II
als Proletarier gefühlt, gedacht und gehandelt hatten. Diese Negierungsmänner
überlieferten das Proletariat der Bestialität einer zügellosen Soldateska, in-
dem sie diesem Verfahren noch das Mäntelchen einer Justizhandlung um
hängten. In Berlin, in München, in Hamburg, in Bremen, in Braunschweig,
in Thüringen und jetzt im Ruhrrevier ergingen die blutigen Urteile, gegen
die es kein Rechtsmittel gab und die keiner Bestätigung bedurften. Sie wurden
alsbald vollstreckt, von denselben Soldaten, die über - die Delinquenten zu
Gericht gesessen hatten. Ein Strafverfahren, wie es in die Leiten des
Dreißigjährigen Krieges wohl gepaßt hätte. Durch die Machtbefugnisse, die
man hierdurch den Militärs eingeräumt hatte, Ivurde der Reaktion der Weg
gebahnt, aber gleichwohl scheute man sich nicht, auch nach dem Kapp-Putsch
im Ruhrrevier die Soldateska sich wiederum in Standgerichten austoben zu
lassen.
In der Reihe der bemerkenswerten Entscheidungen darf man auch
einige besonders schmachvolle Urteile nicht übergehen, die von den Münchener
Standgerichten verkündet wurden. Wie alle revolutionären Erhebungen endeten
auch die Münchener Tage der Räterepublik mit drakonischen Urteilen. Unter
den Führern dieser Bewegung waren Männer gewesen, die von höchstem
revolutionären Geist und Streben erfüllt waren. Einer von ihnen — um
nur zwei zu. nennen —, der junge Toller, schmachtet in Festungshaft, während
ein anderer, Lcvinö, zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.
Noch jetzt kann inan an dieses letzte Urteil nicht ohne tiefste Entrüstuirg
und Empörung, ja Scham denken, einem Volke anzugehören, das eine Revo
lution gemacht haben will und das einen Führer der revolutionären Be
wegung zum Tode verurteilen und hinrichten läßt. Die Männer aber, die
dieses Urteil bestätigt und die seine Vollstreckung veranlaßt haben, gehören
einer Partei an, die angeblich auf dem Boden des Erfurter Programms steht,
das die Abschaffung der Todesstrafe vorsieht. Geschehnisse wie dieses müssen
immer und immer wieder allen Gehirnen eingehämmert werden, daß sie
nicht in Vergessenheit geraten und daß nian ihrer gedenkt, wenn dereinst die
rechte Stunde gekommen ist.
5. Militärgerichtsbarkeit.
Wenn man die Arten der Gerichte aufzählt, so darf man weiterhin die
Militärgerichte nicht vergessen. Es war eine selbstverständliche Forderung,
daß nach dem Zusammenbruch des alten Militärstaates auch die Militärgerichte
endgültig verschwanden. Aber auch diese Institution war zäher, als man
geglaubt hatte. Sie existiert heute noch. Alle Verheißungen, alle Gesetze
und Verordnungen, in denen die Aufhebung der Militärgerichte angekündigt
worden sind, haben bisher keine Verwirklichung gefunden, und weiter als
bis zu einem Entwurf ist der gute oder der schlechte Wille noch nicht ge
diehe». Die Militärgerichte bewährten sich, wie auch die anderen Gerichte,
in zweifacher Weise. Einmal als Kameradengericht, von denen der angeklagte
Offizier oder reaktionäre Soldat nichts zu fürchten hatte, oder als strenges
» Borgesetztengericht. Abgesehen von der ersten Kategorie, die später noch zu
betrachten ist, mögen nur einige Fälle der Militärjustiz gegen mißliebige
Männer erwähnt werden. Da das Militärstrafgesetzbuch ebenso noch in Kraft
ist wie viele andere, eigentlich überflüssig gewordenen Gesetze, erlebten wir z. B.
noch nach der Revolution Urteile wegen Gehorsamsverweigerung. Ein Musketier
Winkler wurde wegen dieses „Verbrechens" zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
Zwei andere Musketiere, erhielten Arrest, weil sie durch Worte den Ungehorsam
zu erkennen gegeben hatten 19 Freiwillige wurden vom Gericht der 1. Garde
reservedivision zunächst zum Tode, dann zu 4 Jahren Festung verurteilt, weil
sie sich geweigert hatten, an dem Unternehmen im Baltikum weiterhin teil
zunehmen. Am 9. Mai 1919 wurden 8 Soldaten in Konitz zum Tode, 12 zu
längeren Gefängnisstrafen verurteilt. Als Grund für dieses Schandurteil, das jauch
bereits in Gefahr steht, vergessen «zu werden, wurde angegeben, daß die
Soldateu gemeutert hätten. Hierbei muß man dann sogleich fragen, welche