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Volume No. 56 (1134-1143), 3. Dezember 1910

Full text: Vorlagen für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin (Public Domain) Issue1910 (Public Domain)

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Es sei aber dem Magistrat natürlich noch nicht möglich gewesen, einen 
definitiven Beschluß ergehen zu lassen, und man habe daher aus 
§ weckmäßigkeitsgründen sich auch hier vor schwer eingreifenden Ent- 
E)Iüffen zu hüten. Aus dem vorliegenden Formular sei doch ersichtlich, 
daß alle Fälle, die sich auf Entsendung eines Kindes in eine Heim 
oder Heilstätte beziehen, auf das sorgfältigste durch jede der einzelnen 
Instanzen geprüft worden sei. Der Vorwurf gegen die Armen 
direktion auf ein vielleicht zu leichtfertiges Verfahren bei der Entsendung 
der Kinder könnte daher kaum aufrecht erhalten werden. Das allerdings 
sei zuzugeben, daß es durchaus wünschenswert erscheine mit Bezug 
auf die Beilreibung der entstandenen Kosten von denjenigen Ellern 
oder Unterhallungsvcrpflichleten, die nach ihrer allgemeinen wirtschaft 
lichen Lage wohl zur Beitragung der Kosten imstande find, mit 
größter Gewissenhaftigkeit durchgeführt werden müsse. Von allen 
diesen Erwägungen heraus müsie man schließlich doch zu dem Entschluß 
kommen, l. die Zustimmung wenigstens zu den vom Magistrat 
beantragten 50 000 Jt zu erteilen, und 2. diese Summe entsprechend 
der allerdings vorgerückten Zeit zu erhöhen, da die oben erwähnte 
Summe doch nur eine willkürliche Zahl sein dürfte, die der 
Magistrat vorgeschlagen habe, und außerdem vielleicht die Mög- 
lichkeit eintreten könnte, daß Kinder, die sozusagen nicht rechtzeitig 
krank geworden seien, die Vergünstigung auf Entsendung nicht 
genießen dürfen. Von anderer Seite wurde dazu angeführt, daß es 
doch wünschenswert wäre, daß die Gutachten derjenigen Aerzte, die 
eine Entsendung der Kinder ausgesprochen haben, noch einmal durch 
beanitetc Aerzte, die von der Stadt angestellt sein müßten, nachgeprüft 
werden. Das sei doch gewiß erklärlich, daß ein Arzt die Aufnahme 
eines Kindes in eine Heimstätte für durchaus wünschenswert erachte, 
daß aber andererseits der beamtete Arzt, dem ja so und soviel Gesuche 
von noch viel schwierigeren Erkrankungen zu Prüfung vorliegen, ein 
anderes Gesuch der Berücksichtigung für notwendiger erachte und daher 
jenes erstgenannte Gesuch wohl abzulehnen in der Lage sei. 
Es wurde daher der Antrag gestellte 
B. Es soll eine ärztliche städlischerseits beamtete Instanz geschaffen 
werden, die eine Nachprüfung der zur Verschickung empfohlenen 
Kinder veranlassen soll. 
Des weiteren wurde beantragt: 
F. Es dürfen tunlichst nur solche Kinder nach außerhalb gesandt 
werden, die an offener Tuberknlose leiden. 
Begründet wurde dieser Antrag damit, daß die städtischen Heim 
stätten ganz vorzüglich eingerichtet seien, und man daher bei Versendung 
der Kinder doch zunächst diese städtischen Heimstätten berücksichtigen 
müßte Erst wenn eine Aufnahnie eines Kindes in eine städtische 
Heimstätte nicht möglich wäre, sollte man daran denken, es nach 
auswärts zu senden Allerdings wäre es zweckmäßiger neben den 
bestehenden Heimstätten für Kinder auch solche Anstalten zu errichten, 
in denen mit offener Tuberkulose behaftete Kinder untergebracht werden 
können. 
Es wurde daher der Antrag gestellt: 
G. Dem Magistrat zur Erwägung zu geben, ob nicht neben den 
bestehenden Heimstätten für Kinder auch solche Anstalten errichtet 
werden können, in denen mit offener Tuberkulose behaftete Kinder 
untergebracht werden. 
