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Allen diesen Petitionen stehen die der Vereinigungen der Handels-
angestellten gegenüber, nämlich des Vereins der deutschen Kaufleute,
des Kreisvereins Berlin im Verbände deutscher Handlungsgehilfen in
Leipzig, des demokratischen kaufmännischen Verbandes der Handlungs
gehilfen, des deulschnatioualen Handlungsgehilfenverbandes, des Zentral-
verbandes der Handlungsgehilfen und -gehilfinnen Deutschlands; ferner
eine Kollcktiveingabe des deutschnationalen Handlungsgchilfenverbandes
(Ortsgruppe Berlin), der allgemeinen Vereinigung der Buchhandlungs
gehilfen, des katholisch-kaufmännischen Vereins, des kaufmännischen
Verbandes für weibliche Angestellte, des Vereins der deutschen Kauf
leute, des Vereins für Handlungskommis von 1858 Bezirk Berlin,
des Verbandes deutscher Havdlungsgehilfen (Kreisverein Berlin) und
des Känierbundes Deutschland. Alle diese Petenten sind im allgemeinen
für Einführung völliger Sonntagsruhe, nur zwei bis drei"sprechen
sich daneben für eine vorläufige, nur kurze Zeit zu belassende Ueber-
gangsbestiinmung aus. durch welche die Sonniagsarbeit für die Zeit
von 8—10 Uhr beibehalten wird.
In Anbetracht der Mannigfaltigkeit des Abstimmungsergebnisses
und der auseinandergehenden Ansichten der Geschäftsinhaber einerseits
und der Angestellten andererseits haben wir gemäß dem Vorschlage
der Gewerbedeputation den mittleren Weg zwischen den beiden zum
Ausdruck gebrachten Extremen (Beibehaltung der Beschäftigungszeit
bis 2 Uhr und Verbot jeder Sonntagsarbeit) gewählt und beschlossen,
das Offenhalten der Ladengeschäfte an Sonn- und Feiertagen nur
von 7—10 Uhr vormittags zu gestatten mit Ausnahme der Geschäfte
der Nahrungs- und Genußmittelbranche und des Blumenhandels, bei
denen die jetzige Arbeitszeit bestehen bleiben soll. Hierdurch wird dem über
wiegenden Wunsche der Geschäftsinhaber letzterer Handelszweige und
den Gewohnheiten des Publikums beim Kaufe der notwendigen Lebens-
bedürfniffe Rechnung getragen, aber auch den anderen Geschäfts
zweigen die von einzelnen derselben für erforderlich erachtete Verkaufs
gelegenheit, wenn auch in verkürzteni Maße, belassen. Den Angestellten
aber wird eine wesentliche Erleichterung gebracht, indem für den
größten Teil derselben die geschäftsfreie Zeit am Sonntag von 10 Uhr
ab — anstatt wie bisher von 2 Uhr ab — beginnt.
Dem von vielen der beteiligten Geschäftsinhaber geäußerten
Wunsche, den Ladenschluß statt um 10 Uhr um II Uhr vormittags
festzusetzen, wären wir gern nachgekommen. Es zu tun hindert uns
jedoch der hier und in de» Vororten bereits um 10 Uhr erfolgende
Beginn des Hauptgottesdienstes Eine Verlegung desselben auf
11 Uhr halten wir für sehr wünschenswert. Bereits im Jahre 1892
hatten wir den Herrn Minister für Handel und Gewerbe gebeten, bei
den zuständigen Staatsbehörden zu vermitteln, daß für Berlin der
Beginn des Hauptgottesdienstes auf 11 Uhr vormittags festgesetzt
werde. Wir erhielten jedoch die Mitteilung, daß die zuständigen In
stanzen die Verlegung nicht befürworten könnten. Gründe hierfür
wurden uns nicht angegeben. Im Jahre 1906 machten wir einen
neuen Versuch zur Erreichung dieses Ziels; wir richteten nämlich an
sämtliche evangelische und katholische Kirchengemeinden Berlins das
Ersuchen, sich für die von uns angeregte Verlegung des Hauptgottes-
dienstes auszusprechen und dahin zielende Anträge den zuständigen
Behörden zu unterbreiten. Das Ergebnis war, daß von sämtlichen
62 Kirchengemeinden nur 1 unbedingt und 3 bedingt für die Ver
legung sich aussprachen, alle andern aber sich ablehnend verhielten.
