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Stadtrat Dr. Haas':
Die Entstehung der Vorläufigen Verfassung von Groß-Berlin
Auszug aus der Niederschrift der ^Sitzung des Verfassungsausschusses vom 8. Januar 1947
Nach dem Zusammenbruch begannen im Mai 1945 auf
Befehl der russischen .Besatzungsmacht die ersten Versuche,
der neuen Verwaltung von Berlin wieder eine rechtliche Grund
lage zu geben. Am 26. September 1945 entstand als erstes
Ergebnis dieser Versuche das Bezirks Verfassungs
statut, im wesentlichen eine etwas veränderte Übernahme
der alten Bezirkswerfassung, die auf dem Bestehen der einzel
nen Teile von Berlin, den anfangs sehr zahlreichen, dann 21
und schließlich 20 Bezirken, basierte.
Im Oktober 1945 erhielt der Redner den Auftrag, eine
neue Verfassung von Berlin zu entwerfen. Der erste
Entwurf wurde am 8. November dem Magistrat vorgelegt.
Dabei war von dem Gedanken ausgegangen, daß Berlin nach
dem Untergang von Preußen staatsrechtlich etwas
völlig Neues geworden ist, eine Art Stadtstaat. Der
Entwurf war daher nicht mehr auf der alten Städteordnung
aufgebaut. Der Landtag oder die Stadtverordnetenversamm
lung sollte das einzige Beschluß- oder Gesetzgebungsorgan
sein. Der Magistrat sollte nur Vollzugsorgan und nicht mehr
Zweite Kammer sein. Es war vorgesehen, daß die Bezirks
bürgermeister einen Rat bilden, und daß dieser Rat die Mög
lichkeit haben, sollte, die Stadtverordneten zjt zwingen, eine
Beschlußsache noch einmal zu überlegen und sie mit Zwei
drittelmehrheit zu beschließen. Der Name „Magistrat" war
durch „Senat" ersetzt worden, um die Abkehr von der Städte
ordnung der östlichen Provinzen zum Ausdruck zu bringen.
Der Senat sollte die Regierung darstellen, sollte nur Voll
zugsorgan sein, während das Stadtparlament das gesetz
gebende Organ sein ^sollte, neben dem das Kollegium der Be
zirksbürgermeister gewissermaßen als Oberhaus mit den er
wähnten Befugnissen bestehen^sollte.
Dieser Entwurf ist, in zahlreichen Besprechungen im Rechts
aasschuß, mit Vertretern der Parteien, in der Bezirksbürger-
meisterkonferenz und im Magistrat behandelt worden und hat
wn die Jahreswende 1945/46 seinen Abschluß gefunden. Er
■wurde der Alliierten Kommandantur vorgelegt, von dieser aber
abgelefant.
'Es kam dann der Befehl vom 28. März 1946, bis zum
3. Mai einen neuen Entwurf Vorzulegen und dabei, als
Rechtsgrundlage die Berliner Verfassungen von 1920 und 1931
sowie die Städteordnung von 1853 zu nehmen mit der Maß
gabe, daß Bestimmungen nichtdemokratischer Natur unberück
sichtigt zu bleiben hätten. Damit hatte der Magistrat eine
genaue -Richtschnur für seine Arbeit bekommen. Es wurde
wieder derselbe Weg beschriften: Behandlung im Rechtsaus
schuß, Erörterung mit den vier Parteien, Beschlußfassung im
Magistrat,. Diese fand am 29. April statt. Anfang Mai ging
der neue. Entwurf wieder an die Alliierte Kommandantur.
Dieser Entwurf stellte eine Mischung dar von dem, was im
Dezember schon einmal vorgelegt worden war, und dem,
was jetzt auf Grund dej neuen Richtlinien aus den früheren
Verfassungen entnommen war.
Es war eine Magistratsverfassung. Es war mit
übernommen worden der unglückliche Sfadtgemeindeausschuß.
