349
3u 329.
Kodizill
zum gegenseitigen Testament der Professor Goldschmidtschen Eheleute.
Westerland auf Sylt, 21. August 1891.
Wir haben in unserein gegenseitigen, bei dem Königlichen Amts
gericht Berlin deponierten Testamente die Bestimmung getroffen, daß
unser gesamter Nachlaß, soweit über denselben von uns nicht ander
weitig verfügt worden ist, eine gemeinnützige, unseren Namen führende
Stiftung unter Verwaltung des Magistrats der Stadt Berlin bilden
soll. Die einem besonderen Kodizill vorbehaltene nähere Bezeichnung
dieser Stiftung geschieht nunmehr durch die nachstehend folgenden Be
stimmungen:
Angesichts der wirtschaftlichen und sittlichen Not, in welcher ein
beträchtlicher Teil der deutschen Hausarbeiter schmachtet und aus
welcher derselbe weder durch Staatshilfe noch durch eine in absehbarer
Zeit nach menschlicher Einsicht denkbare durchgreifende Umgestaltung
unserer Erwerbszustände befreit «erden kann, erachten wir es für
sittliche Pflicht, nach bestem Vermögen an der Milderung dieses Not
standes mitzuwirken. Wir sind ferner der Ueberzeugung, daß unter
die vornehmsten Mittel zur Hebung des physischen und sittlichen Niveaus
der handarbeitenden Bevölkerung die Beschaffung guter und gesunder
Wohnungen gehört, da in solchen allein ein geordnetes Familienleben
und mittelst desselben die sittliche Hebung der Arbeiterbevölkerung
erzielt zu werden vermag. Demgemäß soll unser vorbezeichneter
Nachlaß auf alle Zeit dem Zwecke der Beschaffung guter und
gesunder Wohnungen für die innerhalb der Stadtgemeinde .
Berlin und ihrer Vororte wohnhafte Arbeiterbevölkerung
in der Weise bestimmt sein, daß entweder das Kapital auf die Er
bauung bezw. dem Ankauf solcher Wohnungen oder daß die Zinsen
des Nachlatzkapitals auf die Vermehrung und angemessene Erhaltung
solcher durch Erbauung. Ankauf oder Miete beschaffter Wohnungen
verwendet werden.
Welches der verschiedenen gegenwärtigen erprobten oder zur Zeit
unseres Todes als bewährt erfundenen Systeme von „Arbetter
wohnungen" zu wählen sei. überlassen wir vettrauensvoll dem Er
messen des Magistrats.
Nur schließen wir ausdrücklich dasjenige System aus, welches
darauf abzielt, die Arbeiterwohnungen allmählich in freies Privat
eigentum ihrer Bewohner zu verwandeln, da der für diesen an sich
löblichen Zweck erforderliche Aufwand außer Verhältnis zu den dadurch
erreichten Votteilen steht, mit schweren Uebelständen hinsichtlich der
freien Wahl der Arbeitsgelegenhett und mit sonstigen Uebelständen
verbunden ist.
Wir stellen ferner die ausdrückliche Bedingung, daß diese Woh
nungen ausschließlich an verheiratete Arbeiter vermietet werden
dürfen und daß denselben bei Vermeidung sofortiger Kündigung
untersagt wird, Schlafburschen oder Schlafmädchen aufzunehmen.
Sollten zur Zeit unseres Todes in der Stadt Berlin oder deren
Vororten bereits entsprechende, sei es von Gemeindewegen, sei es aus
dem Ertrage besonderer Stiftungen geordnete Einrichtungen bestehen,
so darf unser Nachlaß zur Erwetterung solcher Einrichtungen ver
wendet werden, soll aber, bis zur völligen Aufzehrung des Nachlaß
kapitals, unter besonderer Verwaltung stehen.
Zu einem anderen als dem vorbezeichneten Zwecke darf weder
das Kapital noch der Zinsertrag unseres vorbezeichneten Nachlasses
verwendet werden.
Dieses Kodizill soll einen integrierenden Teil unseres gegenseitigen
Testamentes bilden. - v
a. u. s.
Adele Goldschmidt,
Dr. Levin Goldschmidt, Geheimer Justizrat
und ordentlicher Professor der Rechte an
der Universität Berlin.
Zu 329.
Auszugsweise Abschrift aus dem Testament der Professor und Geh.
Justizrat vr. Levin Goldschmidt.
Wechselseitiges Testament.
Wir, nämlich ich, der Geheime Justizrat und ordentliche Profeffor
der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin, vr. Levin Gold-
schmidt und ich, dessen Ehefrau Adele Goldschmidt, geborene
Herrmann, beide wohnhaft Hierselbst, errichten hierdurch folgendes
wechselseitiges Testament, durch welches unser früheres, am 16. Oktober
1882 errichtetes, am 21. Oktober 1882 bei dem K. Anrtsgericht I Berlin
hinterlegtes Testament nebst allen inzwischen zu demselben gefügten
Nachträgen, desgleichen jede frühere letztwillige Verfügung, soweit solche
noch in Kraft stehen sollte, aufgehoben wird.
pp.