Path:
Volume No. 61 (617-633), 3. Oktober 1885

Full text: Vorlagen für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin (Public Domain) Issue1885 (Public Domain)

537 
. .. 
von Berlin, eingesetzte Ausschuß hat heute seine erste Sitzung gehalten, 
an deren Beginn der Vorsitzende auf Grund der zur Verhandlung 
stehenden ausführlichen Vorlage vom 10. Juni er. — Drucksache 406 — 
die Umstände kennzeichnete, welche den Magistrat veranlaßt haben, die 
Hineinziehung eines Theiles des Charlottenburger Weichbildes — im 
' Wesentlichen des 18. Charlottenburger Stadtbezirks bis ungefähr in 
die Nähe des Zoologischen Gartens — in das Radialsystem VII der 
Kanalisation zu beantragen. Dem sich hieran anschließenden Vorschlage 
des Vorsitzenden, zunächst in eine Generaldebatte einzutreten, stimmte 
der Ausschuß zu und wurde hierbei Folgendes ausgeführt: 
Als die Versammlung am 14. Oktober 1880 dem Projekte zum 
Bau des Radial-Systems VII zustimmte, sei sie allerdings von dem 
Gesichtspunkte ausgegangen, daß der Anschluß des damals schon im 
Aufschwünge begriffenen 18. Charlottenburger Stadtbezirks an die 
Berliner Kanalisation nur eine Frage der Zeit sein werde. Die ganze 
Anlage des Radialsystems VII trage dieser Eventualität insofern 
Rechnung, als die Hauptkanäle innerhalb des Weichbildes von Berlin 
dementsprechend größere Dimensionen erhalten hätten und danach auch 
die Größe des Maschinen- und Kesselhauses der Pumpstation bemessen 
worden sei. Diese Einrichtungen seien damals von der Versammlung 
anstandslos genehmigt worden. Heute sei die Situation jedoch eine 
wesentlich andere, nachdem die Gemeinde Charlottenburg für ihr 
Territorium im Prinzip die Schwemmkanalisation beschlossen habe, und 
dränge sich demzufolge die Frage auf, ob es nicht vortheilhafter gewesen 
wäre, bereits im Jahre 1880, bevor die größeren Ausgaben seitens der 
Stadtgemeinde Berlin gemacht wurden, mit den Gemeindebehörden von 
Charlottenburg wegen des Anschlusses des mehrerwähnten 18. Stadt 
bezirks an die Kanalisation vertragsmäßig abzuschließen, während jetzt 
die Befürchtung nahe liege, daß, wenn Charlottenburg von dem Anschluß 
Abstand nimmt, die für den diesseitigen Bedarf zu groß hergestellten 
Anlagen sich nicht rentircn würden. Ob die Stadt Berlin sich unter 
diesen Umständen nicht in einer gewissen Zwangslage, Charlottenburg 
gegenüber, befinde und inwieweit die finanziellen Gesichtspunkte maß 
gebend für die Entschließungen der städtischen Behörden sein möchten, 
dies müßte wohl zunächst der Erörterung unterzogen werden. Es 
wurde hierbei nicht unerwähnt gelassen, daß auch Charlottenburg einen 
ganz wesentlichen Vortheil von dem Anschlüsse an die Kanalisation 
haben würde, als sich dadurch die Möglichkeit ergebe, ein umfangreiches 
Gebiet anbaufähig zu machen, und dieser Vortheil sei vielleicht noch 
größer, als derjenige Berlins, das die Verunreinigung des Schifffahrls- 
kanals los würde und seine Äanalanlagen rentabler ausnutzen könnte. 
Seitens des Herrn Stadtbauraths wurde hierauf erwidert, daß die 
östliche Seile des Radialsystems VII einen rechten Winkel bilde, dessen 
einer Schenkel von Charlottenburger Terrain und dessen anderer 
Schenkel von Schöneberger Terrain begrenzt werde. Bei Aufstellung 
des Projekts für die Kanalisation habe es nun nahe gelegen, an die 
Hineinziebung der einspringenden Theile dieser Nachbargemeinden in 
die Kanalisation zu denken, da technische Schwierigkeiten durchaus nicht 
vorlagen und auch die Bodenformation dies begünstigte. Also auch 
im Jahre 1880 habe man sich in voller Kenntniß der Situation be 
funden, so daß von einer gegenwärtigen Zwangslage für Berlin nicht 
zu sprechen sei. Gegenüber der großen Kostensumme, welche die Er 
bauung des Nadialsystcms VII beansprucht, sei es gewiß von nicht 
erheblicher Bedeutung, ob ein Kanal eine Weite von l,so m habe, oder 
eine solche von I,bo m. Die Mehrkosten seien verschwindend gering, 
man könnte vielleicht sagen, es hätte diese oder jene kleine Summe 
erspart werden können, eine Zwangslage folgere daraus aber noch 
lange nicht. Maßgebend für Berlin sei allerdings auch das finanzielle 
Interesse, und da empfehle cs sich denn, ein Abkommen zu wessen, 
durch welches für Berlin keine besonderen Kosten entstehen, welches es 
aber ermöglicht, aus den weit ab von der Pumpstation bclcgenen 
kleinen Zweigleitungen Jntraden zu ziehen, die die früher anfgenendcten 
Kosten hinlänglich verzinsen werden. 
