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Zu Nr. 37.
V.
Verhandelt Berlin, den 28. Januar 1880.
Anwesend:
Stadtverordneten-Vorsteher Dr. Straßmann, Vorsitzender,
Stadtverordneter Wulfs Hein, Vorsitzender-Stellvertrcter,
- Krebs,
- Dr. Schultz I.,
. Beitheim,
- Dr. Kürten,
» Dr. Stryck,
, Gerth,
. Dr. Cohn,
t Dr. Neumann I.
Nicht anwesend:
Herr Stadtverordneter Loewe, entschuldigt,
. . Dr. Horwitz, entschuldigt,
- - Dietmar,
. . Dr. Virchow und
. - Hermes.
Als MagistratS-Commiffarius war Herr Stadtrath Schreiner zugegen.
In der heutigen Sitzung beschäftigte sich der Ausschuß, nachdem er
sich von Neuem constituirt hatte, mit der Vorlage des Magistrats vom
30. December v. I.
Mit dem Antrage La. hat sich der Ausschuß bereits vorweg in der
Sitzung vom 29. November v. I. einverstanden erklärt, und gegen die
Erhöhung der jetzigen Zahl der Stadtverordneten um 18, sowie gegen die
Bertheilung der 18 neuen Stadtverordneten nicht nur an die III. Wahl
abtheilung, sondern auch an die erste und zweite Abtheilung, wenn diese
uvvcrhälinißmäßig viel Wähler haben, wurde ebensowenig etwas eingewendet,
als dagegen, daß, wie der Magistrat uub I.b. der Vorlage beantragt, bei
den im Monat November d. I. eintretenden regelmäßigen Ergänzungs
wahlen die Neuwahl von 18 Stadtverordneten stattfinden soll; man war
jedoch der Meinung, daß die Wahlbezirke, resp. die Abtheilungen, welche
bei der Bertheilung der 18 neuen Stadtverordneten bedacht werden sollen,
nicht schon jetzt auf Grund der alten Listen, sondern erst nach Aufstellung
der Wahllisten für die diesjährige Ergänzungswahl bestimmt werden dürfen,
weil sich daS Zahlenverhältniß der Wähler zu einander in den einzelnen
Wahlbezirken und Abtheilungen bis dahin noch wieder verändert haben
könnte. Es müsse dem Magistrat überlassen werden, in einer entsprechen
den Anzahl von Wahlbezirken dujenigen Abtheilungen, welche nach den
auszustellenden Wahllisten die meisten Wähler enthalten, statt eines Stadt
verordneten je zwei, resp. drei Stadtverordnete wählen zu lassen.
Es wurde bei dieser Gelegenheit auch wieder darauf hingewiesen, wie
es mit Rücksicht auf die große Zahl der Wähler III. Klasse in hohem
Grade wünschenSwerth sei, daß das Verhältniß der Wählerzahl zu der Ein
wohnerzahl geprüft und festgestellt werde, ob nicht in Berlin nach der bis
herigen Wahlpraxis die Wahlberechtigung in einzelnen Wahlbezirken eine
zu große Ausdehnung erhalten habe. Wenn man auf eine nähere Unter
suchung dieser Angelegenheit eingehe, denn werde man vielleicht finden, daß
bei der Ausfüllung der Wählerlisten seitens der Hausbesitzer, resp. der
Miether, nicht immer nach der Vorschrift der Städteordnung in Bezug auf
die Wahlberechtigung verfahren worden sei, sondern daß auch Mchtwahl-
berechtigte in die Listen eingetragen seien. Sollte sich solches aber auch
Herausstellen, dem Magistrat, oder dem Wahlburcau. könne man daraus
keinen Vorwurf wachen; bei Aufstellung der Wählerlisten sei jedenfalls ganz
gesetzlich verfahren worden. Es werde sich deshalb darum handeln, daß
man das Formular zu den Wählerlisten möglichst klar und für Jedermann
verständlich mache; und vielleicht sei cs zweckmäßig, daß zu diesem Behufe
eine kleine gemischte Deputation beider Communalbehörden eingesetzt werde,
die unter Zuziehung dcS DirectorS des städtischen statistischen Bureaus die
Aufstellung der Wählerlisten für die diesjährige Ergänzungswahl vorbereite.
