VI. Die Strafsenbahnen.
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selbe Bauart und Gröfse wie diejenigen der Lichterfelder Bahn, sie werden durch einen
Elektromotor von 15 P. S. angetrieben.
Der Betriebsbahnhof, welcher die Kraftstation, sowie den Wagenschuppen nebst
Werkstätte, Kohlenschuppen und Materialienräume umfafst, liegt ungefähr 500 m seit
wärts von der eigentlichen Linie entfernt und zwar in der Brehmerstrafse in Pankow. Die
Gebäude des Betriebsbahnhofes, mit Ausnahme des Kohlcnschuppens, welcher aus Holz
fachwerk hergestellt ist, sind in Ziegelrohbau ausgefuhrt und mit Theerpappdächern auf eiser
nen Bindern abgedeckt. Die Kessel-, Dampf- und Dynamomaschinen-Anlage ist doppelt
ausgeführt, je eine dient zur Aufrechterhaltung des regelmäfsigen Betriebes bezw. zum Ersatz.
Die beiden Röhrenkessel haben je 75 qm wasserberührte Heizfläche. Die beiden Dampf
maschinen sind Verbundmaschinen liegender Bauart mit Condensation und 9 Atm. Anlängs
spannung. Sie leisten je 75—100 P.S. bei 135 Umdrehungen in der Minute und sind mit
je e'iner Innenpol-Dynamomaschine Siemens’scher Bauart direct gekuppelt. Ein Schaltbrett
mit allen nöthigen Control-, Regulir- und Sicherheitsvorrichtungen dient zur Vertheilung
und Regulirung des Stromlaufs aus den Maschinen in die Streckenleitungen.
Der Betrieb wird zur Zeit mit acht Wagen geführt, deren durchschnittliche Fahr
geschwindigkeit einschliefslich der Aufenthalte 12 km in der Stunde beträgt, während die
zulässige Höchstgeschwindigkeit mit 25 km bemessen ist. Die Wagen folgen in einem Ab
stande von höchstens 10 Minuten. Der Fahrpreis beträgt ohne Unterschied der Entfernung
10 t)). für die Person und wird zunächst versuchsweise mittels sogen. Zahlkasten erhoben,
in welche jeder Fahrgast das Fahrgeld vor den Augen des Wagenführers hincinlegen mufs.
E. Die elektrischen Strafsenbahnen „Berlin—Treptow“. 1 )
Deutlich und immer stärker macht sich das Bestreben geltend, bei Strafsenbahnen
in grofsen Städten anstatt des Pferdebetriebes elektrischen Betrieb in Anwendung zu
bringen, unter dessen Vorzügen Schnelligkeit, Reinlichkeit und Entlastung der Strafsen
besonders ins Gewicht fallen. Die elektrische Kraft, deren erste Verwendung für Bahn
betrieb 1879 in der Gewerbeausstellung durch die Firma Siemens & Halske, Berlin zur
Geburtsstadt des Elektromotorenbetriebes machte, ist bis zum Jahre 1895 in Berlin nur
versuchsweise im Strafsenbahnverkehr zur Verwendung gelangt.
Schon 1885 lief der erste von Reckenzaun construirte Accumulatorwagen und
das Streben der Behörden blieb der Verwirklichung dieser idealen Betriebsweise zugewendet,
während sich dieselben dem Hochleitungsbetriebe gegenüber, wie er durch den geistvollen
Erfinder desselben, Dr. Werner von Siemens, das erstemal 1883 auf den Versuchsstrecken
Charlottenburg-Spandauer Bock und Frankfurt a. M.-Offcnbach zur Ausführung gebracht
wurde, stets ablehnend verhalten hatten. Es war wohl auch hier das Beste der Feind des
Guten. — Die in Buda-Pest von Siemens & Halske ausgeführte, mit bestem Erfolge betriebene
elektrische Bahn mit Tiefzuleitung gab Veranlassung, auch dieses System für Berlin in Erwägung
zu ziehen. Die in Berlin besonders ungünstigen Verhältnisse für die Entwässerung der Tief
zuleitungscanäle, welche bei starken atmosphärischen Niederschlägen einen Rückstau der
Wassermassen befürchten liefsen, hatten zur Folge, dafs auch von dem Bau einer gröfseren
Versuchsstrecke, die von der Grofsen Berliner Pferdebahn geplant war, Abstand genommen,
dagegen ein Versuchsbetrieb mit verbesserten Accumulatoren in Aussicht genommen
wurde. Dieser ist in den Sommermonaten 1893 auf der Strecke Moabit — Thiergarten -
Schöneberg zur Ausführung gekommen, zur Zeit aber wieder eingestellt, da eine prak
tische Verwendung dieser,Betriebsart an den hohen Kosten derselben, der langen Lade
zeit usw. scheiterte.
Der Siegeszug des elektrischen Hochzuleitungsbetriebes, insbesondere die Einführung
desselben in der verkehrsreichen Stadt Hamburg ging auch hier nicht spurlos vorüber.
Schon 1895 hatte, wie in Abschnitt D berichtet, die Firma Siemens & Halske die Vorort
bahnstrecke von Gesundbrunnen nach Pankow in Betrieb gesetzt, auch die Berlin-Charlotten
1) Bearbeitet vom Königlichen Baurath Jos. Fischer-Dick, Oberingenieur der Grofsen Ber
liner Pferdeeisenbahn.
Berlin und seine Bauten. I.
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