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Versorgung der Bevölkerung mit Textilien und Schuh
waren durchgeführt werden kann. Auf Grund dieses
Beschlusses wird nunmehr die unten abgedruckte
Anordnung erlassen werden.
Die Einwohner der westlichen Besatzungszonen
haben bereits vor Monaten erstmalig und jetzt noch
mals Punktmarken zum Einkauf von Spinnstoff-
und Schuhwaren erhalten, an die Einwohner der
sowjetischen Besatzungszone wird demnächst eine
Punktkarte ausgegeben werden. Deswegen soll nun
mehr auch den Berlinern die Möglichkeit gegeben
werden, Textil- und Schuhwaren künftig nicht wie
bisher nur auf Bezugschein, sondern in erster Linie
auf eine Punktkarte ^inkaufen zu können. In den
letzten Monaten sind bereits — zuerst für den briti
schen, dann auch für den amerikanischen Sektor
durch die sog. „Seifenkarten-Aktion“ und für den
französischen Sektor auf andere Weise — einige
Lockerungen des starren Bezugscheinsystems vorge
nommen worden. Diese seinerzeit getroffenen, für die
einzelnen Sektoren verschiedenartigen Behelfsmaß
nahmen halben der Bevölkerung manche Erleichte
rung beim Einkauf gebracht und sich auch für die
Wirtschaft und die Verwaltung im allgemeinen be
währt. Nunmehr wird eine für längere Zeit wirk
same und für die drei westlichen Sektoren einheit
liche Neuregelung des Verfahrens für die Einkäufe
von Spinnstoff- und Schuhwaren getroffen.
Wir haben die Vorschriften über die Punktkarte
bewußt so einfach wie möglich gefaßt. Deswegen
haben wir — abgesehen von den Karten für die
Säuglinge — auch von einer Trennung der Karten
nach Alter und Geschlecht abgesehen, außerdem, die
Übertragbarkeit und auch eine Koppelung mehrerer
Karten zu einem Einkauf zugelassen. Diese Rege
lung soll in erster Linie auch den größeren Familien
die Möglichkeit geben, die aufgerufenen Punkte der
Karten aller Angehörigen zu den jeweils dringendsten
Einkäufen, zusammenzufassen.
Auf die Karten kann freizügig in jedem belie
bigen Geschäft der drei Sektoren eingekauft werden;
die bisherige Beschränkung der Einkäufe nur auf
Geschäfte des Wohnsitz-Bezirks oder -Sektors fällt
also weg. Auf dies,e Weise wird die von uns schon
immer angetrebte gleichmäßige Versorgung der Be
völkerung aller vier Sektoren nun wenigstens für
drei Sektoren erreicht und vor allem auch die Vor
aussetzung dafür geschaffen, daß dort eingekauft
werden kann, wo die dem Käufer zusagende und
passende Ware vorrätig ist. Wir hoffen, daß die so
eröffnete Freizügigkeit des Einkaufs auch die Ini
tiative des Handels beleben wird.
Auf die Textil- und Schuhkarte können nicht
nur Kleidungsstücke und Schuhe sondern auch alle
übrigen Spinnstoffwaren, so z. B- Bett-, Haus- und
Küchenwäsche, bezogen werden. Durch die Einbe
ziehung dieser weiteren Waren in das Kartensystem
werden der Bevölkerung Wege zu den Kartenstellen
auch bei derartigen Anschaffungen erspart. Die da
mit geschaffene erhöhte Warendeckung wird den
Aufruf einer höheren Punktzahl und somit mehr
Einkäufe nach freier Wahl ermöglichen.
Die Abschnitte der Textil- und Schuhkarte kön
nen nicht nur für Neuanschaffungen sondern auch
bei der Erteilung von Aufträgen zur Ausführung
solcher Reparaturen an Spinnstoff- und Schuh-
waren verwendet werden, für welche der Reparatur
betrieb aus seinen Beständen Material hergibt. Wir
hoffen, auf diese Weise der Bevölkerung Gelegen
heit zu geben, insbesondere an Kleidungsstücken im
Laufe der Zeit auch solche Ausbesserungen zu nor
malen Preisen ausführen zu lassen, die bisher meist
an dem Fehlen geeigneten Materials gescheitert sind.
