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II. Die geschichtliche Entwicklung Berlins.
Ein zweites Unternehmen von nicht geringerer Bedeutung als diese Stadterweitcrung
nach aufscn war eine solche nach innen, welche durch die Beseitigung der Festungs
werke ermöglicht wurde. Die veränderte politische Lage des Staates hatte die letzteren
entbehrlich gemacht; sie waren aber auch unbrauchbar geworden, nachdem sich um sie ein
dichter Ring von Vorstädten gebildet hatte, die man im Falle einer drohenden Belagerung
unmöglich hätte zerstören können. So begann denn die Entfestigung Berlins zunächst auf
der Kölnischen Seite — leider mit nur sehr geringem Verständnifs für den Werth, den eine
zwcckmäfsige Verwendung des frei gewordenen Geländes für die künftige Gestaltung der
Stadt hätte haben können. Statt eine breite Ringstrafse zu schaffen, schlofs man sich ein
fach an die dürftigen Anfänge einer Bebauung an, die sich stellenweise bereits im Innern
und Aeufsern am Walle und auf dem Glacis eingenistet hatte. So entstanden im Innern
die engen Wallstrafsen und an Stelle zweier Bastions der Hausvoigteiplatz und der Spittel
markt, im Aeufsem die Kommandantenstrafse und die Jakobstrafsen, während in der
Friedrichstadt die Ouerstrafsen entsprechend verlängert wurden und wenigstens ein gröfserer
Platz, der Dönhoffplatz, frei blieb. Der auf geringe Breite eingeschränkte Festungsgraben
blieb im Innern der Bauviertel erhalten, wurde jedoch an drei Stellen, im Zuge der Jäger-,
Leipziger und Grünstrafsc, wo neue Verbindungen von der Altstadt nach aufscn angelegt
wurden, überbrückt; dagegen ging das Leipziger Thor wieder ein. Auch der südlich der
Dorotheenstadt sich hinziehende Graben an der Behrenstrafsc blieb vorläufig bestehen. — Auf
die schleunige Bebauung der neu gewonnenen Stadtviertel suchte der König mit ähnlichen
Mitteln und mit ähnlicher Ungeduld hinzuwirken wie in der Friedrichstadt.
Bei dieser Fürsorge für einzelne Stadtgebiete wurden jedoch die übrigen Theile der
Stadt keineswegs vernachlässigt. Die Beleuchtung und Reinigung der Strafsen wurde wesent
lich verbessert; in grofsem Umfange fand, namentlich in den Aufsenbezirken, auch eine Auf
höhung und Neupflasterung derselben statt. Am rechten Ufer der Unterspree, gegenüber
der Dorotheenstadt, wurde eine Colonie holländischer Schiffsbauer, am Spandauer Wege
eine neue Colonie französischer Gärtner angesiedelt, von welchen die Gegend den Namen
„Moabit“ (angeblich aus terre maudite entstanden, wahrscheinlich aber im biblischen Sinne
als „Land der Zuflucht“ zu verstehen) erhielt.
Von dem thurmreichen Gesamtbilde der Stadt, wie sie unter der Regierung der
beiden ersten Könige sich entwickelt hatte, giebt der in Abb. XV (Seite XXXIII) vorge
führte, dem Walther’schen Stadtplane von 1737 entnommene Prospect, trotz der nicht sehr
geschickten, auf eine Dilettantcnhand hinweisenden Behandlung der architektonischen Formen
eine gute Vorstellung. Es ist besonders auch dadurch interessant, dafs der Standpunkt
des Zeichners ausnahmsweise auf dem hohen nördlichen Rande des Spreethals gewählt ist. —
Die Bevölkerungsziffer wird für das Jahr 1726 einschliefslich der 12 000 Mann starken
Garnison auf 72000, für 1740 auf go 000 angegeben. Die Zahl der Häuser, welche im
Jahre 1712 ausschliefslich der 1553 fiskalischen und „eximirten“ Häuser 4408 betragen
hatte, war auf 5796 gestiegen. —
Gegenüber dem, was König Friedrich der Grofse(i740—1786) für den preufsischen
Staat gethan hat, und gemessen an den entsprechenden Leistungen seiner Vorgänger, tritt
seine Thätigkeit für die bauliche Entwicklung der Stadt Berlin — so umfassend und grofs-
artig sie auch nach aufsen sich darstellcn mag — an innerer Bedeutung doch etwas zurück.
Es liegt das in erster Linie wohl daran, dafs nach den ausgedehnten, weit über
das Bedürfnifs der nächsten Zukunft hinaus gehenden Stadterweitcrungen des voran
gegangenen Zeitabschnittes auf dem wichtigen Gebiete einer weiteren Ausgestaltung des
Stadtplans in der That nicht mehr viel zu thun geblieben war. Die zunächst vorliegende
Aufgabe war, das von Friedrich Wilhelm I. noch frei gelassene nördliche Stück des auf dem
linken Spreeufer gewonnenen bisherigen Festungsgebietes einer neuen angemessenen Ver
wendung zuzuführen. Sie fand eine glückliche Lösung, indem der König dieses den Ein
gang zu der Strafsc „Unter den Linden“ bildende Gelände zur Anlage eines grofsen,
monumentalen Platzes, eines „Forum Friderici“, ausersah. Von den Gebäuden, die den
Platz einnehmen sollten, kam allerdings vorläufig nur eins, das Opernhaus, zur Ausführung,
während die anderen — die St. Hedwigskirche, die Bibliothek und das Palais des Prinzen