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ganz hervorragenden Einfluß auf die Begrenzung der Schadenfeuer
gehabt durch die größere Manövrirfähigkeit und größere Löschwirkung
im Vergleich zu den bisherigen gewöhnlichen Löschzügen.
Der Versuchslöschzug wird nachstehend in Bezug auf seine Aus
rüstung und seine Vorzüge gegenüber den bisherigen Löschzügen kurz
charakterisirt.
Den Zug bilden folgende 3 Fahrzeuge:
1. Eine zweispännigc Gas- und Dampfspritze mit 1 Ober-
Maschinisten, 1 Heizer, 2 Feuermännern, 1 Fahrer, welche
bei einer Leistungsfähigkeit von ca. 500 Liter Wasser pro
Minute in jedem Moment dadurch betriebsfähig ist, daß
die Dampfpumpe durch einen auf dem Fahrzeug mitgeführten
Vorrath an flüssiger Kohlensäure in Betrieb gesetzt werden
kann, bis sich der zum dauernden Betriebe erforderliche Dampf
druck entwickelt hat. Das für einen etwa 4 stündigen Betrieb
erforderliche Brennmaterial wird auf der Spritze selbst mit
geführt.
2. Ein zweispänniger Tender (Wassertender) mit 1 Oberfeuer
mann, 4 Feuermännern, 1 Fahrer, welcher das für den
ersten Angriff erforderliche Wasser (etwa 850 Liter), das
Schlauchmaterial für 2 Angriffs-Schlauchleitungen, sämmtliches
Geräth für die Wasserversorgung aus der Wasserleitung, den
öffentlichen Brunnen und den öffentlichen Wasserläufen, sowie
2 Hakenleitern führt.
3. Ein zweispänniger Geräthewagen mit 1 Oberfeuermann,
4 Feuermännern, I Fahrer, welcher eine mechanische Leiter
und diejenigen Geräthschaften mitfährt, welche gegenwärtig
theils auf dem Personenwagen, theils auf dem Utcnsilien-
wagen untergebracht sind.
Die mechanische Leiter kann bis zu 24 Meter Höhe und zwar
nach jeder Richtung hin, sowie in jeder beliebigen Steigung überall
da verwendet werden, wo der Raum zur Aufstellung des Fahrzeuges
selbst vorhanden ist.
Ein Vergleich dieses Löschzuges mit den bisherigen Löschzügcn
— aus Spritze, Wasserwagen und Personenwagen bestehend — ergiebt
folgende Vorzüge bei mindestens gleicher, wenn nicht gar größerer
Schnelligkeit des ersten Angriffs:
1. Es kann ein Schlauch-Angriff und ein Rettungsmanöver
zu gleicher Zeit ausgeführt werden, während mit dem bisherigen
Löschzug nur entweder das Eine oder das Andere geschehen
konnte.
2. Das Rettungsmanöver kann sich in jedes Stockwerk und selbst
auf das Dach erstrecken ohne Behinderung durch auskragende
Gesimse, weit überstehende Dächer und verstellte Fenster,
was mit den Hakenleitern allein unmöglich ist.
3. Die mechanische Leiter ermöglicht die Herstellung von stabilen
und leicht passirbaren Angriffswegen gegen das Feuer, unab
hängig von den Treppen-Anlagen.
4. Jeder Zug kann ein Schadenfeuer mit 2 Schlauchleitungen
zugleich angreifen, wobei sich die Löschkraft für jeden Schlauch
bis auf 250 Liter Wasser pro Minute nach Bedarf steigern
läßt, während der bisherige Löschzug bei längerer Arbeits
dauer nur einen Schlauch mit höchstens 150 Liter Wasser
pro Minute zu versehen vermag.
5. Die Arbeitskraft zur Zuführung des Wassers, der Dampf,
behält selbst bei der andauerndsten Löscharbeit seine ursprüng
liche Energie, während die Druckmannschaften bei mehr
stündiger Arbeit unabweislich einer Ablösung bedürfen.