Durch die Textil- und Schuhkarte wird zunächst
nur das Verfahren bei der Abgabe von Waren durch
den Einzelhandel und das Handwerk an die einzel
nen Verbraucher neu geregelt. Für die Beschaffung
der Waren durch die Unternehmungen des Einzel
handels und Handwerks sowie auch für die Waren
bewegungen beim Großhandel und der Industrie ver
bleibt es mindestens zunächst bei dem bisherigen
Verfahren. Wir werden aber prüfen, ob auch diese
Warenbewegungen dem nunmehr geschaffenen
Punktsystem angepaßt werden können.
Der Beschluß vom 1. 7. 1948 — Vorlage 118/897
— hat damit für die Stadtverordnetenversammlung
seine Erledigung gefunden.
Berlin, den 11. November 1948
Magistrat von GroB-Berlin
Dr. Friedensburg Klingelhöfer
Anordnung
über die Einführung einer Textil- und Schnhkarte
und einer Säuglingskarte
für den amerikanischen, britischen und französischen
Sektor von Groß-Berlin
Auf Grund der Verordnung über den Warenver
kehr in der Fassung vom 11. Dezember 1942 (RGB1.I
S. 686) wird angeordnet:
Spinnstoff- und Schuhwaren dürfen im amerika
nischen, britischen und französischen Sektor von
Groß-Berlin nur nach Maßgabe folgender Bestim
mungen abgegeben und bezogen werden;
§ 1
(1) Zum Bezüge von Spinnstoff- und Schuhwaren
wird für die Einwohner des amerikanischen, briti
schen und französischen Sektors von Groß-Berlin —
mit Ausnahme der Kinder im 1. Lebensjahr — eine
einheitliche Textil- und Schuhkarte ausgegeben.
(2) Für Kinder bis zum vollendeten 1. Lebens
jahr wird auf Antrag der werdenden Mutter vom
5. Monat der Schwangerschaft ab eine Säuglings
karte ausgegeben.
(3) Diese Regelung gilt nur für die Einwohner
des amerikanischen, britischen und französischen
Sektors, die dort ihre Lebensmittelkarten beziehen.
§ 2
(1) Die Textil- und Schuhkarte enthält 100 Be
zugsabschnitte (Punkte), außerdem Bezugsnachvteise
für Nähmittel und Strümpfe, sowie einige Sonder
abschnitte.
(2) Die Säuglingskarte enthält 150 Bezugsab
schnitte (Punkte) und einige Sonderbezugsnachweise.
(3) Zum Einkauf von Schuhwaren berechtigen
nur die dafür kenntlich gemachten Abschnitte. Diese
Abschnitte dürfen auch zum Einkauf von Spinnstoff
waren verwendet werden.
(4) Die Zahl der jeweils fälligen Abschnitte und
Nachweise wird durch Aufruf festgelegt. Fällig ge
wordene Abschnitte und Nachweise behalten wäh
rend der gesamten Laufzeit der Karte ihre Gültigkeit
(5) Die Abschnitte und Nachweise der Karten
sind übertragbar. Abschnitte mehrerer Textil- und
Schuhkarten können gemeinsam zu einem Einkauf
verwendet werden.
- § 3
(1) Auf die Karten können im Rahmen der auf
gerufenen Abschnitte und Nachweise Spinnstoff- und
Schuhwaren nach Maßgabe einer vom Magistrat,
Abteilung für Wirtschaft, aufgestellten Punktliste
abgegeben und bezogen werden.
(2) Die Abgabe von Abschnitten der Textil- und
Schuhkarte für die Ausführung von Reparaturen an
Spinnstoff- und Schuhwaren richtet sich nach einer
besonderen vom Magistrat, Abteilung für Wirtschaft,
aufgestellten Punktliste.
§ 4
(1) In Fällen eines dringenden Bedarfs können
die Kartenstellen Vorgriffe durch Abstempelung noch
nicht aufgerufener Abschnitte oder Nachweise zu
lassen.