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Full text: Blickpunkt Integration (Rights reserved) Issue2013 (Rights reserved)

Blickpunkt Integration Aktueller Informationsdienst zur Integrationsarbeit in Deutschland Thema im Fokus Integration im Wandel der Generationen Aktuelles aus dem Bundesamt BAMF feiert sein 60-jähriges Jubiläum Integrationslandschaft Deutschland #SchauHin, hier ist die deutsch-muslimische Bloggerszene 2013 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, in diesem Jahr feierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sein 60-jähriges Jubiläum. In den letzten sechs Jahrzehnten hat sich die Behörde stark gewandelt. Außer mit Asylfragen beschäftigen wir uns heute vor allem mit der In­ tegration von Zugewanderten. Unsere Projektförderung, die Integrationskurse und berufsbezogenen Sprachkurse des Bun­ desamtes (Beiträge S. 12, 14) stellen wichtige Weichen dafür, dass Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in unserer Ge­ sellschaft ihren Platz finden. Aber nicht nur das Bundesamt hat sich verändert, sondern auch der Blick auf die Thematik Integ­ ration. Heute ist klar, dass sich auch die Aufnahmegesellschaft für eine gelungene Integration öffnen muss. Deshalb haben sich die diesjährigen Nürnberger Tage für Integration (Veran­ staltungsbericht S. 24) damit beschäftigt, wie die Akzeptanz von Vielfalt in Deutschland erhöht werden kann. Im Runden Tisch „Aufnahmegesellschaft“ hat das Bundesamt zudem mit Experten Empfehlungen zur Erarbeitung einer Willkommens­ und Anerkennungskultur entwickelt. Im Oktober fiel der Startschuss für eines der hieraus entstandenen Projekte: Das Bundesamt wird ausgewählte Ausländerbehörden auf ihrem Weg zu „Willkommensbehörden“ begleiten (Interview S. 10). Ist für die Aufnahmegesellschaft Vielfalt mittlerweile etwas Selbstverständliches? Die Antwort von Politikwissenschaft­ lerin Dr. Jutta Aumüller auf diese Frage finden Sie ab Seite 4. Mit ihr sprachen wir über das Fokusthema dieser Blick­ punktausgabe „Integration im Wandel der Generationen“. Aumüller plädiert insbesondere dafür, gerade die erste Gene­ ration in der Integrationsarbeit nicht aufzugeben. Mit den so­ genannten Pioniermigranten beschäftigt sich auch das Projekt „¡Adentro!“, das spanischen Senioren dabei hilft, ihre eigene Biografie aufzuarbeiten (S. 8). Um die zweite und dritte Ge­ neration geht es dann in den weiteren Beiträgen. Wir stellen Ihnen das Kreuzberger Elterncafé vor, das versucht, Schüler mit Zuwanderungsgeschichte für den Lehrerberuf zu begeis­ tern (S. 7). Im Beitrag zum Computerclub „come_IN“ (S. 6) lesen Sie schließlich, wie das Arbeiten an Medienprojekten mehrere Generationen zusammenbringt. Ich wünsche Ihnen eine unterhaltsame und informative Lektüre! Cordelia Carlitz, Redaktionsleiterin Impressum Blickpunkt Integration 2013 Herausgeber Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Referat 313, Informationszentrum Integration, Bürgerservice Frankenstraße 210 90461 Nürnberg Bezugsquelle Publikationsstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge www.bamf.de/publikationen Um den Blickpunkt Integration zu abonnieren, schicken Sie eine E-Mail mit Ihrer Anschrift an info@bamf.bund.de. Redaktion Cordelia Carlitz (verantwortliche Leiterin) Zakia Chlihi Marianne Lotter-Keim Layout KonzeptQuartier ® GmbH Schwabacher Str. 261, 90763 Fürth Titelbild KonzeptQuartier ® GmbH, fotolia.com / davis, istockphoto.com / Blend_Images Druck Bonifatius GmbH Druck–Buch–Verlag Karl-Schurz-Straße 26, 33100 Paderborn Auflage 10.000 Exemplare Die Artikel von Gastautorinnen und Gastautoren drücken deren persönliche Meinung aus und müssen nicht den Positionen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge entsprechen. Inhalt 8 Thema im Fokus „Jeder Mensch muss auch mal die Chance haben, nicht mehr Migrant zu sein“ ............................................................................ 4 Generationsübergreifendes Lernen im Computerclub .......... 6 Auf einen Kaffee mit dem Lehrer ................................................................ 7 ¡Hinein! in den Ruhestand ................................................................................. 8 Aktuelles aus dem Bundesamt 9 Von der Asylbehörde zum Kompetenzzentrum für Migration und Integration ................................................................................. 9 3 Fragen – 3 Antworten: Ein Werkzeugkoffer für die Willkommenskultur .............................................................................................. 