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Teert erworben witjl? Ich sage; nein. In der Ermächtigung,
eine Berliner Verfassung zu geben, liegt m. E. nicht di» Er
mächtigung, die Reichsangehörigkeit irgendwem zu verleihen
oder zu entziehen oder über Grundsätze der Reichsangehörig
keit zu verfügen. Das könnte nur aus anderen Erwägungen
bejaht oder verneint werden.
Da der gesamtdeutsche Staat zur Zeit keine Aufgaben
wahmimmt, können wir sagen; es gibt, da die öffentlichen
Aufgaben ja wahrgenommen werden müssen, kein Sachgebiet,
auf dem nicht mindestens notwendige Dinge von dem Berliner
Gesetzgeber geregelt wereftn könnten. Wo solche Not
wendigkeit entsteht, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder
wir wenden uns an den Kontrollrat über _die Alliierte Kom
mandantur, oder aber wir müssen, da der Kontrollrat für
viele Gebiete si*h uninteressiert erklären w'ird, von uns aus
diese Gebiete regeln. Somit können wir dazu kommen, daß
prinzipiell kein Aufgabengebiet dem heutigen Berliner
Landesgesetzgeber als solches entzogen ist. Grenzen sind
allerdings vorhanden. Aber es'gibt kein Aufgabengebiet, -für
das wir nicht konkret prüfenjcönnten, wie weit unser Gesetz
gebungsbereich existiert..
Daher kann die Jus'tiz beispielsweise im Augenblick
auch nur eine Berliner Angelegenheit sein. Sie kann nicht in
der Luft hängen. Sie ist von den Alliierten auf keine andere
Stelle' übertragen. In der westlichen Zone ist die Justiz in
die Hand einer Zonenbehörde gelegt, aber bei uns ist sie
keiner anderen Behörde übertragen. Es gibt daher nur einen
Rechtsträger der Justiz, und ich halte deshalb die Auffassung
nicht für richtig, daß uns jede Art der Regelung auf diesem
Gebiete entzogen wäre. Es_ war mal die konkrete Frage auf
geworfen worden, ob wir in Fragen der Entschädigung bei
Enteignungen usw. eine schiedsgerichtliche Entscheidung-ein
fach . den Berliner Gerichten übertragen könnten, beispiels
weise dem Landgericht Berlin. Meiner Ansicht nach; selbst
verständlich. Das Landgericht Berlin kann nicht sagen, es
unterstehe nicht unserem 'Gesetzgebungsrecht. Wir sind zwar
bezüglich des Aufbaues unserer Justizbehörden an ein Kon-
trollratsgesetz,. an das Gesetz Nr. 4 gebunden, aber wir
können an . sich den Berliner Gerichten-nach meiner Ansicht
sachliche Aufgaben übertragen.
Bei der Post schwebt die Frage, wie weit sie etwa Berlin
entzogen werden soll.
Es gilt weiter, die Grenzen für die wirtschaftliche
Betätigung Berlins, abzustecken. Ist da etwa noch
bindend für Berlin die Deutsche Gemeindeordnung?
Als Gemeinde würde Berlin wohl den Bestimmungen der
Deutschen Gemeindeordnung noch unterliegen, wonach z. B.
nicht alle Dinge beliebig von den Gemeinden in ihren Be
reich gezogen werden dürfen. Als Land aber hat Berlin weiter-«
gehende Befugnisse, und für die Länder sind Vorschriften
in der Deutschen Gemeindeordnung 'nicht vorgesehenfolg
lich kann Berlin hier für sich weitergehende Regelungen
treffen, als es nach der DGO zulässig ist.
Es- ist weiter selbstverständlich die Möglichkeit gegeben,
daß alliierte Stellen”— die Alliierte Kommandantur oder der
Kontrollrat — uns ausdrücklich Aufgaben entziehen. Die
Entziehung von Aufgaben der Stadt Berlin be
deutet aber nicht eine Art der Exterritorialität für die diese
Aufgaben erfüllenden Behörden. Diese scheiden nicht aus der
Herrschaft von Berlin überhaupt aus. Wenn z. B. für die Ge
bäude dieser Behörden irgendwelche Steuern zu zahlen sind,
gilt -dasselbe Verhältnis, wie es früher zwischen den Ländern
und dem Reich bestand. Diese Fragen spielen z. B. praktisch
eine Rolle für die Universität. Die Stadt Berlin darf bezüglich
der Universität als solcher nicht Anordnungen auf dem Wege
der Gesetzgebung geben, soweit es sich um die Verwaltung
und den inneren Aufbau der Universität , handelt. Es-ist aber
die Frage, wo nun genau die Grenze liegt, wenn etwas ange
ordnet werden,kann, das die Universität irgendwie mittelbar
betrifft.
