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I. Die Baustoffe.
Kalkstein. Berlin besitzt in den etwa 26 km östlich von der Stadt, bei Rüders
dorf belegenen Kalkbergen das einzige Lager von natürlichen Bausteinen. Dasselbe gehört
der Muschelkalk-Formation an und erstreckt sich in der Richtung von Südwest nach Nordost
auf eine Länge von ca. 3700 m bei einer Breite von 160 m und einer Erhebung bis zu
40 m über dem Spiegel der benachbarten Seen. Das Gestein — Muschelkalk mit einem
durchschnittlichen Gehalt von 94,6°/ 0 kohlensaurem Kalk, in einzelnen kalkärmeren Schichten
von wellenförmiger Lagerung auch Wellenkalk genannt — tritt hier bei nördlichem Fallen
in einer Mächtigkeit von 295 m über einer Unterlage der Bunt-Sandstein-Formation auf,
wovon jedoch nur etwa 63 m nutzbaren Steins in Abbau genommen werden können.
Ursprünglich dem Kloster Zinna gehörig, kamen die Brüche im 15. Jahrhundert in
den Besitz der Kurfürsten von Brandenburg und blieben von da ab in regelmäfsigem Be
triebe, theils unter landesherrlicher Verwaltung, theils durch Communen und Private, denen
das Recht der Kalksteingewinnung verliehen war — so durch die Städte Fürstenwalde,
Berlin und Köln an der Spree, welche letztere einen eigenen Bruch besafs. Nach Ablösung
aller Einzelberechtigungen seitens des Staates wurde mit der Stadt Berlin (einschliefslich
Köln) im Jahre 1855 ein Societätvertrag abgeschlossen, wonach gegen Ueberlassung von
Y fi des Reingewinns an die Stadt das Recht der Kalkstcingewinnung ausschliefslich dem
Fiskus verblieb, welcher dieselbe durch eine eigene, nach Art der Bergwerksverwaltungen
organisirte Behörde, die Berginspection zu Rüdersdorf, betreiben läfst.
Die Ausbeutung der Brüche erfolgte früher durch Tagesbau, doch ist man seit dem.
Jahre 1873 auch zur Eröffnung eines Tiefbaues geschritten.
Da der Betrieb der Brüche, entsprechend der vorwiegenden Verwendung des Ge
steins, weniger auf Gewinnung gröfserer Werkstücke als auf Massenerzeugung gerichtet ist,
so geschieht der Abbau in der Hauptsache durch das sogen. „Stürzen“. In das zuvor abge
räumte Lager werden dicht über der Bruchsohle mehrere 1,80—2 m hohe Strecken gleich
laufend neben einander im Streichen der Schichten bis auf eine vorher bestimmte Entfernung
hineingetrieben — die sogen. „Schramstrecken“, deren Abstände von einander danach
bestimmt werden, dafs keine Schicht undurchschnitten bleiben darf. In Abständen von
ungefähr 4 m werden dieselben alsdann mit Querstrecken durchbrochen, sodafs der ganze
Lagcrtheil, welcher zum Abbau kommen soll, auf Pfeilern ruht, welche man mittels Spreng
arbeit nach und nach immer mehr verschwächt. Die letzten Sprengbohrlöcher werden
gleichzeitig abgeschossen, wodurch die Tragfähigkeit der Pfeiler in dem Mafse vermindert
sein mufs, dafs der unterschrämte Lagcrtheil sie zerdrückt und in sich zusammenstürzt.
Nunmehr beginnt das Aufräumen und das Werben der Steine, welche nach ihrer Gröfse
und Regelmäfsigkeit sortirt und zum Verkauf aufgesetzt werden. Zur Hebung der Steine
und des Schuttes aus den tiefliegenden Brüchen, sowie zur Wasserförderung sind mehrere
Aufzugvorrichtungen und Dampfmaschinen von zusammen 450 Pferdestärken aufgestellt.
Die Abfuhr des Materials erfolgt vorzugsweise auf dem Wasserwege mittels eigens
dazu angelegter, zum Theil in den Felsen eingesprengter und durch Tunnel geführter Canäle
nach der Spree, seit dem Herbst des Jahres 1872 jedoch auch auf der Ostbahn mittels der
Zweigbahn Fredersdorf-Rüdersdorf. Das Hauptabsatzgebiet der Brüche ist Berlin und seine
nächste Umgebung, doch wird der Stein zum Kalkbrennen weithin durch die Mark Branden
burg und bis nach Pommern verschifft. Die Herstellung von gebranntem Kalk am Orte hat
seit dem Jahre 1872 infolge der gesteigerten Bauthätigkeit Berlins einen grofsartigen Auf
schwung gewonnen.
Der Rüdersdorfer Kalkstein ist, abgesehen von einzelnen weicheren Adern, dicht
und fest bis zu einer Druckfestigkeit von 471 bis 523 kg je Quadratcentimeter und nimmt
Politur an; indessen ist er spröde und hin und wieder muschelig, was seine Bearbeitung
erschwert. Er zeichnet sich durch einen grofsen Reichthum an Thierresten aus, während
Pflanzenreste weniger Vorkommen. Die Farbe ist in den oberen Lagen gelblichgrau, in den
unteren theilweise blaugrau, doch nehmen letztere an der Luft bald dieselbe weifsgraue,
etwas kalte Färbung an, wie die oberen Schichten. Die frisch gebrochenen Steine enthalten
Grubenfeuchtigkeit und widerstehen deshalb dem Froste nicht, sodafs sie den Winter über
nicht unbedeckt im Freien lagern dürfen. Dagegen sind Steine, die vor ihrer Verwendung