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Es sei aber dem Magistrat natürlich noch nicht möglich gewesen, einen
definitiven Beschluß ergehen zu lassen, und man habe daher aus
§ weckmäßigkeitsgründen sich auch hier vor schwer eingreifenden Ent-
E)Iüffen zu hüten. Aus dem vorliegenden Formular sei doch ersichtlich,
daß alle Fälle, die sich auf Entsendung eines Kindes in eine Heim
oder Heilstätte beziehen, auf das sorgfältigste durch jede der einzelnen
Instanzen geprüft worden sei. Der Vorwurf gegen die Armen
direktion auf ein vielleicht zu leichtfertiges Verfahren bei der Entsendung
der Kinder könnte daher kaum aufrecht erhalten werden. Das allerdings
sei zuzugeben, daß es durchaus wünschenswert erscheine mit Bezug
auf die Beilreibung der entstandenen Kosten von denjenigen Ellern
oder Unterhallungsvcrpflichleten, die nach ihrer allgemeinen wirtschaft
lichen Lage wohl zur Beitragung der Kosten imstande find, mit
größter Gewissenhaftigkeit durchgeführt werden müsse. Von allen
diesen Erwägungen heraus müsie man schließlich doch zu dem Entschluß
kommen, l. die Zustimmung wenigstens zu den vom Magistrat
beantragten 50 000 Jt zu erteilen, und 2. diese Summe entsprechend
der allerdings vorgerückten Zeit zu erhöhen, da die oben erwähnte
Summe doch nur eine willkürliche Zahl sein dürfte, die der
Magistrat vorgeschlagen habe, und außerdem vielleicht die Mög-
lichkeit eintreten könnte, daß Kinder, die sozusagen nicht rechtzeitig
krank geworden seien, die Vergünstigung auf Entsendung nicht
genießen dürfen. Von anderer Seite wurde dazu angeführt, daß es
doch wünschenswert wäre, daß die Gutachten derjenigen Aerzte, die
eine Entsendung der Kinder ausgesprochen haben, noch einmal durch
beanitetc Aerzte, die von der Stadt angestellt sein müßten, nachgeprüft
werden. Das sei doch gewiß erklärlich, daß ein Arzt die Aufnahme
eines Kindes in eine Heimstätte für durchaus wünschenswert erachte,
daß aber andererseits der beamtete Arzt, dem ja so und soviel Gesuche
von noch viel schwierigeren Erkrankungen zu Prüfung vorliegen, ein
anderes Gesuch der Berücksichtigung für notwendiger erachte und daher
jenes erstgenannte Gesuch wohl abzulehnen in der Lage sei.
Es wurde daher der Antrag gestellte
B. Es soll eine ärztliche städlischerseits beamtete Instanz geschaffen
werden, die eine Nachprüfung der zur Verschickung empfohlenen
Kinder veranlassen soll.
Des weiteren wurde beantragt:
F. Es dürfen tunlichst nur solche Kinder nach außerhalb gesandt
werden, die an offener Tuberknlose leiden.
Begründet wurde dieser Antrag damit, daß die städtischen Heim
stätten ganz vorzüglich eingerichtet seien, und man daher bei Versendung
der Kinder doch zunächst diese städtischen Heimstätten berücksichtigen
müßte Erst wenn eine Aufnahnie eines Kindes in eine städtische
Heimstätte nicht möglich wäre, sollte man daran denken, es nach
auswärts zu senden Allerdings wäre es zweckmäßiger neben den
bestehenden Heimstätten für Kinder auch solche Anstalten zu errichten,
in denen mit offener Tuberkulose behaftete Kinder untergebracht werden
können.
Es wurde daher der Antrag gestellt:
G. Dem Magistrat zur Erwägung zu geben, ob nicht neben den
bestehenden Heimstätten für Kinder auch solche Anstalten errichtet
werden können, in denen mit offener Tuberkulose behaftete Kinder
untergebracht werden.
