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Volume No. 49 (1211-1229), 1907/12/14

Full text: Vorlagen für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin (Public Domain) Issue1907 (Public Domain)

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Der vor kurzem verstorbene Rentier Friedrich Wilhelm Wurst 
hat sein mehr als 1 Million Mark betragendes, aus Hausgrundstücken 
bestehendes Vermögen in der Hauptsache der Stadt Berlin und der 
Kirchengemeinde zu St, Bartholomäus zu Berlin testamentarisch ver- 
macht Eine Reihe von Personen, die nichts mit der Familie zu tun 
haben, sind mit Vermächtnissen bedacht worden, während der Petent, 
dessen Großonkel der Verstorbene war. und zwei andere Verwandte 
je 1 000 JC erhalten haben. Sämtliche andere Blutsverwandten, die 
der Bittsteller in einem als Anlage beigefügten Verzeichnisse aufführt, 
sind leer ausgegangen und leben in sehr bescheidenen, teils dürftigen 
Verhältnissen. Petent bittet daher, aus dem der Stadtgemeinde zuge 
fallenen Vermögen ihm und den wenig oder garnicht berücksichtigten 
Verwandten eine angemessene Zuwendung zu machen, oder, falls dies 
nicht angängig, ihnen zur besstren Ausbildung ihrer Kinder laufende 
Beihilfen zu gewähren. Ein wegen Bewilligung freien Unterrichts 
für seine Kinder an einer hiesigen höheren Lehranstalt von dem Bitt 
steller an die Deputatioli des Magistrats für die äußeren Angelegen 
heiten der höheren Lehranstalten gerichtetes Gesuch ist abgelehnt worden, 
weil Petent außerhalb Berlins wohnt. Als er sich auf diesen Be 
scheid hin nochmals an die genannte Deputation wandte und seine 
Stellung als Blutsverwandter des Rentiers Wurst betonte, wurde 
er wiederum abschlägig beschieden, da der Testator das Vermögen 
zur Errichtung von höheren Lehranstalten gestiftet hätte und mithin 
Stipendien aus der Stiftung nicht gewährt werden könnten. 
Es wurde im Ausschuß der Meinung Ausdruck gegeben, 
daß es verfehlt sei, vom Erblaffer nicht berücksichtigten 
Personen aus Vermächtnissen, die der Stadtgemeinde hinterlaffen 
sind, abzufinden. Ganz besonders aber sei im vorliegenden 
Falle eine Ablehnung geboten, da der Rentier Wurst in seinem Testa- 
ment außer der Stadtgeineinde Berlin und der Kirchengemeinde zu 
St. Bartholomäus 36 Personen berücksichtigt habe, offenbar also nicht 
willens gewesen sei, den Petenten irgend welche Zuwendungen zu 
machen. Ueberdies seien die Bittsteller nur sehr weitläufige Ver 
wandte des Stifters. Seitens des Herrn Magistratsvertreters wurde 
mitgeteilt, daß der Oberpräsident die landesherrliche Genehmigung 
zur Annahme der Stiftung noch nicht herbeigeführt habe. Besonders 
aber wies er darauf hin, daß der Erblasser der Stadtgemeinde nicht 
ein Kapital, sondern Grundstücke vermacht habe. 
Unter Erwägung aller dieser Umstände beschloß der Ausschuß, 
Ucbergang zur Tagesordnung zu empfehlen. 
6. (P.-J.-Nr. 103.) Petition der Direktion des Hotel de rekugs, 
Friedrichstraße 6l, um Erstattung zu viel erhobener Um- 
satzsteuer vom Verkauf des Hauses Friedrichstraßc 61. 
Beim Erwerbe des Hausgrundstücks Derfflingerstraße 19 u durch 
die Petentiu hat die Steuerdeputation, Abteilung I, anerkannt, daß, 
entgegen der von ihr bemerkten Veranlagung zur Umsatzsteuer mit 1 %- 
nur der halbe Betrag zur Hebung kommen dürfte, da daß Hotel de 
röfuge eine milde Stiftung ist und daher Umsatzsteuerfreiheit genießt. 