10 „Willkommen in Deutschland“ neu aufgelegt ............................. 11 Bundesamt in Zahlen: Integrationskurse ......................................... 12 Berufsbezogene Sprachkurse: Damit Arzt und Patient sich verstehen .............................................................................................................. 14 ................................. 15 ............................................................................ 16 Besuchen Sie das Bundesamt auf Facebook! 15 Integrationslandschaft Deutschland Mikrokosmos Krankenhaus Neustart für ausländische Akademiker in Deutschland ............ 17 Von Mann zu Mann: Väter informieren zu Erziehungsfragen ..................................................................................................... 18 Zu Gast bei der Welt in Kreuzberg ....................................................................... 19 #SchauHin, hier ist die deutsch-muslimische Bloggerszene .... 20 Blick über die Grenzen Nur die Hintertür führt nach Japan ......................................................... 22 17 Veranstaltungen Ja, wir verändern uns – und das ist auch gut so! ........................... 24 (Spät-)Aussiedler sind in der Gesellschaft angekommen .......... 26 Literaturhinweise Lexikon des Dialogs ................................................................................................. 27 Willkommen in Hessen! Tipps für den erfolgreichen Familiennachzug ....................................................................................................... 27 „Jeder Mensch muss auch mal die Chance haben, nicht mehr Migrant zu sein“ © Torsten Hönig; iStock /YinYang; iStock / BO1982 Thema im Fokus Die Politikwissenschaftlerin Dr. Jutta Aumüller vom Institut für Demokratische Ent­ wicklung und Soziale Integration (DESI) im Gespräch über Pioniermigranten, den „ewigen“ Migrationshintergrund und den Umgang der Aufnahmegesellschaft mit Vielfalt Wenn wir die letzten 60 Jahre betrach­ ten, hat sich die Integration von Men­ schen mit Migrationshintergrund über die Generationen hinweg verbessert? Für die gesamte Bundesrepublik fehlen bereichsübergreifende Untersuchun­ gen über einen längeren Zeitraum, mit denen wir flächendeckend eine erfolg­ reiche Integration über mehrere Gene­ rationen hinweg nachweisen können. Es gibt aber regional begrenzte Unter­ suchungen, vielfältige thematische Be­ reichsstudien und den Integrationsin­ dikatorenbericht der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration. 4 Die verfügbaren Studien geben vielfache Hinweise auf positive Generationseffek­ te der Integration in ganz unterschied­ lichen Bereichen von gesellschaftlicher Teilhabe, ob das die Schulbildung, die Erwerbsbeteiligung von Frauen oder die politische Partizipation ist. Besonders in Bezug auf die zweite Generation gab es zuletzt Erfolgs­ meldungen, beispielsweise im Bereich Bildung. Holt diese Generation tat­ sächlich auf? Im Vergleich zur ersten Generation ist der Anteil der jüngeren Menschen mit einem mittleren und hohen Schul­ abschluss deutlich gestiegen. Jugend­ liche mit Migrationshintergrund un­ terscheiden sich kaum mehr in ihrer Schulkarriere von Schülern ohne Mi­ grationshintergrund, wenn sie unter vergleichbaren sozialen und sprachli­ chen Voraussetzungen aufgewachsen sind und die Eltern eine positive Bil­ dungsorientierung haben. Bei all die­ sen freudigen Botschaften muss aber auch beachtet werden, dass es weiterhin enorme Differenzen gibt. Beispielswei­ se bezüglich der sozialen Zugehörigkeit, zwischen bestimmten Herkunftsgrup­ pen oder auch den Geschlechtern. Die Mädchen liegen beim Bildungserfolg durchweg vorne. Es gibt sogar einige Gruppen, nämlich Mädchen mit einer polnischen oder russischen Staatsan­ gehörigkeit, die statistisch häufiger das Abitur erreichen als deutsche Mädchen. Im Gegensatz zur ersten und zweiten Generation ist die Datenlage zur drit­ ten eher dürftig. Ist Integration hier kein Thema mehr? Es ist politisch nicht unbedingt ge­ wünscht, das Merkmal des Migrati­ onshintergrunds auf eine dritte Gene­ ration anzuwenden, da die Gefahr der Stigmatisierung zweifellos vorhanden ist. Die Frage ist auch, wie zielführend die Unterscheidung noch ist. Wir haben in Deutschland eine sehr große Gruppe von Personen mit Migrationshinter­ grund, die in ihrer Zusammensetzung sehr vielschichtig ist. Außerdem trifft diese