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Der vor kurzem verstorbene Rentier Friedrich Wilhelm Wurst
hat sein mehr als 1 Million Mark betragendes, aus Hausgrundstücken
bestehendes Vermögen in der Hauptsache der Stadt Berlin und der
Kirchengemeinde zu St, Bartholomäus zu Berlin testamentarisch ver-
macht Eine Reihe von Personen, die nichts mit der Familie zu tun
haben, sind mit Vermächtnissen bedacht worden, während der Petent,
dessen Großonkel der Verstorbene war. und zwei andere Verwandte
je 1 000 JC erhalten haben. Sämtliche andere Blutsverwandten, die
der Bittsteller in einem als Anlage beigefügten Verzeichnisse aufführt,
sind leer ausgegangen und leben in sehr bescheidenen, teils dürftigen
Verhältnissen. Petent bittet daher, aus dem der Stadtgemeinde zuge
fallenen Vermögen ihm und den wenig oder garnicht berücksichtigten
Verwandten eine angemessene Zuwendung zu machen, oder, falls dies
nicht angängig, ihnen zur besstren Ausbildung ihrer Kinder laufende
Beihilfen zu gewähren. Ein wegen Bewilligung freien Unterrichts
für seine Kinder an einer hiesigen höheren Lehranstalt von dem Bitt
steller an die Deputatioli des Magistrats für die äußeren Angelegen
heiten der höheren Lehranstalten gerichtetes Gesuch ist abgelehnt worden,
weil Petent außerhalb Berlins wohnt. Als er sich auf diesen Be
scheid hin nochmals an die genannte Deputation wandte und seine
Stellung als Blutsverwandter des Rentiers Wurst betonte, wurde
er wiederum abschlägig beschieden, da der Testator das Vermögen
zur Errichtung von höheren Lehranstalten gestiftet hätte und mithin
Stipendien aus der Stiftung nicht gewährt werden könnten.
Es wurde im Ausschuß der Meinung Ausdruck gegeben,
daß es verfehlt sei, vom Erblaffer nicht berücksichtigten
Personen aus Vermächtnissen, die der Stadtgemeinde hinterlaffen
sind, abzufinden. Ganz besonders aber sei im vorliegenden
Falle eine Ablehnung geboten, da der Rentier Wurst in seinem Testa-
ment außer der Stadtgeineinde Berlin und der Kirchengemeinde zu
St. Bartholomäus 36 Personen berücksichtigt habe, offenbar also nicht
willens gewesen sei, den Petenten irgend welche Zuwendungen zu
machen. Ueberdies seien die Bittsteller nur sehr weitläufige Ver
wandte des Stifters. Seitens des Herrn Magistratsvertreters wurde
mitgeteilt, daß der Oberpräsident die landesherrliche Genehmigung
zur Annahme der Stiftung noch nicht herbeigeführt habe. Besonders
aber wies er darauf hin, daß der Erblasser der Stadtgemeinde nicht
ein Kapital, sondern Grundstücke vermacht habe.
Unter Erwägung aller dieser Umstände beschloß der Ausschuß,
Ucbergang zur Tagesordnung zu empfehlen.
6. (P.-J.-Nr. 103.) Petition der Direktion des Hotel de rekugs,
Friedrichstraße 6l, um Erstattung zu viel erhobener Um-
satzsteuer vom Verkauf des Hauses Friedrichstraßc 61.
Beim Erwerbe des Hausgrundstücks Derfflingerstraße 19 u durch
die Petentiu hat die Steuerdeputation, Abteilung I, anerkannt, daß,
entgegen der von ihr bemerkten Veranlagung zur Umsatzsteuer mit 1 %-
nur der halbe Betrag zur Hebung kommen dürfte, da daß Hotel de
röfuge eine milde Stiftung ist und daher Umsatzsteuerfreiheit genießt.
