Kriminal-Polizei.
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Auch die Kindestödtungen und die Verbrechen wider das keimende
Leben haben zugenommen. Die Vertheuerung der nothwendigsten Lebensbedürfnisse,
welche den ärmeren Volksklassen einen Familienzuwachs unwillkommen macht, dürfte
hierauf nicht ohne Einfluß gewesen sein.
Ungewöhnlich häufig waren in der letzten Zeit auch die Fälle, in denen
Bankbeamte, Kassirer und Buchhalter mit anvertrauten oder dem Prinzipal
entwendeten zum Theil sehr bedeutenden Summen flüchtig geworden sind.
Viel besprochen wurden die Veruntreuungen der Buchhalter Zander und Döring.
Dem Spiel in auswärtigen Lotterien bat weder das Gesetz vom 29. Juli
1885 noch die im Jahre 1886 stattgehabte Vermehrung der Preußischen Staats
loose Eintrag gethan. Der Grund ist einerseits darin zu finden, daß nach all
gemein verbreiteter Meinung einige fremde Staatslottcricn, insbesondere die Säch
sische, größere Gewinn-Chancen bieten als die Preußische, andrerseits darin, daß
die wegen verbotenen Lotteriespiels von den Gerichtsbehörden erlassenen milden
Strafmandate keine abschreckende Wirkung haben. Im Jahre 1890 sind auf Grund
der bei Händlern beschlagnabmten Spieler-Berzeichniffe 1116 Strafanzeigen von
der Kriminal-Polizei erstattet worden.
FalschcReichsbancknoten sind,nachdem im Jahre 1880 die Lithographen Doehle
und Schwarz in Spremberg und Görlitz verhaftet worden waren, nicht mehr zum
Vorschein gekommen, falsche Reichskasscnscheine über 50, 20 und 5 Mark zwar
wiederholt hier angehalten, aber feit Aufhebung der Falschmünzerbande Lomba und
Genossen in Berlin nicht mehr angefertigt worden. Der Umlauf falschen gemünzten
Geldes hat seit 1886 abgenommen.
Bezüglich der Gewohnbeitsverbrechcn kann im Allgemeinen ein Rückgang
kvnstatirt werden. Dies gilt insbesondere von den Einbrüchen. Einbrecher wie
Jmm, Pattri, Strauß, die durch ihre Verwegenheit und ihre Geschicklichkeit in der
Eröffnung von Geldschränken berüchtigt waren, besitzt Berlin nicht mehr. Die
nächtlichen Banden-Einbrüche, welche in den Jahren 1885 und 1886 bei der Be
völkerung von Berlin und der Umgegend Schrecken verbreiteten, bei denen in Villen
und Wobnungen alle Räume nach Geld und Wcrthsachen durchsucht und die Be
wohner in den Schlafzimmern eingeschlossen wurden, haben aufgehört. Zwei Mal
haben Einbrecher, welche bei der That betroffen wurden, die ihnen entgegentretende»
bezw. sie verfolgenden Personen durch Rcvolvcrschüffe verletzt, das eine Mal mit
tödtlichem Ausgange. Der Thäterschaft der Nachschlüssel-Diebstähle in öffentlichen
Gebäuden mit getrennten Wohn- und Repräsentationsräumen, dem Ministerium des
Innern, dem Justiz-Ministerium und der Kommandantur ist ein alter Einbrecher,
der grundsätzlich ohne Genoffen arbeitet, überführt und befindet sich zur Zeit in
Untersuchungshaft. Der Aussehen erregende Diebstahl bei dem Bankier Paasch, in
dessen Geschästslokal die Diebe aus einem von ihnen gemietheten Zimmer des
darüber liegenden Stockwerks mittels Aufbohrung des Fußbodens eindrangen, ist
von englischen Einbrechern ausgeführt worden. Diese geben von Zeit zu Zeit Gast
rollen in Deutschland und zeigen sich ihren Berliner Fachgcnossen, namentlich hin
sichtlich der Qualität der Diebswerkzeuge, weit überlegen. Engländer waren es
auch, welche die Aufmerksamkeit der hiesigen Kriminalpolizei durch einen im Jahre
1890 in Hannover versuchten Einbruch deshalb auf sich zogen, weil sie die eiserne
Thür eines Gewölbes, das 7 Millionen Werthsachen enthielt, durch Anwendung
eines Gasgebläses zerstört hatten. Ziemlich häufig sind noch immer die Einbruchs
und Nachschlüssel-Diebstähle in Komptoiren, Geschäfts- und Schanklokalen, bei denen
es nur auf Erlangung baaren Geldes abgesehen ist; ferner in solchen Wohnungen,
die an Sonntags-Nachmittagen oder während der Mittagszeit ohne Aufsicht gelassen
werden.
Abgenommen haben dagegen die Taschendiebstähle. Die ungarischen und
polnischen Taschendiebe, die einen hohen Grad von Geschicklichkeit besitzen, scheinen
Berlin' zu meiden, nacbdem zahlreiche Ergreifungen und Verurtheilungen derselben