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2. Die Lehrkräfte für die Hilfsschulen werden aus den endgültig
angestellten Gemeindeschullehrern und Lehrerinnen nach dem Vorschlage
der Schulinspektoren von der Schuldeputation zunächst auf Zeit an
genommen.
3. Die Lehrkräfte der Hilfsschulen einschließlich der Lehrer der
Vorklassen haben neben dem Unterricht und der Erziehung ihrer Zöglinge
die Fürsorge für sie als eine durch ihr Amt ihnen gesteckte Aufgabe
zu betrachten.
4. Sie erhalten das gesetzliche Diensteinkommen als Gemeinde-
lehrer und sind verpflichtet, nötigenfalls außer den Stunden an den
Nebenklassen noch soviel Stunden in der Normalschule zu erteilen, daß
die Gesamtstundenzahl soviel wie die Pflichtstundenzahl der Gemeinde
schullehrer beträgt. In den ihnen an der Normalschule übertragenen
Stunden unterstehen sie dem Rektor dieser Schule. Die Lehrkräfte
erhallen eine jährliche Remuneration von 300 M. Diese wird nach
fünfjähriger Bewährung an der Hilfsschule in eine pensionsfähige
Amtszulage (§ 24 Absatz 4, Gesetz vom 26. 5. 09) von gleicher Höhe
umgewandelt.
' Schuldeputation behält sich vor, Hilfsschullehrer an die Normal
schule unter Entziehung der Dienstzulage zurückzuversetzen.
Falls die Lehrkräfte in der fünfjährigen Probezeit ihren Unter
richt aussetzen und vertreten werden müssen, kommt die Remuneration
vom Ersten des Monats ab, der auf den Termin ihrer Behinderung
folgt, bis zu ihrem Wiedereintritt in Fortfall.
8 7.
Die Leiter von Hilfsschulen.
Die Leiter von Hilfsschulen werden aus der Reihe der Hilfs
schullehrer nach Anhörung der Schnlinspcktorenlonferenz von der
Schuldeputation dem Magistrat zur Wahl vorgeschlagen und von
diesem gewählt. Bedingnng für ihre Wahl ist, daß sie sich mindestens
fünf Jahre im Hilfsschulunterricht bewährt und sich um ihre Weiter
bildung als Hilfsschullehrer bemüht haben, daß sie ferner ein Fach
des Handfertigkeitsunterrichts vollkommen beherrschen und die not
wendigen persönlichen Eigenschaften eines Schulleiters besitzen. Sie
führen den Titel Hauptlehrer und bedürfen der Bestätigung des
Königlichen Provinzialschulkollegiums. Der Leiter einer Hilfsschule
übt über die ihm unterstellten Klassen und Lehrkräfte die den Rektoren
der Gemeindeschulen übertragenen Leitungsbefugnisse aus. Er erteilt
wöchentlich 16 Lehrstunden, von denen 12 in der von ihm geleiteten
Klasse erteilt werden müssen.
Auch er hat die Fürsorge für die der ihm unterstellten Hilfsschule
zugewiesenen Kinder als seine besondere Ausgabe anzusehen.
Auf die sorgfältige Führung der Personalbogen der Hilfsschulliuder
hat er sein Augenmerk zu richten und hat dafür Sorge zu tragen,
daß am Schluß jedes Halbjahrs die Abschriften der Personalbogen
und Zeugnisse der zur Entlassung kommenden Knaben an die Ersatz-
kommission gesandt werden und daß der Leiter der Fortbildungsschule
für Schwachbeanlagte zu demselben Zeitpunkt ein genaues Verzeichnis
aller abgehenden Knaben und Mädchen erhält. Die Akten der Kinder
hat er 10 Jahre lang sorgfältig aufzubewahren.
Er erhält neben dem gesetzlichen Diensteinkommen des Gemeinde-
lehrers eine pensionsfähige Amtszulage von jährlich 600 M.
§ 8.
Uebertritt aus der Hilfsschule in die Normalschule.
Einen Monat vor Schluß des Winterhalbjahres haben die
Hilfsschulleiter den Schulinspektor zu berichten, ob und eventuell
welche Kinder an dem Unterricht der Normalschule voraussichtlich mit
Erfolg wieder teilnehmen können. Der Hilfsschulleiter und der Rektor
der Gemeindeschule, in deren Räume die Hilfsschule untergebracht ist,
prüfen die vorgeschlagenen Kinder und unterbreiten ihr Urteil dem
Schulinspektor zur Entscheidung Bei der Entscheidung sind die im
Personalbogen niedergelegten Urteile des Schularztes zu berücksichtigen;
gegebenen Falls wird dieser vor der Entscheidung noch einmal gehört.
Bei dieser Entscheidung ist nach dem Ministerialerlaß vom 6. April 1901
zu berücksichtigen, daß, soweit die Zurückoersctzung in die unteren
Gemeindeschulklassen in Frage kommt, diese für bereits ältere Kinder
sich nicht cmpsichlt. Wenn es daher im einzelnen Falle nicht möglich
ist, ein bereits älteres Kind der Mittelstufe der Normalschule zu über
weise», so ist von der Rückversetzung Abstand zu nehmen, sofern nicht
nach Lage der Verhältnisse Wahrscheinlichkeit dafür gegeben ist, daß
es dem Kinde gelingen wird, noch vor Ablauf des schulpflichtigen
Alters die Mittelstufe der Normalschule mit Erfolg zu durchlaufen.
Besonders eingehend ist der Rücktritt derjenigen Kinder in die Normal
schule zu erwägen, die die oberste Klasse der fünfstufigen Hilfsschule
erfolgreich durchgemacht und noch ein Schuljahr zur Verfügung haben
oder über die erfüllte Schulpflicht hinaus nach dem Wunsche ihrer
Eltern die Schule besuchen sollen. Das Verfahren bei der Prüfung
dieser Kinder ist dasselbe wie bei den aus den übrigen Klaffen zur
Versetzung in die Normalschule vorgeschlagenen.
§ 9 -
Die „Allgemeinen Bestimmungen über den Nebenunterricht an
den Berliner Gemeindeschulen" vom treten außer Kraft.
Geschichtliche Entwicklung
des Unterrichts der schwachsinnigen Kinder in Berlin.
Die im Jahre 1898 — auf Grund der von den Gemeindebehörden
genehmigten, vom Königlichen Provinzialschulkollegium bestätigten
„Allgemeinen Bestimmungen über den Nebenunterricht an den Gemeinde
schulen" — eingerichteten und später vermehrten Nebenklaffen waren
in der Hoffnung gegründet, daß recht viele der ihnen überwiesenen
Schüler nach einiger Zeit für ein regelmäßiges Ausrücken in der
Normalschule fähig gemacht sein würden. Diese von der lebhaftesten
Anteilnahme an dem Geschick der schwachsinnigen Kinder getragene
Hoffnung war berechtigt, solange Erfahrungen fehlten und die Erkenntnis
sich noch nicht allgemein Geltung geschafft hatte, daß der angeborene
Schwachsinn eine chronische Geistesstörung ist, die zwar besserungsfähig,
aber nur in seltenen Fällen heilbar ist. Diese Aussaffung ist jetzt in
Kreisen der Psychiater und Pädagogen weit verbreitet und die Erfahrung
hat auch bei uns gelehrt, daß der Nebenklassenunterricht in der Regel
nicht imstande ist, die Kinder zum Uebertritt in die Normalschule und
zum regelmäßigen Fortschreiten in ihr zu befähigen. Die der Neben-
klasie einmal überwiesenen Kinder blieben deshalb in ihrer Mehrzahl
in derselben. Da die meisten Nebenklaffenkinder über bildungsfähig
waren, konnten alle schwachsinnigen Kinder eines Bezirks in einer
Nebenklasse nicht genügend gefördert werden. Es wurden deshalb 1904
aufsteigende Nebenklaffen an ein und derselben Gemeindeschule
errichtet und ein Lehrplan für sechs aufsteigende Nebenklassen aus
