XXI. Waisen-, Versorgungs- und Unterkünfte-Anstalten.
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36 kleineren Zimmern vorgesehen, deren Miethspreis monatlich 5—10 Jh. beträgt. Die Be
nutzung der wohnlich eingerichteten Unterhaltungsräume steht den Bewohnerinnen wie
jedem anderen anständigen Mädchen zur Unterhaltung, zum Lesen, für Handarbeiten usw.
frei. Die Küche der Anstalt dient gleichzeitig als Kochschule. Das aus Keller, Erdgeschofs
und vier Stockwerken bestehende Haus enthält im Vorderhause zur Erhöhung der Ertrags
fähigkeit Läden sowie ein Hospiz von 25 Betten für durchreisende Fremde. Die Erwärmung
der Räume erfolgt durch eine Heifs- und Warmwasserheizung. Die Hintergebäude sind in
Backsteinbau gehalten, an der Strafsenfront bestehen die Ziertheile aus sogen. Hydrosand-
stein und aus Terracotten von March in Charlottenburg. Die Gesamtkosten betrugen
235 000 Jk, was einen Einheitsbetrag von 325 JL für 1 qm bebauter Fläche und 19,50 Jt
für 1 cbm umbauten Raumes ausmacht.
• Obdachhäuser sind Anstalten, welche zur vorübergehenden, zumeist nächtlichen
Aufnahme obdachloser Personen bestimmt sind. In einer Grofsstadt mit ihren verwickelten
Lebens- und Erwerbsverhältnissen, ihrer stets wechselnden Bevölkerung namentlich in den
arbeitenden Schichten, ihrem fortwährenden Kampf um Arbeit und Lebensunterhalt giebt
cs stets einen bestimmten Procentsatz von Personen, welche infolge ungünstiger Verhält
nisse unverschuldet oder auch durch eigene Schuld in Noth gcrathen sind und zeitweise zu
derartigen Anstalten Zuflucht nehmen müssen. Die Zahl dieser Personen steigt, abgesehen
von den Schwankungen, welche durch die jeweilige wirthschaftlichc Lage bedingt sind,
fortwährend mit dem Anwachsen der Stadt und erreicht in Zeiten von Nothständen eine
ansehnliche Höhe. So hat in dem Nothstandsjahre 1893/94 an einigen Wintertagen die
Zahl der nächtlich Obdachlosen im städtischen Obdach allein über 3000 betragen. In
diesem Jahre kam nach dem Jahresdurchschnitt berechnet ein Obdachloser auf 1000 Ein
wohner und an einzelnen Tagen sogar ein Obdachloser auf 500 Einwohner.
Ein besonderes Verdienst um die Gründung von Obdachhäusern hat sich der
„Berliner Asylverein für Obdachlose“ erworben, welcher zwei solcher Häuser besitzt, und
zwar ein Haus für Männer (ein für diesen Zweck eingerichteter älterer Bau) in der Büsching-
^strafse und ein Haus für Frauen in der Füsilierstrafse, neu gebaut im Jahre 1870. 1 ) Gegen
wärtig beabsichtigt der Verein die Ausführung eines gröfseren Neubaues für nächtlich
Obdachlose im Norden der Stadt an der Wiesenstrafse.
Die Stadtverwaltung besafs bis zu Anfang der siebziger Jahre keine besonderen
Obdachhäuser; die nächtlich Obdachlosen wurden bis 1873 in den Polizeigewahrsam ge
bracht und von da ab auf dem Grundstück des alten städtischen Arbeitshauses am Alexander
platz (im Volksmunde Ochsenkopf genannt) beherbergt, woselbst auch die obdachlosen
Familien Unterkunft fanden. Als das Arbeitshaus nach Rummclsburg verlegt wurde, richtete
die Stadt ein Obdach für nächtlich Obdachlose im Jahre 1877 in der Fricdenstrafse 55/56
und für F'amilien im Jahre 1879 in der Pallisadcnstrafse 66 ein.
Da im Laufe der folgenden Jahre bei dem ungewöhnlich schnellen Wachsthum der
städtischen Bevölkerung diese beiden Anstalten sich als vollständig unzulänglich erwiesen,
eine Erweiterung und Neueinrichtung derselben aber wegen der Durchlegung der Frieden-
strafse nach der Koppenstrafse ausgeschlossen war, wurde die Stadt vor die Aufgabe gestellt,
eine (Jen gesteigerten Anforderungen entsprechende Anstalt neu zu errichten. Sie löste
diese Aufgabe auf wahrhaft grofsstädtische Weise in der nachfolgend beschriebenen, in Bezug
auf Anlage und Einrichtung wohl einzig dastehenden Anstalt.
Das Städtische Obdach, NO., Fröbelstrafse (Abb. 512 u. 513), wurde erbaut
in den Jahren 1886/87 nach dem Entwurf und unter der Oberleitung des Stadt-Bauraths
Blankenstein durch den Stadt-Bauinspector Haak und den damaligen Regierungs-Bau
meister Weber, erweitert in den Jahren 1893-—1895 durch den Stadt-Bauinspcctor Dylewski
und Stadt - Baumeister Knopff, Die Anstalt, welche fast das ganze von der Fröbcl-,
Diesterweg-, Stargardcr und Winsstrafse begrenzte Bauviertel einnimmt, besteht aus dem
1) Abbildung und Beschreibung im Jahrgang 1870 der Baugewerkzeitung und im Deutschen
Bauhandbuch. 188g. Bd. II, S. 462.
Berlin und seine Bauten. II. “ 1