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Volume No. 40 (780-802), 24. September 1910

Full text: Vorlagen für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin (Public Domain) Issue1910 (Public Domain)

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2. Die Lehrkräfte für die Hilfsschulen werden aus den endgültig 
angestellten Gemeindeschullehrern und Lehrerinnen nach dem Vorschlage 
der Schulinspektoren von der Schuldeputation zunächst auf Zeit an 
genommen. 
3. Die Lehrkräfte der Hilfsschulen einschließlich der Lehrer der 
Vorklassen haben neben dem Unterricht und der Erziehung ihrer Zöglinge 
die Fürsorge für sie als eine durch ihr Amt ihnen gesteckte Aufgabe 
zu betrachten. 
4. Sie erhalten das gesetzliche Diensteinkommen als Gemeinde- 
lehrer und sind verpflichtet, nötigenfalls außer den Stunden an den 
Nebenklassen noch soviel Stunden in der Normalschule zu erteilen, daß 
die Gesamtstundenzahl soviel wie die Pflichtstundenzahl der Gemeinde 
schullehrer beträgt. In den ihnen an der Normalschule übertragenen 
Stunden unterstehen sie dem Rektor dieser Schule. Die Lehrkräfte 
erhallen eine jährliche Remuneration von 300 M. Diese wird nach 
fünfjähriger Bewährung an der Hilfsschule in eine pensionsfähige 
Amtszulage (§ 24 Absatz 4, Gesetz vom 26. 5. 09) von gleicher Höhe 
umgewandelt. 
' Schuldeputation behält sich vor, Hilfsschullehrer an die Normal 
schule unter Entziehung der Dienstzulage zurückzuversetzen. 
Falls die Lehrkräfte in der fünfjährigen Probezeit ihren Unter 
richt aussetzen und vertreten werden müssen, kommt die Remuneration 
vom Ersten des Monats ab, der auf den Termin ihrer Behinderung 
folgt, bis zu ihrem Wiedereintritt in Fortfall. 
8 7. 
Die Leiter von Hilfsschulen. 
Die Leiter von Hilfsschulen werden aus der Reihe der Hilfs 
schullehrer nach Anhörung der Schnlinspcktorenlonferenz von der 
Schuldeputation dem Magistrat zur Wahl vorgeschlagen und von 
diesem gewählt. Bedingnng für ihre Wahl ist, daß sie sich mindestens 
fünf Jahre im Hilfsschulunterricht bewährt und sich um ihre Weiter 
bildung als Hilfsschullehrer bemüht haben, daß sie ferner ein Fach 
des Handfertigkeitsunterrichts vollkommen beherrschen und die not 
wendigen persönlichen Eigenschaften eines Schulleiters besitzen. Sie 
führen den Titel Hauptlehrer und bedürfen der Bestätigung des 
Königlichen Provinzialschulkollegiums. Der Leiter einer Hilfsschule 
übt über die ihm unterstellten Klassen und Lehrkräfte die den Rektoren 
der Gemeindeschulen übertragenen Leitungsbefugnisse aus. Er erteilt 
wöchentlich 16 Lehrstunden, von denen 12 in der von ihm geleiteten 
Klasse erteilt werden müssen. 
Auch er hat die Fürsorge für die der ihm unterstellten Hilfsschule 
zugewiesenen Kinder als seine besondere Ausgabe anzusehen. 
Auf die sorgfältige Führung der Personalbogen der Hilfsschulliuder 
hat er sein Augenmerk zu richten und hat dafür Sorge zu tragen, 
daß am Schluß jedes Halbjahrs die Abschriften der Personalbogen 
und Zeugnisse der zur Entlassung kommenden Knaben an die Ersatz- 
kommission gesandt werden und daß der Leiter der Fortbildungsschule 
für Schwachbeanlagte zu demselben Zeitpunkt ein genaues Verzeichnis 
aller abgehenden Knaben und Mädchen erhält. Die Akten der Kinder 
hat er 10 Jahre lang sorgfältig aufzubewahren. 
Er erhält neben dem gesetzlichen Diensteinkommen des Gemeinde- 
lehrers eine pensionsfähige Amtszulage von jährlich 600 M. 
§ 8. 
Uebertritt aus der Hilfsschule in die Normalschule. 