Klassifizierung als „Migranten der dritten Generation“ nicht das Selbst­ verständnis der meisten Menschen mit Migrationsgeschichte, die in Deutsch­ land aufgewachsen sind, die hier ih­ ren Lebensmittelpunkt haben und die selbstverständlich ihren Anteil an ge­ sellschaftlicher Teilhabe beanspruchen. Jeder Mensch muss auch mal die Chan­ ce haben, nicht mehr Migrant zu sein. Richten wir nun den Blick von den ganz Jungen auf die ganz Alten, die „Pioniermigranten“, wie Sie sie mal genannt haben. Was kann getan wer­ den, um diese Zielgruppe mit den be­ stehenden Angeboten noch besser zu erreichen? Vor einiger Zeit habe ich einen Tag lang in einem Sprachkurs für ältere kurdische Migrantinnen im Alter von 45 bis 60 Jah­ ren hospitiert. Und da habe ich erlebt, mit wie viel Freude und Elan diese etwas be­ tagteren Damen sich jetzt als Großmütter systematisch mit der deutschen Sprache befassen. Diese Generation muss keine verlorene Generation sein, wenn sie die „Bei vielen älteren Migranten besteht noch eine Neu­ gierde auf diese Gesellschaft, von der sie sich viel­ leicht auch lange Zeit ausgeschlossen gefühlt haben.“ Chance auf gesellschaftliche Teilhabe hat und dafür Anerkennung findet. Viele von ihnen – und in diesem Sinne halte ich sie für Pioniermigranten – haben erreicht, was sie sich vorgenommen und wofür sie jahrzehntelang hart gearbeitet haben. Sie haben für sich und ihre Kinder einen Neubeginn in Deutschland geschaffen. Manche haben sich ein Haus gekauft, viele haben es erreicht, sich beruflich zu etablieren. Jetzt, mit zunehmendem Al­ ter, haben sie endlich mehr Kapazitäten frei, um sich in diese Gesellschaft einzu­ bringen. Nötig dafür ist nach wie vor die direkte Ansprache. Man braucht Multi­ plikatoren aus der eigenen Communi­ ty, die diese Menschen ansprechen und sie auf Angebote aufmerksam machen können. Migrantenorganisationen und andere Verbände, Integrationsbeauf­ tragte und kommunale Gremien sollten außerdem gezielt auf Möglichkeiten der gesellschaftlichen Einbindung dieser Gruppe achten, zum Beispiel durch Kon­ zepte der Ehrenamtsförderung oder der kommunalpolitischen Beteiligung. Bei vielen älteren Migranten besteht noch eine Neugierde auf diese Gesellschaft, von der sie sich vielleicht auch lange Zeit ausgeschlossen gefühlt haben. Brauchen wir aus Ihrer Sicht noch mehr auf diese Generation zuge­ schnittene Angebote? Bei den ganz Alten spielt die kultursen­ sible Pflege eine große Rolle. Ein großer Teil der Altenpflege wird noch in den Familien selbst geleistet. Hier finden wir ein ganz positives Kulturbild von Fami­ lienzusammenhalt vor, was durchaus berechtigt sein mag. Trotzdem finde ich wichtig, dass Familienmitglieder und andere Personen, die sich der Pflege wid­ men, Entlastung durch unterstützende Netzwerke finden und vor Überforde­ rung geschützt werden. Ich denke, das Heim ist da als Schritt schon fast zu groß, nachbarschaftliche und ambulante Pfle­ ge könnte dagegen eine Möglichkeit sein. Bislang haben wir von Migrantenge­ nerationen gesprochen. Wie sieht es mit der ersten, zweiten und dritten Generation der Aufnahmegesellschaft aus: Ist Vielfalt inzwischen für sie et­ was Selbstverständliches? Es gibt durchaus generationelle Un­ terschiede, wie man mit Fremdheit umgeht und sie wahrnimmt. Das hat viel mit Begegnung zu tun und wie häufig die Menschen die Gelegenheit haben, sich mit Vielfalt auseinander­ zusetzen. In den heutigen Schulklassen ist es eigentlich gar kein Thema mehr, wo jemand herkommt. Generell ist der Umgang der Aufnahmegesellschaft mit Vielfalt aber ambivalent. Einerseits ak­ zeptieren in Umfragen immer mehr Herkunftsdeutsche die zunehmende gesellschaftliche Vielfalt, anderseits findet doch eine massive Ausgrenzung einzelner Gruppen statt, man denke nur an die Islamdebatte oder die Dis­ kussion um zugewanderte Roma. Die Gefahr der Ausgrenzung bleibt. Ich bin der Meinung, dass die Einübung von Toleranz und das Erlernen von Mus­ tern, wie man sich konstruktiv mit Vielfalt auseinandersetzen kann, und nicht zuletzt eine konsequente Politik der interkulturellen Öffnung und der Anti-Diskriminierung ganz wichtige gesellschaftspolitische Aufgaben der nächsten Jahre sein werden. Interview: Zakia Chlihi, Referat Informationszentrum Integration, Bürgerservice 5 Thema im Fokus Generationsübergreifendes Lernen im Computerclub Die interkulturellen Computerclubs „come_IN“ fördern den kreativen Umgang mit modernen Medien über Kultur- und Altersgrenzen hinweg 