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wird. Ich weise in dieser Beziehung darauf hin, daß gelegentlich der
Besprechung, die im Juni 1908 vor Seiner Majestät dem Kaiser und
König stattgefunden hat, Herr Oberbürgermeister Kirschner eine solche
Untertunnelung als eine von der Stadt versolgbare Entlastungs
möglichkeit anerkannt hat. In Anknüpfung an jene Besprechung hat
der Magistrat unterm 17. Juni 1908 mitgeteilt, daß eine Kommission
eingesetzt sei zur Bearbeitung von Vorschlägen über die Beseitigung
der Straßenbahngleise in der Leipziger Straße. Ueber die Tätigkeit
und die Vorschläge dieser Kommission habe ich bisher nichts in Er
fahrung bringen können, nur ist mitgeteilt worden, daß die Verkehrs
deputation der Auffassung sei, für die endgültige Beschlußfassung
wegen der Leipziger Straße sei die. Regelung der hiermit im Zu
sammenhange stehenden Verkehrsprojekte erforderlich.
Ferner erinnere ich daran, daß ich gelegentlich einer Besprechung
mit Herrn Oberbürgermeister Kirschner am 11. Dezember v. Js. es
nur für zulässig erklärt habe, die Frage der Untertunnelung der
Leipziger Straße auf gewisse Zeit zurückzustellen, wenn die dringend
notwendige Entlastung des Straßenznges Potsdamer—Leipziger
Straße durch Ausführung der in Vorschlag gebrachten Straßendurch
brüche erfolge.
Da diese Entlastungsfrage auch losgelöst von den übrigen Vor-
schlögen des Stadtbaurats Krause behandelt werden kann, ersuche
ich den Magistrat, mir durch die Hand des hiesigen Polizeipräsidenten
baldgefälligst mitteilen zu wollen, welche weiteren Absichten nach Ab-
lehnung des Voßstraßendurchbruchs verfolgt werden, und ob nunmehr
die Untertunnelung des fraglichen Straßenzuges stadtseitig mit Be
stimmtheit in Aussicht genommen werden wird.
Bei der Bedeutung, die der erörterten Verkehrsfrage innewohnt,
werden weitere Entschließungen auch nicht unter Hinweis auf das
von der Großen Berliner Straßenbahn beantragte Ergänzungs
verfahren hinausgeschoben werden dürfen. Freilich ist auch die Be
endigung dieses Verfahrens durch das öffentliche Interesse geboten,
damit endlich eine Grundlage geschaffen wird, die Verkehrsregelung
in der Leipziger und Potsdamer Straße in einer den hauptstädtischen
Bedürfnissen entsprechenden Weise zu verbessern.
gez. von Breitenbach.
An
den Magistrat der Haupt- und Residenzstadt
Berlin.
Hierauf beschloß die Verkehrsdeputation am 5. April 1910 an
ihrem bisherigen Standpunkt betreffs der Durchlegung der Voßstraße
festzuhalten, und das Schreiben, da andere Vorschläge diesseits nicht
gemacht werden können, dem Magistrat zur weiteren Veranlassung
vorzulegen.
Dieses Schreiben veranlaßte den Magistrat, sich neuerdings mit
der angeregten Frage zu beschäftigen. Eingehende von einer aufs
neue eingesetzten Magistratskommission vorbereitete Beratungen führten
zu dem Beschluß vom 4. November 1910, auf Grund dessen das
nachstehende Schreiben an den Herrn Minister abgesandt wurde:
Magistrat
hiesiger Königlichen Haupt- Berlin, den 4. November 1910.
und Residenzstadt.
J.-Nr. 2015 V. 10.
