VIII Einleitung.
das Bier’sche Haus (heute Staatsministerium) und die schöne, durch den Bau des Reichs
tagshauses beseitigte Gebäudegruppe an der Ostseite des Königsplatzes geschaffen; der
Bau der National-Galerie, dem eine Stüler’sche Skizze zu Grunde liegt, und der Sieges
säule fallen erst in die Regierung Wilhelms I. — Den gelungensten Kirchenbau der damaligen
Zeit, die katholische St. Michaelskirche, hat August Söller (1805 —1853), die beiden
wirkungsvollen Casernen des Garde-Ulanen- und des 1. Garde-Dragoner-Regiments Carl
Drewitz, den Bau der Strafanstalt in Moabit Carl Ferdinand Busse ausgeführt. Die
grofsen Monumentalbauten des Rathhauses von Waesemann, der Börse von Hitzig und
der neuen Synagoge von Knoblauch sind erst unter der Regentschaft begonnen worden.
Erfreulicher als das Ergebnifs auf dem Gebiete des öffentlichen Bauwesens stellt
sich für die Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV. dasjenige auf dem Felde der Privat-
Architektur, die bis dahin — abgesehen von den auf Königliche Kosten ausgeführten
Scheinfacadcn aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts — fast ganz dem Handwerk
überlassen worden war. Hier vollzog sich unter der Einwirkung der Architekten, von
denen Eduard Knoblauch, Friedrich Hitzig und Eduard Titz sich zuerst ganz aus-
schliefslich diesem Gebiete des Schaffens gewidmet hatten, ein entschiedener Aufschwung,
der sowohl auf die bessere Gestaltung des Grundrisses wie auf die künstlerische Haltung
der Fagaden sich erstreckte. In der Stilfassung der letzteren, deren Herstellung durchweg
im Putzbau mit Stuckgufs-Ornamenten erfolgte, wurde an den hellenischen Formen der
Schinkelzeit, wenn auch unter Heranziehung von Renaissancemotiven festgehalten. Leider
trat zufolge dieser durchgängigen Anwendung von Surrogatstoffen bei geringeren Bauten
allmählich ein ungesundes Spiel mit Formen und eine zu grofse Häufung derselben ein. —
Auf das letzte Menschenalter baukünstlerischen Schaffens in unserer Stadt soll aus
demselben Grunde nicht im einzelnen eingegangen werden, der es veranlafst hat, auch in
der allgemeinen geschichtlichen Einleitung mit dem Regierungsantritt König Wilhelms I. ab-
zuschliefsen; unser Buch selbst giebt ausreichende Auskunft über das, was in diesen.Jahren
geleistet worden ist.
Die Entwicklung, welche die Berliner Baukunst seither, am auffälligsten aber seit dem
Jahre 1871, genommen hat, ist eine geradezu beispiellose. Ermöglicht durch den wachsenden
Wohlstand, aber auch durch das gesteigerte Kunstinteresse und Kunstbedürfnifs der Be
völkerung, hat sie sich insbesondere nach zwei Richtungen hin vollzogen: einmal in dem
Wandel des Geschmacks, der statt der früheren akademischen Gemessenheit eine malerisch
bewegte Architektur, statt der Dutzendwaare eine individuell entwickelte Kunstleistung ver
langt, sodann aber in der Freiheit, mit der die verschiedensten Stilformen und Motive
verwendet werden. Zunächst war es die italienische, dann die deutsche Renaissance, die
herangezogen wurden, um jenem lange unterdrückten Bedürfnisse nach malerischer Wirkung
Genüge zu thun; inzwischen sind auch die Kunst der Barockzeit und die Gothik in gleiches
Recht gesetzt worden. Gegen das anfangs auftretende Uebermafs der Formenfreudigkeit
macht sich allmählich eine gesunde, an die Vorbilder altdeutscher bürgerlicher Baukunst an-
knüpfendc Rcaction geltend. Begünstigt wird dieselbe durch das zuerst an den Bauten der
Stadtgemeinde streng durchgeführte, allmählich immer allgemeiner hervortretende Bestreben,
jeden unter künstlerischen Ansprüchen ausgeführten Bau im Aeufsem aus echten Baustoffen
herzustellen. — Bezeichnend für das Bedürfnifs nach individueller Behandlung der Fagaden,
unter denen diejenigen der Geschäftshäuser neuerdings eine immer wichtiger werdende
Rolle spielen, ist namentlich die Art, in welcher der bildnerische Schmuck mit dem
Organismus des Baues verwebt wird.
Entsprechend der Steigerung der Bauthätigkeit hat sich auch die Zahl der Architekten
vermehrt. Dafs sich unter ihnen Angehörige aller deutschen Architektur-Schulen befinden,
fordert den Wetteifer und ist ein unschätzbarer Quell gegenseitiger Anregung. Und doch
beseelt sie nur ein Streben: rastlos mitzuwirken an der weiteren Entwicklung ihrer Kunst,
an der Entwicklung Berlins. Glückauf ihnen auch für die Zukunft!