239
342. Protokolle des Ausschusses zur Borberatung der Bor
lage (Drucksache 83), betreffend den Bau zweier Feld
bahnen, die Errichtung von Baulichkeiten auf den
städtischen Gütern, den Umbau des städtischen Grund
stücks Biktoriastraste 4 zu Nieder-Schönhausen zu
Wohnzwecken und die anderweite Berwendung früher
zum Bau eines Beamtenhauses in Ruhlsdorf be
willigten Mitteln.
I.
Berlin, den 22. Februar 1910.
Anwesend:
Stadtverordneter Iden, Vorsitzender,
- Borgmann, Vorsitzenderstellvertreter,
. Deutsch,
. Goeroldt,
. Gronewaldl,
Hintze,
- Lentz,
- Liebermann,
- Modler,
- vr. Rosenfeld,
. Solinger,
. Spendig,
- Wenzels,
- Werner.
Seitens des Magistrats:
Stadtrat Wagner,
Landwirtschaftlicher Direktor Schröder,
Abteilungsarchitekt Arnous.
Nicht anwesend:
Stadtverordneter Dr. Gelpcke (entschuldigt).
Durch Beschluß der Versammlung vom 10. Februar 1910 —
Protokoll 11 — ist zur Beratung obiger Vorlage ein Ausschuß ein
gesetzt worden, welcher heute zusammengetreten >oar.
Nach Eröffnung der Sitzung wies der Vorsitzende kurz auf den
Inhalt der Vorlage hin und knüpfte daran die Bemerkung, daß er
cs für das Beste halte, die einzelnen Positionen der Vorlage durch
zuberaten. Von anderer Seite wurde jedoch eine allgemeine Be-
sprechung deshalb für erforderlich erachtet, weil man glaubte, daß der
Ausschuß im Anschluß hieran möglicherweise sich gleich über die Vor
lage schlüssig meiden würde.
Hierauf führte ein Mitglied aus, daß man an die Bewirtschaftung
der Rieselfelder nicht den Maßstab legen dürfe, den man im allge
meinen für den Betrieb einer Landwirtschaft anwende. In erster
Linie seien die Rieselfelder eine Notwendigkeit, die Berlin bei dem
sehr gut bewährten System der Schwemmkanalisation nicht entbehren
könne und die finanziellen Aufwendungen, welche die großen
Landflächen zu dem gedachten Zweck erfordern, seien natürlich
nicht in voller Höhe durch den eingerichteten landwirtschaft-
lichen Betrieb herauszuholen. Wenn man die Vorlage von diesem
Standpunkte aus ansähe, würde man die in ihr enthaltenen Forde-
rungen anders beurteilen. Natürlich wäre wohl noch manches
besserungsbedürftig, aber die Besserung werde ja offensichtlich an
gestrebt. Redner nahm sodann Bezug auf eine vor zirka 2 Jahren er
schienene Denkschrift, in welcher die Güterdirektion einen Generalplan,
der eine rationelle und erträgliche Ausnutzung der Rieselflächen er
möglichen sollte, unterbreitet halte. Nachdem dieser Generalplan, der
in großzügiger und wohldurchdachter Weise angelegt und seines
Wissens auch im Ausschuß besprochen sei. die Zustimmung der Ver
sammlung gefunden hätte, erschiene es doch gewagt, plötzlich aus dem
Ganzen etwas heraus mgreifen, es nicht zu bewilligen und somit das
ganze Projekt vielleicht zu zerstören.
Diesen Ausführungen, den sich der Herr Magistratsvertreter an
schloß, trat ein Ausschußmitglied mit der Begründung entgegen, daß
von dem erwähnten Generalplan offiziell ihm nie etwas bekannt ge
worden sei. Soviel er unter der Hand davon erfahren habe, handele
es sich um ein Projekt von zirka 20 Millionen und bei einer solchen
sehr hohen Ausgabe wäre es unbedingt erforderlich, daß alle Einzel
heiten der Versammlung genau bekannt gegeben würden. Auch er
schiene es ihm erwünscht, daß eine genaue Kontrolle über Gewinn
und Verlust es jederzeit ermögliche, die Rentabilität der eingeschlagenen
Wege nachzuprüfen. Nachdem der Redner noch gewisse Bedenken hin-
sichtlich der Etatisierung so großer Summen, wie der vorliegenden
geäußert hatte, führte der Herr landwirtschaftliche Direktor etwa fol-
gendes aus: Als er in die Verwaltung eingetreten sei, habe er ein
außerordentliches Maß seitens der Kanaldeputation geleisteter Arbeit
festgestellt, dahingehend, geeignete Maßnahmen zu finden, welche die
Einträglichkeit der Rieselgüter herbeizuführen geeignet seien. Auf
allen diesen seit Jahrzehnten immer wieder neu angebahnten Wegen sei
das aber nicht zu erreichen gewesen. Es sei ihm bald klar geworden,
daß neue Wege eingeschlagen werden müßten und daher sei er nach
dreijähriger Vorbereitung in der Verwaltung dazugekommen, den
städtischen Behörden seine Pläne darzulegen, wie wohl unter Wahrung
des Hauptzwecks der Rieselgüter die Einträglichkeit d. h. die Auf
bringung der Zinsen und Schuldenrückzahlungen zu ermöglichen sei.
