B. Die geschichtliche .buiwickelung Berlins.
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trug 1810 — allerdings bei einer wesentlich verminderten Garnison — nur noch
153070 Seelen.
Aber schon wurden die Maassregeln eingeleitet, durch welche diese Krisis,
für Berlin ebenso wie für ganz Preussen, der Ausgangspunkt einer neuen, besseren
Zeit werden sollte. Von den grossen organischen Reformen Stein’s und Harden-
berg’s, welche unmittelbar nach dem Tilsiter Frieden eine völlig veränderte
Grundlage des preussischen Staatwesens schufen, kamen die Städteordnuug (1808)
und die Gewerbefreiheit (1810) Berlin in erster Linie zu gute. Mit Einführung
der ersteren wurde für die bisher mit den städtischen Behörden vereinigte lokale
Justizverwaltung eine eigene Behörde, das Stadtgericht, geschaffen, das in dem
früheren Gouveruementhause an der Ecke der König- und der Jüdenstrasse seinen
Sitz erhielt. Für das wissenschaftliche Lehen der Stadt entstand in der 1810eröli-
neten Universität, der das frühere Palais des Prinzen Heinrich überwiesen wurde,
ein Faktor von gewaltigstem Einflüsse. An die Stelle der Militär-Akademie trat
eine „allgemeine Kriegschule“. Verschiedene neue Wohlthätigkeitinstitute waren
in den Tagen der Okkupation ans der Initiative opferwilliger Männer hervor
gegangen.
Dass auch dem Könige trotz der schweren Schicksale, die ihn getroffen hatten,
das Vertrauen in die Zukunft nicht fehlte, beweisen zwei kleinere Bauten — die
einzigen, deshalb wohl bemerkenswerthen, in dem zehnjährigen Zeitraum von 1806
bis 1816. Im Seblossgarten zu Charlotlenburg wurde 1810 ein Mausoleum er
richtet, in welchem die Leiche der von ihrem ganzen Volke betrauerten Königin
Louise bestattet ward. Ein Jahr später wurde der Verbinduugsbau zwischen dem
vom Könige bewohnten (ehemals Schomburg’scheu, jetzt wieder krouprinzlicheu)
Palais und dem sogen. Priuzessiuueu-Palais ausgeführt. Um die 1809 zum zweiten
Male uiedergebraunte, grösste Kirche der Stadt, die Petrikirche, wieder aufbauen
zu können, fehlte es der Gemeinde allerdings au Mitteln.
Der kurzen Erholungsfrist folgte abermals eine stürmische Zeit — die Zeit
der begeisterten Erhebung und des Befreiungskampfes, für den auch Berlin seine
Kräfte bis zum Aeussersten auspaunte. Auf’s Neue führte 1812 der russische
Krieg französische Truppen, als Verbündete (!), in die Stadt, welche sie erst
im März 1813 wieder verliesseu. Die demnächst durch Napoleon noch zweimal
versuchte feindliche Besetzung der Stadt wurde durch die Tapferkeit des
preussischen Heeres, das am Tage von Grossbeereu (23. August 1813) fast Ami
den Thoren Berlins kämpfte, glücklich vereitelt. — Der 17. Juli 1814 sah daun
den triumphirenden Einzug des Königs an der Spitze der zurückkehrenden
Garden.*) —
Das Vierteljahrhundert nach den Befreiungskriegen, jene stille Epoche frei
williger Beschränkung, in welcher der als europäische Grossmacht anerkannte,
aber durch die voraugegangeuen Anstrengungen nahezu erschöpfte, preussische
Staat sich in ernster Arbeit und strenger Sparsamkeit sammelte und organisirte,
*) Denkwürdig nicht nur durch die Enthüllung der, in Paris wiedereroberten und ihrem
alten Platze auf dem Brandenburger Thore zurückgegebenen Viktoria, sondern namentlich auch
durch die Betheiligung Schinkels, der den künstlerischen Schmuck der Siegesstrassc entworfen
Ratte und bei dieser Gelegenheit zum ersten Male als der anerkannt hervorragendste Archi
tekt der Hauptstadt auftrat.