtuung gegeben werden konnte, wenn sich ihre Un
schuld herausstellte. Es handelt sich ja zumeist nur um Arbeiter, um Mob,
um Gesindel. Im Gegensatz hierzu sind die Gerichte mit Haftbefehlen gegen
Reaktionäre stets sehr säumig gewesen. Sie wurden meist erst dann erlassen,
wenn der Beschuldigte bereits geflohen war. So war z. B. ein Leutnant
Czikalla an der widerrechtlichen Erschießung eines Mannes namens Abrahamson
beteiligt gewesen. Der Vorfall hatte seinerzeit sogar dem Vorwärts Anlaß
zu Auseinandersetzungen gegeben. Nach über einem Monat wurde erst ein
Verfahren eingeleitet und ein Haftbefehl erlassen; derweilen hatte der Herr
Leutnant natürlich längst das Weite gesucht und gefunden. Recht scherzhaft