gearbeitet, der allerdings als verbindlich noch nicht angesehen werden,
sondern zunächst nur eine Stoffsammlung für den Lehrer bilden sollte',
endlich wurde überall dort, wo wenigstens fünf aufsteigende Nebenklassen
vorhanden waren, ein Hilfsschulleiter gestellt, der 16 Stunden wöchentlich
erteilt und neben der Lehrerzulage für Nebenklassenlehrer von 300 M
die gleiche Summe als Entschädigung für die Leitung erhält. Der
Unterricht in einzelnen nicht zu einer Hilfsschule vereinigten und als
Klaffen der Gemeiudeschulen geltenden Nebenklassen sollte jedoch nicht
ausgeschlossen sein. Die Einrichtung der aufsteigenden Nebenklasien
hat sich so bewährt, daß an Stelle der einzelnen überall aufsteigende
Nebenklassen getreten sind. Allerdings ist die Entwicklung in den
einzelnen Bezirken lehr ungleichmäßig geblieben, da sie zumeist durch
die zur Verfügung stehenden Räume bedingt war. Abgesehen von
den Schwerhörigenklassen befinden sich zur Zeit
2 aufsteigende Nebenklaffen bei 2 Gemeindeschulen,
3 - - - 10 -
4 - - 5 -
5 - - - 2
6 - . - 7 -
7 Nebenklasien, von denen 6 aufsteigend sind, bei 1 Schule,
8 - - . 6 - - bei 3 Schulen,
9 - - - 6 - bei 1 Schule.
Auch die Bestellung von Hilfsschulleitern erwies sich im Prinzip
als richtig, nur kommen diese Leiter bei der gegenwärtigen Organi
sation nicht ausreichend zur Geltung. Die Hilfsschule gilt gegen
wärtig noch als Bestandteil der Gemeindeschule, in deren Räumen sie
untergebracht ist, und untersteht der Aufsicht des Rektors der Gemeinde-
schule. Der Hilfsschulleiter, dem die Befugnisse des Leiters fehlen,
ist ihm als Gehilfe untergeordnet und kann irgendwelche selbständige
Anordnungen in den Klassen der Hilfsschule nicht treffen. Anderer
seits ist der Rektor der Gemeindeschule, mit der die Hilfsschule ver
bunden ist, durch die Aufsicht über die Gemeindeschule vielfach so in
Anspruch genommen, daß ihm für die eigentliche Leitung der Hilfs
schule nicht ausreichend Zeit bleibt. Zur erfolgreichen Leitung einer
Hilfsschule gehört aber, daß der Leiter der Hilfsschule möglichst häufig
dem Unterricht beiwohnt und jedes Kind so kennen lernt, daß er für
seine Behandlung Weisung geben kann.
Begründung der neuen Organisation.
Für die neue Organisation des Unterrichts der schwachsinnigen
Kinder sind 3 Fragen von besonderer Bedeutung: a) Wie vollzieht
sich am zweckmäßigsten der Aufbau der Hilfsschule? b) Muß die
enge Verbindung der Hilfsschule mit der Gemeindeschule bestehen
bleiben? o) Sollen die Funklionszulagen der Hilfsschullehrer und
Hilfsschulleit r pensionsfähig werden?
a) Der Aufbau der Hilfsschule.
Entsprechend der geschichtlichen Entwicklung und der Beobachtung,
daß der Schwachsinn in der Mehrheit der Fälle nicht heilbar ist, daß
die schwachsinnigen Kinder aber bildungsfähig sind, ist von der
dauernden Einrichtung einzelner Nebenklassen in Zukunft abgesehen,
vielmehr das Prinzip der aufsteigenden Nebenklasien, die wenn möglich,
zu einer Hilfsschule von 5 aufsteigenden Nebenklassen ausgebaut werben,
konsequent durchgeführt. Andererseits ist der zweifellos vorhandenen
Gefahr, daß Kinder, die in der Entwicklung zurückgeblieben, aber nicht
schwachsinnig sind, in der Hilfsschule zurückbehalten, in ihrer geistigen
Entwicklung beeinträchtigt und nach der Meinung vieler Menschen
zeitlebens mit einem Makel behaftet bleiben in dreifacher Weise
Rechnung getragen: