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von Berlin, eingesetzte Ausschuß hat heute seine erste Sitzung gehalten,
an deren Beginn der Vorsitzende auf Grund der zur Verhandlung
stehenden ausführlichen Vorlage vom 10. Juni er. — Drucksache 406 —
die Umstände kennzeichnete, welche den Magistrat veranlaßt haben, die
Hineinziehung eines Theiles des Charlottenburger Weichbildes — im
' Wesentlichen des 18. Charlottenburger Stadtbezirks bis ungefähr in
die Nähe des Zoologischen Gartens — in das Radialsystem VII der
Kanalisation zu beantragen. Dem sich hieran anschließenden Vorschlage
des Vorsitzenden, zunächst in eine Generaldebatte einzutreten, stimmte
der Ausschuß zu und wurde hierbei Folgendes ausgeführt:
Als die Versammlung am 14. Oktober 1880 dem Projekte zum
Bau des Radial-Systems VII zustimmte, sei sie allerdings von dem
Gesichtspunkte ausgegangen, daß der Anschluß des damals schon im
Aufschwünge begriffenen 18. Charlottenburger Stadtbezirks an die
Berliner Kanalisation nur eine Frage der Zeit sein werde. Die ganze
Anlage des Radialsystems VII trage dieser Eventualität insofern
Rechnung, als die Hauptkanäle innerhalb des Weichbildes von Berlin
dementsprechend größere Dimensionen erhalten hätten und danach auch
die Größe des Maschinen- und Kesselhauses der Pumpstation bemessen
worden sei. Diese Einrichtungen seien damals von der Versammlung
anstandslos genehmigt worden. Heute sei die Situation jedoch eine
wesentlich andere, nachdem die Gemeinde Charlottenburg für ihr
Territorium im Prinzip die Schwemmkanalisation beschlossen habe, und
dränge sich demzufolge die Frage auf, ob es nicht vortheilhafter gewesen
wäre, bereits im Jahre 1880, bevor die größeren Ausgaben seitens der
Stadtgemeinde Berlin gemacht wurden, mit den Gemeindebehörden von
Charlottenburg wegen des Anschlusses des mehrerwähnten 18. Stadt
bezirks an die Kanalisation vertragsmäßig abzuschließen, während jetzt
die Befürchtung nahe liege, daß, wenn Charlottenburg von dem Anschluß
Abstand nimmt, die für den diesseitigen Bedarf zu groß hergestellten
Anlagen sich nicht rentircn würden. Ob die Stadt Berlin sich unter
diesen Umständen nicht in einer gewissen Zwangslage, Charlottenburg
gegenüber, befinde und inwieweit die finanziellen Gesichtspunkte maß
gebend für die Entschließungen der städtischen Behörden sein möchten,
dies müßte wohl zunächst der Erörterung unterzogen werden. Es
wurde hierbei nicht unerwähnt gelassen, daß auch Charlottenburg einen
ganz wesentlichen Vortheil von dem Anschlüsse an die Kanalisation
haben würde, als sich dadurch die Möglichkeit ergebe, ein umfangreiches
Gebiet anbaufähig zu machen, und dieser Vortheil sei vielleicht noch
größer, als derjenige Berlins, das die Verunreinigung des Schifffahrls-
kanals los würde und seine Äanalanlagen rentabler ausnutzen könnte.
Seitens des Herrn Stadtbauraths wurde hierauf erwidert, daß die
östliche Seile des Radialsystems VII einen rechten Winkel bilde, dessen
einer Schenkel von Charlottenburger Terrain und dessen anderer
Schenkel von Schöneberger Terrain begrenzt werde. Bei Aufstellung
des Projekts für die Kanalisation habe es nun nahe gelegen, an die
Hineinziebung der einspringenden Theile dieser Nachbargemeinden in
die Kanalisation zu denken, da technische Schwierigkeiten durchaus nicht
vorlagen und auch die Bodenformation dies begünstigte. Also auch
im Jahre 1880 habe man sich in voller Kenntniß der Situation be
funden, so daß von einer gegenwärtigen Zwangslage für Berlin nicht
zu sprechen sei. Gegenüber der großen Kostensumme, welche die Er
bauung des Nadialsystcms VII beansprucht, sei es gewiß von nicht
erheblicher Bedeutung, ob ein Kanal eine Weite von l,so m habe, oder
eine solche von I,bo m. Die Mehrkosten seien verschwindend gering,
man könnte vielleicht sagen, es hätte diese oder jene kleine Summe
erspart werden können, eine Zwangslage folgere daraus aber noch
lange nicht. Maßgebend für Berlin sei allerdings auch das finanzielle
Interesse, und da empfehle cs sich denn, ein Abkommen zu wessen,
durch welches für Berlin keine besonderen Kosten entstehen, welches es
aber ermöglicht, aus den weit ab von der Pumpstation bclcgenen
kleinen Zweigleitungen Jntraden zu ziehen, die die früher anfgenendcten
Kosten hinlänglich verzinsen werden.
