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Volume No. 23 (335-355), 2. April 1910

Full text: Vorlagen für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin (Public Domain) Issue1910 (Public Domain)

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342. Protokolle des Ausschusses zur Borberatung der Bor 
lage (Drucksache 83), betreffend den Bau zweier Feld 
bahnen, die Errichtung von Baulichkeiten auf den 
städtischen Gütern, den Umbau des städtischen Grund 
stücks Biktoriastraste 4 zu Nieder-Schönhausen zu 
Wohnzwecken und die anderweite Berwendung früher 
zum Bau eines Beamtenhauses in Ruhlsdorf be 
willigten Mitteln. 
I. 
Berlin, den 22. Februar 1910. 
Anwesend: 
Stadtverordneter Iden, Vorsitzender, 
- Borgmann, Vorsitzenderstellvertreter, 
. Deutsch, 
. Goeroldt, 
. Gronewaldl, 
Hintze, 
- Lentz, 
- Liebermann, 
- Modler, 
- vr. Rosenfeld, 
. Solinger, 
. Spendig, 
- Wenzels, 
- Werner. 
Seitens des Magistrats: 
Stadtrat Wagner, 
Landwirtschaftlicher Direktor Schröder, 
Abteilungsarchitekt Arnous. 
Nicht anwesend: 
Stadtverordneter Dr. Gelpcke (entschuldigt). 
Durch Beschluß der Versammlung vom 10. Februar 1910 — 
Protokoll 11 — ist zur Beratung obiger Vorlage ein Ausschuß ein 
gesetzt worden, welcher heute zusammengetreten >oar. 
Nach Eröffnung der Sitzung wies der Vorsitzende kurz auf den 
Inhalt der Vorlage hin und knüpfte daran die Bemerkung, daß er 
cs für das Beste halte, die einzelnen Positionen der Vorlage durch 
zuberaten. Von anderer Seite wurde jedoch eine allgemeine Be- 
sprechung deshalb für erforderlich erachtet, weil man glaubte, daß der 
Ausschuß im Anschluß hieran möglicherweise sich gleich über die Vor 
lage schlüssig meiden würde. 
Hierauf führte ein Mitglied aus, daß man an die Bewirtschaftung 
der Rieselfelder nicht den Maßstab legen dürfe, den man im allge 
meinen für den Betrieb einer Landwirtschaft anwende. In erster 
Linie seien die Rieselfelder eine Notwendigkeit, die Berlin bei dem 
sehr gut bewährten System der Schwemmkanalisation nicht entbehren 
könne und die finanziellen Aufwendungen, welche die großen 
Landflächen zu dem gedachten Zweck erfordern, seien natürlich 
nicht in voller Höhe durch den eingerichteten landwirtschaft- 
lichen Betrieb herauszuholen. Wenn man die Vorlage von diesem 
Standpunkte aus ansähe, würde man die in ihr enthaltenen Forde- 
rungen anders beurteilen. Natürlich wäre wohl noch manches 
besserungsbedürftig, aber die Besserung werde ja offensichtlich an 
gestrebt. Redner nahm sodann Bezug auf eine vor zirka 2 Jahren er 
schienene Denkschrift, in welcher die Güterdirektion einen Generalplan, 
der eine rationelle und erträgliche Ausnutzung der Rieselflächen er 
möglichen sollte, unterbreitet halte. Nachdem dieser Generalplan, der 
in großzügiger und wohldurchdachter Weise angelegt und seines 
Wissens auch im Ausschuß besprochen sei. die Zustimmung der Ver 
sammlung gefunden hätte, erschiene es doch gewagt, plötzlich aus dem 
Ganzen etwas heraus mgreifen, es nicht zu bewilligen und somit das 
ganze Projekt vielleicht zu zerstören. 
Diesen Ausführungen, den sich der Herr Magistratsvertreter an 
schloß, trat ein Ausschußmitglied mit der Begründung entgegen, daß 
von dem erwähnten Generalplan offiziell ihm nie etwas bekannt ge 
worden sei. Soviel er unter der Hand davon erfahren habe, handele 
es sich um ein Projekt von zirka 20 Millionen und bei einer solchen 
sehr hohen Ausgabe wäre es unbedingt erforderlich, daß alle Einzel 
heiten der Versammlung genau bekannt gegeben würden. Auch er 
schiene es ihm erwünscht, daß eine genaue Kontrolle über Gewinn 
und Verlust es jederzeit ermögliche, die Rentabilität der eingeschlagenen 
Wege nachzuprüfen. Nachdem der Redner noch gewisse Bedenken hin- 
sichtlich der Etatisierung so großer Summen, wie der vorliegenden 
geäußert hatte, führte der Herr landwirtschaftliche Direktor etwa fol- 
gendes aus: Als er in die Verwaltung eingetreten sei, habe er ein 
außerordentliches Maß seitens der Kanaldeputation geleisteter Arbeit 
festgestellt, dahingehend, geeignete Maßnahmen zu finden, welche die 
Einträglichkeit der Rieselgüter herbeizuführen geeignet seien. Auf 
allen diesen seit Jahrzehnten immer wieder neu angebahnten Wegen sei 
das aber nicht zu erreichen gewesen. Es sei ihm bald klar geworden, 
daß neue Wege eingeschlagen werden müßten und daher sei er nach 
dreijähriger Vorbereitung in der Verwaltung dazugekommen, den 
städtischen Behörden seine Pläne darzulegen, wie wohl unter Wahrung 
des Hauptzwecks der Rieselgüter die Einträglichkeit d. h. die Auf 
bringung der Zinsen und Schuldenrückzahlungen zu ermöglichen sei. 
Die diesbezüglich in der erwähnten Denkschrift gemachten Vor- 
