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amr würde wohl kaum erlang! werden können, weil die Errichtung
eines solchen so stark verzögert worden wäre, wie sollte man die
Uebertragung der Wohlsahrtsangelegenheiten erhalten, wenn man sich
weigerte, bei dieser Gelegenheit den Ansang mit einem Gesundheits-
amt zu machen. Wegen der irrigen Meinung der Ueberhebung, der
Uebertreibung der Forderungen an ein städtisches Gesundheitsamt und
dem Mangel an einem festen Programm wäre die Vorlage von der
Versammlung in den Ausschuß zurückverwiesen worden.
Auch von anderer Seite wurde darauf hingewiesen, daß nunmehr
6 Jahre an dem neuen Amte gearbeitet worden wäre. Hätte man
dasselbe vor 2 oder 3 Jahren fertig gestellt, so wäre der Stadt-
gemeinde ivahrscheinlich die legale Aufsicht über das gesamte Gesund
heitswesen übertragen worden, wodurch das Amt ein ganz anderes
Ansehen in der Bürgerschaft erhalten hätte. Vor allem sollte man
aber vermeiden, eine Deputation oder ein Kuratorium gleichen oder
ähnlichen Namens einzusetzen. Man müßte aber dem Direktor eine
autoritative Stellung einräumen. Auch die Besetzung der Stellen mit
Assistenten wäre nicht gerade vorteilhaft für das neue Institut, um so
mehr als die vielen chemischen und analytischen Untersuchungen,
welche jetzt bei den städtischen Krankenhäusern ausgeführt werden
mußten, alle an das neue Amt abgegeben würden, wodurch die
Krankenhäuser davor bewahrt würden, als Lehranstalten für allerlei
Experimente zu gelten.
Nunmehr wurde folgender Antrag als Programm für die Ein
richtung des neuen Amtes und als Ergänzung der Magistratsvorlage,
welche das beste wäre, was bisher vorgeschlagen wäre, eingebracht:
I. Die Versammlung erklärt sich mit dem Antrage des Magistrats
vom 28. November 1906 mit der Maßgabe einverstanden,
1. daß das Unterjuchungsamt für Nahrungsmittel, Genußniittel und
Gcbrauchsgegenstände hinfort als „Hygienisch-chemisches Unter
suchungsamt der Stadt Berlin" bezeichnet wird,
2. daß für den Betrieb und die Leitung des Amtes
») ein Chemiker als Direktor mit einem Anfangsgehall von
12000 M,
b) 2 Abteilungsvorsteher für je eine bakteriologisch-hygienische und
eine chemisch-analytische Abteilung mit einem Amangsgehalt
von je 6000 M, sowie
e) 10 Assistenten (2 Bakteriologen, 1 Chemiker, I Hydrologe für
die bakteriologisch-hygienische Abteilung und 2 Nahrungsmittel-
chemiker. 1 Chemiker für Landwirtschaft, 1 Chemiker für Technik,
1 Pharmakoperst, 1 Physiker für die chemisch-analytische Ab
teilung) mit einem Anfangsgehalt von 8 000 M, Höchstgehalt
5 000 jK, zu erreichen nach 20 Dienstjahren in 10 Steigungen
von je 2 Jahren zu je 200 Jl, sobald die natürliche Ent-
Wickelung des Amtes es erfordert, eingestellt werden.
Von anderer Seite wurde dagegen der Antrag gestellt:
II. Das neue Institut entweder mit „Gesundheitsamt" oder
„Hygienisches Institut und Untersuchungsamt der Stadl Berlin" zu
bezeichnen.