Des weiteren wurde aus der Mitte des Ausschußes angeführt,
daß eine Erhöhung der vom Magistrat beantragten Summe wohl
kaum notwendig erscheine, vielmehr man von dieser Summe gewiß
noch etwas sparen könnte. Die Deputation für die städtischen Heim
stätten habe nämlich den Entschluß gefaßt, schon jetzt, also noch vor
der definitiven Bewilligung der hierzu erforderlichen Mittels die Kinder
in die städtischen Heimstätten aufzunehmen. Hierbei sei es doch auf
fällig, daß in der Heimstätte in Heinersdorf zur Zeit nur 3 Knaben und
in Blankenburg nur 8 Mädchen Aufnahme gefunden hätten. Dies sei
noch ein Beweis dafür, daß zwar Betten zur Belegung noch frei wären,
daß aber Kinder zur Aufnahme sich nicht gemeldet hätten. Aus dieser
Tatsache könne man schließen, daß zur Zeit ein so großer Andrang von
Kindern zur Aufnahme in Heimstätten nicht vorhanden sei wie im
Sommer. Hierbei sei ferner zu erwähnen, daß zur Zeit in Hohenlpchen
sich mehr Pfleglinge befinden, als in irgend einer städtischen Heim-
stätte. Und endlich müsse betont werden, daß in zwei Punkten den
städtischen Heimstätten gegenüber den privaten Heimstätten der Vorzug
gegeben werden müsse Dies sei einmal die außerordentlich nahe
Lage aller städtischer Heimstätten und zweitens, daß diese Heimstätten
sehr einfach ausgestattet seien. Beides sei für die dort untergebrachten
Kinder ein nicht zu verkennender Vorteil. Denn erstens würde hier
durch den Angehörigen die Möglichkeit gegeben, sich öfter in Ver
bindung mit ihren untergebrachten Kindern setzen zu können, und
dann würden jene Kinder nicht durch einen falsch angebrachten Komfort
verwöhnt und ihren häuslichen Verhältnissen entrückt.
Der Vorsitzende machte nunmehr die inzwischen eingereichten
Anträge bekannt. Er bemerkte, daß der bereits in der vorigen
Sitzung gestellte Antrag a abgeändert sei und nunmehr folgenden^
Wortlaut habe:
8. Die Stadtverordnetenversammlung ersucht den Magistrat mit
tunlichster Beschleunigung um eine Vorlage für die Errichtung
größerer einfach ausgestatteter Walderholungsstätten, ähnlich wie
die bestehenden Heimstätten für kränkliche, schwächliche sowie
lungenkranke Kinder ohne Unterschied des Alters und Geschlechtes,
welche das ganze Jahr hindurch geöffnet find.
Ferner ivar beantragt:
J. Die Stadtverordnetenversammlung ersucht den Magistrat außer
den beantragten 50 000 Jt weitere 75 000 M für Entsendung
von Kindern in Heil- und Heimstätten der Armendirektion zur
Verfügung zu stellen.
Und endlich lag folgender Antrag vor:
L. Es werden für die Zwecke der Entsendung von Kindern in
Heil-, Heim- und Erholungsstätten weitere 75 000 Jt (50 000 Jt
und 25 000 Jt) mit der Maßgabe zur Verfügung gestellt, daß
die Entsendung der Kinder möglichst in städtische Heimstätten
erfolgt.
Der Betrag wird aus Kapitel XIII, Abteilung 2, Ertra-
ordinariuni 1 zu entnehmen sein.
Hier ergriff der Herr Kämmerer das Wort um zunächst das Aus
bleiben des Stadtrats I)r. Münsterberg mit Krankheit zu ent
schuldigen.
Weiterhin berichtigte er die von ihm selbst in der vorigen Sitzung
infolge einer Anfrage gemachte Mitteilung über den durchschnittlichen
Betrag der Kosten der Heilstättenbehandlung. Bei der Berechnung
dieses Satzes nach dem Verhältnis der im Jahre 1910 verpflegten
Kinder (1318) zu den für dieses Jahr bewilligten 200 000 sei der
Kopfsatz auf etwas über 150 Jt unter der ausdrücklichen Voraus
setzung angenommen worden, daß aus den Etatsmittelu für 1910
nicht noch Reste des Vorjahres gedeckt worden seien. Diese Voraus
setzung treffe aber nicht zu. Nach nachträglicher Feststellung in der
Kasse seien vielmehr aus den Mitteln des Jahres 1910 Reste aus
dem Vorjahre in Höhe von rund 72 870 Jt bezahlt worden, zum
Beispiel ein Posten von rund 10 OM Jt an die Anstalt Schönholz
für Verpflegung aus der Zeit vom Juli bis Dezember 1909. Der
Kopfsatz müsse sich hiernach naturgemäß ermäßigen.