6 Lernsituation: Erwachsene und Kinder können voneinander lernen und unter­ stützen sich gegenseitig bei neuen und schweren Aufgaben“, sagt Wulf. Die „come_IN“-Projekte umfassen ein breites Spektrum. So gestaltete der Bonner Computerclub am Rechner kleine Spiele. Und in Siegen entstand ein Trickfilm zum Thema Freundschaft. Anders als der Name „Computerclub“ vermuten lässt, verbringen die Teilneh­ mer von „come_IN“ nicht ihre ganze Zeit vor dem PC. In Bonn erkundeten Kinder und Erwachsene gemeinsam schöne und weniger schöne Orte im Viertel und interviewten bekannte Personen aus der Nachbarschaft. Ihre Eindrücke verarbei­ teten sie anschließend in Bild und Text am Rechner. So entstanden über zwei Jahre hinweg mehrere Hefte mit „Bunten Altstadtgeschichten“. „Durch die Arbeit an den Heften wurden sprachliche Dif­ ferenzen überbrückt und die Teilnehmer ermuntert, sich aktiv mit kulturellen Unterschieden und Gemeinsamkeiten im Stadtviertel auseinanderzusetzen“, erzählt Kai Schubert, der die Arbeit an den Heften als Tutor begleitet hat. Aufgrund des großen Erfolgs der Clubs wird das Konzept nun auch im Ausland erprobt. Letztes Jahr eröffne­ te die Universität Siegen mit der Birzeit University (Westjordanland) einen Com­ puterclub in einem palästinensischen Flüchtlingslager. Ziel ist es, den Zugang der Teilnehmer zu Bildung zu erleich­ tern und gleichzeitig zur Entwicklung der Region beizutragen. Mehr über den Ansatz der come_IN Computerclubs und ihre einzelnen Pro­ jekte erfahren Sie unter: www.computerclub-comein.de Anne Weibert, Universität Siegen Kinder und Erwachsene lernen im Rahmen der Projektarbeit in come_IN gemeinsam. © Anne Weibert Omer und Adnan machen Schritte im Laub – ganz ohne dafür draußen un­ terwegs zu sein. Konzentriert rascheln die beiden Jungen mit einem großen Knäuel Geschenkband und erzeugen damit das Geräusch von Schritten. An­ schließend zeigt Adnans Mutter ihnen, wie sie ein Geschirrtuch ruckartig zwi­ schen den Händen spannen können, um das Schlagen eines Herzens nach­ zuahmen. Am Ende sollen all diese Töne ein Hörspiel ergeben, das aktuelle Vorhaben des interkulturellen Com­ puterclubs „come_IN“ an der LibellenGrundschule in Dortmund. Jede Woche treffen sich hier die Schüler für zwei Stunden, um Projekte mithilfe von Computern und modernen Medien umzusetzen. Unterstützt wer­ den sie dabei von ihren Lehrern sowie von den Mitarbeitern des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien der Universität Siegen, die die Idee zu „come_IN“ hatten. Außer in Dortmund gibt es fünf weitere dieser Clubs an deut­ schen Schulen. „Schulen sind als Ort für die Clubs bewusst gewählt, denn in ihnen treffen sich ganz selbstverständlich Menschen verschiedener Kulturen und Herkunft. Ihnen kommt daher eine wichtige Rol­ le im Integrationsprozess zu“, erklärt Projektleiter Prof. Dr. Volker Wulf. Ein weiterer Grundpfeiler der Clubs ist das Paten-Kind-Prinzip: Kinder nehmen an „come_IN“ grundsätzlich mit einer er­ wachsenen Person teil – das kann ein El­ ternteil genauso sein wie die Großmutter oder der große Bruder. „Hierdurch schaf­ fen wir eine generationenübergreifende Thema im Fokus Auf einen Kaffee mit dem Lehrer © Merve Aydin Das Projekt „Elterncafé“ in Berlin-Kreuzberg bringt Schülern mit Migrationshintergrund den Lehrerberuf näher Marvis Arslan ist etwas Besonderes. Sie ist eine der wenigen Lehrerinnen mit Migrationshintergrund in Deutsch­ land. Schätzungsweise nur ein Prozent aller Lehrkräfte an deutschen Schulen haben eine Zuwanderungsgeschichte und das, obwohl etwa ein Drittel der Schüler einen Migrationshintergrund hat. Am Robert-Koch-Gymnasium in Berlin-Kreuzberg, an dem Arslan unter­ richtet, sind es sogar 97 Prozent. Wenn es nach ihr ginge, gäbe es bald mehr Vielfalt im Kollegium. Die Lehrerin für Sport, Geschichte und Türkisch brennt für ihren Beruf und möchte auch ande­ re dafür begeistern: „Ich will als Lehre­ rin mit Migrationshintergrund meine Erfahrungen an Jugendliche weiterge­ ben, die Interesse an einer pädagogi­ schen Laufbahn im Schuldienst haben und Bildungsarbeit leisten möchten“. Dies kann sie nun im vom Bundesamt geförderten Projekt „Elterncafé“ am Koch-Gymnasium. Zweimal im Schuljahr bietet die Schu­ le in Kooperation mit der HumboldtUniversität zu Berlin (HUB) Treffen für Eltern an, um sie über das Lehramtsstu­ dium und den Lehrerberuf zu informie­ ren. Die Termine finden in der Schul­ cafeteria statt und werden von Lehrern geleitet. So gibt