Erlaß vom 16. März 1910 (IV. A. 18369) und vom
1. November 1910 (IV. A. 18. 1460).
Den hohen Wert der Vorschläge des Leiters der städtischen Tief
bauverwaltung zur Entlastung der stark belasteten Straßen und Plätze
hat der Magistrat stets anerkannt, aber er hat sie nicht, wie Ew. Exzellenz
annehmen, zu irgend einer Zeit in ihrer Gesamtheit gebilligt. Die
Bedenken gegen die Weiterführung der Voßstraße nach dem Kreuzungs
punkte der Likloriastratze und Margarethenstraße machten sich von
vornherein geltend und erwiesen sich schon in der mit der Vorberatung
dieses Planes betrauten Magistratskommission nach sehr eingehender
Prüfung als so schwerwiegend, daß der Magistrat mit der Kommission
zu einem ablehnenden Beschluffe gelangte, und hierbei verblieb es,
nachdem der Magistrat später den Plan einer erneuten Beratung
unterzogen hatte. Auch jetzt kann sich der Magistrat, der es selbst
verständlich nicht unterlassen hat, zufolge des hohen Erlaffes vom
16. März 1910 die Sachlage nochmals zu prüfen, nicht davon über
zeugen, daß der fragliche Durchbruch eine zweckmäßige, mit den Interessen
der Stadl vereinbarte Maßregel sein würde. Wir vermögen den
Verlust, den die Gemeinde durch die Abwanderung besonders leistungs
fähiger Bürger erleiden würde, nicht gering zu bewerten; nicht nur
der südliche Teil der Viktoriastratze, sondern der Charakter des gesamten
von rem Plane betroffenen, bisher ruhigen und vornehmen Wohn
viertels würde durch die neue Straße und ihre Belastung mit einem
überaus lebhaften Straßenbahnverkehr schwer beeinträchtigt werden.
Dieses Bedenken, so wesentlich es auch ist, hat indessen für sich allein
die Stellungnahme des Magistrats nicht bestimmt.
1. Allerdings würde nach dem Plane der Straßenzug Pots-
damer—Leipziger Straße erheblich weniger Straßenbahnen aufzunehmen
haben, als bisher. Allein diesem Vorteil stehen beträchtliche Hemmungen
und Gefahren gegenüber, denen der Verkehr an anderer Stelle aus
gesetzt sein würde. Für den vorliegenden Zweck genügt es. nur die
folgenden Stellen hervorzuheben:
a) An der Kanonierstraße, Mauerstrabe, Taubenstraße, Zictcnplatz
und Mohrenstraße.
Die große Nähe der, wenn auch gering befahrene» parallel lau-
senden Bahnen in der Kanonierstratze und in der Mauerstraße ist für
einen Querverkehr nicht günstig. Trotzdem soll von den durch die
Voßstraße geleiteten 9 Linien ein Teil — 4 Linien niit 40 Zügen —
über die vorbezeichneten beide Parallelwege hinweg in die Mohren-
straße geführt werden, die hier überdies noch durch die Eingänge von
Untergrundbahnen beengt ist. Die übrigen 5 Linien mit 48 Zügen
sollen in die Mauerstraße einbiegen und hier zusammen mit der
Linie Nr. 104 (12 Züge) bis zur Taubenstraße fahren, obwohl die
Straßenbreite dieser gegenwärtig nur auf einem Gleise befahrenen
Strecke zur Durchführung eines Straßenbahnverkehrs von stündlich
60 Zügen schwerlich ausreichen dürfte. Und um mit den 5 Linien
in di: Französichestraße zu gelangen, würden in geringen Abständen
nicht weniger als 4 Weichen- und Kurvcuverbindungen mit allen ihren
bekannten Verkehrserschwernisseu zu überwinden sein.
d) Au der Königgrätzer Straße und der Voßstraße.