6. Die größere Löschwirkung und die erhöhte Manövrir-
Fähigkeit erfordert trotzdem eine geringere Bedienungs
mannschaft als der bisherige Löschzug, und zwar eine Wach
besetzung incl. der Ablösung und Reserve von 30 Köpfen
gegenüber einer Wachbcsetzung von 40 Köpfen für jeden
einzelnen Löschzug. Dagegen müssen allerdings sämmtliche
Mannschaften eine technische Vorbildung für den Löschdienst
erhalten und höher zu löhnenden Auforderungen entsprechen,
während dies bei den Druckmannschaften (der sogenannten
Spritzenmänner) nicht in dem Umfange erforderlich ist, da
dieselben der Hauptsache nach als rein mechanische Druckkraft
zur Verwendung gelangen.
Bei einer etwaigen allgemeinen Einführung der verbesserten
Löschzüge würden daher die Spritzenmänner überhaupt in Wegfall
kommen, gegenüber einer entsprechenden Vermehrung des technisch
vorgebildeten Personals.
Die sub 6 nachgewiesene Möglichkeit der Verminderung der
personellen Kräfte für den einzelnen Löschzug bei gleichzeitiger
Erhöhung der Wirksamkeit des letzteren ist es hauptsächlich gewesen,
welche die Abtheilung veranlassen mußte, dem Gegenstände das regste
und angestrengteste Interesse zuzuwenden.
Die Vorschläge des diesseitigen „Promemoria, betreffend die Er
höhung der Leistungsfähigkeit der Feuerwehr vom Jahre 1876", haben
im Princip die Zustimmung des Königlichen Polizei-Präsidiums sowie
der städtischen Behörden gefunden.
Die Errichtung der NebendcpotS an der Apostel-Kirche, in der
Odcrbergerstraße und in der Mciuelcrstraßc, sowie das Hauptdcpots in
der Schöncbergcrstraße, ist im Wesentlichen auf der Grundlage dieser
Vorschläge zur Ausführung gekommen.
Bei der überaus schnellen Vermehrung sowohl der bebauten Grund
stücke als auch der Bcvölkerungszahl erscheint es dringend geboten, die
Gesammt-Organisatiou mit thunlichster Beschleunigung zu Ende zu
führen, um allen Gebieten der Stadt einen möglichst gleichmäßigen
Schutz gegen Feuergefahr zu gewähren. Es bedarf hierzu der Errichtung
je eines Nebcndepots am Görlitzer Bahnhof; im Südosten nahe der
Bärwald- und Urbanstraße; nordöstlich des Friedrichhaines, und der
Vermehrung der Wachbcsetzung des Centraldepots, Lindciistraßc 41,
um einen Löschzug. Letzteres ist bisher nur mit einem gewöhnlichen
Löschzug und mit einem Dampfspritzciizug belegt, also ganz ebenso
wie die übrigen 4 Hauptdcpots, während es dringend nothwendig ist,
bei mehreren gleichzeitigen Feuern »och eine stets bereite Reserve zu
haben. Die Zahl der Fälle, in denen mehrere Feuer gleichzeitig
zur Meldung gekommen sind, hat sich naturgemäß in den letzten Jahren
vermehrt und wird mit dem weiteren Anwachsen der Stadt auch für
die Folge zunehmen.
Unter Beibehaltung der bisherigen Löschzügc würde der jetzige
Personal-Etat noch ausreichen, um das Nebendepot am Görlitzer-
Bahnhof zu besetzen, während für die Besetzung der dann noch zu
formirenden 3 Löschzüge unabweislich eine Erhöhung des Personal-
Etats eintreten müßte, und zwar für jeden Löschzug um I Brand
meister und 40 Mann, in Summa also rund um 130 000 Jt pro Jahr.
Bei allgemeiner Einführung der neuen Löschzüge würde die
Organisation dagegen zum Abschluß gebracht werden können, ohne
irgend welche Erhöhung des Etats gegenüber dem Etat pro 1884/85.