Einen Monat vor Schluß des Winterhalbjahres haben die 
Hilfsschulleiter den Schulinspektor zu berichten, ob und eventuell 
welche Kinder an dem Unterricht der Normalschule voraussichtlich mit 
Erfolg wieder teilnehmen können. Der Hilfsschulleiter und der Rektor 
der Gemeindeschule, in deren Räume die Hilfsschule untergebracht ist, 
prüfen die vorgeschlagenen Kinder und unterbreiten ihr Urteil dem 
Schulinspektor zur Entscheidung Bei der Entscheidung sind die im 
Personalbogen niedergelegten Urteile des Schularztes zu berücksichtigen; 
gegebenen Falls wird dieser vor der Entscheidung noch einmal gehört. 
Bei dieser Entscheidung ist nach dem Ministerialerlaß vom 6. April 1901 
zu berücksichtigen, daß, soweit die Zurückoersctzung in die unteren 
Gemeindeschulklassen in Frage kommt, diese für bereits ältere Kinder 
sich nicht cmpsichlt. Wenn es daher im einzelnen Falle nicht möglich 
ist, ein bereits älteres Kind der Mittelstufe der Normalschule zu über 
weise», so ist von der Rückversetzung Abstand zu nehmen, sofern nicht 
nach Lage der Verhältnisse Wahrscheinlichkeit dafür gegeben ist, daß 
es dem Kinde gelingen wird, noch vor Ablauf des schulpflichtigen 
Alters die Mittelstufe der Normalschule mit Erfolg zu durchlaufen. 
Besonders eingehend ist der Rücktritt derjenigen Kinder in die Normal 
schule zu erwägen, die die oberste Klasse der fünfstufigen Hilfsschule 
erfolgreich durchgemacht und noch ein Schuljahr zur Verfügung haben 
oder über die erfüllte Schulpflicht hinaus nach dem Wunsche ihrer 
Eltern die Schule besuchen sollen. Das Verfahren bei der Prüfung 
dieser Kinder ist dasselbe wie bei den aus den übrigen Klaffen zur 
Versetzung in die Normalschule vorgeschlagenen. 
§ 9 - 
Die „Allgemeinen Bestimmungen über den Nebenunterricht an 
den Berliner Gemeindeschulen" vom treten außer Kraft. 
Geschichtliche Entwicklung 
des Unterrichts der schwachsinnigen Kinder in Berlin. 
Die im Jahre 1898 — auf Grund der von den Gemeindebehörden 
genehmigten, vom Königlichen Provinzialschulkollegium bestätigten 
„Allgemeinen Bestimmungen über den Nebenunterricht an den Gemeinde 
schulen" — eingerichteten und später vermehrten Nebenklaffen waren 
in der Hoffnung gegründet, daß recht viele der ihnen überwiesenen 
Schüler nach einiger Zeit für ein regelmäßiges Ausrücken in der 
Normalschule fähig gemacht sein würden. Diese von der lebhaftesten 
Anteilnahme an dem Geschick der schwachsinnigen Kinder getragene 
Hoffnung war berechtigt, solange Erfahrungen fehlten und die Erkenntnis 
sich noch nicht allgemein Geltung geschafft hatte, daß der angeborene 
Schwachsinn eine chronische Geistesstörung ist, die zwar besserungsfähig, 
aber nur in seltenen Fällen heilbar ist. Diese Aussaffung ist jetzt in 
Kreisen der Psychiater und Pädagogen weit verbreitet und die Erfahrung 
hat auch bei uns gelehrt, daß der Nebenklassenunterricht in der Regel 
nicht imstande ist, die Kinder zum Uebertritt in die Normalschule und 
zum regelmäßigen Fortschreiten in ihr zu befähigen. Die der Neben- 
klasie einmal überwiesenen Kinder blieben deshalb in ihrer Mehrzahl 
in derselben. Da die meisten Nebenklaffenkinder über bildungsfähig 
waren, konnten alle schwachsinnigen Kinder eines Bezirks in einer 
Nebenklasse nicht genügend gefördert werden. Es wurden deshalb 1904 
aufsteigende Nebenklaffen an ein und derselben Gemeindeschule 
errichtet und ein Lehrplan für sechs aufsteigende Nebenklassen aus 