Die diesbezüglich in der erwähnten Denkschrift gemachten Vor-
schlüge seien im wesentlichen zweierlei Art: weitestgehende Ausdehnung
der einträglichen Kleinpachten, nötigenfalls wenn die Grenze der Aus-
dehnung der Pacht bis zu 3 500 da Gesamtflächen nicht anders zu
erreichen sei, auch unter Schaffung eigner kleiner Pächtergehöfte und
durch die Versorgung der städtischen Anstalten mit allen den Erzeug-
niffen, welche in Land- und Forstwirtschaft der Stadt selbst erwüchsen.
Es sei selbstverständlich, daß hierbei nur soweit gegangen werden
könne, wie die landwirtschaftliche Verwaltung mit Fremden wett-
bewerbsfähig sei. Alle diese Einschränkungen, welche hier vorgebracht
worden seien, wären auch in der Denkschrift gemacht und es dürfte
selbstverständlich sein, daß sich kein Beamter etwa aus Reffortfanalismus
dazu hergeben dürfe, der Stadt gewissermaßen etwas in die Tasche
zu lügen.
Bei der Neuorganisation von Verwaltungen habe er stets folgende
Grundsätze gehabt: Eine Wirtschaftsmaßnahme erst dann zu treffen,
wenn er die Ueberzeugung habe, daß sie gewissermaßen zwangsläufig
gehen werde: niemals eine Einrichtung zu einem Zweiaugensystem
werden zu laffen, sie gewissermaßen auf seine Person zuzuschneiden.
Was endlich die Kontrollmöglichkeit angehe, so habe er bisher es
geradezu und immer darauf angelegt, die ihm vorgesetzte Stelle zur
eingehenden Kontrolle seiner Geschäftsführung zu zwingen. Das sei
ihm stets das wünschenswerteste Korrektiv und eine unentbehrliche
Entlastung gewesen, besonders wenn, wie hier in der Berliner Ver
waltung es sich um eine in ihrer Eigenart wohl auf der Welt
einzig dastehende Neueinrichtung und um die notgedrungene
Aufwendung so großer Geldmittel handle. Er glaube die technische Buch-
führung bereits soweit zu haben, wie es hier eben verlangt sei und auch
die Kassenbuchführung werde nach seinen Vorschlägen dahin kommen,
daß man aus ihr einwandfrei nicht nur die Erzeugungskosten jedes
einzelnen Erzeugnisses ersehen könne, sondern auch die Einträglichkeit
jedes Betriebszweiges einschließlich des gesamten angelegten Kapitals
und Betriebsvermögens ersichtlich sei. Die vorbereitenden Arbeiten zu
der Ausgestaltung der Buchführung dahingehend seien seit Monaten
im Gange.
Da nach diesen Ausführungen ein Teil der Ausschußmitglieder
den Wunsch äußerte, in die spezielle Beratung der Vorlage einzutreten,
ein anderer Teil jedoch die Fortsetzung der Generaldebatte beantragte,
so wurde zur Abstimmung geschritten, welche die einstweilige Fort
führung der Generaldebatte zur Folge hatte.
Hiernach wurde von mehreren Seiten bemerkt, daß der General
plan seiner Zeit nicht geheim behandelt, sondern im Ausschuß zur
Sprache gebracht worden sei. Die in Aussicht gestellte Rentabilität
des Projektes könne, natürlich bei den vielen in Frage kommenden
Faktoren mit absoluter Sicherheit, jetzt noch nicht festgestellt werden.
Geradeso wie es aber Pflicht eines jeden vorwärtsstrebenden Kauf
manns sei, alle ihm zu Gebote stehenden Werte auszunutzen, so habe
die Stadtgemeinde Berlin die gleiche Verpflichtung hinsichtlich der
Landflächen, welche jetzt zu Rieselzwecken benutzt werden. Hierauf
wurde folgender Antrag eingereicht und zur Verlesung gebracht:
Es wird beantragt den Wirtschaftsplan „die wirtschaftliche Zukunft
der Rieselgüter" sämtlichen Mitgliedern der Stadtverordneten-
Versammlung zugehen zu lassen.
Hieran schloß sich eine lebhafte Debatte, die insbesondere die
Frage erörterte, ob bei der Durchführung des beabsichtigten Wirtschafts
planes nicht etwa der Zwischenhandel und das Handwerk ganz aus
geschaltet werde und ob es ratsam erscheine, ein eigenes Sägewerk
und andere an sich selbständige aber für die Forderung der land- resp.
forstwirtschaftlichen Interessen geeignete Betriebe zu schaffen.
Nachdem nochmals von dem Herren landwirtschaftlichen Direktor
und dem Herrn Magistratsvertreter die Notwendigkeit derartiger Be
triebe betont worden war, wurde im Ausschuß von mehreren Seiten
der Wunsch geäußert, sich zunächst durch Inaugenscheinnahme der ört
lichen Verhältnisse ein Urteil über die Forderungen der Vorlage zu
bilden, bevor in eine spezielle Beratung eingetreten werde.
Im Anschluß hieran wurde der vorerwähnte Antrag A dahin er-
gänzt, daß beantragt wurde,
B. einerseits Vervielfältigung und Verteilung der Denkschrift,
andererseits Lokalbesichtigung unter Leitung des Herrn Direktor
Schröder vor Eintritt in die Spezialdebatte.
Bei der hierauf folgenden Abstimmung wurde dieser Antrag B
angenommen und eine Besichtigung der örtlichen Verhältnisse am
9. März 1910 beschlossen.
G. w. o.
Iden. Deutsch.