Von einer erneuten Umfrage haben wir Abstand genommen, da wir
nicht glauben, heut ein anderes Ergebnis als das letzte Mal zu er
halten Die Wirkung der geplanten Verkürzung der Sonntagsarbeit
wird für die einzelnen Geschäfszweige eine verschiedene sein. Die
veranstaltete Enquete hat gezeigt, daß das Interesse am sonntäglichen
Verkaufe sowohl nach Branchen, als auch nach den Stadtteilen, in
denen sich die Geschäfte befinden, außerordentlich wechselt. Während
einige Handelszweige auf das Offenhalten der Geschäfte an den
Sonntagen den größten Wert legen, tun dies andere nur in geringem
Maße, viele machen nur aus Gewohnheit von der Erlaubnis Ge-
brauch. Die gleichen Verschiedenheiten zeigen sich für die einzelnen
Stadtteile. Auch darüber gibt die Enquete die interessantesten Auf
schlüffe.
Wir glauben, daß die vielfach befürchteten Störungen sich als
unbegründet erweisen werden und daß wir den berechtigten Ansprüchen
der Geschäftsinhaber genügend Rechnung getragen haben. Ein Aus-
gleich wird in nicht langer Zeit eingetreten sein. Die neue Regelung
der Verhältnisse wird erziehlich auf das Publikum wirken, das den
Einkauf minder dringlicher Gegenstände, anstatt wie bisher an den
Sonntagen zwischen 12 und 2 Uhr, in Zukunft bis 10 Uhr oder am
Sonnabend ausführen wird. Für die notwendigen Lebens- und
Genußmittel sowie für Blumen halten wir eine Einschränkung der
Verkaufszeit nicht für tunlich, und für diese soll daher die Verkaufs
zeit bleiben wie bisher. Den Wünschen der Angestellten auf Ver
größerung ihrer sonntäglichen arbeitsfreien Zeit sind wir in erheb
lichem Maße nachgekommen.
Um die Schädigungen zu vermeiden, die durch das neue Orts-
statut den an der Weichbildgrenze befindlichen Geschäften erwachsen
können für den Fall. daß die aa Berlin grenzenden Vororte die
sonntägliche Arbeitszeit nicht in gleicher Weise regeln, haben wir die
in Betracht kommenden Verwaltungen befragt, ob sie geneigt sind,
ein gleiches Ortsstatut zu erlassen. Die erhaltenden Antworten er
gaben folgendes: Tempelhof beabsichtigt den Erlaß nicht; Gründe
hierfür werden nicht angegeben; ebensowenig Stralau, da dort nur
wenige Geschäfte vorhanden seien. In Lichtenberg, Pankow, Reinicken
dorf und Treptow sind die Erhebungen noch nicht abgeschlossen. Für
den Erlaß haben sich ausgesprochen: Charlottenburg; Rixdorf, wenn
die Regelung in Groß-Berlin gleichmäßig erfolgt. Gleichzeitig regt
Rixdorf die Einführung gänzlicher Sonntagsruhe für Fabrik-, En-
gros- usw. Geschäfte an, für welche die Arbeitszeit bereits durch Orts
statut auf die Stunden von 8—10 Uhr eingeschränkt ist. Ferner
wollen das Ortsstatut erlassen: Schöneberg, wenn dort die Zeit des
Hauptgottesdienstes mit der in Berlin gleich gelegt werde, was bei
den maßgebenden Behörden bereits beantragt sei; Wilmersdorf, wenn
Berlin es erläßt, und Boxhagen-Rummelsburg, wenn insbesondere
die benachbarten Gemeinden das gleiche tun. Weißensee schließlich ist
im Prinzip für allgemeine Sonntagsruhe im Handelsgewerbe. Wir
haben somit das Einverständnis der maßgebenden Vororte, so daß
eine Schädigung der an der Grenze wohnenden Gewerbetreibenden
durch die Konkurrenz der in den Nachbarorten wohnenden nicht zu
erwarten sein dürfte.