Die Gesichtspunkte, welche bei Ausstellung der Wählerlisten zu ver
folgen sein werden, hat der Referent in seinem Referat in der Sitzung des
Ausschusses am 10. Mai 1879 ausführlich angegeben und hier wird des
halb ein Hinweis darauf genügen.
Der Herr Magistratscommisfar erklärte sich damit einverstanden, daß
die Wahlbezirke resp. die Abtheilungen, welche bei Bertheilung der 18 neuen
Stadtverordneten bedacht werden sollen, erst auf Grund der neuen, für die
diesjährige Ergänzungswahl aufzustellenden Wählerlisten bestimmt werden;
er hält es aber für eine Sache des Magistrats, die Wahlen vorzubereiten
und widersprach deshalb der Idee: die Ausstellung der Wählerlisten durch
eine gemischte Deputation beider Communalbehörden vorbereiten zu lassen.
Wenn ihm Irrthümer irgend welcher Art bei Aufstellung der Wähler
listen nachgewiesen werden könnten, so würde der Magistrat das bisherige
Verfahren ändern, und wenn es sich um die Auslegung der gesetzlichen
Bestimmungen handeln sollte, so sei er gern bereit, die Frage: ob man in
Bezug aus die Ausdehnung des Wahlrechtes hier in Berlin zu weit ge
gangen sei, im Magistratscollegium unter Zuziehung der Herren Syndici,
entscheiden zu lassen. Die Bestimmungen der Städteordnung über die
Wahlberechtigung seien bisher vorn auf den Wählerlisten abgedruckt worden,
Berlin, den 31.
und, wenn sich die Hausbesitzer und Miether dieselben durchlescn würden,
ehe sie an die Ausfüllung der Liste gingen, so könne dabei kaum ein Irrthum
vorkommen. Jndesien, man möge ihm specielle Vorschläge zu einer besseren
Aufstellung der Wählerlisten machen und er werde dieselben soweit als mög
lich berücksichtigen. Der Einsetzung einer gemischten Deputation müsse er
aber widersprechen. Im Ausschüsse wurde hierauf hervorgehoben, daß die
Einsetzung einer gemischten Deputation ganz unbedenklich sei. Der Ma-
gistrat selbst habe diesen Weg in der Pferdeeisenbahn.Angelegenheit be
schritten, um schneller ein Einverständniß beider Communalbehörden herbei
zuführen. In der vorliegenden Sache, die in den weitesten Kreisen der
Bürgerschaft lebhaftes Interesse errege, empfehle sich dieses Verfahren
erst recht.
Es liege in dem Wunsche auf Einsetzung einer gemischten Deputation
in diesem Falle durchaus kein Vorwurf für den Magistrat, und die Thätigkeit
der gemischten Deputation solle sich auch lediglich nur auf die Vorbereitung
zur Ausstellung der Wählerlisten für die diesjährige Ergänzungswahl er-
strecken, so daß von einem Eingriff in die Rechte des Magistrats als
Verwaltungsbehörde nicht die Rede sein könne. Man möge deshalb an dem
Antrage auf Einsetzung einer gemischten Deputation festhalten.
Was den Antrag ad II. in der Magistratsvorlage anlangt, so wurde
derselbe lebhaft bekämpft. Man hielt es für unwahrscheinlich, daß die Re
gierung dem Landtage eine solche Novelle zur Städteordnung vorlegen
würde. Es sei aber auch bedenklich, eine solche Einrichtung zu schaffen,
die unter Umständen auch zu politischen Zwecken gemißbraucht werden könnte.