Im Uebrigcn rckapitulirte der Herr Stadtbaurath die Einzel 
positionen, aus denen sich die Gesammtkosten zusammensetzet, welche 
der Berechnung der von Charlottenburg zu zahlenden B-träge zu 
Grunde gelegt sind — vide Vorlage Seite 380, Spalte rechts — 
indem er die Summen der einzelnen Positionen mittheilte. Hieraus 
ergab sich, wie allerseits anerkannt wurde, die entschiedene Wahrung 
der Finanzinteressen der Stadt Berlin. 
Demgegenüber ging eine Ansicht dahin, daß die Zustimmung dazu 
nicht gegeben werden könne, Theile von Nachbargemeindm mit den 
Wohlthaten der Kanalisation zu beglücken, so lange noch xroße Stadt 
theile von Berlin selbst die Kanalisation entbehren müßten und so 
lange die Rieselfclderfrage noch nicht unzweifelhaft erledigt sei. In 
Moabit z. B., wo alle Vorbedingungen zu einer größeren Bebauung 
vorhanden seien, lasse die Kanalisirung noch immer auf sich warten, 
dagegen gewinne es den Anschein, als sollten dem Westen alle die 
Vortheile zugewendet werden, die zu seiner Entwickelrng beizutragen 
im Stande sind. Wenn auch erfahrungsmäßig die Vergrößerung der 
Städte in westlicher Richtung vor sich zu gehen pflege so müßte doch 
wenigstens der Norden und der Osten nicht so untabunden werden, 
wie hier thatsächlich durch Vorenthaltung der Kamlisation geschehe. 
Jetzt handle es sich nur um einen Stadtbezirk von Lharlottenburg, es 
werde aber vermuthlich nicht lange dauern, dann werde in größerem 
Maßstabe das Verlangen nach Anschluß von Theilen der Nachbar 
gemeinden, von Charlottenburg und Schöneberg, hervortreten und dem 
müsse man vornherein zu begegnen suchen. 
Diesen Standpunkt vermochten die sämmtlichen übrigen Mitglieder 
des Ausschusses nicht einzunehmen. 
Was speziell den Einwand betrifft, daß in Berlin selbst noch in 
verschiedenen Stadttheilen die Kanalisation noch nicht zur Ausführung 
gelangt sei, so theilte der Herr Stadtbaurath mit, daß die Projekte 
für die Kanalisation von Moabit, der Gegend in der Müllerstraße 
und im äußersten Osten bereits seit Jahren fertiggestellt seien und 
gegenwärsig den Staatsbehörden zur Genehmigung vorlägen, im 
Radialsystem X — Gegend der Schönhauser Allee — aber schon jetzt 
kanalisirt werde. 
Man machte sich auch im Uebrigcn klar, daß die aus der 
Configuration der nachbarlichen Grenzen sich ergebenden Schwierig 
keiten nur durch einen Vertrag mit Charlottenburg, wie ihn der 
Magistrat vorschlage, dem unzweifelhaft ein ähnlicher Vertrag mit 
Schönebcrg folgen müsse, aus. der Welt geschafft werden könnten. 
Die Verhältnisse in Bezug auf das angrenzende Schöneberger Gebiet 
lägen, so meinte man, fast noch ungünstiger, weil einzelne Straßen, 
wie z. B. die Ziethenstraße, die Moystraße, sich zur einen Hälfte auf 
Berliner, zur andern Hälfte auf Schöneberger Gebiet befänden, so 
daß Theile des Berliner Gebiets gar nicht entwässert werden könnten, 
wenn die Erlaubniß zur Anlage von Kanälen auf Schöueberger Gebiet 
verweigert würde. Dies seien ganz unhaltbare Verhältnisse, welche zu 
unendlichen Streitigkeiten führten und durch welche die Berliner 
Besitzer bedeutend geschädigt würden. 