In der Begründung wurde ausgeführt, daß das Amt als
„Nahrungsmitteluntersuchungsamt nicht gefährdet werde, wenn noch
andere Sachen als nur Nahrungsmittel zur Untersuchung hinein
gebracht würden. Man müßte das Institut soweit wie irgend
möglich ausgestalten, weil dies doch der Stadt vor allen Dingen zu
gute käme. Es läge ganz und gar fern, dem Amte eine exekutive
Macht einzuräumen, noch eine besondere Deputation hierfür einzu-
setzen. Das Amt sollte nicht nur ein Untersuchungsamt werden,
sondern auch eine beratende Tätigkeit ausüben. Es müßte z. B. die
einschlägige Fachliteratur nicht nur durchsehen und verfolgen, sondern
vor allem die gezogenen Resultate auf ihre Brauchbarkeit hin prüfen.
Auch die Kosten, welche jetzt durch das Gesetz, betreffend die
Isolierung der Typhuskranke, der Stadtgemeinde auferlegt würden,
hätten durch eine rechtzeitige Anregung seitens des Untersuchungs-
amtes und eine dementsprechende Einrichtung sicherlich bedeutend ver
mindert werden können.
Hiergegen wurde aber eingewendet, daß die Bezeichnung „hygie
nisches Institut" den Begriff über den Umfang des neuen Instituts
zu sehr einschränken würde. Das neue Amt diene doch nicht allein
sanitären Einrichtungen. Man sollte z. B. bei dem außerordentlichen
Verbrauch der Stadt an Kohlen, dieselben nicht nur auf die Erzeugung
von Leuchtgas, sondern auch auf ihre Heizkraft hin prüfen lasten.
Wie vorteilhaft wäre es, die Nahrungsmittel, die in städtischen An
stalten verbraucht werden, auf ihren Nährwert untersuchen und erproben
zu laffen. Demgemäß wurde der Antrag gestellt:
III. das Untersuchungsamt für Nahrungsmittel kurz mit „Unter
suchungsamt der Stadt Berlin" zu bezeichnen.
Der Herr Oberbürgermeister führte nunmehr aus, daß die
Meinungen im allgemeinen nicht so weit auseinander gingen. Alle wären
darüber einig, daß ein Nahrungsmitleluntersuchungsamt
dringend notwendig wäre, und daß sich in dieser Beziehung die
Stadt Berlin in gewisser Rückständigkeit befände. Bei allen
praktischen und gewerblichen Fragen des täglichen Lebens könnte
das Nahrungsmittelamt eine Rolle spielen. Wie viele Verträge
würden in dieser Hinsicht geschlossen, woraus dann wiederum Streitig
keiten entständen. Wünschenswert wäre es, eine Stelle zu haben,
welche durch ein unbeeinflußtes Gutachten derartige Meinungsver
schiedenheiten beilegen könnte. Aber auch im Jntcreffe der Stadt
wäre das neue Institut mit Freude zu begrüßen. Nur dürfte man
aber auch nicht über das Ziel hinausschießen. Wenn man noch so
einen tüchtigen Direktor an die Spitze des Instituts stellen würde,
so hätte ein von diesem noch so sachgemäß und vorzüglich abgegebenes
Gutachten, ein Gesetz wie die Isolierung der Typhuskranken wohl
kaum verhindern können. Und darum dürfte das Amt nicht ein
lediglich wiffenschaftliches Institut werde». Dasselbe hätte sich viel-
mehr in den Dienst der Stadt zu stellen und praktische Fragen zu lösen.
Für die reine Wissenschaft hätte der Staat zu sorge». Vor allem
wäre es aber ausgeschloffen, mit diesem Institut eine besondere Ver
waltungsstelle zu schaffen. Aus keinen Fall dürfte das neue Institut
den vorhandenen Deputationen und dem Magistrat übergeordnet sein.
Von diesen Gesichtspunkten aus wäre es gleichgültig, mit welchem
Namen man das neue Amt belegen will. Auch die Einrichtung von
besonderen Abteilungen mit Abteilungsvorstehern wäre zunächst noch
nicht unumgänglich notwendig. Der Direktor könnte ja nach einiger
Zeit, sobald die Anstalt erst einmal gearbeitet habe, mit den nötigen
Vorschlägen an die Behörde herantreten, sonst könnte es sich er
eignen, daß man für die Abteilungsvorsteher Kräfte gewonnen
hätte, die man nachher nicht vollauf beschäftigten könnte.