das Café den Eltern die Möglichkeit, sich untereinander aus­ zutauschen und gleichzeitig die Lehrer besser kennenzulernen. Ziel des Projektes ist es, sowohl die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule zu stärken als auch den Anteil von Lehramtsstudierenden mit Mig­ rationshintergrund zu erhöhen. „Ganz wichtig für unsere Schülerinnen und Schüler sind die Elternhäuser, die ihre Kinder motivieren, aus ihrem Leben etwas zu machen“, sagt Schulleiter Rainer Völkel. Um eventuelle Berührungsängste den Universitäten gegenüber abzubau­ en, bietet das Elterncafé neben seinen Treffen auch den Besuch von Hoch­ schulen an, die ihrerseits die Eltern zu Studiengängen und -bedingungen be­ raten. Für Prof. Dr. Stefan Kipf von der HUB, der das Projekt leitet, ist gerade diese Zusammenarbeit von verschie­ denen Akteuren erfolgversprechend: „Es sind alle Beteiligten an Bord, die es braucht, wenn ein Jugendlicher sich für das Lehramt entscheidet: Eltern, Lehr­ kräfte, Schulleitung, die lehrerbilden­ den Universitäten in Berlin und die Se­ natsverwaltung“. Sein Institut wird das Elterncafé über den gesamten Projekt­ zeitraum von drei Jahren begleiten und evaluieren. Bei einem Erfolg könnten danach noch mehr Elterncafés in Ber­ lin eröffnet werden – und Lehrer wie Marvis Arslan würden dann vielleicht bald die Regel und nicht mehr etwas „Besonderes“ sein. Dr. Regina Trüb, Referat Grundsatzangelegenheiten der Integration 7 Thema im Fokus ¡Hinein! in den Ruhestand © Fundació privada Can Gelabert Das Projekt „¡Adentro!“ unterstützt ältere Migranten bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie Das Erstellen von Collagen dient als Einstieg in die Biografiearbeit. Der Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand ist für viele nicht leicht. Doch für Migranten ist er manchmal um einiges schwerer als für deutsche Rentner. Oft kommt dabei die Lebens­ entscheidung, in ein anderes Land zu gehen, noch einmal auf den Prüfstand. Teilweise wird ihnen erst jetzt bewusst, dass sie sich nirgendwo hundertprozen­ tig „zu Hause“ fühlen. Da diese Gruppe über die herkömmliche Seniorenarbeit kaum erreicht wurde, starteten 1992 der Bund der Spanischen Elternverei­ ne, das Deutsche Rote Kreuz und die AEF – Spanische Weiterbildungsaka­ demie das Modellprojekt „¡Adentro!“ (auf Deutsch: „Hinein!“). In den dreitägigen Seminaren des Projekts reflektieren spanische Rentner ihre eigene Lebensgeschichte und ent­ decken so ihre „verlorene“ Persönlich­ keit neu. Denn viele von ihnen werden – vor allem, wenn es mit der deutschen Sprache hapert – von ihren Enkelkin­ dern nicht ernst genommen. Zudem ha­ ben ihre Kinder oft als Dolmetscher fun­ 8 giert, weshalb die Mitglieder der älteren Generation ihrer Rolle als Familienober­ haupt nicht gerecht werden konnten. Heimat geworden ist, da hier ihre Kin­ der und Enkelkinder leben. Stark nachgefragtes Angebot Bewusstseinsveränderung im Alter Zu Beginn des Seminars fertigen die Seminarteilnehmer eine Collage mit Bildern an, die sie an ihren Geburtsort erinnert. Anschließend werden sie auf­ gefordert, das „heute und hier“ einzu­ fügen. Die meisten sind sehr erstaunt über die Resultate. Die Collage dient als Einstieg in die Biografiearbeit, da sie den Teilnehmern erleichtert, sich zu öffnen und unter entsprechender Anleitung die eigene Biografie zu rekonstruieren. In der Biografiearbeit geht es vor al­ lem darum, dem Einzelnen auf der Su­ che nach den Spuren seines Lebens be­ hilflich zu sein und Verständnis für die eigene Lebenssituation zu entwickeln. Rückblickend erkennen viele Seminar­ teilnehmer, dass die Jahre in Deutsch­ land keine verlorene Zeit waren und sie ein erfülltes Leben hatten. Sie stellen fest, dass Deutschland zu ihrer zweiten Neben der eigentlichen Biografiearbeit erfahren die Senioren in den Semina­ ren auch ganz konkret, welche Mög­ lichkeiten Altenhilfe und Altenpflege ihnen bieten. So besuchen sie Alten­ heime und lernen Dienstleistungen wie „Essen auf Rädern“ kennen. Und wenn der Wunsch besteht, nach Spanien zu­ rückzukehren, werden Rückkehrange­ bote erläutert und über die Erwartun­ gen an das Heimatland gesprochen. Seit Start des Projekts haben rund 1500 Teilnehmer „¡Adentro!