Auch die sanitäre Frage falle hier ganz erheblich ins Gewicht. 
Die Bemühungen der Stadt Berlin, den Schifffahrtskanal rein zu 
halten, würden vollständig vergeblich sein und die dafür aufgewendeten 
Kosten würden unnütz ausgegeben sein, wenn es abgelehnt werden 
sollte, den qu. 18. Stadtbezirk in die Kanalisation hineinzuziehen, für 
den der Schifffahrtskanal eben die Vorfluth bilde. Die jetzt vor 
handenen, allgemein bekannten Uebelstände würden also einfach auf 
unabsehbare Zeit hinaus conservirt werden. Man müsse hierbei ferner 
erwägen, daß das aufzunehmende Gebiet im Verhältniß zu dem übrigen 
Theile von Charlottenburg höchst ungünstig gelegen sei, wodurch ein 
für das Charlottenburger Territorium aufzustellendes Kanalisarions- 
projekt nicht unwesentlich vertheuert werde. Es werde deshalb die 
Besorgniß erweckt, daß dieser Theil zuletzt in Angriff genommen, wenn 
nicht ganz ausgelassen und in ihm ein anderes, für Berlin ungünstigeres 
Entwässerungssystem eingeführt werden möchte, nicht zu vergessen die 
fernerweite Verunreinigung des Schifffahrtskanals. Dazu komme noch 
der Umstand, daß aus der Zeit vor Uebernahme der Straßen und der 
Straßenbaupolizei seitens der Berliner Stadtgemeinde noch alte, auch 
Charlottenburger Terrain entwässernde Anlagen im Berliner Weich 
bilde bestehen, deren Fortbestand nur durch den Anschluß des 18. Stadt 
bezirks an das Radialsystem VII zu beseitigen sei. 
Ferner sei der Hauptgrund des fortgesetzten Drängens von Grund 
besitzern in dem hier in Rede stehenden Stadtgebiet auf Einverleibung 
nach Berlin darin zu suchen, daß man hofft, der Vortheile der Kanali 
sation schneller theilhaftig zu werden. Derartige Anträge auf Jn- 
kommunalisirung würden sofort wieder stärker hervortreten, sobald ein 
Anschluß an die Kanalisation aussichtslos geworden oder in unbestimmte 
Ferne gerückt sei. Hiernach müsse man zugestehen, daß es wechsel 
seitige Interessen seien, welche Berlin sowohl wie Charlottenburg ver 
anlassen, ein Abkommen zu treffen, wie es nach der Vorlage geplant 
werde. Daß einem solchen Abkommen die noch nicht geklärte Be- 
riesclungsfrage entgegenstehen solle, konnte nicht zugegeben werden. Die 
Schwemmkanalisation bedinge nun einmal die Berieselung und die sich 
dabei ergebenden Schwierigkeiten würden mit der Zeit überwunden 
werden, was in England ja schon fast gelungen sei. Ebenso sei das 
Bedenken, es möchte leicht der Anschluß größerer Terrains der Nachbar- 
gemeinden verlangt werden, nicht begründet. Das Radialsystem VII 
umfasse mit Einschluß der jetzt ins Auge gefaßten Theile von Char- 
lottcnburg und Schöneberg ein in sich geordnetes systematisches Ganzes, 
wie es durch die natürliche Bodenformation bedingt werde und technisch 
ausführbar sei. Alles, was darüber hinausgehe, sei bisher entschieden 
abgelehnt worden und werde auch ferner abgelehnt werden. 
Schließlich wurde noch bemerft, daß es einer Stadt wie Berlin 
nicht wohl anstehe, nur weil sie selbst noch einige nicht kanalistrte 
Stadttheile hat und aus anderen untergeordneteren Rücksichten, sich den 
ohne besondere eigene Unkosten erfüllbaren Wünschen einer Nachbar 
gemeinde gegenüber ablehnend zu verhalten. Man wolle nicht ver 
gessen, daß Berlin gezwungen ist, mit seinem Wasserzuleitungsrohr 
durch Charlottenburger und mit dem Kanalisationsdruckrohr durch 
Schöneberger Gebiet hindurchzugehen. 
Aus allen diesen Gründen hat der Ausschuß mit allen gegen eine 
Stimme beschlossen, im Prinzip der Versammlung den Anschluß eines 
Theils des Charlottenburger Gebiets an die Kanalisation von Berlin 
zur Genehmigung zu empfehlen. 
Die Berathung der Grundsätze für einen dieserhalb mit der Ge 
meinde Charlottenburg abzuschließenden Vertrag ist einer späteren
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.