Des weiteren wurde aus der Mitte des Ausschußes angeführt, 
daß eine Erhöhung der vom Magistrat beantragten Summe wohl 
kaum notwendig erscheine, vielmehr man von dieser Summe gewiß 
noch etwas sparen könnte. Die Deputation für die städtischen Heim 
stätten habe nämlich den Entschluß gefaßt, schon jetzt, also noch vor 
der definitiven Bewilligung der hierzu erforderlichen Mittels die Kinder 
in die städtischen Heimstätten aufzunehmen. Hierbei sei es doch auf 
fällig, daß in der Heimstätte in Heinersdorf zur Zeit nur 3 Knaben und 
in Blankenburg nur 8 Mädchen Aufnahme gefunden hätten. Dies sei 
noch ein Beweis dafür, daß zwar Betten zur Belegung noch frei wären, 
daß aber Kinder zur Aufnahme sich nicht gemeldet hätten. Aus dieser 
Tatsache könne man schließen, daß zur Zeit ein so großer Andrang von 
Kindern zur Aufnahme in Heimstätten nicht vorhanden sei wie im 
Sommer. Hierbei sei ferner zu erwähnen, daß zur Zeit in Hohenlpchen 
sich mehr Pfleglinge befinden, als in irgend einer städtischen Heim- 
stätte. Und endlich müsse betont werden, daß in zwei Punkten den 
städtischen Heimstätten gegenüber den privaten Heimstätten der Vorzug 
gegeben werden müsse Dies sei einmal die außerordentlich nahe 
Lage aller städtischer Heimstätten und zweitens, daß diese Heimstätten 
sehr einfach ausgestattet seien. Beides sei für die dort untergebrachten 
Kinder ein nicht zu verkennender Vorteil. Denn erstens würde hier 
durch den Angehörigen die Möglichkeit gegeben, sich öfter in Ver 
bindung mit ihren untergebrachten Kindern setzen zu können, und 
dann würden jene Kinder nicht durch einen falsch angebrachten Komfort 
verwöhnt und ihren häuslichen Verhältnissen entrückt. 
Der Vorsitzende machte nunmehr die inzwischen eingereichten 
Anträge bekannt. Er bemerkte, daß der bereits in der vorigen 
Sitzung gestellte Antrag a abgeändert sei und nunmehr folgenden^ 
Wortlaut habe: 
8. Die Stadtverordnetenversammlung ersucht den Magistrat mit 
tunlichster Beschleunigung um eine Vorlage für die Errichtung 
größerer einfach ausgestatteter Walderholungsstätten, ähnlich wie 
die bestehenden Heimstätten für kränkliche, schwächliche sowie 
lungenkranke Kinder ohne Unterschied des Alters und Geschlechtes, 
welche das ganze Jahr hindurch geöffnet find. 
Ferner ivar beantragt: 
J. Die Stadtverordnetenversammlung ersucht den Magistrat außer 
den beantragten 50 000 Jt weitere 75 000 M für Entsendung 
von Kindern in Heil- und Heimstätten der Armendirektion zur 
Verfügung zu stellen. 
Und endlich lag folgender Antrag vor: 
L. Es werden für die Zwecke der Entsendung von Kindern in 
Heil-, Heim- und Erholungsstätten weitere 75 000 Jt (50 000 Jt 
und 25 000 Jt) mit der Maßgabe zur Verfügung gestellt, daß 
die Entsendung der Kinder möglichst in städtische Heimstätten 
erfolgt. 
Der Betrag wird aus Kapitel XIII, Abteilung 2, Ertra- 
ordinariuni 1 zu entnehmen sein. 
Hier ergriff der Herr Kämmerer das Wort um zunächst das Aus 
bleiben des Stadtrats I)r. Münsterberg mit Krankheit zu ent 
schuldigen. 
Weiterhin berichtigte er die von ihm selbst in der vorigen Sitzung 
infolge einer Anfrage gemachte Mitteilung über den durchschnittlichen 
Betrag der Kosten der Heilstättenbehandlung. Bei der Berechnung 
dieses Satzes nach dem Verhältnis der im Jahre 1910 verpflegten 
Kinder (1318) zu den für dieses Jahr bewilligten 200 000 sei der 
Kopfsatz auf etwas über 150 Jt unter der ausdrücklichen Voraus 
setzung angenommen worden, daß aus den Etatsmittelu für 1910 
nicht noch Reste des Vorjahres gedeckt worden seien. Diese Voraus 
setzung treffe aber nicht zu. Nach nachträglicher Feststellung in der 
Kasse seien vielmehr aus den Mitteln des Jahres 1910 Reste aus 
dem Vorjahre in Höhe von rund 72 870 Jt bezahlt worden, zum 
Beispiel ein Posten von rund 10 OM Jt an die Anstalt Schönholz 
für Verpflegung aus der Zeit vom Juli bis Dezember 1909. Der 
Kopfsatz müsse sich hiernach naturgemäß ermäßigen. 
