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Volume No. 30 (219-230), 14. April 1883

Full text: Vorlagen für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin (Public Domain) Issue1883 (Public Domain)

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Trottoir und Steinpflaster mit hinabgerissen habe", ist dahin richtig zu 
stellen, daß die Versackung des Pflasters von der Verlegung von Wasser 
leitungsröhren herrührt, bei welcher ein alter Kanal durchbrochen 
worden ist; ebenso hängt der gemeldete Einsturz des Pflasters vor dem 
Hause Brunnenstraße am Nosenthaler Thor, wo sogar „2 Frauen ver 
schüttet, aber glücklich noch gerettet worden", mit einer alten außer 
Thätigkeit gesetzten Anschlußleitung, welche nicht genügend vermauert 
war, zusammen. 
Das Sprengen von Kanalisationsröhren, wovon schon vielfach und 
zu verschiedenen Zeiten in der Presse Mittheilung gemacht worden, 
gehört vollständig in das Gebiet sensationeller Fabeln. 
In einzelnen Gebieten, aus welchen Beschwerden laut geworden 
sind, ist die Kanalisation noch nicht fertig und eine perfekte Funktionirung 
derselben kann somit nicht erwartet werden. In dieser Beziehung ist 
besonders zu beachten, daß die in den alten Rinnsteinen hoch hinaus 
stehenden neuen Gullyroste vielfach die bestehende alte Rinnstein-Ent 
wässerung hindern und erschweren, und daß durch diese alten Rinnstein 
anlagen jetzt noch das Regenwasser den neuen Leitungen an Stellen 
zugeführt wird, welche hierfür nicht bestimmt sind. — 
II. Beurtheilung. 
Angesichts der vorerwähnten Thatsachen, deren Umfang und Be 
schaffenheit, ist — so beispielsweise nach meinem Bericht über eine 
Sitzung des Hausbesitzervereins im Norden — die Ansicht ausgesprochen 
worden, die Kanäle und Leitungen, mit einem Wort die ganze Kana 
lisation sei zu klein dimensionirt. 
Darüber ist Folgendes zu bemerken: 
Für Berlin ist ein Regcnfall von Vs Zoll pro Stunde — 22,ss mm 
bei Berechnung der Kanalisation zu Grunde gelegt worden, dabei jedoch 
angenommen worden, daß in Folge von Verdunstung und Versickerung, 
sowie von verlangsamtem Abfluß nur V- der durch diesen Regenfall 
gebildeten Wasscrmcngc — V-« Zoll der Leitungen während der 
Regendauer zufließt. 
Für die Heftigkeit eines Regens, als eines Naturereignisses, giebt 
es eine bekannte Grenze nicht; wo die Technik gegen die Fluthen an 
zukämpfen hat, welche Wolkcnbrüchc verursachen, deren Intensität, 
Dauer und Ausdehnung unbekannt ist, kann sie nicht jeder Möglichkeit 
vorbeugen; sie muß sich daraus beschränken, innerhalb gewisser ange 
nommener Grenzen zu bleiben und das Erreichbare zu thun; Damm 
brüche, Ueberschwemmungen, Zerstörung von Dörfern, Gebäuden, Eisen 
bahnen und Eisenbahndämmcn, Brücken rc. wiederholen sich vieler Orten 
von Jahr zu Jahr. 
Noch weniger giebt es eine bekannte Grenze für die Höhe des 
Rcgenfalles in einer minimalen Zeitdauer, also etwa in einer Secunde; 
alle Beobachtungen, welche gemacht worden sind, beziehen sich mit wenigen 
Ausnahmen auf die Dauer eines Tages; eine Regenhöhc, welche danach 
auf I Secunde, d. h. aus ^ Tagesregenhöhe repartirt wird, 
ist aber wiederum so gering, daß aus ihr sicher eine Ueberfüllung der 
Leitungen entstehen kann. 
Nun existiren zwar auch einige Angaben, welche Regenhöhen in 
kürzerer Frist, einer halben oder einer ganzen Stunde, mittheilen; es 
sind diese Angaben aber aus in der Sache liegenden Gründen zumeist 
sehr wenig zuverlässig. 