Nach Ansicht der Gesuchstellerin hat nun das gleiche Verhältnis vor 
gelegen, als sie am 22. September 1905 ihr Stiftungshaus, Friedrich- 
strafte 61, an den Königlichen Baural Gause und den Kaufmann 
Ernst Steidel zum Preise von 2000000 JC verkaufte. Damals 
wäre ebenfalls die Umsatzsteuer mit 1°/„ —20 000 JC veranlagt und 
von den Käufern entrichtet worden. Da sich jedoch die Petentin zu 
jener Zeit in Unkenntnis über die ihr zustehende gesetzliche Vergünsti- 
gung befunden hätte, wäre die Einspruchsfrist von 4 Wochen nicht 
genützt worden. Sie bittet nun, aus Billigkeitsrücksichten eine nach- 
trägliche Rückzahlung des zuviel entrichieten Steuerbetrages — der 
Rückforderungsanspruch ist nach einer der Petition beigefügten 
Urkunde der Direktion des Hotel de rekuge von dem Kaufmann 
Ernst Steidel und den Erben des inzwischen verstorbenen Bau- 
rats Gause zediert worden — veranlassen zu wollen, indem sie sich 
darauf beruft, daß der Herr Finanzminister, nachdem zuerst der 
Stempel zu den, Kaufverträge vom 22. September 1905 mit 
1% festgesetzt gewesen sei, die Rückzahlung der Hälfte des Stempel- 
betrages angeordnet habe. Ferner aber unterstütze die Petentin u. a. 
eine große Anzahl von in Berlin lebenden Abkömmlingen der Rs- 
fugies und entlaste dadurch die Armendirektion erheblich. 
Bereits im September 1907 hatte sich die Direktion der ge- 
nannten Stiftung mit einer ähnlichen Petition an die Stadtverord 
netenversammlung gewandt. Es war ihr jedoch durch Beschluß vom 
17. Oktober 1907 aufgegeben worden, ihr Gesuch zunächst an die 
Steuerdeputation, Abteilung 1, zu richten, deren Entscheidung nun- 
mehr eingereicht worden ist. Diese geht dahin, daß eine Rückzahlung 
der zuviel gezahlten Umsatzsteuer nicht angängig wäre, weil inner- 
halb der gestellten Einspruchsfrist ein Rechtsmittel seitens der Gesuch- 
stellerin nicht eingelegt worden sei. Der Ausschuß beschloß, Ueber- 
gang zur Tagesordnung vorzuschlagen, indem er dem Ablehnungs- 
gründe der Stcuerdeputation beipflichtete. 
7. (P.-J.-Nr. 104.) Petition der Vorarbeiter der städtischen 
Straßenreinigung Dötlner und Genossen um Anstel 
lung als Hilfsaufseher. 
Die Petenten führen aus. daß infolge Beschlusses der Stadt- 
verordnetenversammlung vom 6. Juni 1907 auf Antrag der städtischen 
Deputation für das Straßenreinigungswesen sämtliche Abteilungen 
der Straßenreinigungsarbeiter mit Militärauivärtcrn als Hilfsauf- 
seheru besetzt worden wären. Sie bitten, für die Zukunft freiwerdende 
Hilfsanfseherposten mit Vorarbeitern zu besetzen. Bisher hätten die 
letzteren bei Erkrankungen von Aufsehern stets Vertretungsdienste ge- 
leistet und die Abteilungen zur vollsten Zufriedenheit der Direktion 
geführt. Manche Vorarbeiter wären sogar bis zu 2 Jahren ver 
tretungsweise als Aufseher beschäftigt gewesen. Die Bittsteller haben 
sich in dieser Angelegenheit an den Herrn Oberbürgermeister sowie 
ihre vorgesetzte Deputation gewandt. Es ist ihnen jedoch der Bescheid 
geworden, daß bestimmungsgemäß zu Hilfsaufsehern nur im Besitze 
des Zivilversorgungsscheines befindliche Militäranwärter ernannt wer 
den könnten. Diesen Standpunkt nahm auch der Herr Magistrats- 
Vertreter ein, indem er erklärte, der Oberpräsidenr hätte darüber zu 
bestimmen, welche Beamtenkategorien mit Militäranwärtern zu besetzen 
seien. Hinsichtlich der Hilfsaufseher bei der städtischen Straßenreinigung 
habe er dies verfügt- Der Ausschuß stimmte unter diesen Umständen 
dafür, der Versammlung den Ucbergang zur Tagesordnung zu 
empfehlen. 
8. (P.-J.-Nr. 105.) Petition des liberalen Bezirksvereins 
Friedrichshain, die geplante Erweiterung des Kranken 
hauses Friedrichshain und die damit verbundene Ver 
kleinerung des Friedrichshains als Park nicht zur Aus 
führung zu bringen. 
