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Volume No. 48 (1210), 1907/12/09

Full text: Vorlagen für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin (Public Domain) Issue1907 (Public Domain)

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M 48. 
(1210.) 
Aorlage 
für die 
Stadtverordnetenversammlung zu Berlin. 
1210. Protokoll des Ausschusses zur Borberatung der 
Borlage (Drucksache 971), betreffend die Einrichtung 
einer Walderholungsstätte für 200 schwächliche und 
schulpflichtige Kinder auf dem Gelände des städ 
tischen Ritterguts Buch. 
Berlin, den 3. Dezember 1907. 
Anwesend: 
Stadiverordneler Nelke, Vorsitzender, 
- Dr. Weyl, Vorsitzen derstellvertreter, 
- Dr. Bütow, 
- Heimann, 
> Dr. Hellwig, 
- Dr. Jsaac, 
- Koblenzer, 
- Rosenow, 
- Sachs, 
- Singer, 
- Sökeland, 
- Solmitz, 
- Ullstein, 
- Ulrich. 
Anwesend von seiten des Magistrats: 
Stadtrat Dr. Strohmann, 
- N a m s l a u und 
Syndikus Dr. Hirsekorn, 
Stadtschulrat Dr. Fischer, 
Stadtbauinspektor Matzdorff. 
Nicht anwesend: 
Stadtverordneter Modler entschuldigt. 
Die Versammlung hat durch Beschluß vom 7. November cr. 
— Protokoll 21 — die Vorberatung obiger Vorlage einem Ausschüsse 
übertragen. Dieser Ausschuß trat heute zu einer Sitzung zusammen. 
In seiner Vorlage beantragt der Magistrat folgende Beschluß 
fassung: 
Die Versammlung erklärt sich damit einverstanden, daß auf dem 
städtischen Waldgclände in Buch zwischen Jagen 24 und 27 eine 
Walderholungsstätte für 200 schwächliche schulpflichtige Kinder er 
richtet wird, in der während der eine» Hälfte des Sommers 200 
Knaben, während der anderen Hälfte 200 Mädchen Aufnahme, 
Verpflegung und Unterricht finden. Die Versammlung genehmigt 
den vorgelegten Entwurf sowie den mit 300000 M abschließenden 
Kostenanschlag und stellt zur Ausführung des Baues die im Spezial- 
etat 49 für 1907, Exlraordinarium Position 4 vorgesehenen 
300 000 M zur Verfügung mit den in der Magistratsvorlage vom 
26. Oktober 1907 aufgeführten Abänderungen. 
Im Gegensatz hierzu wu^de am Beginn der heutigen Sitzung 
folgender Antrag eingebracht: 
A. Der Ausschuß schlägt der Versammlung folgende Beschluß 
fassung vor: 
1. Die Versammlung ersucht den Magistrat, auf dem städtischen 
Waldgelände in Buch eine Walderholungsstätte für schwächliche 
und kränkliche Kinder mit festen Gebäuden auch für den Winter 
betrieb zu errichten, in der abwechselnd Knaben und Mädchen 
Aufnahme, Verpflegung, ärztliche Aufsicht und event, auch 
Unterricht erhalten. 
2. In dem Entwürfe ist ein ärztliches Sprechzimmer vorzusehen. 
3. Die Wirtschaftsbaracke soll eine Badeanlage umfasien, enthaltend 
eine Brausebadcinrichtung mit 10 Auskleidezellen und 5 Wannen 
— davon 3 hölzerne für Soolbäder —, sowie 2 besondere 
Wannen für das Lehr- bezw. Betriebspersonal. 
Es wurde hierauf von verschiedenen Seiten des Ausschuffes 
folgendes ausgeführt: 
Zunächst sei das Barackensystem wegen der ihm verschiedentlich 
anhaftenden Mängel gänzlich zu verurteilen Die schlechten Erfah 
rungen bei den Gemeindeschulbaracken schließen es völlig aus, daß 
man derartige Baracken auch zu Wohnzwecken während aller Jahres 
zeiten benutzen dürfe. Die Versammlung habe auch in ihrem 
grundlegenden Beschlusse vom 7. Dezember 1905, — Proto 
koll 13 — zum Ausdruck gebracht, daß die Walderholungsstätlen 
„ähnlich wie die Heinistätten für Genesende" beschaffen sein 
sollten: sie sollten also wie diese aus festen Häusern bestehen 
Wenn im Gegensatz hierzu der Magistrat im Erläuterungsbericht zu 
seiner heutigen Vorlage ausführe, daß „für sämtliche Baulichkeiten 
zerlegbare und transportable Holzbauten vorgesehen seien", so stehe 
dies im Widerspruch mit den Ansichten der Versaminlung, die 
in ihrer Mehrheit an feste Bauten, zum mindesten an feste Fach- 
werkbauten gedacht und den vom Herrn Magistratsvertreter vor 
gehaltenen Ausdruck „Baracken" nur gebraucht habe, um dadurch 
zum Ausdruck zu bringen, daß man Bauten mit nur einem 
Erdgesäioß im Gegensatz zu den ein oder zwei Stockwerkaufbauten 
enthaltenden Pavillons wünsche bezw. für ausreichend erachte. Im 
übrigen seien die Barackenbauten zu teuer, bedürfen höhere Amortisations 