Doch wenn auch diese Angaben zuverlässig wären, so erschöpfen 
sic doch in keiner Weise die Frage, um die es sich handelt; cs müßte 
sich vielmehr die Beantwortung auch darauf erstrecken, welche räum 
liche Ausdehnung in einem zusammenhängenden Entwässerungsgebiet 
ein solcher intensivster Regen hat, und welche absolute Dauer er bei 
gleicher Intensität hat. 
Von Bedeutung für die Kanalisation ist es dann ferner, ob bei 
Beginn des Regens schon durch einen vorangegangenen Regenfall die 
Leitungen gefüllt waren oder nicht rc. — 
Aus diesen Betrachtungen ergeben sich eine Reihe von Combina 
tionen, die mehr oder minder ungünstig sein können; das Maß der 
ungünstigsten liegt, weil es eben unbekannt ist, außerhalb einer Berechnung. 
Wollte man aber auch es als Aufgabe ansehen, jedem wolkenbruch 
artigen Regen, er möge so heftig, so dauernd, so ausgedehnt sein, wie 
er wolle, in den Dimensionen der Leitungen Rechnung zu tragen, so 
würde man zwei Ucbelstände begegnen resp. diese Uebelstände schaffen, 
welche mit größeren Nachtheilen, als sie ein gelegentlicher Rückstau er 
zeugt, verknüpft sind 
Als solche Uebclständc bezeichnen wir: 
1. daß Leitungen, welche den denkbar größesten Wassermengen 
genügen, d. h. also vielleicht in einer oder zwei Stunden im 
Jahre den Vortheil bieten, daß sie groß genug sind, an den 
übrigen Tagen des Jahres wegen ihrer unverhältnißmäßigen 
Größe ungeeignet sind, das Minimum an Hauswasser in regen- 
freier Zeit so abzuführen, daß sich nicht Sedimentirungen, 
Verschlammungen, Fäulniß der Sedimente und damit sanitäre 
Nachtheile ergeben; 
2. daß wenigstens in einigermaßen größeren Entwässerungs- 
gcbieten die gewöhnlichen Straßenbreiten zu gering sind, um 
solche Leitungen, namentlich die Stammleitungen, aufnehmen 
zu können; es sind beispielsweise hier Stammkanäle ausgeführt, 
deren äußere Breite mehr als 5 m beträgt, und daraus möchte 
sich wohl ergeben, daß die Zugrundelegung einer größeren 
Regenmenge für die Berechnungen, als solche hierorts geschehen, 
zu Dimensionen führen würde, welche entweder garnicht oder 
nur mit den größten Schwierigkeiten, Nachtheilen und Kosten 
festgehalten werden könnten. 
Die Frage entsteht nun: welche Nachtheile können daraus entstehen, 
daß die Leitungen nicht für die denkbar größeste Regenwassermenge 
dimensionirt sind? 
Nimmt man, wie hier, ein im Ganzen ebenes Terrain, hohen 
Grund- und Flußwasserstand, damit ein minimales Gefälle und folge 
richtig das ungünstigste Verhältniß für die Fortbewegung des Wassers 
an, so ergiebt sich, daß die größeste Rückstauhöhe doch nur gleich der 
Höhe bis zum Straßenterrain resp. ev. wenige Centimeter höher sein 
kann. Es würden also auch in diesem Falle die Straßen und die 
Häuser, soweit letztere über Straßenniveau stehen, vollständig ent 
wässert werden; von der Entwässerung ausgeschlossen blieben die 
unter Straßenniveau belegenen Gebäudetheile, die Keller. Doch auch 
hier muß beachtet werden, daß der Fall fehlender Entwässerung, wenn 
überhaupt, so doch nur ein oder einige Male im Jahre und dann meist 
nur für die Dauer einer viertel oder halben Stunde eintritt. 
Hierzu bemerken wir aber: 
Die rechtliche Begründung der Forderung, jederzeit auch für Keller- 
anlagen eine vollständige Entwässerung zu haben, fehlt unseres Er 
achtens vollständig; wer in die Erde hineinbaut zu seinem Nutzen und 
seinem Vortheil und zwar, wie es der Fall ist, unbefchränkt tief, event. 