In der Petition wird auf das rapide Wachsen der den Friedrichs- 
Hain einschließenden Stadtteile hingewiesen. Umsomehr sei es geboten, 
eine Erholungsstätte, wie sie der Hain darstelle, den Bewohnern, 
besonders aber den Kindern ungeschmälert zu erhalten. Es würde 
sehr schwer empfunden werden, wenn durch Erweiterung des Krankcn- 
hauies eine Verkleinerung des Parkes eintreten sollte. 
Durch Beschluß vom 2». Juni 1906, Protokoll 15, hatte die 
Versammlung den Magistrat um Vorlegung eines Projektes ersucht, 
aus dem endgültig hervorgehen sollte, wieviel Terrain vom Park 
Friedrichshain an das Krankenhaus Friedrichshain zur Erbauung 
der notwendigen Pavillons abgetreten werden müßte. Da 
dieses Projekt jedoch noch nicht vorlag, andererseits aber ein 
Mitglied des Ausschusses erklärte, die Parkdeputation habe die 
Notwendigkeit der Erweiterung des Krankenhauses bereits 
anerkannt und sich mit der Hergäbe eines entsprechenden Teiles des 
Hains einverstanden erklärt, so beschloß der Ausschuß, Uebergang zur 
Tagesordnung zu empfehlen.. 
9. (P.-J.-Nr. 107.) Petition des Bundes der Markthallen 
vereine Berlins, Neuenburgerstraße 10. wegen An 
stellung von mehr Beamten zwecks besserer Kontrolle 
des Wachdienstes in den städtischen Markthallen. 
Infolge der seil vielen Jahren fortgesetzt vorkommenden Diebstähle 
in den Markthallen sind die Petenten bei der Direktion und der städtischen 
Markthalleudeputativn wegen Aenderung des Wachdienstes vorstellig ge- 
worden, wurden jedoch abschlägig beschieden mit dem Bemerken, daß der 
Antrag, den Wachdienst nur van Beamten ausüben zu lassen, abgelehnt 
werden müsse. Sie wenden sich daher petitionierend an die Stadt 
verordnetenversammlung und führen darüber Klage, daß der Wach 
dienst von Arbeitern anstatt von Beamten versehen werde: es sei sogar 
vorgekommen, daß Arbeiter, die erst 14 Tage bei der betreffenden 
Markthalle als solche tätig gewesen wären, schon nach dieser kurzen 
Zeit zu dem verantwortungsvollen Wachdienst herangezogen worden 
seien. Zur besseren Kontrolle des letzteren beantragen sie für jede 
kleine Halle mindestens zwei Beamte, für die größeren dementsprechend 
mehr, insbesondere auch während der Zeit von 1 bis 5 Uhr nach- 
mittags, in der sich jetzt der „einzelne" Wächter unkontrolliert allein 
überlassen sei. 
Der Antrag wurde im Ausschuß von einer Seite befürwortet 
und des weiteren der Vorschlag gemacht, ob nicht durch besicre 
Honorierung und pensionsfähige Anstellung ein zuverlässiges Wach 
personal geschaffen werden könne. Dem trat der Herr Magistrats 
vertreter jedoch entgegen und erklärte, daß die häufigen Diebstähle 
nicht auf Konto der Wächter zu bringen seien, sondern lediglich auf 
die Fahrlässigkeit der Standinhaber, sowohl hinsichtlich der Aus 
wahl und Beaufsichtigung ihres Perionals als auch der Aushängung re. 
der Waren. Besonders aber der Umstand, daß hauptsächlich in den 
Frühstunden beim Einbringen der Verkaufsgegenstände gestohlen werde, 
laffe eine Vermehrung des Wachpcrsonals, bei dessen Auswahl im 
übrigen sehr sorgfältig zu Werke gegangen werde, vollständig zwecklos 
erscheinen, da eine Kontrolle auch bei den umfangreiebsten Vorkehrungs 
maßregeln in dieser Zeit nicht durchführbar sei. Der Ausschuß trat 
diesen Ausführungen bei und beschloß, der Stadtverordnetenversammlung 
zu empfehlen, über die Petition zur Tagesordnung überzugehen. 
II. 
Durch Ueberweisung an den Magistrat zur Berücksichtigung. 
1. P.-J.-Nr. 72. Petition des Schriftsetzers und Schieds- 
mannes Gustav Hering, Kuglerstraße 12, um Gewährung 
einer Entschädigung für Hergäbe eines Zimmers zum 
Zwecke der Ausübung des Schiedsmannsamtes oder Be- 
ichaffung eines Amtszimmers für die Stadtbezirke248/9. 
Petent befindet sich seit Februar 1907 im Amte eines Schieds-
	        
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