Nach Ansicht der Gesuchstellerin hat nun das gleiche Verhältnis vor
gelegen, als sie am 22. September 1905 ihr Stiftungshaus, Friedrich-
strafte 61, an den Königlichen Baural Gause und den Kaufmann
Ernst Steidel zum Preise von 2000000 JC verkaufte. Damals
wäre ebenfalls die Umsatzsteuer mit 1°/„ —20 000 JC veranlagt und
von den Käufern entrichtet worden. Da sich jedoch die Petentin zu
jener Zeit in Unkenntnis über die ihr zustehende gesetzliche Vergünsti-
gung befunden hätte, wäre die Einspruchsfrist von 4 Wochen nicht
genützt worden. Sie bittet nun, aus Billigkeitsrücksichten eine nach-
trägliche Rückzahlung des zuviel entrichieten Steuerbetrages — der
Rückforderungsanspruch ist nach einer der Petition beigefügten
Urkunde der Direktion des Hotel de rekuge von dem Kaufmann
Ernst Steidel und den Erben des inzwischen verstorbenen Bau-
rats Gause zediert worden — veranlassen zu wollen, indem sie sich
darauf beruft, daß der Herr Finanzminister, nachdem zuerst der
Stempel zu den, Kaufverträge vom 22. September 1905 mit
1% festgesetzt gewesen sei, die Rückzahlung der Hälfte des Stempel-
betrages angeordnet habe. Ferner aber unterstütze die Petentin u. a.
eine große Anzahl von in Berlin lebenden Abkömmlingen der Rs-
fugies und entlaste dadurch die Armendirektion erheblich.
Bereits im September 1907 hatte sich die Direktion der ge-
nannten Stiftung mit einer ähnlichen Petition an die Stadtverord
netenversammlung gewandt. Es war ihr jedoch durch Beschluß vom
17. Oktober 1907 aufgegeben worden, ihr Gesuch zunächst an die
Steuerdeputation, Abteilung 1, zu richten, deren Entscheidung nun-
mehr eingereicht worden ist. Diese geht dahin, daß eine Rückzahlung
der zuviel gezahlten Umsatzsteuer nicht angängig wäre, weil inner-
halb der gestellten Einspruchsfrist ein Rechtsmittel seitens der Gesuch-
stellerin nicht eingelegt worden sei. Der Ausschuß beschloß, Ueber-
gang zur Tagesordnung vorzuschlagen, indem er dem Ablehnungs-
gründe der Stcuerdeputation beipflichtete.
7. (P.-J.-Nr. 104.) Petition der Vorarbeiter der städtischen
Straßenreinigung Dötlner und Genossen um Anstel
lung als Hilfsaufseher.
Die Petenten führen aus. daß infolge Beschlusses der Stadt-
verordnetenversammlung vom 6. Juni 1907 auf Antrag der städtischen
Deputation für das Straßenreinigungswesen sämtliche Abteilungen
der Straßenreinigungsarbeiter mit Militärauivärtcrn als Hilfsauf-
seheru besetzt worden wären. Sie bitten, für die Zukunft freiwerdende
Hilfsanfseherposten mit Vorarbeitern zu besetzen. Bisher hätten die
letzteren bei Erkrankungen von Aufsehern stets Vertretungsdienste ge-
leistet und die Abteilungen zur vollsten Zufriedenheit der Direktion
geführt. Manche Vorarbeiter wären sogar bis zu 2 Jahren ver
tretungsweise als Aufseher beschäftigt gewesen. Die Bittsteller haben
sich in dieser Angelegenheit an den Herrn Oberbürgermeister sowie
ihre vorgesetzte Deputation gewandt. Es ist ihnen jedoch der Bescheid
geworden, daß bestimmungsgemäß zu Hilfsaufsehern nur im Besitze
des Zivilversorgungsscheines befindliche Militäranwärter ernannt wer
den könnten. Diesen Standpunkt nahm auch der Herr Magistrats-
Vertreter ein, indem er erklärte, der Oberpräsidenr hätte darüber zu
bestimmen, welche Beamtenkategorien mit Militäranwärtern zu besetzen
seien. Hinsichtlich der Hilfsaufseher bei der städtischen Straßenreinigung
habe er dies verfügt- Der Ausschuß stimmte unter diesen Umständen
dafür, der Versammlung den Ucbergang zur Tagesordnung zu
empfehlen.
8. (P.-J.-Nr. 105.) Petition des liberalen Bezirksvereins
Friedrichshain, die geplante Erweiterung des Kranken
hauses Friedrichshain und die damit verbundene Ver
kleinerung des Friedrichshains als Park nicht zur Aus
führung zu bringen.