Die Auffassung, daß lediglich das Bedürfnis für den Umstand 
der Heilstättenbehandlung maßgebend sein könne, müsse nachdrücklich 
bestritten werden Eine solche Auffassung könne nur vertreten, wer 
eine unabweisbare, also rechtliche Pflicht zur Befriedigung des Be 
dürfnisses anerkenne. Ein derartiges Anerkenntnis entspreche aber 
nicht dem bisherigen Standpunkt der Gemeindebehörden. Die wieder 
holte Berufnng auf den Wortlaut der mit Genehmigung des Magistrats 
erlassenen Gcfchäftsanweisung sei verfehlt. Die Anweisung sei 
schon vor geraumer Zeit auf Verfügung des Magistrats dahin ge 
ändert worden, daß die Kosten des Aufenthalts für notwendige 
Fälle aus den „hierfür zur Verfügung stehenden Etatsmitteln be 
stritten" würden und damit sei klar zum Ausdruck gebracht, daß auch 
notwendige Fälle nur soweit Berücksichtigung finden könnten, als 
Etatsmittel vorhanden seien. Es könne sich nur darum handeln, bei 
der Bereitstellung der Mittel einen billigen Ausgleich zwischen dem 
vorhandenen Bedürfnis und der gebotenen Rücksicht auf die Steuer 
zahler zu finden. Zweiffellos sei das Bedürfnis sehr groß und auch 
mit erheblich höheren Beträgen als 2M M0 Jt nicht vollkommen zu 
befriedigen. Auf der anderen Seite müßten die Kosten von Hundert 
lausenden kleiner Steuerzahler mit aufgebracht werden, die jede neue 
Belastung schmerzlich empfänden. Mit den hiernach zur Verfügung 
gestellten Mitteln müsse die Armenverwaltung ebensogut auskommen, 
wie jede andere Verwaltung mit ihren Wohltätigkeilsfonds. 
In einzelnen von anderen Rednern gestreiften Fällen würde 
übrigens die Frage auftauchen können, ob es sich nicht um vorhandene 
Krankheiten gehandelt habe, die eine Krankenhausbehandlung mit 
Mitteln des Armenetats gerechtfertigt hätten. Natürlich würde eine 
Vermischivig des Armenetats mit den Mitteln des vorliegenden Etats 
titels unzulässig sein. 
Die Ziffer 50 MO Jt sei nicht etwa rein willkürlich vom Magistrat 
gewählt worden, sondern im Hinblick auf den noch ausstehenden Teil 
des Jahres, die Winterzeit und die Kosten der Behandlung in 
städtischen Heimstätten. Von diesen kämen gegenwärtig Blankenburg 
mit 52 Betten für Mädchen und Heinersdorf mit 72 Betten für 
Knaben in Betracht. Bei voller Belegung beider Anstalten für 
den Rest des Jahres würde ein Aufwand von rund 37 6M Jt 
erforderlich sein: eine solche Belegung sei aber namentlich 
während des Winters nicht vorauszusetzen. Der danach 
von den städtischen Heimstätten etwa nicht zu beanspruchende Teil 
von 60000 Jt könne unbedenklich für andere Anstalten Verwendung 
finden. Der Antrag, welcher darauf abziele, daß die erbetene Summe 
nur tunlichst zur Unterbringung in städtischen Heimstätten zu ver 
wenden sei, treffe daher durchaus den Sinn der Magistratsvorlage 
und sei nicht zu beanstanden. Die Voranstellung der städtischen Heim 
stätten in der Vorlage sei aber gerade mit Bezug auf die in der 
Stadtverordnetenversammlung im Vorjahre laut gewordenen Wünsche 
vom Magistrat beliebt worden, und man müsse doch auch daran fest- 
hallen, daß dasjenige, was man in eigenen guten Anstalten zu leisten 
imstande sei, auch von diesen wirklich ausgeführt würde. Die Be 
willigung von 50 OM Jt erscheine nach alledem erwünscht, aber auch 
ausreichend.
	        
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