“ besucht. Inzwi­ schen wird das Programm auch in Frank­ reich, Belgien und der Schweiz angeboten. Weitere Informationen zu dem Projekt unter: www.aef-bonn.de Carmen Behrens, Bund der spanischen Elternvereine in der Bundesrepublik Deutschland e.V. Aktuelles aus dem Bundesamt Von der Asylbehörde zum Kompetenzzentrum für Migration und Integration Das Bundesamt begeht mit einem Festakt und einer Jubiläumswebsite sein 60-jähriges Bestehen © Daniel Karmann Unter großem Applaus wurden der Bundespräsident und seine Lebensgefährtin, Daniela Schadt, von den Mitar- arbeitern: „Ohne Ihr großes Engagement wäre die erfolgreiche Entwicklung des Bun­ desamtes zu einem heute national und in­ ternational anerkann­ ten Kompetenzzen­ trum für Migration und Integration nicht möglich gewesen“. Sowohl den Be­ such des Bundespräsidenten als auch den Festakt können sich Interessierte auf der Internetseite „60 Jahre BAMF“ als Video ansehen. Auf der Website findet sich auch ein Zeitstrahl mit den wichtigsten Meilensteinen der Behör­ de in den letzten sechs Jahrzehnten. Einen Blick hinter die Kulissen ge­ währen einzelne BAMF-Mitarbeiter, die in kurzen Artikeln persönliche Höhepunkte ihrer Arbeit schildern. In einer elektronischen Festschrift, die während des Jubiläumsjahres laufend erweitert wird, kommen Kooperati­ onspartner zu Wort und berichten von ihrer Zusammenarbeit mit dem Bun­ desamt in den Bereichen Asyl, Integration und Forschung. © Daniel Karmann Runde Geburtstage sind dazu da, groß gefeiert zu werden und geben gleich­ zeitig Anlass, das bisherige Leben Revue passieren zu lassen. Das sechzigste Jubiläum des Bundesamtes ist da kei­ ne Ausnahme. Das Haus kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken, von der Gründung im Jahr 1953 als „Bundesdienststelle für die Anerken­ nung ausländischer Flüchtlinge“, die ausschließlich mit Asylfragen befasst war, bis zur Umbenennung im Jahr 2005 in „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“, das auch Integrations­ arbeit leistet. Eingeläutet wurde das Jubiläumsjahr durch den Besuch des Bundespräsidenten Joachim Gauck, der sich aus erster Hand über die Arbeit des Bundesamtes informierte. beitern des Bundesamts in Nürnberg in Empfang genommen. Gauck zeigte sich berührt: „Als ich eben hier herein kam, hatte ich eine Vision: Wenn jeder, der nach Deutschland kommt, so offen und freundlich begrüßt wird wie ich, kön­ nen wir die Kultur des Miteinanders mit Leben füllen.“ Beim offiziellen Festakt zum 60-jäh­ rigen Bestehen konnte das Bundesamt die Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, und den Bundesinnenminister, Dr. HansPeter Friedrich, in der Nürnberger Zent­ rale begrüßen. In ihrer Rede unterstrich die Kanzlerin die gesellschaftliche Rele­ vanz der Themen Migration, Asyl und Integration sowie die wichtige Rolle, die das Bundesamt hierbei einnimmt: „In­ tegration ist noch nicht Teil des Namens des Bundesamts. Das Bundesamt bewältigt aber große Aufgaben in diesem Bereich, und das ist gut und richtig.“ Auch der Bundesinnenminister zeigte sich zufrieden mit der Arbeit des Bundesamtes und dankte vor allem den Mit- Das Jubiläum des Bundesamtes im Internet: www.60-jahre-bamf.de Corinna Rappe, Büro des Präsidenten des Bundesamtes 9 3 Fragen – 3 Antworten © BAMF Ein Werkzeugkoffer für die Willkommenskultur Erwin Schindler, Gruppenleiter für Grundsatzfragen der Integration des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, im Gespräch zum BAMFModellprojekt „Ausländerbehörden – Willkommensbehörden“ Das Bundesamt wird zwei Jahre lang zehn Ausländerbehörden auf ihrem Weg zu Willkommensbehörden be­ gleiten. Die Ausländerbehörden fallen aber in die Zuständigkeit der Länder, welche Herausforderungen sehen Sie hier bei der Umsetzung? Als Bundesbehörde haben wir natür­ lich keinen direkten Zugriff auf Aus­ länderbehörden. Probleme sehe ich deshalb aber nicht. Das Modellprojekt ist ein Vorschlag des vom Bundesamt moderierten Runden Tisches „Aufnah­ megesellschaft“, in dem wir mit Exper­ ten aus unterschiedlichen Bereichen der Integrationsarbeit Empfehlungen zur Etablierung einer Willkommens­ und Anerkennungskultur in Deutsch­ land erarbeitet haben. Vor allem aber haben alle Bundesländer sehr positiv auf unsere Anfrage zur Beteiligung an dem Projekt reagiert. Letztlich findet das Projekt nun in zehn Bun­ desländern statt. Diese sind: BadenWürttemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rhein­ land-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Darüber hinaus werden einige Behör­ den, die in diesem Bereich bereits vor­ bildlich arbeiten, das Projekt begleiten und unterstützen. Wir haben somit bei allen Beteiligten ein großes Interesse 10 und eine hohe Kooperationsbereitschaft