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den Erzbergerschützen wird man insofern nichts einwenden können, als es
immerhin anzuerkennen ist, wenn ein Gericht sich bemüht, der Gesinnung
der Angeklagten Rechnung zn trägem Wann aber erlebte man dieses Ver
ständnis bei revolutionären und proletarischen Angeklagten. Und woher die
Milde, die bei Arco die Ueberlegung, die znm Tatbestand des Mordes gehörte,
verneinte und dem Angeklagten Hirschfeld glaubte, daß er Erzberger nicht
töten, sondern nur verletzten wollte? Warum gibt es diese Milde nicht auch
gegenüber 17- und 18-jährigen Arbeitersöhnen, die auch für die gute Sache
zn kämpfen glauben. Das Schmachvollste, was die Militärjustiz sich jedoch ge
leistet hat, ist der Marloh-Prozeß. M,an weiß nicht, ob die Frechheit der
einen großer ist, die es wagt, solche Urteile sachlich zu begründen, oder die Duld
samkeit der anderen, solche Urteile ruhig hinzunehmen. Monatelang wurde
der Prozeß verschleppt, alles getan, um den Sachverhalt zu verdunkeln, und als
nun die ganze Schuld des Mörders trotzdem sonnenklar vor aller ehrlichen
Menschen Urteil aufgedeckt war, da wird der Mörder freigesprochen oder wenig
stens so gut wie freigesprochen. Man vergegenwärtige es sich nur in aller
Deutlichkeit: der vielfache Mörder Marloh läuft frei herum, während ein
Idealist wie Toller in einer Festung gefangen gehalten wird.
2. Prozeß gegen den Soldatenschinder Hilter.
Allem Gerechtigkeitsgefühl spottend ist auch das Verfahren gegen den
Sv ld a t e n s chin d e r Hiller. Es bedurfte oft des energischen Eingreifens
der Presse, ehe überhaupt die Justizmaschine gegen diesen Mann, der selbst
in seinem Zivilberuf ein Diener der Gerechtigkeit sein will, in Bewegung ge
setzt wurde. Trotz des reichlichen Beweismaterials kam es zunächst zu einem
lächerlichen Urteil, das einer Freisprechung fast gleichkam. Das Urteil wurde
teilweise, d. h. so vorsichtig angefochten, daß eine gebührende Bestrafung in
einer erneuten Verhandlung von vornherein ausgeschlossen war. Immerhin
wurde nunmehr auf zwei Jahre Gefängnis erkannt. Hieraus ergibt sich
bereits, wie wenig ernst das erste Gericht seine Aufgabe genommen hatte, und
wie wenig guten Willen es gehabt hatte, den Menschenschinder zu bestrafen.
Aber auch das Urteil in der zweiten Instanz ist gegenüber den Urteilen,
die gegen Arbeiter gefällt worden sind, viel zn milde. Bei Arbaiteru gcnügto
bisweilen der Besitz eines Handgranatenstieles, um sie standrechtlich zu er-
schießen, im Falle Hiller lehnte das Gericht den Schlluß ab, daß der Tod Helm
hakes durch die Mißhandlungen verursacht worden sei und verurteilte den
Angeklagten nur wegen Körperverletzung. Uebrigens hat der Angeklagte Be
rufung eingelegt, so daß die Möglichkeit besteht, daß die Strafe wieder herab
gesetzt wird. Den Revolutionären gewährt man in der Mehrzahl nicht den
Vorteil mehrerer Instanzen; denn gegen Standgericht und außerordentliches
Kriegsgericht gibt es keine Rechtsmittel.
ß. Der Gesellenmordprozeß und der Geiselmordprozeß.
Als ganz besonders charakteristisch mögen auch zwei Prozesse gegenüber
gestellt werden, die Taten am gleichen Ort und in der gleichen Atmosphäre zum
Gegenstand hatten: der Geiselmordprozeß und der Geselleumordprozeß in
München. Es mag von vornherein betont werden, daß weder die eine noch die
andere Tat ein Wort der Entschuldigung verdient, es sind Greueltaten, die von
jedem anständig denkenden Menschen mißbilligt werden müssen. Im übrigen
aber sind sie durchaus gleichznwerten. Es sind Taten, die in der Erregung einer-
bewegten Zeit begangen wurden und nur hierin überhaupt eine mensch
liche Erklärung finden können. Dies wurde im Geseklenmordprozeß auch durch
aus beachtet und selbst der Staatsanwalt versäumte es nicht, hierauf hin
zu weisen. So fanden die Angeklagten in diesem Prozeß Richter, die von der
Milde menschlichen Verstehens erfüllt waren. Wie anders im Geiselmord-
prozeß. hier waltete rücksichtsloseste Strenge, und die Todesurteile, die gegen
die sieben Hauptschuldigsten ergingen, waren durchaus nur von dem mittel
alterlichen Gedanken der Vergeltung getragen. Blut wider Blut, das war