Bürgermeister Dr. Acker:
Begründung des Entwurfs einer neuenVerfassung für die Stadt Berlin
Auszug aus-der Niederschrift der 16. Sitzung
Ich hatte die Ehre, an den Studien zu unserer neuen Ver
fassung im Verfassungsausschuß teiizunehmen. Es sind uns
nicht nur eine Fülle von Anregungen zugegangen, sondern
der Verfassungsausschuß hatte im gewissen Sinne auch schon
Grundlinien für den neuen Entwurf gezeichnet. Ich hatte
vom Magistrat den Auftrag erhalten, den ersten Entwurf
vorztdegen. Das geschieht hiermit, und damit kommt die
Verfassungsberatung aus der Sphäre des Studiums in die
Sphäre der 'Praxis, d. h. in die eigentliche Statuierung der
Verfassung hinein.
Als ich vor der Aufgabe saß, diesen ersten Entwurf zu
fertigen, bin ich von .drei Grundfragen ausgegangen,
die auch im Mittelpunkt der Erörterungen des Verfassungs
ausschusses standen.
'Die erste Frage war die: Was ist Berlinj poli
tisch betrachtet, ein Land oder eine Stadt, oder wie sollen
wir es auffassen? Die zweite Frage war die Grundfrage
des Verhältnisses zwischen Magistrat und Stadtverordneten
versammlung, also die Frage des parlamentarischen Regimes.
Die dritte Frage, die insbesondere die Magistratsmitglieder
weitgehend berührt, ist die Frage des Verhältnisses zwischen
den Bezirksverwaltungen und der Hauptverwaltung.
Die erste Frage habe ich wie, folgt beantwortet: Die
Stadt Berlin ist, soziologisch gesehen, unzweifelhaft eine
Stadt. Unter einem Land versteht man die Kombination aus
"Verschieden struktuierten Teilen, älso aus Landgemeinden
und Städten. Daß wir, soziologisch gesehen, eine Stadt
sind, darüber besteht kein Zweifel. Wir sind aber eine
Stadt besonderer Art, insbesondere auch in unserem politi
schen Streben, wieder die Hauptstadt Deutschlands zu
werden.
Begleitet wurde der wirtschaftliche und gesellschaftliche
Prozeß unserer Stadtentwicklung von dem politischen Prozeß
der Heraufführung eines einheitlichen Reiches. Wir haben
erlebt, daß schließlich der Einheitsstaat in weitem Maße ein
gesicherter Bestandteil der Auffassungen geworden war und
daß Berlin nun der Sitz der Reichsregierung und der Sitz der
Preußischen Regierung war. Das hat unzweifelhaft in weitem
Umfang Berlin sein Gepräge gegeben. Berlin ist eben die
erste Verwaltungsstadt Deutschlands gewesen, und das
müssen wir nach meinem Dafürhalten zu erhalten streben.
Denn Berlin kann nur existieren, wenn es auf der einen Seite
wieder Wirtschaft hat und auf der anderen Seite auch wieder
im beträchtlichen Umfang Verwaltungsstadt ist.
—L Bei der Formulierung unserer staatsrechtlichen Stellung
habe ich mir nun die.Frage vorgelegt: Wie könnte sich eine
solche Formulierung auf unsere Entwicklung, die ja jetzt
nicht ganz unbestritten ist, auswirken? Es'gibt immerhin in
Deutschland Tendenzen, die sagen: Schön, Berlin ist einmal
gewesen, aber jetzt setzt die Entwicklung an anderen Stellen __
ein. Wir sehen manchmal mit Bekümmernis, daß die Be
deutung Berlins als kommende Hauptstadt
des neuen Deutschlands bestritten wird. Ich habe mir des
halb gesagt: man soll >bei der Herauskehrung des Stand-
purtirtes, daß wir gegebenenfalls Staat sind, nicht unbedingt
bis zum Äußersten gehen, sondern die Dinge etwas behut
sam anfassen. Ich bin zwar der Meinung, daß wir, soziolo
gisch gesehen, eine Stadt sind, aber eine Stadt ganz beson
derer Art, da wir auf der andern Seite nach der letzten
staatsrechtlichen Entwicklung unzweifelhaft ein Land gewor
den sind oder den Ländern gleichgestellt sind; denn wir
gehören de facto keinem der deutschen Länder an und sind
auch keineswegs das kleinste Land in Deutschland, wir haben
des Verfassungsausschusses vom 19. Mai 1947
über drei Millionen Einwohner, während Schleswig-Holstein,
wenn ich recht unterrichtet bin, nur 2,6 Millionen Ein
wohner hat.