vorgefunden. Wie realistisch ist das Ziel, eine Will­ kommenskultur aufzubauen, in Anbe­ tracht dessen, dass die Behörden auch für aufenthaltsbeendende Maßnah­ men zuständig sind? Uns ist bewusst, dass hier ein scheinba­ rer Widerspruch besteht. Für uns steht der Begriff „Willkommensbehörde“ aber für eine gewisse Haltung. Es geht darum, hinter jedem Antrag den Men­ schen zu sehen und Einzelschicksale nicht aus dem Blick zu verlieren. Um dies zu erreichen, setzt das Projekt an drei Kernbereichen an: Erstens Stär­ kung der interkulturellen Kompeten­ zen des Personals; zweitens Vernetzung der Ausländerbehörden mit wichtigen Akteuren vor Ort, wie zum Beispiel Mi­ grantenorganisationen oder Diensten der sozialen Beratung und Betreuung; und drittens Optimierung interner Strukturen. Dies betrifft die service­ orientierte Gestaltung sowohl der Räumlichkeiten, als auch die internen Arbeitsabläufe. Es geht dabei nicht da­ rum, die Behörden grundlegend umzu­ ändern. Häufig reicht schon das Drehen an kleinen Stellschrauben, um etwas zu verändern. Dies ist und kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Blicken wir nun zwei Jahre in die Zu­ kunft: Was glauben Sie wird das Pro­ jekt bewirkt haben? Es wäre sicherlich zu optimistisch, da­ von auszugehen, dass die beteiligten Behörden alle nach Ablauf der zwei Jahre bereits eine perfekte Willkom­ menskultur in der täglichen Arbeit ver­ ankert haben. Wir hoffen aber, dass am Ende des Projekts eine von Willkom­ menskultur geprägte Haltung bei der Leitung und den Mitarbeitern verin­ nerlicht ist und sie diesen Weg weiter­ gehen möchten und dass auch Zuwan­ dernde, die zu den Behörden kommen, wissen: Hier erhalte ich nicht nur mei­ nen Aufenthaltstitel, sondern auch Rat und Unterstützung. Das Projekt soll aber ebenso für die nicht-teilnehmenden Behörden nutz­ bar sein. Zum einen erwarten wir, dass die zehn Willkommensbehörden eine Ausstrahlwirkung auf die anderen in ihrem Gebiet haben werden. Zum an­ deren wird ein Werkzeugkoffer mit Handlungsempfehlungen und Pra­ xisbeispielen entwickelt. Auf diesen können dann auch andere auf ihrem Weg zur „Willkommensbehörde“ zu­ rückgreifen. Interview: Robert Gölz, Referat Grundsatzangelegenheiten der Integration Aktuelles aus dem Bundesamt „Willkommen in Deutschland“ neu aufgelegt Die Informationsbroschüre für Zuwanderer kann wieder bestellt werden Nachdem die letzte Ausgabe der Broschüre „Willkommen in Deutschland“ innerhalb kürzester Zeit vergriffen war, liegt nun die neue, vierte Auflage in den Sprachen Arabisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Polnisch, Russisch und Türkisch vor. Als zentraler Ratgeber für Zuwanderer bietet sie zahlreiche Informationen für den privaten und beruflichen Neustart in Deutschland. Was brauche ich, um nach Deutschland einzurei­ sen? Wo kann ich Deutsch lernen? An wen kann ich mich vor Ort wenden? All diese Fragen beantwortet die 130 Seiten starke Broschüre, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Auftrag des Bundesinnenministeriums gestaltet hat. Ein Informationsblatt ergänzt den bisherigen Inhalt um einen Überblick zu der „Blauen Karte EU“. Die Broschüre ist kostenlos und kann beim Publikationsversand der Bundesregierung (Publikationen@bundesregierung.de) oder unter www.bamf.de/publikationen bestellt werden. Marianne Lotter-Keim, Referat Informationszentrum Integration, Bürgerservice Reaktionen auf „Willkommen in Deutschland": „Ich freue mich sehr, in dieser Broschüre einen All­ tagsratgeber für meine neuen Kollegen, die aus allen Teilen der Welt kommen, gefunden zu haben und bin gespannt auf deren Reaktion. Mir erspart die Broschüre viele Erklärungen und gibt allen neuen Kollegen die Möglichkeit, bei Bedarf wichtige Themen wie Krankenversicherung, Arbeitserlaub­ nis und Bankenwesen jederzeit nachschlagen zu können. Vielen Dank für die Bereitstellung.“ Beate Nichols, Business Assistant, Frankfurt International School „Die Broschüre hat mich wirklich begeistert – sowohl hinsichtlich der thematischen Breite als auch der didaktischen Aufbereitung und optischen Gestaltung. Sie geben uns damit ein wertvolles Hilfs­ mittel an die Hand, das ich in meiner konkreten Alltagspraxis sicher oft und gern einsetzen werde.“ Felice Balletta, Fachbereichsleiter der Volkshochschule Fürth „Das ist Willkommenskultur!