Im Uebrigcn rckapitulirte der Herr Stadtbaurath die Einzel
positionen, aus denen sich die Gesammtkosten zusammensetzet, welche
der Berechnung der von Charlottenburg zu zahlenden B-träge zu
Grunde gelegt sind — vide Vorlage Seite 380, Spalte rechts —
indem er die Summen der einzelnen Positionen mittheilte. Hieraus
ergab sich, wie allerseits anerkannt wurde, die entschiedene Wahrung
der Finanzinteressen der Stadt Berlin.
Demgegenüber ging eine Ansicht dahin, daß die Zustimmung dazu
nicht gegeben werden könne, Theile von Nachbargemeindm mit den
Wohlthaten der Kanalisation zu beglücken, so lange noch xroße Stadt
theile von Berlin selbst die Kanalisation entbehren müßten und so
lange die Rieselfclderfrage noch nicht unzweifelhaft erledigt sei. In
Moabit z. B., wo alle Vorbedingungen zu einer größeren Bebauung
vorhanden seien, lasse die Kanalisirung noch immer auf sich warten,
dagegen gewinne es den Anschein, als sollten dem Westen alle die
Vortheile zugewendet werden, die zu seiner Entwickelrng beizutragen
im Stande sind. Wenn auch erfahrungsmäßig die Vergrößerung der
Städte in westlicher Richtung vor sich zu gehen pflege so müßte doch
wenigstens der Norden und der Osten nicht so untabunden werden,
wie hier thatsächlich durch Vorenthaltung der Kamlisation geschehe.
Jetzt handle es sich nur um einen Stadtbezirk von Lharlottenburg, es
werde aber vermuthlich nicht lange dauern, dann werde in größerem
Maßstabe das Verlangen nach Anschluß von Theilen der Nachbar
gemeinden, von Charlottenburg und Schöneberg, hervortreten und dem
müsse man vornherein zu begegnen suchen.
Diesen Standpunkt vermochten die sämmtlichen übrigen Mitglieder
des Ausschusses nicht einzunehmen.
Was speziell den Einwand betrifft, daß in Berlin selbst noch in
verschiedenen Stadttheilen die Kanalisation noch nicht zur Ausführung
gelangt sei, so theilte der Herr Stadtbaurath mit, daß die Projekte
für die Kanalisation von Moabit, der Gegend in der Müllerstraße
und im äußersten Osten bereits seit Jahren fertiggestellt seien und
gegenwärsig den Staatsbehörden zur Genehmigung vorlägen, im
Radialsystem X — Gegend der Schönhauser Allee — aber schon jetzt
kanalisirt werde.
Man machte sich auch im Uebrigcn klar, daß die aus der
Configuration der nachbarlichen Grenzen sich ergebenden Schwierig
keiten nur durch einen Vertrag mit Charlottenburg, wie ihn der
Magistrat vorschlage, dem unzweifelhaft ein ähnlicher Vertrag mit
Schönebcrg folgen müsse, aus. der Welt geschafft werden könnten.
Die Verhältnisse in Bezug auf das angrenzende Schöneberger Gebiet
lägen, so meinte man, fast noch ungünstiger, weil einzelne Straßen,
wie z. B. die Ziethenstraße, die Moystraße, sich zur einen Hälfte auf
Berliner, zur andern Hälfte auf Schöneberger Gebiet befänden, so
daß Theile des Berliner Gebiets gar nicht entwässert werden könnten,
wenn die Erlaubniß zur Anlage von Kanälen auf Schöueberger Gebiet
verweigert würde. Dies seien ganz unhaltbare Verhältnisse, welche zu
unendlichen Streitigkeiten führten und durch welche die Berliner
Besitzer bedeutend geschädigt würden.
Auch die sanitäre Frage falle hier ganz erheblich ins Gewicht.