Die Auffassung, daß lediglich das Bedürfnis für den Umstand
der Heilstättenbehandlung maßgebend sein könne, müsse nachdrücklich
bestritten werden Eine solche Auffassung könne nur vertreten, wer
eine unabweisbare, also rechtliche Pflicht zur Befriedigung des Be
dürfnisses anerkenne. Ein derartiges Anerkenntnis entspreche aber
nicht dem bisherigen Standpunkt der Gemeindebehörden. Die wieder
holte Berufnng auf den Wortlaut der mit Genehmigung des Magistrats
erlassenen Gcfchäftsanweisung sei verfehlt. Die Anweisung sei
schon vor geraumer Zeit auf Verfügung des Magistrats dahin ge
ändert worden, daß die Kosten des Aufenthalts für notwendige
Fälle aus den „hierfür zur Verfügung stehenden Etatsmitteln be
stritten" würden und damit sei klar zum Ausdruck gebracht, daß auch
notwendige Fälle nur soweit Berücksichtigung finden könnten, als
Etatsmittel vorhanden seien. Es könne sich nur darum handeln, bei
der Bereitstellung der Mittel einen billigen Ausgleich zwischen dem
vorhandenen Bedürfnis und der gebotenen Rücksicht auf die Steuer
zahler zu finden. Zweiffellos sei das Bedürfnis sehr groß und auch
mit erheblich höheren Beträgen als 2M M0 Jt nicht vollkommen zu
befriedigen. Auf der anderen Seite müßten die Kosten von Hundert
lausenden kleiner Steuerzahler mit aufgebracht werden, die jede neue
Belastung schmerzlich empfänden. Mit den hiernach zur Verfügung
gestellten Mitteln müsse die Armenverwaltung ebensogut auskommen,
wie jede andere Verwaltung mit ihren Wohltätigkeilsfonds.
In einzelnen von anderen Rednern gestreiften Fällen würde
übrigens die Frage auftauchen können, ob es sich nicht um vorhandene
Krankheiten gehandelt habe, die eine Krankenhausbehandlung mit
Mitteln des Armenetats gerechtfertigt hätten. Natürlich würde eine
Vermischivig des Armenetats mit den Mitteln des vorliegenden Etats
titels unzulässig sein.
Die Ziffer 50 MO Jt sei nicht etwa rein willkürlich vom Magistrat
gewählt worden, sondern im Hinblick auf den noch ausstehenden Teil
des Jahres, die Winterzeit und die Kosten der Behandlung in
städtischen Heimstätten. Von diesen kämen gegenwärtig Blankenburg
mit 52 Betten für Mädchen und Heinersdorf mit 72 Betten für
Knaben in Betracht. Bei voller Belegung beider Anstalten für
den Rest des Jahres würde ein Aufwand von rund 37 6M Jt
erforderlich sein: eine solche Belegung sei aber namentlich
während des Winters nicht vorauszusetzen. Der danach
von den städtischen Heimstätten etwa nicht zu beanspruchende Teil
von 60000 Jt könne unbedenklich für andere Anstalten Verwendung
finden. Der Antrag, welcher darauf abziele, daß die erbetene Summe
nur tunlichst zur Unterbringung in städtischen Heimstätten zu ver
wenden sei, treffe daher durchaus den Sinn der Magistratsvorlage
und sei nicht zu beanstanden. Die Voranstellung der städtischen Heim
stätten in der Vorlage sei aber gerade mit Bezug auf die in der
Stadtverordnetenversammlung im Vorjahre laut gewordenen Wünsche
vom Magistrat beliebt worden, und man müsse doch auch daran fest-
hallen, daß dasjenige, was man in eigenen guten Anstalten zu leisten
imstande sei, auch von diesen wirklich ausgeführt würde. Die Be
willigung von 50 OM Jt erscheine nach alledem erwünscht, aber auch
ausreichend.