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Volume 48 (348)

Full text: Drucksache (Public Domain) Issue1946/1948, 1-50 (Public Domain)

Bürgermeister Dr. Acker: 
Begründung des Entwurfs einer neuenVerfassung für die Stadt Berlin 
Auszug aus-der Niederschrift der 16. Sitzung 
Ich hatte die Ehre, an den Studien zu unserer neuen Ver 
fassung im Verfassungsausschuß teiizunehmen. Es sind uns 
nicht nur eine Fülle von Anregungen zugegangen, sondern 
der Verfassungsausschuß hatte im gewissen Sinne auch schon 
Grundlinien für den neuen Entwurf gezeichnet. Ich hatte 
vom Magistrat den Auftrag erhalten, den ersten Entwurf 
vorztdegen. Das geschieht hiermit, und damit kommt die 
Verfassungsberatung aus der Sphäre des Studiums in die 
Sphäre der 'Praxis, d. h. in die eigentliche Statuierung der 
Verfassung hinein. 
Als ich vor der Aufgabe saß, diesen ersten Entwurf zu 
fertigen, bin ich von .drei Grundfragen ausgegangen, 
die auch im Mittelpunkt der Erörterungen des Verfassungs 
ausschusses standen. 
'Die erste Frage war die: Was ist Berlinj poli 
tisch betrachtet, ein Land oder eine Stadt, oder wie sollen 
wir es auffassen? Die zweite Frage war die Grundfrage 
des Verhältnisses zwischen Magistrat und Stadtverordneten 
versammlung, also die Frage des parlamentarischen Regimes. 
Die dritte Frage, die insbesondere die Magistratsmitglieder 
weitgehend berührt, ist die Frage des Verhältnisses zwischen 
den Bezirksverwaltungen und der Hauptverwaltung. 
Die erste Frage habe ich wie, folgt beantwortet: Die 
Stadt Berlin ist, soziologisch gesehen, unzweifelhaft eine 
Stadt. Unter einem Land versteht man die Kombination aus 
"Verschieden struktuierten Teilen, älso aus Landgemeinden 
und Städten. Daß wir, soziologisch gesehen, eine Stadt 
sind, darüber besteht kein Zweifel. Wir sind aber eine 
Stadt besonderer Art, insbesondere auch in unserem politi 
schen Streben, wieder die Hauptstadt Deutschlands zu 
werden. 
Begleitet wurde der wirtschaftliche und gesellschaftliche 
Prozeß unserer Stadtentwicklung von dem politischen Prozeß 
der Heraufführung eines einheitlichen Reiches. Wir haben 
erlebt, daß schließlich der Einheitsstaat in weitem Maße ein 
gesicherter Bestandteil der Auffassungen geworden war und 
daß Berlin nun der Sitz der Reichsregierung und der Sitz der 
Preußischen Regierung war. Das hat unzweifelhaft in weitem 
Umfang Berlin sein Gepräge gegeben. Berlin ist eben die 
erste Verwaltungsstadt Deutschlands gewesen, und das 
müssen wir nach meinem Dafürhalten zu erhalten streben. 
Denn Berlin kann nur existieren, wenn es auf der einen Seite 
wieder Wirtschaft hat und auf der anderen Seite auch wieder 
im beträchtlichen Umfang Verwaltungsstadt ist. 
—L Bei der Formulierung unserer staatsrechtlichen Stellung 
habe ich mir nun die.Frage vorgelegt: Wie könnte sich eine 
solche Formulierung auf unsere Entwicklung, die ja jetzt 
nicht ganz unbestritten ist, auswirken? Es'gibt immerhin in 
Deutschland Tendenzen, die sagen: Schön, Berlin ist einmal 
gewesen, aber jetzt setzt die Entwicklung an anderen Stellen __ 
ein. Wir sehen manchmal mit Bekümmernis, daß die Be 
deutung Berlins als kommende Hauptstadt 
des neuen Deutschlands bestritten wird. Ich habe mir des 
halb gesagt: man soll >bei der Herauskehrung des Stand- 
purtirtes, daß wir gegebenenfalls Staat sind, nicht unbedingt 
bis zum Äußersten gehen, sondern die Dinge etwas behut 
sam anfassen. Ich bin zwar der Meinung, daß wir, soziolo 
gisch gesehen, eine Stadt sind, aber eine Stadt ganz beson 
derer Art, da wir auf der andern Seite nach der letzten 
staatsrechtlichen Entwicklung unzweifelhaft ein Land gewor 
den sind oder den Ländern gleichgestellt sind; denn wir 
gehören de facto keinem der deutschen Länder an und sind 