Die Anlage 1 veranschaulicht den Jahresetat, wie er sich nach
vollständiger Durchführung der Gesammtorganisation unter Zugrunde
legung der neuen Löschzüge gestaltet, unter Vergleich der einzelnen
Positionen mit dem Etat pro 1884/85, wobei sich noch eine Ver
minderung des ersteren um rund 15 000 JC herausstellt.
Etwaige erläuternde Bemerkungen sind den bezüglichen Etats-
Positionen unmittelbar beigefügt. Es wird hierbei nochmals hervor
zuheben sein, daß die Löschwirkung jedes einzelnen Zuges auf mehr
als das Doppelte der bisherigen Züge erhöht wird, während die
Manövrir-Fähigkeit für Rettung von Menschenleben und für Her
stellung von Angriffswegen zur Bekämpfung des Feuers über jeden
Vergleich erhöht wird.
Was nun die allmälige Ueberführung der jetzigen Ausrüstung in
die Ausrüstung mit den neuen Geräthen anbetrifft, so liegen die
Verhältnisse derart, daß auch hierfür besondere Geldbewilligungen
nicht erforderlich sind. Diese Umgestaltung läßt sich vielmehr in
einem Zeitraum von etwa 6 Jahren aus den Etatsmitteln bewirken,
wenn dieselben auf diese Zeit in der Höhe zur Verfügung gestellt
werden, wie sie der Etat pro 1884/85 ausweist und die vorhandenen
Ersparnisse aus der Umgestaltung der Mieth-Gespanne in eigene
Gespanne für den ersten Ankauf der neuen Löschgeräthe zur Ver
fügung gestellt werden.
Es ist selbstverständlich unmöglich, einen genau zutreffenden
Anschlag für diese allmälige Umgestaltung anzustellen, da das Fort
schreiten derselben in erster Linie von der Heranbildung der Bedienungs
mannschaften abhängt; die Anlage 2 wird indessen immerhin ein
annäherndes Bild über den Verlauf dieser Umgestaltung geben, unter
der Voraussetzung, daß die Zustimmung der maßgebenden Behörden
noch innerhalb der ersten 3 Monate des laufenden Etatsjahres erfolgt.
Die vorstehende Denkschrift wird unter Hinweis auf die Anlagen 1
und 2 in folgenden Anträgen resümirt:
1. Es wird die Genehmigung ertheilt, die aus der Umgestaltung
der Bespannung verfügbar gebliebene Summe von circa
15 000 M, zur Anschaffung von Löschgeräthen neuer
Konstruktion zu verwenden.
2. Die Titel 3 bis 6, umfassend die Gehälter des Executiv-
Personales, der Titel 9, Bekleidung, und der Titel 10,
Bespannung, werden auf die Dauer von 6 Jahren in der
für das Jahr 1884/85 besttmmten Höhe zur Verfügung
gestellt mit der Ermächtigung, die Ersparnisse eines Jahres
auf das folgende zu übertragen und zur Ueberführung in
den Normal-Etat, Anlage 1, sowie zum Ankauf neuer Lösch
geräthe zu verwenden.
3. Es wird die Genehmigung ertheilt, den Erlös aus den nach
und nach überzählig werdenden Löschgeräthen alter Kon
struktion zur Beschaffung neuer Löschgeräthe zu verwende». -
Der Abtheilung für Feuerwehr dürfte aufzugeben sein, während
der Uebergangsperiode im Januar jeden Jahres einen specificirten
Personal - Etat für das folgende Etatsjahr nach Maßgabe der bereits
erfolgten Umgestaltung von Löschzügen vorzulegen, auf Grund dessen
die Zahlungslisten für das betreffende Etatsjahr aufgestellt werden können.
Berlin, den 3. April 1884.
König!. Polizei-Präsidium, Abtheilung für Feuerwehr,
gez. Witte,
Major a. D. und Branddirector.