Die Bemühungen der Stadt Berlin, den Schifffahrtskanal rein zu
halten, würden vollständig vergeblich sein und die dafür aufgewendeten
Kosten würden unnütz ausgegeben sein, wenn es abgelehnt werden
sollte, den qu. 18. Stadtbezirk in die Kanalisation hineinzuziehen, für
den der Schifffahrtskanal eben die Vorfluth bilde. Die jetzt vor
handenen, allgemein bekannten Uebelstände würden also einfach auf
unabsehbare Zeit hinaus conservirt werden. Man müsse hierbei ferner
erwägen, daß das aufzunehmende Gebiet im Verhältniß zu dem übrigen
Theile von Charlottenburg höchst ungünstig gelegen sei, wodurch ein
für das Charlottenburger Territorium aufzustellendes Kanalisarions-
projekt nicht unwesentlich vertheuert werde. Es werde deshalb die
Besorgniß erweckt, daß dieser Theil zuletzt in Angriff genommen, wenn
nicht ganz ausgelassen und in ihm ein anderes, für Berlin ungünstigeres
Entwässerungssystem eingeführt werden möchte, nicht zu vergessen die
fernerweite Verunreinigung des Schifffahrtskanals. Dazu komme noch
der Umstand, daß aus der Zeit vor Uebernahme der Straßen und der
Straßenbaupolizei seitens der Berliner Stadtgemeinde noch alte, auch
Charlottenburger Terrain entwässernde Anlagen im Berliner Weich
bilde bestehen, deren Fortbestand nur durch den Anschluß des 18. Stadt
bezirks an das Radialsystem VII zu beseitigen sei.
Ferner sei der Hauptgrund des fortgesetzten Drängens von Grund
besitzern in dem hier in Rede stehenden Stadtgebiet auf Einverleibung
nach Berlin darin zu suchen, daß man hofft, der Vortheile der Kanali
sation schneller theilhaftig zu werden. Derartige Anträge auf Jn-
kommunalisirung würden sofort wieder stärker hervortreten, sobald ein
Anschluß an die Kanalisation aussichtslos geworden oder in unbestimmte
Ferne gerückt sei. Hiernach müsse man zugestehen, daß es wechsel
seitige Interessen seien, welche Berlin sowohl wie Charlottenburg ver
anlassen, ein Abkommen zu treffen, wie es nach der Vorlage geplant
werde. Daß einem solchen Abkommen die noch nicht geklärte Be-
riesclungsfrage entgegenstehen solle, konnte nicht zugegeben werden. Die
Schwemmkanalisation bedinge nun einmal die Berieselung und die sich
dabei ergebenden Schwierigkeiten würden mit der Zeit überwunden
werden, was in England ja schon fast gelungen sei. Ebenso sei das
Bedenken, es möchte leicht der Anschluß größerer Terrains der Nachbar-
gemeinden verlangt werden, nicht begründet. Das Radialsystem VII
umfasse mit Einschluß der jetzt ins Auge gefaßten Theile von Char-
lottcnburg und Schöneberg ein in sich geordnetes systematisches Ganzes,
wie es durch die natürliche Bodenformation bedingt werde und technisch
ausführbar sei. Alles, was darüber hinausgehe, sei bisher entschieden
abgelehnt worden und werde auch ferner abgelehnt werden.
Schließlich wurde noch bemerft, daß es einer Stadt wie Berlin
nicht wohl anstehe, nur weil sie selbst noch einige nicht kanalistrte
Stadttheile hat und aus anderen untergeordneteren Rücksichten, sich den
ohne besondere eigene Unkosten erfüllbaren Wünschen einer Nachbar
gemeinde gegenüber ablehnend zu verhalten. Man wolle nicht ver
gessen, daß Berlin gezwungen ist, mit seinem Wasserzuleitungsrohr
durch Charlottenburger und mit dem Kanalisationsdruckrohr durch
Schöneberger Gebiet hindurchzugehen.
Aus allen diesen Gründen hat der Ausschuß mit allen gegen eine
Stimme beschlossen, im Prinzip der Versammlung den Anschluß eines
Theils des Charlottenburger Gebiets an die Kanalisation von Berlin
zur Genehmigung zu empfehlen.
Die Berathung der Grundsätze für einen dieserhalb mit der Ge
meinde Charlottenburg abzuschließenden Vertrag ist einer späteren