schlüge seien im wesentlichen zweierlei Art: weitestgehende Ausdehnung 
der einträglichen Kleinpachten, nötigenfalls wenn die Grenze der Aus- 
dehnung der Pacht bis zu 3 500 da Gesamtflächen nicht anders zu 
erreichen sei, auch unter Schaffung eigner kleiner Pächtergehöfte und 
durch die Versorgung der städtischen Anstalten mit allen den Erzeug- 
niffen, welche in Land- und Forstwirtschaft der Stadt selbst erwüchsen. 
Es sei selbstverständlich, daß hierbei nur soweit gegangen werden 
könne, wie die landwirtschaftliche Verwaltung mit Fremden wett- 
bewerbsfähig sei. Alle diese Einschränkungen, welche hier vorgebracht 
worden seien, wären auch in der Denkschrift gemacht und es dürfte 
selbstverständlich sein, daß sich kein Beamter etwa aus Reffortfanalismus 
dazu hergeben dürfe, der Stadt gewissermaßen etwas in die Tasche 
zu lügen. 
Bei der Neuorganisation von Verwaltungen habe er stets folgende 
Grundsätze gehabt: Eine Wirtschaftsmaßnahme erst dann zu treffen, 
wenn er die Ueberzeugung habe, daß sie gewissermaßen zwangsläufig 
gehen werde: niemals eine Einrichtung zu einem Zweiaugensystem 
werden zu laffen, sie gewissermaßen auf seine Person zuzuschneiden. 
Was endlich die Kontrollmöglichkeit angehe, so habe er bisher es 
geradezu und immer darauf angelegt, die ihm vorgesetzte Stelle zur 
eingehenden Kontrolle seiner Geschäftsführung zu zwingen. Das sei 
ihm stets das wünschenswerteste Korrektiv und eine unentbehrliche 
Entlastung gewesen, besonders wenn, wie hier in der Berliner Ver 
waltung es sich um eine in ihrer Eigenart wohl auf der Welt 
einzig dastehende Neueinrichtung und um die notgedrungene 
Aufwendung so großer Geldmittel handle. Er glaube die technische Buch- 
führung bereits soweit zu haben, wie es hier eben verlangt sei und auch 
die Kassenbuchführung werde nach seinen Vorschlägen dahin kommen, 
daß man aus ihr einwandfrei nicht nur die Erzeugungskosten jedes 
einzelnen Erzeugnisses ersehen könne, sondern auch die Einträglichkeit 
jedes Betriebszweiges einschließlich des gesamten angelegten Kapitals 
und Betriebsvermögens ersichtlich sei. Die vorbereitenden Arbeiten zu 
der Ausgestaltung der Buchführung dahingehend seien seit Monaten 
im Gange. 
Da nach diesen Ausführungen ein Teil der Ausschußmitglieder 
den Wunsch äußerte, in die spezielle Beratung der Vorlage einzutreten, 
ein anderer Teil jedoch die Fortsetzung der Generaldebatte beantragte, 
so wurde zur Abstimmung geschritten, welche die einstweilige Fort 
führung der Generaldebatte zur Folge hatte. 
Hiernach wurde von mehreren Seiten bemerkt, daß der General 
plan seiner Zeit nicht geheim behandelt, sondern im Ausschuß zur 
Sprache gebracht worden sei. Die in Aussicht gestellte Rentabilität 
des Projektes könne, natürlich bei den vielen in Frage kommenden 
Faktoren mit absoluter Sicherheit, jetzt noch nicht festgestellt werden. 
Geradeso wie es aber Pflicht eines jeden vorwärtsstrebenden Kauf 
manns sei, alle ihm zu Gebote stehenden Werte auszunutzen, so habe 
die Stadtgemeinde Berlin die gleiche Verpflichtung hinsichtlich der 
Landflächen, welche jetzt zu Rieselzwecken benutzt werden. Hierauf 
wurde folgender Antrag eingereicht und zur Verlesung gebracht: 
Es wird beantragt den Wirtschaftsplan „die wirtschaftliche Zukunft 
der Rieselgüter" sämtlichen Mitgliedern der Stadtverordneten- 
Versammlung zugehen zu lassen. 
Hieran schloß sich eine lebhafte Debatte, die insbesondere die 
Frage erörterte, ob bei der Durchführung des beabsichtigten Wirtschafts 
planes nicht etwa der Zwischenhandel und das Handwerk ganz aus 
geschaltet werde und ob es ratsam erscheine, ein eigenes Sägewerk 
und andere an sich selbständige aber für die Forderung der land- resp. 
forstwirtschaftlichen Interessen geeignete Betriebe zu schaffen. 
Nachdem nochmals von dem Herren landwirtschaftlichen Direktor 
und dem Herrn Magistratsvertreter die Notwendigkeit derartiger Be 
triebe betont worden war, wurde im Ausschuß von mehreren Seiten 
der Wunsch geäußert, sich zunächst durch Inaugenscheinnahme der ört 
lichen Verhältnisse ein Urteil über die Forderungen der Vorlage zu 
bilden, bevor in eine spezielle Beratung eingetreten werde. 
Im Anschluß hieran wurde der vorerwähnte Antrag A dahin er- 
gänzt, daß beantragt wurde, 
B. einerseits Vervielfältigung und Verteilung der Denkschrift, 
andererseits Lokalbesichtigung unter Leitung des Herrn Direktor 
Schröder vor Eintritt in die Spezialdebatte. 
Bei der hierauf folgenden Abstimmung wurde dieser Antrag B 
angenommen und eine Besichtigung der örtlichen Verhältnisse am 
9. März 1910 beschlossen. 
G. w. o. 
Iden. Deutsch.
	        
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