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Es würde vielmehr in der Weise vorzugehen sein, daß zuvörderst
die definitive Feststellung neuer geeigneter Wahlbezirke, sowie die Aus
stellung der Wählerlisten bezw. alle sonstigen zur Vornahme der Wahl
erforderlichen Vorbereitungen vorgenommen werden, und daß in diesen
neu festgestellten Wahlbezirken demnächst unmittelbar nach Auflösung
der Stadtverordneten-Versammlung die Neuwahlen stattfinden.
Die Vornahme der Abgrenzung neuer Communalwahlbezirke fällt
nach ß. 14 der Städteordnung vom 30. Mai 1853 den Magistraten zu;
die den letzteren so gewährte Befugniß aber schließt die Verpflichtung
ein, mit solchen Abgrenzungen, sobald sie im öffentlichen Interesse er
forderlich werden, in sachgemäßer Weise thatsächlich vorzugehen.
Was den in Folge meiner Aufforderung vom 6. December v. I.
unterm 22. desselben Monats vorgelegten vorläufigen Entwurf eines
Tableaus neuer Communalwahlbezirke anlangt, so wird in demselben
auf die nach den gegenwärtigen Steuerleistungen der Berliner Gemeinde
wähler rechnungsmäßig ermittelten Durchschnittszahlen ein zu entschei
dendes Gewicht gelegt, während anscheinend der Gesichtspunkt thunlichster
Festhaltung der sich aus historischer Entstehung und Interessengemein
schaft ergebenden Stadttheilsbegrenzungen dagegen zu sehr in den
Hintergrund getreten ist.
Wenn nach §. 14 der Städteordnung die Grenzen der Communal
wahlbezirke nach Maßgabe der Zahl der stimmfähigen Bürger festgesetzt
werden sollen, so schließt das doch keineswegs aus, daß daneben —
wie dies bei der erstmaligen Abgrenzung der Berliner Wahlbezirke
thatsächlich geschehen ist — ein erhebliches Gewicht auch auf eine natur
gemäße innere Zusammengehörigkeit der betreffenden einzelnen Bezirke
gelegt werde. Es muß vielmehr, da die Zahl der stimmfähigen Bürger
der einzelnen Wahlabtheilungen und die Vertheilung derselben; auf
die verschiedenen Stadtgegenden unausgesetzten erheblichen Schwankungen
unterworfen sind, eine ausschließliche Berücksichtigung nur jenes ersteren
Gesichtspunktes gerade auch zu dauernder Sicherung des Nächstliegenden
Zweckes als nicht geeignet erscheinen.
Gleichartige Erwägungen aber führen ferner dahin, ein erheblicheres
Gewicht auch darauf zu legen, daß die Wahlbezirke für die Wähler der
verschiedenen Abtheilungen in ihren Begrenzungen auch in der Folge,
soweit möglich und grundsätzlich zusammenfallen. Die von dem Magistrat
in Aussicht genommene Zahl von je 14 Wahlbezirken erscheint für die
erste und zweite Abtheilung der Wähler nicht unangemessen, für die
dritte Abtheilung mit Rücksicht auf die große Zahl der derselben ange
hörenden Wähler dagegen unzureichend.
Auf Grund dieser Erwägungen ist für sachgemäß zu erachten, daß
einerseits nach Maßgabe der gegenwärtigen Zahl der stimmfähigen
Bürger, andererseits aber unter Berücksichtigung der historischen Ent
stehung und innern Zusammengehörigkeit der einzelnen Stadttheile je
14 Wahlbezirke gleichmäßig für die beiden ersten Wahlabtheilungen
gebildet und die so sich ergebenden Bezirke für die Wahlen der dritten
Abtheilung durchweg in 3 Unterbezirke getheilt werden. Es würde
durch eine derartige Eintheilung auch den in der Stadtverordneten-
Versammlung bei Berathung dieses Gegenstandes am 23. März d. I.
hervorgetretenen Anschauungen im Wesentlichen Rechnung getragen
werden.
Indem ich den Magistrat hiernach ergebenst ersuche, ein den gegebenen
Gesichtspunkten entsprechendes anderweites Wahlbezirkstableau gefälligst
ausstellen und vorlegen zu wollen, bemerke ich schließlich, daß auf eine
möglichste Beschleunigung dieser Angelegenheit entschiedenes Gewicht
gelegt wird und sehe deshalb einer gefälligen Mittheilung über den
weiteren Verlauf derselben jedenfalls binnen 3 Wochen ergebenst entgegen.
Der Oberpräsident, Staatsminister
gez. Achenbach.
An den Magistrat zu Berlin.
II.
Berlin, den 11. Juni 1882.
Die uns in dem geehrten Erlaß vom 31. Mai er. (O. P. 4779)
durch Euer Excellenz im Aufträge des Herrn Ministers des Innern
gemachte Eröffnung:
daß das Königliche Staatsministerium die Absicht habe, auf
Grund des §. 79 der Städteordnung bei Sr. Majestät dem
Könige die Auflösung der hiesigen Stadtverordneten-Versamm
lung zu beantragen, um die demnächst erforderlichen Neuwahlen
in verändert abgegrenzten Wahlbezirken stattfinden zu lassen,
hat uns mit ernster Besorgniß erfüllt. Wir würden die Pflichten gegen
das große Gemeinwesen, dessen Verwaltung uns obliegt, zu verletzen
glauben, wenn wir mit dem Aussprechen dieser Besorgniß zurückhielten.
