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Allgemeiner Theil.
verschmerzt werden kann, dort aber um Leben und Gesundheit Vieler, um Güter
handelt, die unersetzlich sind und unter Umständen niemals veriviuidcn werden können.
Deshalb sind in London, Paris und Wien gerade die Zuwiderhandlungen
gegen die öffentliche Ordnung mit so schweren Strafen bedrobt, und darin liegt eben
der Unterschied in der Stellung der Polizei dort und hier. Die strengeren Polizei-
strafen haben dort das Publikum an Ordnung gewöhnt, zur Ordnung erzogen,
darum herrscht dort auch im öffentlichen Leben eine Ordnung, die man hier oft ver
mißt und auch durch alle Polizeistrafen, wie sie jetzt sind, nicht wird erzwingen und
ernröglichen können.
Was am meisten und ersten Noth thut, das ist vor Allein die Ermöglichung
eines schleunigeren Verfahrens, einer schnelleren Sühne für vorgekommene Ordnungs-
widrigkeitcn, da, >vie oben bereits ausgeführt, bei einem sich durch viele Monate
hinschleppenden Verfahren die Wirkung der an sich zn milden Strafe ganz abgeschwächt
wird, die Strafe eineil anderen Charakter annimmt und für alle Betheiligtcn in einem
ganz anderen Lichte erscheint, als wenn sie der Uebertretimg sofort auf dem Fuße folgt.
Hat die Polizei hier schon bei der Verhängung von Polizeistrafen einen schwereren
Stand als in anderen Großstädten, so steht sie" noch viel ungünstiger gegenüber
solchen Personen, die sie voin öffentlichen Gewerbebetriebe ausschließen will uild niuß.
Die Droschkenordnung vom 20. Januar 1873 schreibt z. B. iin § 21 vor, daß
Kutschern, welche sich dem Trunk ergeben oder zu begründeten Beschwerden des
Publikiuns wegen Unhöflichkeit oder unangemeffenen Benehmens oder Ueberforderung
Veranlassnng geben, oder sonst den Vorschriften dieses Reglements oder den sonstigen
polizeilichen Verordnungen wiederholt zuwider handeln, lieben der sonst verwirkten
Strafe der Fahrschein entzogen werden soll.
Nach dem klaren und bündigen Wortlaut dieser Bestinnnuilg köilllte man glauben,
daß, wenn ein Kutscher wiederholt sich groben, unhöflichen Benehmens gegen Fahr
gäste schllldig gemacht hat, weitn er lvegen groben Unfugs lind sonstiger Excesse sogar
schon mit Gefängniß bestraft ist, wenn er wiederholt die Fahrtaxe überschritten, also
Fahrgäste übervortheilt und betrogen, andere auch grob und unhöflich behandelt bat,
daß dies nach diesem § 21 genügen müsse, um ihn für unfähig zur Verwendrulg im
öffentlichen Fahrdienst zl> erachten, und ihn deshalb von demselben auszuschließen.
Leider genügt dies hier nicht. Nach der diesseitigen Gesetzgebung erfordert es unter
Umständen noch eines weitläufigen gerichtlichen Verfahrens, um dieses Ziel zu erreichen.
Als ein treffendes Beispiel hierfür dürfte das Folgende dienen:
Am 17. April 1879 lvar gegen einen Droschkenkutscher, der bereits 39 Btal,
zum Theil auch wegen Trunkenheit und grober Exceffe bestraft lvorden war und
gegen den außcrdein mehrfache Beschwerden des Publikums wegen groben, belei
digenden Verhaltens gegen Fahrgäste ergangen waren, die Entziehung des Fahr
scheins polizeilich verfügt worden, weil, wie von ihm selbst halb zugegeben und durch
Zeligen festgestellt lvorden war, er am 11. März trunken mit seinem Wagen nach
Hanse gekommen >var und nicht liur sein Pferd in der rohesten Weise mit dem
Peitschenstiel gemißhandelt, sondern augenscheinlich in trunkener Wuth so weit ge
gangen war, dem Pferde die Zunge aus dem Maule und durch deir Trensenring zu
ziehen und niit seinen eigenen Zähnen so zu zerbeißen, daß sie stark blutete und am
nächsten Tage gespalten gefunden wrirde. Damit nicht genug, hatte er das Pferd,
nachdem er es ausgespannt uild in den Stall gebracht, dort von Neuem mit dein Peit-
scheiistvck auf das Gröbste gemißhandelt und sogar mit einer Mistgabel wiederholt
geschlagen lind gestochen und dadurch so verwundet, daß, wie der Besitzer der
Droschke bezeugte, der Rücken des Pferdes ganz zerfetzt war.
Obgleich der Kutscher bei seiner polizeilichen Vernehmung diese Mißhandlung seines
Pferdes imAllgemeinen zugegeben hatte, klagte er doch unterm 30. April beim Verwaltungs
gericht aus Wiederaufhebung der polizeilichen Verfügung wegen der Fahrscheinentziehnng.