Keller über Keller, kann nicht von der Kommune verlangen, daß sie, 
um auch hier zu entwässern, Unmögliches leiste oder mindestens un 
erhörte Kosten der Gesammtheit zu Gunsten Einzelner auferlege; wenn 
das Recht eines Einzelnen, in die Tiefe hineinzubauen, ein unbeschränktes 
ist, so kann es keine Pflicht Anderer geben, mit diefem Rechte gleichen 
Schritt zu halten. Vortheilhaft aber ist im öffentlichen Interesse eine 
derartige Kellerbenutzung gewiß nicht, welche in derselben eine besondere 
Entwässerungsanlage nöthig macht, namentlich liegt gewiß kein Grund 
vor, dem Unwesen der Kellerwohnungen mit Küchenausgüssen und 
Closets in irgend einer Weise Vorschub zu leisten. Dementsprechend 
wird hier in einem jeden Consens für Anschluß einer Hausleitung 
generell die Bedingung aufgenommen, daß bis zu einer gewissen abso 
luten Höhe, — wechselnd in verschiedenen Stadttheilen, in Radial- 
System I bis zu -ff 4 m 
tt II n " -ff 4 m 
n HI ff ft 1 3,5 m 
w IV » „ -ff 3,5 m 
„ V „ „ -ff 4,6 m 
— überhaupt keine Ausgüsse rc. angelegt werden dürfen, zwischen dieser 
absoluten Höhe aber und dem Straßenniveau Ausgüsfe rc. nur angelegt 
werden können, wenn sich der Hausbesitzer durch entsprechende Konstruk- 
ffonen gegen den Rückstau der Effluvien in das Gebäude schützt. 
Erwägt man also, daß Mangels einer bekannten äußersten Grenze 
für die Höhe des Rcgenfalles eine allen Fällen entsprechende Dimcn- 
fionirung der Leitungen überhaupt unmöglich erscheint, — daß event, 
aber eine solche Dimensionirung mit Nachtheilen verknüpft sein würde, 
welche die erwarteten Vortheile übersteigen, — daß einer unterirdischen 
Entwässerung immer nur die Aufgabe gestellt werden kann, die Straßen 
und die Grundstücke über Terrain jederzeit zu entwässern, daß aber 
auch erfahrungsmäßig bei den in der Berliner Kanalisation angewen 
deten Dimensionen im Allgemeinen alle Keller während des ganzen 
Jahres mit Ausnahme weniger Stunden thatsächlich entwässern, so 
kann dem Urtheil, daß die Leitungen nicht genügend dimensionirt seien, 
nicht beigetreten werden. 
Schließlich darf der Umstand nicht unerwähnt bleiben, daß die 
rapid zunehmende Zahl asphaltirter Straßen und solcher mit Holz 
pflaster oder bestem cemcntirten Steinpflaster in Menge und Geschwin 
digkeit des von demselben abfließenden Regcnwassers eine nachthcilige 
Aenderung für die Kanalisation herbeiführt, auf welche wenigstens bei 
dem Projectiren derselben nicht gerechnet war. 
Was die Straßenleitungen anbetrifft, so kann heute und gerade 
nach den Erfahrungen dieses Jahres, welches denselben wohl die 
äußersten Zumuthungcn gemacht hat, mit Befriedigung konstatirt werden, 
daß sie sich nicht allein vollkommen intact erhalten haben, sondern auch, 
daß sie die ihnen zugeführten außerordentlichen Regenwassermengen 
leicht und schnell bewältigt und abgeführt haben. Der zur Dichtung 
der Muffen in den Thonrohrleitungcn verwendete Thon hat sich nach 
den gemachten Beobachtungen bei vielfachen gelegentlichen Ausgrabungen 
behufs Ausführung später beantragter Hausanschlußlcitungen als voll 
ständig unverletzt, als dicht und überhaupt als zweckentsprechend gezeigt; 
es setzt freilich die Anwendung von Thondichtungen bei Röhren unter 
einem gewissen Druck (hierorts etwa V- Atmosphäre) einen entsprechen 
den äußeren Gegendruck des Erdreichs, in welches das Rohr ein 
gebettet ist, voraus; wo dieser Erddruck fehlt, oder durch anderweitige 
Bauausführungen (Verlegung von Gas- und Wasscrleitungsröhren 
namentlich) vermindert wird, kann bei den Straßenleitungen so gut 
wie bei den Hausanschlußleitungen ein Hinausdrücken des Thones und 
damit ein Undichtwerden der Muffe eintreten. Doch muß hier bemerkt 
werden, daß der Thon, welcher zur Dichtung der Muffen verwendet 
am 
Damm- 
mühlen- 
Pcgel
	        
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