Sie entspringt aus unserer Auffassung einerseits der rechtlichen Fragen,
welche bei jener Maßregel erwogen werden müssen, andererseits der
thatsächlichen Folgen, welche die Ergreifung derselben herbeiführen
würde.
In Betreff der für die Rechtsfragen in Betracht kommenden ge
setzlichen Bestimmungen geht der Herr Minister des Innern von der
Ansicht aus, daß der 8-79 der Städteordnung vom 30. Mai 1853
nicht lediglich als ein eine „Strafmaßregel" vorsehendes Gesetz zu be
trachten sei, und daß die Fassung des §. 21 al. 3 eine Anwendung
lediglich auf die regelmäßigen Ergänzungs- und Ersatzwahlen, nicht
aber auf die im Falle des 8-79 anzuordnenden Neuwahlen zulasse.
Wir meinen, daß das Eine wie das Andere mit guten Gründen
bestritten werden kann.
Was zunächst die Bedeutung des 8-79 betrifft, so spricht unseres
Erachtens schon die Stellung, welche er in dem Gesetze einnimnit, für
eine entgegengesetzte Auffassung. Der 8- 77 behandelt die Fälle, in
welchen die nächste Aufsichtsbehörde befugt sein soll, die Beanstandung
von Beschlüssen der Stadtverordneten-Versammlung durch den Vorstand
der Stadtgemeinde herbeizuführen; 8- 78 giebt ihr das Recht, in ge
wissen vom Gesetz bestimmten Fällen der Stadtkasse gegen den Willen
der Stadtverordneten Ausgaben aufzuerlegen;, 8- 79 endlich giebt dem
Könige das Recht, auf Antrag des Staatsministeriums die Auflösung
einer Stadtverordneten-Versammlung zu verordnen.
Die drei Paragraphen bilden in diesem Zusammenhang einen
Klimax sowohl in Betreff der zum Handeln berufenen Staatsorgane
als der von ihnen vorzunehmenden Handlungen. Es erscheint der
unbefangenen Auffassung nichts natürlicher, als daß nach dem Sinn
des Gesetzes auch die thatsächlichen Voraussetzungen für diese Hand
lungen einen Klimax bilden sollten, und daß wie die 88- 77 und 78,
so auch der 8- 78 eine Verschuldung der Stadtverordneten voraussetzt
und zwar eine schwerere, gegen die nur durch das radicale Mittel der
Auflösung reagirt werden kann.
Diese Auffassung — zu welcher wir nicht in Folge von Ein
wendungen aus demSchooße der Stadtverordneten-Versammlung, sondern
auf Grund unserer wiederholten sachlichen Erwägung gelangt sind —
wird durch die Entstehungsgeschichte der ftaglichen gesetzlichen Be
stimmung nicht widerlegt, sondern sehr wesentlich unterstützt.
Eine dem 8-79 der jetzt geltenden Städteordnung analoge Be
stimmung enthielt bereits die revidirte Städteordnung vom 17.März1831.
8- 83 derselben lautet:
Sollte eine Stadiverordneten-Versammlung fortwährend
ihre Pflichten vernachlässigen und in Unordnung
oder Partheiung verfallen, so werden Wir sie nach
genauer Untersuchung auflösen, die Bildung einer neuen
Versammlung nach Befinden wieder anordnen, und die
Schuldigen auf gewisse Zeit oder für immer für unfähig zu
einer neuen Wahl erklären. Außerdem bleibt in dazu ge
eigneten Fällen die gerichtliche Rüge vorbehalten.
Als demnächst im Jahre 1848 der erste Versuch zur Herstellung
einer allgemeinen Gemeinde-Ordnung gemacht wurde, schlug der am
13. August 1848 der zur Vereinbarung der Verfassung berufenen Ver
sammlung vorgelegte Entwurf einer solchen im 8- 80 folgende Be
stimmung vor:
Der König kann einen Gemeindevorstand, einen Gemeinde-
rath oder einen Sammt-Gemeinderath vorläufig seiner Ver
richtungen entheben und dieselben besonderen Commissarien
übertragen. Die schließliche Bestimmung erfolgt alsdann
durch ein Gesetz.
Die Gemeinde-Ordnung kam damals nicht, sondern erst im
Jahre 1850 zu Staude. Die analoge, den Minister des Innern an
die Stelle des Königs setzende Bestimmung (8- 143) lautet:
Der Minister des Innern kann einen Gemeindevorstand,
einen Gemeinderath oder Sammt-Gemeinderath vorläufig und
auf höchstens ein Jahr seiner Verrichtungen entheben und
dieselben besonderen Commissarien übertragen. Die schlicß-
liche Bestimmung erfolgt alsdann durch ein Gesetz, dessen
Entwurf den Kämmern, sobald dieselben versammelt sind,
vorzulegen ist.
Bei der Berathung in der Ersten Kammer war die betreffende,
von der Commission derselben in wesentlicher Uebereinstimmung mit
dem Regierungsentwurfe vorgeschlagene Bestimmung von dem Bericht
erstatter unter Anderem mit folgenden Worten gerechtfertigt worden:
Die Commission ist bei ihrer Fassung von der Ansicht
ausgegangen, daß nicht bloß der Gemeinderath, sondern
auch der Gemeindevorstand sich könne in eine solche
flagrante Opposition gegen die Staatsprincipien
versetzen, daß seine Verwaltung inhibirt werden
müsse.
(Stenogr. Berichte über die Verhandlungen der durch Aller
höchstes Patent vom 5. December 1848 einberufenen Ersten
Kammer Bd. 4. S. 1991.)