gearbeitet, der allerdings als verbindlich noch nicht angesehen werden, 
sondern zunächst nur eine Stoffsammlung für den Lehrer bilden sollte', 
endlich wurde überall dort, wo wenigstens fünf aufsteigende Nebenklassen 
vorhanden waren, ein Hilfsschulleiter gestellt, der 16 Stunden wöchentlich 
erteilt und neben der Lehrerzulage für Nebenklassenlehrer von 300 M 
die gleiche Summe als Entschädigung für die Leitung erhält. Der 
Unterricht in einzelnen nicht zu einer Hilfsschule vereinigten und als 
Klaffen der Gemeiudeschulen geltenden Nebenklassen sollte jedoch nicht 
ausgeschlossen sein. Die Einrichtung der aufsteigenden Nebenklasien 
hat sich so bewährt, daß an Stelle der einzelnen überall aufsteigende 
Nebenklassen getreten sind. Allerdings ist die Entwicklung in den 
einzelnen Bezirken lehr ungleichmäßig geblieben, da sie zumeist durch 
die zur Verfügung stehenden Räume bedingt war. Abgesehen von 
den Schwerhörigenklassen befinden sich zur Zeit 
2 aufsteigende Nebenklaffen bei 2 Gemeindeschulen, 
3 - - - 10 - 
4 - - 5 - 
5 - - - 2 
6 - . - 7 - 
7 Nebenklasien, von denen 6 aufsteigend sind, bei 1 Schule, 
8 - - . 6 - - bei 3 Schulen, 
9 - - - 6 - bei 1 Schule. 
Auch die Bestellung von Hilfsschulleitern erwies sich im Prinzip 
als richtig, nur kommen diese Leiter bei der gegenwärtigen Organi 
sation nicht ausreichend zur Geltung. Die Hilfsschule gilt gegen 
wärtig noch als Bestandteil der Gemeindeschule, in deren Räumen sie 
untergebracht ist, und untersteht der Aufsicht des Rektors der Gemeinde- 
schule. Der Hilfsschulleiter, dem die Befugnisse des Leiters fehlen, 
ist ihm als Gehilfe untergeordnet und kann irgendwelche selbständige 
Anordnungen in den Klassen der Hilfsschule nicht treffen. Anderer 
seits ist der Rektor der Gemeindeschule, mit der die Hilfsschule ver 
bunden ist, durch die Aufsicht über die Gemeindeschule vielfach so in 
Anspruch genommen, daß ihm für die eigentliche Leitung der Hilfs 
schule nicht ausreichend Zeit bleibt. Zur erfolgreichen Leitung einer 
Hilfsschule gehört aber, daß der Leiter der Hilfsschule möglichst häufig 
dem Unterricht beiwohnt und jedes Kind so kennen lernt, daß er für 
seine Behandlung Weisung geben kann. 
Begründung der neuen Organisation. 
Für die neue Organisation des Unterrichts der schwachsinnigen 
Kinder sind 3 Fragen von besonderer Bedeutung: a) Wie vollzieht 
sich am zweckmäßigsten der Aufbau der Hilfsschule? b) Muß die 
enge Verbindung der Hilfsschule mit der Gemeindeschule bestehen 
bleiben? o) Sollen die Funklionszulagen der Hilfsschullehrer und 
Hilfsschulleit r pensionsfähig werden? 
a) Der Aufbau der Hilfsschule. 
Entsprechend der geschichtlichen Entwicklung und der Beobachtung, 
daß der Schwachsinn in der Mehrheit der Fälle nicht heilbar ist, daß 
die schwachsinnigen Kinder aber bildungsfähig sind, ist von der 
dauernden Einrichtung einzelner Nebenklassen in Zukunft abgesehen, 
vielmehr das Prinzip der aufsteigenden Nebenklasien, die wenn möglich, 
zu einer Hilfsschule von 5 aufsteigenden Nebenklassen ausgebaut werben, 
konsequent durchgeführt. Andererseits ist der zweifellos vorhandenen 
Gefahr, daß Kinder, die in der Entwicklung zurückgeblieben, aber nicht 
schwachsinnig sind, in der Hilfsschule zurückbehalten, in ihrer geistigen 
Entwicklung beeinträchtigt und nach der Meinung vieler Menschen 
zeitlebens mit einem Makel behaftet bleiben in dreifacher Weise 
Rechnung getragen:
	        
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