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IX. Fabriken für Textilindustrie, Färberei und Appretur.
rohgewebten Stücke werden zum gröfsten Theile in Berliner Appreturanstalten appretirt
und gefärbt. Für einen erheblichen Theil dieser in Berlin hergestellten Stoffe ist der Haupt
abnehmer die sehr ausgedehnte Industrie der Herstellung von Kleidungsstücken (Confection),
von deren Umfange die nachstehenden Zahlen einen ungefähren Begriff geben.
Es gab zu Ende des Jahres 1895 in Berlin folgende Grofshandlungen: 131 für
Damenmäntel, 29 für Mädchenmäntel, 76 für Herren- und Knaben - Confection, 75 für
Manufacturwaaren, 26 für Confectionsstoffe, 32 für Passementrie, 134 für Jupons, Blousen
und Schürzen, 48 für Weifswaaren, 41 für Wollenwaaren, 29 für Seidenwaaren, 69 für
Wäsche usw. Ferner bestehen für den Einzelverkauf 168 für Damenmäntel, 151 für Herren -
und Knaben-Confection, 435 für Manufactur- und Modewaaren, 538 für Posamentir-, Woll-
und Kurzwaaren.
Im ganzen hatte Berlin am Schlüsse des Jahres 689 Confections- und Textilwaaren-
Grofshandlungen und 1292 Einzelgeschäfte.
Einzelne Beispiele der für diese ausgedehnte Industrie arbeitenden Fabrikanlagen
finden sich im Nachstehenden beschrieben.
A. Spinnereien.
Innerhalb der Stadt haben sich grofse Spinnereianlagen infolge der hohen Boden
preise nicht halten und entwickeln können; dagegen bietet die nächste Umgebung Gelegen
heit, einige sehr hervorragende Spinnereien kennen zu lernen.
Die Berliner Jute-Spinnerei und -Weberei zu Stralau ist ein Acticnunter-
nehmen und in ihrem ältesten Theile 1883 erbaut worden (Abb. 730).
Das Grund
stück grenzt nordscitig
an den Rummelsburgcr
See und hat dadurch
bequeme Wasserver
bindung zum Bezug der
Rohstoffe. Der Lage
plan giebt die Anord
nung der einzelnen
Gebäude und ihre Be
stimmung. Die Haupt
fabriksäle sind eben
erdig mit Sheddächern
gedeckt und enthalten
in der Spinnerei von
35869111 Grundfläche 4510 Spindeln, in der Weberei von 3603 qm Grundfläche 285 Web
stühle und in der Sacknäherei 75 Nähmaschinen.
Im Jahre 1894/95 wurden aus 26000 Ballen je 400 engl. Pfund indischer Rohjute
4650000 kg Garn gesponnen, 8000000 m = 3885577 kg Stoff gewebt und 2600000 Stück
Säcke hergestellt. Die Betriebskraft liefern sieben Cornwallkessel mit je 95 qm Heizfläche,
eine looopferdige Dampfmaschine für die Spinnerei und eine 30opferdige für die Weberei.
In dem Bau 6, der zweigeschossig gebaut ist und 318 qm Grundfläche hat, sind in
beiden Stockwerken Speisesäle angelegt, in denen durch geschickte Anordnung der Speise
tische für 700 Arbeiter und Arbeiterinnen Platz geschaffen ist.
Die Deutsche Jute-Spinnerei und -Weberei in Meifsen hat eine Filiale in
Neuendorf bei Potsdam (Abb. 731). Auch diese befafst sich mit der Verarbeitung der
Rohjute zu Garnen, Geweben und Säcken und erzeugt jährlich etwa 1700000 kg Garn,
2800000 m Gewebe und 1 1 / i Million Säcke. Es werden durchschnittlich etwa 340 Arbeiter
beschäftigt, welche 180000 JL Lohn jährlich beziehen.
Die Fabrik liegt am unteren Theile des schiffbaren Nutheflusses, steht dadurch mit
der Elbe und Oder in Wasserverbindung und empfangt ihre Rohstoffe zu Schiff über Hamburg.
Abb. 730. Jutc-Spinncrei Stralau, Lageplan.
1. Lagergebäude. 2. Batscbraum. 3. Spinnerei. 4. Weberei. 5. Sacknäherei. 6. Speisesäle. 7. Trep
penhaus zu den Speisesälen. 8. Retiraden. 9. Comptoirgebäude. 10. Appreturgebäude. 11. Trans-
missionsgang. 12. Schlichtküche und Retirade. 13. Maschinenbaus. 14. Technisches Bureau mit
Wasserthurm. 15. Maschinenhaus. 16. Rctiradengebäude. 17. Werkstattgebäude. 18. Abfall-
und Reinigungskammer. 19. Stücklagcrgebäude. 20. Kesselhaus. 21. Magazin. 22. Lagerschuppen.
23. OellagergcbUudc. 24. Spritzenhaus. 25. Offener Schuppen.