Der Ausdruck „Stadt” war mit Bedacht in dem ganzen Entwurf
vermieden worden, um darzutun, daß Berlin heute nicht mehr
Stadt ist, sondern eine neue staatsrechtliche Stellung als ein
Stadtstaat hat. Diese Stellung Berlins war umschrieben
worden, indem es. einmal hieß; Berlin ist die alleinige
öffentliche Gebietskörperschaft im Gebiet der Stadtgemeinde ,
Berlin, ein andermal: Berlin hat alle öffentlichen Aufgaben
zu erfüllen. Damit sollte gesagt werden, daß in dem Raum
von Berlin nur eine Gebietskörperschaft und nur deren Organe
arbeiten oder regiereit können und daß andere Organe dazu
nicht berufen sind. . -
Der Entwurf hatte die Stadtverordnetenversammlung als
Abgeordnetenversammlung und den Stadtgemeindeausschuß
als Abgeordnetenausschuß bezeichnet. Es war darin auch ein
Katalog über die Zuständigkeiten dieser beiden Organe auf
gestellt worden. Die Abgeordnetenversammlung war als un-*
mittelbarer Vertretungskörper von Berlin für die Gesetz
gebung vorgesehen, während ihr als Verwaltungs; oder Regie
rungsorgan der Magistrat gegenüberstand. Diesem war in
Anlehnung an die alte Magistratsverfassung ferner die Auf
gabe zugewiesen, Zweite- Kammer zu sein. Es stand aus
drücklich in dem Entwurf; Beschlüsse sind nur gültig, wenn
beide Vertretungskörper übereinjtimmen. Der Grundgedanke
der Städteordnung von 1853 war damit völlig gewahrt ge
blieben. Es war lediglich eine Teilung vorgenoramen worden
zwischen Abgeordnetenversammlung und Abgeordnetenaus
schuß, und zwar dahin, daß die Abgeordnetenversammlung
vorrunehmen hatte die Wahlen, die Beschlußfassung über
Haushalt, Verfassung, gewisse finanzwirtschaftliche Dinge
usw. und vor allem die Überwachung, während dem Ab
geordnetenausschuß die Aufgabe zugewiesen war, Gesetze
und Verordnungen zu beschließen.
Dieser Entwurf wurde Anfang Mai 1946 der Alliierten
Kommandantur eingereicht. Es begann dann in dem
alliierten Komitee für öffentliche Verwaltung die Beratung
über diesen Entwurf. Der Redner.hat während dieser Beratun
gen ständig in Fühlung mit den einzelnen Herren des alliier
ten Komitees, dem naturgemäß die verfassungsrechtlichen Ver
hältnisse Berlins fremd waren, gestanden. Jeder der vier
Herren hat versucht, von seinen Ideen etwas hineinzubringen,
woraus sich mancherlei Widersprüche und Unklarheiten in
der Vorläufigen Verfassung erklären. Auch durch die U b e r
Setzung sind manche nicht ganz zutreffenden Fotrou-
tierungen und Ausdrücke hineingekommen.
So ist z. B. der Ausdruck „Groß-Berlin", der ver
fassungsrechtlich bisher überhaupt nicht vorgekommen ist,
sondern nur im Volksmunde gebräuchlich war, auf 'diese
Weise in die Verfassung hineingekommen. In dem Magistrats
entwurf war nur von „Berlin" die Ißede.
Ein anderes Beispiel ist die Bestimmung über die Art der
Wahl des Magistra t s. In dem ersten Entwurf vom
November 1945 war das Verhältniswahlsystem vorgesehen,
im Entwurf vom April 1946 war nur von der Wahl die Rede,
während das Wie dieser Wahl ausdrücklich nicht bestimmt
war, um der demokratischen Entwicklung alle 1 Möglichkeiten
offenzulassen. Die Alliierten haben dann diese Bestimmung
dahin festgelegb daß sie den Satz aufgenommen haben; „ln
dem Magistrat müssen Vertreter aller anerkannten politischen
Parteien sein." Als gegen dieses Muß Bedenken entstanden,
weil man sich sagte, es könnte eine Partei geben, die gar
nicht in den Magistrat hineinwolle und es ablehne, die Ver
antwortung mit zu übernehmen, hat man noch den Zusatz
hinzugefugt: „sofern es die betreffenden Parteien verlangen." .
Es spiegelte sich darin schon die Vorschau auf den, Ausfall
der Berliner Wählen vom 20. Oktober. Man wollte jeder
Partei das Recht zur Mitarbeit geben. Es ist nichts darüber
gesagt, wie nun jede Partei vertreten, sein soll, das ist
völlig der Entwicklung überlassen.
Ein besonderes Beispiel für die auf die geschilderte Art
in die Vorläufige Verfassung hineingekommenen Wider-