Außerdem seien die Berliner Communalbehörden nicht berechtigt, ein Gesetz
in Vorschlag zu bringen für alle Städte, die mehr als 70 000 Einwohner
haben. Die anderen Städte verlangen ein solches Gesetz nicht und haben
möglicher Weise keine Klage über ihre Wahlbezirkseintheilung. Es liegt
überhaupt gar kein Grund vor, weshalb man in dieser Angelegenheit die
Agitation in alle großen Städte hineintragen und für die ferne Zukunft
Anordnungen treffen solle, die vielleicht ganz überflüssig seien oder doch den
derzeitigen Behörden überlassen werden könnten. Für jetzt genüge es, wenn
man nach dem Antrage ad I. verfahre; was nach 12 Jahren zu geschehen
habe, das sei ein eura posterios.
Seitens des Herrn Magistrats-CommiffariuS wurde der Antrag ad II.
lebhaft vertheidigt. Der Magistrat habe den Erlaß einer Novelle haupt
sächlich um deshalb für nothwendig erachtet, um auch für die Folge der
Agitation auf Abänderung der Communal-Wahlbezirke die Spitze abzubrechen.
Im Ausschüsse war man jedoch der Meinung, daß die fernere, für
alle Zukunft ausreichende Regelung dieser Angelegenheit lediglich der all
gemeinen Gesetzgebung vorbehalten werden müsse.
Der Ausschuß empfiehlt hiernach der Stadtvcrordneten-Versammlung
folgende Beschlußfassung:
I. Dir Versammlung erklärt sich damit einverstanden:
1. daß die jetzige Zahl der Stadtverordneten um 18 vermehrt,
also von 108 auf 123 erhöht werde;
2. daß die Zutheilung der 18 neuen Stadtverordneten an die
bestehenden, local abgegrenzten Wahlbezirke nach dem, in der
Magistratsvorlage vom 30. December 1879 ausgesprochenen
Princip erfolge, welches sub I. a., 2 o. a. O. für eine
Reihe von Wahlbezirken in Anwendung gebracht ist, in der
Weise nämlich, daß in einer entsprechenden Anzahl von
Wahlbezirken diejenigen Abtheilungen, welche nach den für
die diesjährige Ergänzungswahl aufzustellenden Wahllisten die
meisten Wähler enthalten, statt eines Stadtverordneten je
zwei, resp. drei Stadtverordnete zu wählen haben;
3. daß diese Neuwahl von 18 Stadtverordneten bei der im
November 1880 eintretenden regelmäßigen Ergänzungswahl
stattfinde und daß von diesen 18 Stadtverordneten sodann
bei der daraus folgenden nächsten Ergänzungswahl ein
Drittel, 2 Jahre später wieder ein Drittel und nach weiteren
2 Jahren das letzte Drittel ausscheide.
Die nach 2, resp. 4 Jahren Ausscheidenden werden durch
daS Loos bestimmt.
II. Zugleich ersucht die Versammlung den Magistrat, die Aufstellung
der Wählerlisten sür die diesjährige Ergänzungswahl durch eine
gemischte Deputation beider Communalbehörden vorbereiten zu
lassen.
III. Den Antrag ad II. in der Magistratsvorlage vom 30. December
1879, betreffend den Erlaß einer Gesetzesnovelle, welche eS er
möglicht, daß auf Beschluß der Communalbehörden statt einer
Ergänzungswahl eine Auflösung und vollständige Neuwahl der
StadtverordnetenVersammlung vorgenommen werden kann, lehnt
die Versammlung ab.
Eine anderweitige, für alle Zukunft ausreichende Regelung
dieser Angelegenheit muß der allgemeinen Gesetzgebung vor
behalten bleiben.
Der Druck der Ausschuß-Protokolle ist beschlossen. Das Referat für
die Stadtverordneten-Versammlung hat der Stadtverordnete Dr. Neu
mann I. übernommen.
gez. Dr. Straßmann.
Januar 1880.
Der Stadtverordneten-Vorsteher.
Dr. Straßmann
Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin.