Also ich möchte die Auffassung vertreten: dieses Deutsch
land existiert noch. Und daraus ergibt sich nun die weitere
Folgerung, daß das noch vorhandene ehemalige Reichsrecht
prinzipiell noch besteht, soweit es selbstverständlich nicht
von den Alliierten aufgehoben ist oder nationalsozialistischen
Inhalt hat,- im letzteren Falle ist es durch die staatsrechtliche
Umwandlung und durch den Willen der Alliierten und den
Willen des deutschen Volkes beseitigt. Unter Umständen
kann natürlich zweifelhaft sein, ob eine bestimmte Vorschrift
nationalsozialistisch ist oder nicht. Aber es bleiben jedenfalls
zahlreiche Normen bestehen; ’ nehmen Sie meinetwegen die
Reichsabgabenordnung von 1919/31. These gilt ohne jeden
Zweifel noch weiter, und zwar als deutsches Recht, nicht etwa,
als Berliner Recht.
Würden wir sagen: der deutsche Staat besteht nicht mehr,
dann könnte die Stadt Berlin alles Recht setzen, das nicht mit
alliiertem Recht in Widerspruch tritt, dann wäre die Stadt
Berlin völlig frei in der Rechtssetzung' und nus- gebunden
diirch die Vorschriften der Alliierten. Wenn wir dagegen
sagen: das deutsche Recht besteht noch, weil der deutsche
Staat noch existiert, dann "ist zu prüfen, in welchem Umfang
es abänderbar ist."
Wenn wir zu der Auffassung kommen, daß' der deutsche
Gesamtstaaf nicht -mehr besteht, dann ist Berlin innerstaadich
souverän, kann also neues Recht ohne Rücksicht auf Reichs
recht schaffen, dann bestehen nur Rechtsgrenzen nach außen,
d. h. es bestehen nur Grenzen hinsichtlich des Völkerrechts
sowie hinsichtlich dessen, was die Besatzungsmächte von uns
verlangen. Wenn aber der deutsche Gesamtstaat noch be
steht, ist ein deutsches Gesamtstaatsreclit zu
respektieren und darf nur abgeändert werden mit alliierter
Ermächtigung, wie wir sie io der Verfassung vorgesehen haben.
Berlin ist ferner berechtigt, auf Grund des Notstands-
Tee h t s Gesetze zu machen. Denn wenn kein anderer Ge
setzgeber da ist, muß man in allen Fällen, wo eine zwingende
Notwendigkeit gegeben ist,.dem vorhandenen Rechtsträger die
Möglichkeit geben, das erforderliche Recht zu setzen. Not
recht ist z. B, positiv geregelt im Polizeirecht; Wenn die
ordentliche Behörde nicht da ist, kann eine sonst nicht zu
ständige Behörde Polizeiverordnungen erlassen. Wir können
auch aus andern Gesichtspunkten noch ein Notrecht ableiten.
Hinzu kommt noch’eine zweite Quelle des Rechts der Stadt
Berlin. -Er waren nämlich ein Teil der Rechtssetzungsbefug-
nisse, die es in unseren Staate gab, landesrechtliche Befugnisse.
Im Gebiet der Stadt Berlin konnten Normen erlassen: einmal
die Stadt Berlin kraft, eigener.Autonomie und zweitens Preu
ßen zuletzt kraft der Ermächtigung, die sich aus dem Gesetz
vom 30. Januar 1934 ergab. Dieses G e s e t z g e b u n g s-
recht Preußens könnte theoretisch auf den deutschen
Gesamtstaat übergegangen sein,- das ist nicht anzunehmen,
denn Preußen ist in verschiedene Teile zerlegt, und man wird
anerkennen müssen, daß jedem dieser Teile das preußische
Gesetzgebungsrecht zugewachsen • ist. Es entspricht nicht der
heutigen staatsrechtlichen Lage, diesem aufgelösten Preußen
noch irgendwelche Gesetzgebungsbefugnisse zuzuerkennen,
sondern man muß vernünftigerweise annehmen, daß diese
Gesetzgebungsbefugnisse den bändern, also in diesem Falle
der Stadt Berlin, zugewachsen sind.
Berlin ist hinsichlich seiner Befugnisse in die Rechts
nachfolge Preußens eingeriiekt und ein Land gewor
den, ein Land aber, das nicht mehr Befugnisse haben kann,
als Berlin und Preußen zusammen hatten. Da Preußen kein
Staat war und Berlin auch nicht, kanp auch durch das Zu
sammenwachsen beider kein Staat entstanden sein; denn ein
Staat muß eine ursprüngliche Herrschaftsgewalt haben.
Diese hat Berlin nicht.
B e rl i n ist danach ein Land, wie etwa im Jahre 1935
Bayerp oder Hessen usw. ein Land waren, aber es ist kein
Staat. Wir müssen eine Unterscheidung machen zwischen
Staat und Land. Das Land ist staatsrechtlich ein Gebilde
sui generiSj d9s nicht die ursprüngliche Hoheitsgewalt besitzt.
Ich würde auch heute dem Lande Bayern, dem Lande Hessen
usw." nicht die Staatsqualität zuschreiben. Berlin hat, ohne
Staat zu sein, die Gesetzgebungsbefugnisse, die Preußen und
die Stadt Berlin gemeinsam hatten, und vereinigt daher in
sich die aus ‘seiner früheren Autonomie und dem Gesetz-,
gebungsrecht Preußens sich ergebenden Rechte. .
Nun komme ich zur Frage; Was haben wir für re ich s-
rechtliche Befugnisse? Welches sind heute die Grenzen eines
Landesgesetzgebers? Daß die Länder ihr bisheriges Gesetz
gebungsrecht behalten haben, habe ich schon betont. Aber
selbst bei weitester Auslegung bleiben sicherlich den Ländern
heute Schranken gesetzt, und zwar in einer ganzen Reihe von
Grundsätzen. Da gilt zunächst der schon erwähnte Satz:
Nemo plus juris transferre potest, quam ipse habet. Auch die
Alliierte Kommandantur kann nicht mehr
Rechte übertragen, als sie selber hat. Daraus
ergibt sich als Schranke: für willkürliche, ungerechte Maß
nahmen kann sie die Stadt Berlin nicht ermächtigen, und
dazu wird sie die Stadt Berlin auch nicht ermächtigen.
Zweifellos sind hier gewisse Grenzen zunächst in den allge
meinen Grundsätzen des natürlichen Rechts und der Mensch
lichkeit überhaupt gesetzt. Da Berlin von vier Mächten ver
waltet wird, Jcann z. B. ferner nicht eine der Mächte für
ganz Berlin eine Ermächtigung geben, sondern die Ermächti
gung zur Rechtsetzung, die ganz Berlin betrifft, kann nur
durch den Kontrollrat oder die Alliierte Kommandantur ge
geben werden. Wenn das Rechtsetzungsrecht bei der Stadt
verordnetenversammlung liegt, und diese der Alliierten Kom
mandantur unterstellt, so ergibt sich, daß auch für Rechts-,
normen, die lediglich einen einzelnen Bezirk betreffen, nur die
gesamte Alliierte Kommandantur eine Ermächtigung geben
kann, denn sonst würde jemand einer Stelle ein Recht ver
leihen, das er selbst nicht hat.
Es gibt weiter auch Grenzen, die sich aus den Pots
damer Beschlüssen ergeben, ln den Potsdamer Be
schlüssen haben sich die Alliierten auf ein bestimmtes,
Deutschland gegenüber innezuhaltendes Programm geeinigt.
Nun müssen wir ohne weiteres die Bündnistreüe aller Alliier
ten untereinander unterstellen und annehmen, daß keiner der
alliierten Oberbefehlshaber beabsichtigt, dagegen zu ver
stoßen: Es wäre dann aber widersinnig, wenn die den Ländern
oder der Stadt Berlin erteilte Ermächtigung zur Rechtsetzung
etwa im Widerspruch zu den Potsdamer Beschlüssen stehen
sollte. ' .
ln den Potsdamer Beschlüssen ist Deutschland ausdrücklich
als eine wirtschaftliche Einheit anerkannt. Gesetzgeberische
Maßnahmen, die. diese Einheit zu zerreißen drohen, sind
daher mittelbar für uns unzulässig. Die Potsdamer Beschlösse
richten sich nicht an Deutsche, sondern an die Alliierten unter
einander. Da letztere nur Rechte verleihen können, die
sie selber haben, müssen auch wir bei unserer Rechtsetzung
diese Vereinbarung innehalten. Dabei ist praktisch wichtig
die wirtschaftliche Einheit.
Ferner ist in den Potsdamer Beschlüssen eine ungleiche B e -
handlung der deutschen Bevölkerung verboten, Berliner
Rechtsnormen, die gegen dieses höherstufige Recht ver
stoßen, sind nichtig. Das gleiche gilt von solchen generell-
abstrakten oder spezi eil .konkreten Eingriffen in Freiheit und
Vermögen der Bürger, die von der zugrundeliegenden Er
mächtigung nicht gedeckt werden. Z. B. würde eine Berliner
Anordnung,' die völlig willkürlich die Gesamtorganisation etwa
-verändern und sie so verbauen würde, daß man bestimmte
Dinge später in einem Gesamtstaat nicht mehr regeln könnte,
zum mindesten gegen den Geist der Potsdamer Beschlüsse
verstoßen. Wir haben also bei der Gesetzgebung uns immer
klar zu machen: es gibt einen Staat,-dessen späteres Wirken
wir nicht hindern dürfen.
Eine weitere Schranke des Berliner Gesetzgebers bilden die
Befugnisse des Kontrollrat s. Sicher ist, daß
zwischen dem Kontrollrat als oberstem Reichsgesetzgeber und
den deutschen Landesgesetzgebem mindestens das „konkur-