Für das hiernach zu erlassende Ortsstatut schlagen wir folgende
Fassung vor:
Ortsstatut
über Einschränkung der Sonntagsarbeit in offenen Verkaufsstellen.
Auf Grund der §§ 105 b Absatz 2, 142, 146 a der Gewerbeord
nung wird nach Anhörung beteiligter Arbeitgeber und Arbeitnehmer
für den Gemeindebezirk Berlin folgendes bestimmt:
81-
In offenen Verkaufsstellen des Handelsgewerbes dürfen Gehilfen,
Lehrlinge und Arbeiter — abgesehen vom ersten Weihnachts-, Oster-
und Pfingsttage, an welchen ihre Beschäftigung überhaupt untersagt
ist — an Sonn- und Festtagen nur von 7—10 Uhr vormittags be-
schäftigt werden, so weit nicht Ausnahmen durch die hierfür zuständigen
Behörden festgesetzt werden.
8 2.
Die im 8 1 verordnete Einschränkung findet auf den Handel mit
Nahrilitgs- und Genußmitteln, sowie auf den Handel mit Blumen
keine Anwendung.
8 3.
Zuividerhandlungen gegen dieses Ortsstatut werden mit Geldstrafen
bis 600 M, im Unvermögensfalle mit Haft bestraft.
8 4.
Dieses Ortsstatut tritt mit in Kraft.
Wir ersuchen die Stadtverordnetenversammlung, sich mit diesem
Ortsstatut einverstanden zu erklären.
Berlin, den 1. Dezember 1910.
Magistrat hiesiger König!. .Haupt- und Residenzstadt.
K i r s ch n e r.
Zu 1138. Berlin, den 9. August 1909.
Die Ergebniffe der Erhebung über die Verhältnisse der Sonntagsruhe
in offenen Ladengeschäften.
Gegenwärtig dürfen die offenen Ladengeschäfte an Sonn- und
Feiertagen geöffnet sein von 7 bis 10 Uhr und 12 bis 2 Uhr. Aus
nahmen in der Richtung einer Erweiterung der freigegebenen Verkaufs
zeiten sind'die folgenden:
a) Milchgeschäfte und Bäckereien dürfen von 5 bis 10 und von
12 bis 3 Uhr offen halten.
b) Fleisch- und Wursthandlungen desgleichen von 5 bis 10 und
von 12 bis 2 Uhr.
o) Blumengeschäfte im Winter von 7 bis 10 und von 12 bis 3 Uhr.
Dagegen besteht eine Einschränkung der allgemeinen Verkaufszeit
bei den Kohlengeschäften, die nur bis 10 Uhr offen halten dürfen.
Zur Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse, des Umfangs also,
in welchem von dem Recht des sonntäglichen Feilhaltens Gebrauch
gemacht wird, sowie zur Ermittelung der Wünsche der Ladeninhader
für eine eventuell andere Regelung der Geschäftszeit an Sonn- und
Feiertagen wurde durch die Gewerbedeputation des Magistrais ein
von ihr entworfener Fragebogen im Monat Januar zur Verteilung
an die Ladeninhaber gebracht.
Von den 31414 Firmen haben sich ausgesprochen für
a) vollständige Sonntagsruhe 4 332 — 13,7» pEt.
b) verkürzte Sonntagsgeschäftszeit . . . II 116 — 36,s» -
o) Sonntagsarbcit im bisherigen Umfange 15 915 — 50,«« -
während
d) einen Wunsch nicht äußerten .... 51 — 0,i« -
Nehmen wir zunächst die Gliederung nach örtlichen Bezirken vor,
so scheiden für diesen besonderen Zweck die Filialen unterhaltenden