In der Petition wird auf das rapide Wachsen der den Friedrichs-
Hain einschließenden Stadtteile hingewiesen. Umsomehr sei es geboten,
eine Erholungsstätte, wie sie der Hain darstelle, den Bewohnern,
besonders aber den Kindern ungeschmälert zu erhalten. Es würde
sehr schwer empfunden werden, wenn durch Erweiterung des Krankcn-
hauies eine Verkleinerung des Parkes eintreten sollte.
Durch Beschluß vom 2». Juni 1906, Protokoll 15, hatte die
Versammlung den Magistrat um Vorlegung eines Projektes ersucht,
aus dem endgültig hervorgehen sollte, wieviel Terrain vom Park
Friedrichshain an das Krankenhaus Friedrichshain zur Erbauung
der notwendigen Pavillons abgetreten werden müßte. Da
dieses Projekt jedoch noch nicht vorlag, andererseits aber ein
Mitglied des Ausschusses erklärte, die Parkdeputation habe die
Notwendigkeit der Erweiterung des Krankenhauses bereits
anerkannt und sich mit der Hergäbe eines entsprechenden Teiles des
Hains einverstanden erklärt, so beschloß der Ausschuß, Uebergang zur
Tagesordnung zu empfehlen..
9. (P.-J.-Nr. 107.) Petition des Bundes der Markthallen
vereine Berlins, Neuenburgerstraße 10. wegen An
stellung von mehr Beamten zwecks besserer Kontrolle
des Wachdienstes in den städtischen Markthallen.
Infolge der seil vielen Jahren fortgesetzt vorkommenden Diebstähle
in den Markthallen sind die Petenten bei der Direktion und der städtischen
Markthalleudeputativn wegen Aenderung des Wachdienstes vorstellig ge-
worden, wurden jedoch abschlägig beschieden mit dem Bemerken, daß der
Antrag, den Wachdienst nur van Beamten ausüben zu lassen, abgelehnt
werden müsse. Sie wenden sich daher petitionierend an die Stadt
verordnetenversammlung und führen darüber Klage, daß der Wach
dienst von Arbeitern anstatt von Beamten versehen werde: es sei sogar
vorgekommen, daß Arbeiter, die erst 14 Tage bei der betreffenden
Markthalle als solche tätig gewesen wären, schon nach dieser kurzen
Zeit zu dem verantwortungsvollen Wachdienst herangezogen worden
seien. Zur besseren Kontrolle des letzteren beantragen sie für jede
kleine Halle mindestens zwei Beamte, für die größeren dementsprechend
mehr, insbesondere auch während der Zeit von 1 bis 5 Uhr nach-
mittags, in der sich jetzt der „einzelne" Wächter unkontrolliert allein
überlassen sei.
Der Antrag wurde im Ausschuß von einer Seite befürwortet
und des weiteren der Vorschlag gemacht, ob nicht durch besicre
Honorierung und pensionsfähige Anstellung ein zuverlässiges Wach
personal geschaffen werden könne. Dem trat der Herr Magistrats
vertreter jedoch entgegen und erklärte, daß die häufigen Diebstähle
nicht auf Konto der Wächter zu bringen seien, sondern lediglich auf
die Fahrlässigkeit der Standinhaber, sowohl hinsichtlich der Aus
wahl und Beaufsichtigung ihres Perionals als auch der Aushängung re.
der Waren. Besonders aber der Umstand, daß hauptsächlich in den
Frühstunden beim Einbringen der Verkaufsgegenstände gestohlen werde,
laffe eine Vermehrung des Wachpcrsonals, bei dessen Auswahl im
übrigen sehr sorgfältig zu Werke gegangen werde, vollständig zwecklos
erscheinen, da eine Kontrolle auch bei den umfangreiebsten Vorkehrungs
maßregeln in dieser Zeit nicht durchführbar sei. Der Ausschuß trat
diesen Ausführungen bei und beschloß, der Stadtverordnetenversammlung
zu empfehlen, über die Petition zur Tagesordnung überzugehen.
II.
Durch Ueberweisung an den Magistrat zur Berücksichtigung.
1. P.-J.-Nr. 72. Petition des Schriftsetzers und Schieds-
mannes Gustav Hering, Kuglerstraße 12, um Gewährung
einer Entschädigung für Hergäbe eines Zimmers zum
Zwecke der Ausübung des Schiedsmannsamtes oder Be-
ichaffung eines Amtszimmers für die Stadtbezirke248/9.
Petent befindet sich seit Februar 1907 im Amte eines Schieds-