ln dieser Hinsicht stehen wir also den Ländern nicht
nach. Ich glaubte deshalb sagen zu müssen, daß wir unsere
Verfassung so aufbauen, daß sie in der inneren Struk
tur die eines Landes ist. Deshalb habe ich auch in
Parallele zum Landtag das Parlament Stadttag genannt und
in Parallele zur Landesregierung den alten Magistrat Stadt-
regierufig. . .
Im Artikel 1 habe ich, obwohl ich an anderer Stelle klar
hervorhebe, daß wir die Rechte eines Landes be
haupten — insbesondere hinsichtlich der Gesetzgebung —,
ausdrücklich gesagt, daß wir alle die Zuständigkeiten haben,
die nicht der Deutschen Republik Vorbehalten sind. Damit
' wird auch die Fülle der Zuständigkeiten eines solchen
Landes nach neuem Muster in Anspruch genommen. Den
noch habe'ich in Artikel 1 nicht-die Formulierung gebracht,
daß Berlin ein Land ist, sondern ich bin von der soziolo
gischen Grundlage ausgegangen, daß wir eigentlich eine
Stadt sind, die allerdings eine besondere staatsrechtliche
Stellung hat, und zwar habe ich mich hier negativ ausge
drückt, indem ich gesagt habe: Die Stadt Berlin ge
hör t kein e m der deutschen Länder an.
Ich habe das deshalb getan,- weil ich unsere Entwicklung
zur Hauptstadt Deutschlands' in keiner Weise belasten
möchte. In gewissen Gegenden ist die Seelenlage außer
ordentlich empfindlich. Man könnte der Meinung sein, daß
wir, Wenn wir ein Land sind, eigentlich nicht die Hauptstadt
sein können. Es kommt auch nicht darauf an, die anderen
Lander herauszufordern. Ich glaube, daß wir mit dieser
etwas vorsichtigen Fassung durchaus das treffen, was wir
wollen: unsere Selbständigkeit und die Fülle unserer Befug
nisse behaupten und'uns trotzdem eingliedem, Daß wir uns
als Glied der Deutschen Republik, d. h. des gesamten
Deutschland empfinden, darüber besteht kein Zweifel. Im
Berliner Stadtparläment und seinem Magistrat sind 4 wir alle
unbedingt Anhänger eines Gesamtdeutschlands,- denn wir
wissen alle, daß wir in Berlin entweder mit einem Gesamt
deutschland existieren oder aber daß wir so enormen
Schwierigkeiten entgegengehen können; daß eine Entwick
lung unserer Stadt nicht gewährleistet ist.
Artikel 1 drückt also im Grunde genommen aus, daß wir
unbedingt Anhänger des gesamten Deutschland sind, daß
wir uns auf der anderen Seite als Land behaupten, ohne
aber mit aller Rigorosität zum Angriff anzusetzen, sondern
daß wir uns bewußt sind, eine besondere Aufgabe im Rahmen
des gesamten Deutschland zu lösen und daß' wir dieser
unserer grundsätzlichen Stellung, wenn es sein muß, auch
gewisse Opfer zu bringen bereit sind.
Daß wir uns. als ein völlig demokratisdies Staatswesen
formen, lag auf der Hand. Deshalb ist der Satz, daß die
öffentliche Gewalt vom Volke ausgeht, eine Selbstverständ
lichkeit. Ich habe daher die Organe so aufgebaut, wie es
in einem demokratischen Staatsaufbau selbstverständlich ist:
Parlament und Regierung. Der Stadttag, wie ich das künftige
Parlament nenne, wird selbstverständlich nach dem Verhält
niswahlsystem gewählt. Darüber ist wohl nichts besonderes
r zu sagen. Die Technik ist die übliche — auch in dieser
Hinsicht ist nichts Originelles gfsagt —, im wesentlichen das,
•was man eben für die Bildung eines Parlamentes braucht.
Der Reiz meiner Vorschläge dürfte dort beginnen, wo es
sich um die Frage der Stadtregierung handelt.’ Soziologisch
gesehen sind wir eben doch ein merkwürdiges Gebilde. Ich •