Allgemeiner Theil.
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und Nacht ihre kleinen Sektionen, Straßenstrecken, überwachen, die Eigenthümer der
Häuser und Verkaufsgcschäfte dennoch gezwungen sind, sich auch noch Privat Wächter
zu halten, daß sie außerdem noch die erdenklichsten Sicherheitsinaßregcln, lvie Erleuch
tung der Geschäfte bei offenen Schaufenstern auch ivährend der Nacht und andere
Vorkehrungen zum Schutze derselben treffen müssen, lind daß dennoch im Jahre 1878
1 620 Einbrüche in Häuser und 206 Einbrüche in Läden und Waarenlager vorge
kommen sind, die trotz aller Constabler nicht verhindert werden konnten.
Es gehört zum Geschäft der zcilensüchtigcn Reporter mancher hiesiger Zeitungen,
fortgesetzt' in vorwurfsvollen Artikeln von der beängstigenden Unsicherheit Berlins zu
fabeln und haarsträubende Geschichten von Raubanfällen und heimlich über Seite
gebrachten Personen zu erzählen, von denen der größte Theil von den betheiligten
Personen erftrnden oder von den Reportern aus der Luft gegriffen, in den meisten
Fällen wenigstens von ihnen aus der Btücke zum Elephanten aufgebauscht worden sind.
Einfache, unbedeutende Schlägereien oder Liebeshändel werden meist zu Raub- und
Mordanfällen aufgeputzt.
Ein großer Theil der angeblichen Naubanfälle und Angriffe auf Personen er
geben sich gewöhnlich als Vorspiegelungen, indem unterschlagene Gelder, versetzte
Uhren, verlorene Pretiosen, romantische Abenteuer zum Gegenstände einer Räuber
geschichte gemacht werden, deren Anzeige der Behörde eine Menge Arbeit macht, dem
Publikum unnöthige Angst verursacht und ängstliche Gemüther beunruhigt, bis es
der Polizei gelingt, die Raubgeschichte als Erfindung zu entpuppen.
Fast täglich lassen die Zeitungen „auf unerklärliche Weise" Personen ver
schwinden, die nach einigen Tagen oder Wochen sich von selbst wieder einfinden und
nur eine kleine Reise unternomnicn hatten, um sich mit einer gestohlenen oder unter
schlagenen Geldsunime unbeobachtet einige gute Tage zu machen. Diese Räuber
geschichten nehmen oft einen sehr komisch romanhaften Anstrich an.
So jener schwere, angeblich mitten in den Straßen Berlins vorgekommene Raub
anfall, bei dem vor einigen Jahren ein junger Mann am Engelufer geknebelt und
mehrfach verwundet gefunden wurde und angeblich von einem Räuber überfallen und
seiner Baarschaft von 46 Thalern beraubt sein wollte, während die Untersuchung ergab
und er später selbst zugestehen mußte, daß er die Geschichte des Raubanfalls nur er
funden und sich selbst verwundet hatte, um seiner Braut glauben zu machen, daß er
ihr eine goldene Uhr, zu der er die 46 Thaler schon besessen haben wollte, jetzt nicht
mehr schenken könne, nachdem er so schändlich ausgeplündert und ihm das dazu
bestimmte Geld geraubt worden sei.
Im vorigen Jahre noch erregte die Geschichte des Gesellen Becker großes Aus
sehen, der am Hellen Tage in der elterlichen Wohnung von 3 Männern überfallen,
geknebelt und verwundet sein wollte und der sich nicht nur selbst gebunden und den
Knebel in den Mund gepreßt, sondern auch 4 Stiche in den Kopf und einen Stich
in die Brust beigebracht hatte, lediglich um dadurch zu verdecken, daß er einem
Zimincrgcnoffcn eine kleine Geldsumme gestohlen hatte.
In diesem Jahre noch hatte eine alte 80 jährige Frau einen Raubanfall vor
geschützt, nur um die gerade fällige Miethe zu ersparen. Sie wurde geknebelt und
aus mehreren Wunden blutend in ihrem Zimmer aufgefunden, wollte von einein
Raubgcsellen überfallen, gefesselt und verwundet worden sein und brachte als Beweis
sogar einen Büschel schwarzer Haare bei, die sie dem Räuber im Kampfe aus dem
Bart gerissen haben wollte, die jedoch bei näherer Besichtigung als Schweine
borsten erkannt wurden. Die ganze Räubergeschichte war von der alten Frau
erfunden und selbst in Scene gesetzt worden.
Im Jahre 1880 sind allerdings hier 34 Personen wegen Raubanfalles zur
Haft gebracht worden; es sind dies jedoch zum größten Theile mehr freche Dieb
stähle, besoiiders solche, bei denen junge Frauenzimmer deir kleinen Kindern die Ohr
ringe aushakten oder ihnen Geldstücke, mit denen sie zum nahen Kaufmann geschickt
worden, oder einzelne Kleidungsstücke fortnahnren.