Nun komme ich wieder zu der Frage: Wieweit gilt
noch die Deutsche Gemeindeordnung? Die
DGO gilt sicherlich in einer ganzen Reihe von Punkten auch
heute noch. Das kann aber kaum für den Berliner Ver
fassungsgesetzgeber von Bedeutung sein,- denn alles, was in
der DGO geregelt ist, ist, da sie ein Verfassungsgesetz ist,
gleichzeitig unserer Verfasslmgshoheit unterworfen, und wir
können in der Berliner Verfassung hier jede Materie neu
regeln. .
Soweit eine solche Neuregelung noch nicht stattfindet, gilb
für die Stadt Berlin noch' etwa die- Gemeindehaushalts
ordnung, die Rücklageordnung usw. Aber da Berlin die Punk
tion eines Landes hat, wird man ihm wieder zubilligen
müssen, daß, soweit die Landesfunktion in Frage kommt, es
nicht einfach an die Durchführungsvorschriften zurGemeinde-
ordnung gebunden ist, und so haben wir praktisch immer den
Ausweg, daß, wenn wir Dinge erledigen wollen, die nicht
rein kommunaler - Art sind, wir insoweit nicht durch Vor
schriften der Gemeindeosdnung festgelegt sind, daß die Ge
meindeordnung für uns also aushilfsweise nur solange gilt,
als von uns nicht eine andere Regelung getroffen wird.
Nun kommet ich zu dem großen Fragenkomplex, der für
die Verfassung auch von entscheidender Bedeutung ist, zu
dem Problem der Grundrechte. Wirsehen, daß
in, allen Landesverfassungen jetzt Grundrechte mit auf
genommen worden sind. Gelten nun automatisch — damit
komme ich auf die Weimarer Verfassung — die
ganzen Grundrechte der Weimarer Verfassung weiter oder
nicht? Eins ist sicher: Es gilt nicht die Verordnung vom
28. Februar 1933, durch die damals die Grundrechte auf
gehoben wurden; denn das war eine typisch nationalsozia
listische Verordnung. Da es eine Notverordnung war,, würde
die Wirkung die sein, daß mit der Aufhebung dieser Not
verordnung — und sie war eine echte Notverordnung — die
alten Grundrechte an "sich wieder aufleben. Das können wir,
glaube ich, trotzdem aus einem anderen Grunde nicht an
nehmen, Die Weimarer Verfassung ist als Verfassung außer
Kraft gesetzt worden durch die Nationalsozialisten. Diese
Maßnahme der Nationalsozialisten ist an sich heute ungültig.
Aber altes Recht lebt nicht automatisch wieder auf, wenn
auch die sie aufhebende Maßnahme beseitigt wird, weil es
sonst' ein großes Durcheinander gäbe. Nehmen Sie an, es
würde vön den Alliierten das BGB aufgehoben, dann kann
nicht das ganze Recht, das am 31. Dezember 1899 gegolten
hat, plötzlich wieder aufleben.
- Es bleibt aber erhalten das allgemeine Rechts
staatsprinzip: daß für Eingriffe in die Sphäre des
Bürgers, für Eingriffe in die Freiheit, Eigentum, Vermögen
usw. eine gesetzliche Grundlage notwendig ist. Diese gesetz
liche Grundlage gilt es nun zum großen Teil wieder zu
schaffen.
Da Grundrechte üblicherweise, wie wir das jetzt in
den Länderverfassungen sehen, Bestandteile von Verfassungen
sind, müssen wir anerkennen, daß mit der Ermächtigung zur'
Ausarbeitung einer Berliner Verfassung auch gleichzeitig das
Recht gegeben ist, Grundrechte aufzustellen, sonst würde für
Berlin gegenüber den anderen Ländern eine Lütke entstehen.
Da die gesamtdeutsche Verfassung noch aussteht, und wir
solange die Berliner Bürger nicht, rechtloser lassen wollen
' als die Bürger. anderer deutschen Länder, müssen wir an
erkennen, daß zumindest die Möglichkeit besteht, Gründ
rechte festzulegen.
Eine weitere Frage wäre noch die nach der Rechts
pflege. Auch hier gehen wir davon aus, daß*in einer
Gemeindeverfassung zwar die Rechtspflege nicht geregelt wird,
daß aber in eine Landesverfassung die Grundlagen der Rechts;
pflege gehören. Aber die Lücke ist hie» zunächst nicht so
groß. Wir haben das Kontrollratsgesetz Nr. 4, in dem das
Geriehtsverfassungsgesetz mit aufgenommen ist.