raten und ließen sich auch nicht so aufbauen, daß sie selbst im Winter 
hinreichenden Schutz gegen starke Kälte gewährten. Denn auch — 
und dies sei der zweite Gegensatz zum Magistrat — im Winter solle 
der Betrieb stattfinden, weil, wie auch der neueste Bericht über die 
städtischen Heimstätten besagen, die Erfolge im Winter und. Sommer 
die gleichen seien bezw. weil sogar der Betrieb im Winter dringender 
erscheine als im Sommer. Denn gerade im Winter sei das Bedürfnis 
des Aufenthaltes in geräumigen und hygienischen Anstalten anstatt in 
engen Wohnungen ungleich größer als im Sommer. Man sei dann 
auch in der Lage, der doppelten Anzahl Kinder, als der Magistrat 
beabsichtige, die Gesundheit zu erhalten, wenngleich auch selbst diese 
doppelte Anzahl nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sei. 
Am schlechtesten abgeschnitten habe in dieser Vorlage der Arzt, 
er werde nicht einmal erwähnt, es sei nur von einer Gemeindeschwester 
die Rede, die eventuell einzugreifen habe. Da niemand werde in 
Abrede stellen können, daß bei einem dauernden Vorhandensein einer 
großen Anzahl von Kindern ein Arzt unbedingt nötig sei, so werde für 
einen solchen auch ein bescheidenes Sprechzimmer zu beantragen sein. 
Gänzlich unzureichend sei die Badeanlage. Wenn man annehme, 
daß von 200 Kindern etwa 150 wöchentlich zweimal werden baden 
müffen, so würden 300 Bäder wöchentlich bezw. 50 Bäder täglich zu 
verabreichen sein. Da jede Wanne täglich zu 10 Bäder ausgenutzt 
werden könnte, so würden 5 Wannen erforderlich sein. 
Indes, diese Ausführungen wurden von anderer Seite als zu 
sehr ins einzelne gehend bezeichnet. Es wurde darauf hingewiesen, 
daß man sich in allererster Linie klar sein müsse, für welche Art 
von Kindern man die Anlage schaffen wolle, und das gehe schon 
aus den früheren Beratungen hervor: man wolle Heimstätten 
für Kinder schaffen und zwar für solche Kinder, die bis jetzt teils 
aus den Mitteln der Armendirektion, teils aus den Mitteln des 
Spezialetals 49 in Erholungsstätte» und ähnlichen der Kranken- 
pflege und der Genesendenfürsorge dienende Anstalten geschickt 
wurden, für solche also, die die Ferienkolonien nicht aufnehmen. 
In beiden Etats seien für diese Zwecke bedeutende Mittel 
flüssig gemacht, über deren zweckmäßige Verwendung durch auswärtige 
Anstalten der diesseitigen Verwaltung jede Kontrolle fehle. Man 
solle sich von dieser Art der Verwendung städtischer Gelder möglichst 
entlasten dadurch, daß man eigene Anstalten zur Unterbringung solcher 
Kinder baue. Mit einer solchen Heimstätte, die man auch Sanatorium 
oder Schulsanatorium nennen könne, in festen Gebäuden, solle man 
hier den Anfang machen, weitere, zunächst solche für Lungenkranken 
verdächtige Kinder, werden folgen. Aufzunehmen seien schwächliche, 
kränkliche und genesende Kinder beiderlei Geschlechts, ohne Alters 
unterschied. Aerztliche Aufsicht sei erforderlich, Schulunterricht sei nur 
so weil zu erteilen, als die Kinder zur Teilnahme hieran imstande 
seien und habe sich auf die Erhaltung des bisher Gelernten zu be 
schränken. 
Eine Waldschule nach Art der Eharlottcnburger habe man ja früher 
bereits abgelehnt und nachgewiesen, daß eine solche für Berliner Kinder 
sich nicht eigne. Auch habe Charlottcnburg mit derselben schlechte Erfah 
rungen gemacht insofern, als man dorr jetzt eingestehc, daß das tägliche 
Hin- und Herfahren in Wind, Weiter, Regen, die im Walde genossene 
Erholung wieder aufhebe, so daß mmi jetzt zu dem Verbleiben der 
Kinder über Nacht in der Waldschule übergehen wolle. Eine der 
artige Einrichtung — die der heutigen Vorlage gleichkäme — habe 
man für Berlin aber bereits im Jahre 1905 abgelehnt. 
Die Magistralsvorlage stelle nichts weiter dar, als eine Er 
weiterung der Ferienkolonien, welche skrofulösen, blutarmen und der- 
gleichen Kindern, denen im Ellernhause die sorgfältige Ernährung 
und gute Pflege nicht zu teil werden könne, einen mehrwöchenilichcn 
Aufenthalt in einem See- oder Svolbade gewährten. Deren habe 
man aber genug. 
Richtiger wäre es gewesen, so schloß Redner, diese Vorlage nicht
	        
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