Der Leiter der Anstall müßte neben seiner wiffenschaftlicheii
Bildung vor allen Dingen über eine gediegene Praxis verfügen, da
diese von großer Bedeutung für das neue Institut wäre. Jedenfalls
sollte es eine Anstalt zur Untersuchung von Gebrauchsgcgenständen
werden und man würde versuchen, es öffentlich im Sinne des NahrungS-
Mittelgesetzes zu prätendieren, und die Strafgelder zum Teil wenigstens
für die Stadt beanspruchen.
Der Herr Magistratsoertreier fügte noch hinzu, daß der Umfang
des Untersuchungsamtes beim Polizeipräsidium bedeutend kleiner ge-
worden wäre, da schon jetzt verschiedene Sachen der Landespolizei
behörde überwiesen würden.
Von verschiedenen Seiten wurde den vorherigen Ausführungen
lebhaft zugestimmt und folgender Antrag gestellt:
IV. Die Versammlung erklärt sich mit dem Antrage des Magistrais
mit der Maßgabe einverstanden:
1. daß das Untersuchungsamt ?c. hinfort als „Städtisches Unter-
suchungsamt" bezeichnet wird,
2. daß für den Untersuchungsbetrieb k. ein Direktor mit einem
Anfangsgehalr von 12000 Jt,
3. je nach Bedarf Abteiliingsvorsteher für die chemische, physikalische
und bakteriologische Abteilung mit einem Ansangsgehalt von
6 000 Jt,
4. eine erforderliche Anzahl von Assistenten
eingestellt werden.
Ein fernerer Antrag ging dahin, daß Amt
V. Städtisches Untersuchungsamt für Gebrauchsgegenstände und
Gesundheitspflege,
zu benennen.
Gegen denselben wurde ausgeführt, daß man es bei dem Aus-
schußantrage — das Amt „Gesundheitsamt der Stadt Berlin" zu be
zeichnen — belassen sollte, da gerade der Name „Untersuchungsamt
oder Gesundheitsamt" von großer Wichtigkeit für das neue Institut
sei. Würde man ein Untersuchungsamt einrichten, so würde man
hierdurch nur eine subalterne Behörde gründen, die im Rahmen der
Auftraggeber arbeitet. Dies wäre durchaus kein Vorteil für die
Stadt. Nur ein Anlt, das imstande wäre, wissenschaftliche Fragen
auszuwerfen und neue Anregungen über hygienische Verbefferungen
zu geben, stände auf der Höhe der Zeit. Ein solches Amt müßte
aber den Namen „Städtisches Gesundsheitsamt" beanspruchen.
Ein nunmehr gestellter Schlußantrag gelangte zur Annahme.
Daraufhin wurde zur Abstimmung geschritten und zwar darüber, ob
das neue Amt „Untersuchungs- oder Gesundheitsamt" zu nennen -sei.
Die Bezeichnung „Gesundheitsamt" wurde mit 8 Stimmen ange
nommen. Nunmehr kam indes zur Erörterung, daß die Annahme
der Bezeichnung „Gesundheitsamt" leicht zu Mißverständnissen mit
bezug auf die übrigen Anträge führen könnte und so wurde zwecks
nochmaliger Erörterung der einzelnen Anträge die Sitzung vertagt.
G. w. o.
Paul.
Zu 133.
II.
Verhandelt Berlin, den 19. Februar 1907.
Anwesend:
Stadtverordnetenvorsteher vr. Langerhans, Vorsitzender.
Stadtverordneter Dr. Paul, Vorsitzenderstellvertretcr,
• Wurm,
- Dr. Ritter.
Modler.
- Dr. Weyl.
- Runge,
- Sökeland,
HHonnm