Hier sollen 4 vom Potsdamer Platz kommende Linien (mit
48 Zügen) in der Königgrätzer Straße von 7 Linien durchquert und
außerdem an derselben Stelle seitlich 8 Linien eingeführt werden, die
teils aus der Voßstraße, teils aus ihrer Verlängerung in die König
grätzer Straße einbiegen sollen. Weichen- und Kuröenverbindungen
an belebten Straßen, insbesondere an Straßenkreuzungen, bilden
anerkannterniaßen eine sehr große Belästigung und Störung des
Verkehrs. Nach dem vorliegenden Plane soll aber hier in einer schon
jetzt vom Automobil-, Fuhrwerks- und Lastenverkehr überfüllten Straße,
durch die auch ein starker Fußgängerverkehr gehl, eine Straßenkreuzung
mehr geschaffen werden, an der 19 Linien zusammentreffen. Während
der Potsdamer Platz, der bei seiner Ausdehnung eine ungleich größere
Bewegungsfreiheit gewährt, von allen Weichen und Kurvenverbindungen
befreit und nur von 14 Linien berührt werden würde, sollen in seiner
unmittelbaren Nähe die störenden Verbindungen an eine Stelle verlegt
werden, wo nur eine Straßenkreuzung zur Verfügung steht und
19 Linien verkehren sollen.
o) In der Bellevuestraße.
Diese Straße, die schon durch den lebhaften Fährverkehr zum
Rhcingold, zum Hotel Esplanade und zum Künstlerhaus sehr stark
in Anspruch genommen ist und außerdem den großen Verkehr vom
Potsdamer Platz zum Tiergarten aufnimmt, soll stündlich von 120
Zügen durchquert werden.
ä) An der Potsdamer Brücke.
Die Brücke wird von 7 Straßen mit starkem Gefälle berührt
und ist schon jetzt eine ungünstige Verkehrsstelle. Während aber der
Verkehr gegenwärtig dadurch geregelt ist, daß die Straßenbahnen
nicht über die Viktoriabrücke fahren und diese für Fuhrwerke und
Automobile freibleibt, müßte er sich sehr viel schwieriger gestalten,
wenn über beide Brücken Straßenbahnen geführt werden. Der
Strom der Straßenbahnwagen würde die doppelte Breite einnehmen
als jetzt, und da hier 23 Linien mit stündlich 216 Zügen zusammen
fließen sollen, die noch dazu aus verschiedenen Straßen kommen, so
müßten sich kaum zulässige Verkehrsverhältniffe ergeben, vor allem
für den schon jetzt schwierigen Uebergang von der einen Seite der
Uferstraßen zur anderen.
2. Alle diese Verkehrsheminuugen würden sich nicht nur an den
unmittelbar davon betroffenen Stellen, sondern durch Rückstauungen
gerade auch in demjenigen Straßenzuge fühlbar machen, dessen Ent
lastung bezweckt wird. Der Bogen, in welchem zahlreiche Straßen
bahnlinien dicht um den Potsdamer Platz herumgcleitet iverden sollen,
berührt jeden der Wege, die in nördlicher und westlicher Richtung zur
Leipziger Straße führen. Schafft man hier neue Schwierigkeiten,
wie sie nahe dem Potsdamer Platz in der Königgrätzer Straße durch
19 einander kreuzende und von beiden Seiten einbiegende Linien, in
der Bellevuestraße durch einen Querverkehr von stündlich 120 Zügen
und an der Potsdamer Brücke durch die Zusammenführung von 23
Linien mit stündlich 216 Zügen in Verbindung mit der Inanspruch
nahme beider Brücken entstehen müßten, so können die schädlichen
Rückwirkungen auf den Verkehr in der Potsdamer und Leipziger
Straße sowie auf dem Potsdamer Platz nicht ausbleiben.
Dazu kommt, daß alle auf rasches Vorwärtskommen angewiesenen
Fahrzeuge, namentlich die Automobile, die für das fragliche Verkehrs
gebiet von besonderer Bedeutung sind und fortgesetzt zunehmen, gegen
wärtig die Viktoriastraße und die Voßstraße, gerade weil sie noch
straßenbahnfrei sind, bevorzugen und die Potsdamer und Leipziger
Straße möglichst vermeiden. Nach dem vorliegenden Plane würden
sic aber in der Viktoriastraße und in der verlängerten Voßstraße einem
Straßenbahnverkehr von 18 Linien mit stündlich 120 Zügen begegnen,
während in der breiteren Potsdamer Straße nur 10 Linien mit 96
Zügen verbleiben sollen; an der Kreuzung der Königgrätzer Straße