auch keineswegs das kleinste Land in Deutschland, wir haben 
des Verfassungsausschusses vom 19. Mai 1947 
über drei Millionen Einwohner, während Schleswig-Holstein, 
wenn ich recht unterrichtet bin, nur 2,6 Millionen Ein 
wohner hat. 
ln dieser Hinsicht stehen wir also den Ländern nicht 
nach. Ich glaubte deshalb sagen zu müssen, daß wir unsere 
Verfassung so aufbauen, daß sie in der inneren Struk 
tur die eines Landes ist. Deshalb habe ich auch in 
Parallele zum Landtag das Parlament Stadttag genannt und 
in Parallele zur Landesregierung den alten Magistrat Stadt- 
regierufig. . . 
Im Artikel 1 habe ich, obwohl ich an anderer Stelle klar 
hervorhebe, daß wir die Rechte eines Landes be 
haupten — insbesondere hinsichtlich der Gesetzgebung —, 
ausdrücklich gesagt, daß wir alle die Zuständigkeiten haben, 
die nicht der Deutschen Republik Vorbehalten sind. Damit 
' wird auch die Fülle der Zuständigkeiten eines solchen 
Landes nach neuem Muster in Anspruch genommen. Den 
noch habe'ich in Artikel 1 nicht-die Formulierung gebracht, 
daß Berlin ein Land ist, sondern ich bin von der soziolo 
gischen Grundlage ausgegangen, daß wir eigentlich eine 
Stadt sind, die allerdings eine besondere staatsrechtliche 
Stellung hat, und zwar habe ich mich hier negativ ausge 
drückt, indem ich gesagt habe: Die Stadt Berlin ge 
hör t kein e m der deutschen Länder an. 
Ich habe das deshalb getan,- weil ich unsere Entwicklung 
zur Hauptstadt Deutschlands' in keiner Weise belasten 
möchte. In gewissen Gegenden ist die Seelenlage außer 
ordentlich empfindlich. Man könnte der Meinung sein, daß 
wir, Wenn wir ein Land sind, eigentlich nicht die Hauptstadt 
sein können. Es kommt auch nicht darauf an, die anderen 
Lander herauszufordern. Ich glaube, daß wir mit dieser 
etwas vorsichtigen Fassung durchaus das treffen, was wir 
wollen: unsere Selbständigkeit und die Fülle unserer Befug 
nisse behaupten und'uns trotzdem eingliedem, Daß wir uns 
als Glied der Deutschen Republik, d. h. des gesamten 
Deutschland empfinden, darüber besteht kein Zweifel. Im 
Berliner Stadtparläment und seinem Magistrat sind 4 wir alle 
unbedingt Anhänger eines Gesamtdeutschlands,- denn wir 
wissen alle, daß wir in Berlin entweder mit einem Gesamt 
deutschland existieren oder aber daß wir so enormen 
Schwierigkeiten entgegengehen können; daß eine Entwick 
lung unserer Stadt nicht gewährleistet ist. 
Artikel 1 drückt also im Grunde genommen aus, daß wir 
unbedingt Anhänger des gesamten Deutschland sind, daß 
wir uns auf der anderen Seite als Land behaupten, ohne 
aber mit aller Rigorosität zum Angriff anzusetzen, sondern 
daß wir uns bewußt sind, eine besondere Aufgabe im Rahmen 
des gesamten Deutschland zu lösen und daß' wir dieser 
unserer grundsätzlichen Stellung, wenn es sein muß, auch 
gewisse Opfer zu bringen bereit sind. 
Daß wir uns. als ein völlig demokratisdies Staatswesen 
formen, lag auf der Hand. Deshalb ist der Satz, daß die 
öffentliche Gewalt vom Volke ausgeht, eine Selbstverständ 
lichkeit. Ich habe daher die Organe so aufgebaut, wie es 
in einem demokratischen Staatsaufbau selbstverständlich ist: 
Parlament und Regierung. Der Stadttag, wie ich das künftige 
Parlament nenne, wird selbstverständlich nach dem Verhält 
niswahlsystem gewählt. Darüber ist wohl nichts besonderes 
r zu sagen. Die Technik ist die übliche — auch in dieser 
Hinsicht ist nichts Originelles gfsagt —, im wesentlichen das, 
•was man eben für die Bildung eines Parlamentes braucht. 
Der Reiz meiner Vorschläge dürfte dort beginnen, wo es 
sich um die Frage der Stadtregierung handelt.’ Soziologisch 
gesehen sind wir eben doch ein merkwürdiges Gebilde. Ich •
	        
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