“ Andreas Reindl, Leiter der Integrationsstelle der Stadt Regensburg 11 Bundesamt in Zahlen Integrationskurse Seit 2005 sind Integrationskurse der wichtigste Pfeiler der Integrationsarbeit des Bundes. Die Kurse vermitteln den Teilnehmern vor allem die deutsche Sprache und erhöhen damit ihre Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe. Auch acht Jahre nach dem Start der ersten Kurse reißen die Anmeldungen nicht ab: Ein Ende dieses Erfolgsmodells ist damit nicht in Sicht. Neue Kursteilnehmer im Zeitverlauf: Neue Kursteilnehmer nach Geschlecht (2005 bis zum ersten Halbjahr 2013) Verpflichtete Freiwillige Jahr 31.022 2005 64 % 601.209 49.420 2006 36 % 336.635 51.700 2007 Kursteilnehmer, die ihre Deutschkenntnisse durch die Teilnahme an einem Integrationskurs verbesserten (Ergebnis des Integrationspanels, Forschungsbericht 11) 93 % 99.706 130.728 68.534 62.665 2008 48.997 72.278 2009 50.629 65.423 2010 48.109 40.520 2011 49.126 47.731 43.269 2012 117.954 114.365 121.275 116.052 88.629 50.751 96.857 94.020 Insgesamt Zahl der begonnenen Integrationskurse 1) (2005 bis zum ersten Halbjahr 2013) Aufteilung nach Kursarten 1) Allgemeiner Integrationskurs Eltern- bzw. Frauenintegrationskurs Förderkurs 2) Integrationskurs mit Alphabetisierung Intensivkurs 2) Jugendintegrationskurs Sonstiger spezieller Integrationskurs 3) 51.292 7273 739 10.720 177 1058 136 71.395 72 % 10 % 1% 15 % 0,2 % 1% 0,2 % 100 % Die Daten beinhalten nachträgliche Veränderungen aus dem Jahr 2009 und sind daher nicht mit der offiziellen Geschäftsstatistik vergleichbar. 12 2) 3) Erfassung dieser Kurstypen seit 2007 z. B. Integrationskurse für Gehörlose Aktuelles aus dem Bundesamt Bildungsabschluss der Integrationskursteilnehmer (Ergebnis des Integrationspanels, Forschungsbericht 11) EU-Bürger 4) unter den neuen Kursteilnehmern 30 % 2005 29 % 6% 7901 20 % 26 % 2006 16 % 10 % 9% 17 % 12 % 10.111 2007 10 % Hochschulabschluss Hochschulzugangsberechtigung Abschluss einer weiterführenden Schule 10.833 Die drei häufigsten Staatsangehörigkeiten unter den neuen Kursteilnehmern (2005 bis zum ersten Halbjahr 2013) 2008 10 % 11.912 2009 17 % 12 % Pflichtschulabschluss (z. B. Haupt­ schulabschluss) Was hat Ihnen die Teilnahme am Integrationskurs gebracht? (Ergebnis des Integrationspanels, Forschungsbericht 11) „Ich komme besser mit der deutschen Sprache klar.“ „Ich kann mich besser zu­ rechtfinden.“ 13.692 Türkei 162.321 Kein Schulabschluss 75 % 72 % „Ich traue mich jetzt eher, Deutsch zu sprechen.“ 2010 11 % 67 % 9481 6% 2011 20 % 19.495 Russische Föderation 58.492 2012 31 % 28.643 6% 1. Halbjahr 2013 41 % 23.509 Die Zahlen auf diesen beiden Seiten stammen aus den Statisti­ ken des Bundesamtes zu den bundesweiten Integrationskursen und dem Integrationspanel. Mit dem Integrationspanel wurden zum ersten Mal Integrationskurse im Sinne einer Wirkungs­ kontrolle evaluiert. Das Integrationspanel liefert fundierte Da­ ten und Analysen zu Integrationskursen und deren Wirksam­ keit. Befragt wurden zu Beginn des Untersuchungszeitraums 3900 Integrationskursteilnehmer sowie eine Kontrollgruppe von 3700 Personen. Den Ergebnisbericht der Evaluierung kön­ nen Sie herunterladen unter www.bamf.de/publikationen Deutschland 5) 56.544 4) EU-27 ohne Deutschland 5) ohne Spätaussiedler Weitere Zahlen zu den Integrationskursen finden Sie unter: www.bamf.de/Infothek 13 Aktuelles aus dem Bundesamt Berufsbezogene Sprachkurse: Damit Arzt und Patient sich verstehen © Broschüre „Berufsbezogene Deutschförderung“ / BAMF Die Deutschkurse des ESF-BAMF-Programms erfreuen sich auch im Gesundheitsbereich großer Beliebtheit Kursteilnehmer (3. von links) bei seinem Orientierungspraktikum in einem Pflegeheim Der Fall hatte im letzten Jahr Schlagzei­ len gemacht: In Leipzig informierte ein Arzt wegen fehlender Deutschkennt­ nisse seine Patientin nur unzureichend über die Risiken einer Operation. Als es dann zu Komplikationen kam, klagte die Frau – und erhielt Recht. Seitdem ist klar: Auch Klinikärzte müssen fließend Deutsch sprechen. „Ausländische Ärzte oder Pflege­ kräfte müssen gewisse Sprachkennt­ nisse vorweisen, um in Deutschland arbeiten zu dürfen. Es besteht aber ein großer Unterschied zwischen dem Deutsch, das in allgemeinen Kursen unterrichtet wird und dem, das im Klinikalltag zum Einsatz kommt“, sagt Dr. Markus Richter, der im Bundesamt für die berufsbezogenen Sprachkurse des ESF-BAMF-Programms zuständig ist. Um ihre Ärzte und Pfleger aus dem Ausland innerhalb kürzester Zeit auf 14 die Arbeit vorzubereiten, wenden sich immer mehr Kliniken und Fachkräfte an das Bundesamt. In Zusammenar­ beit mit Trägern vor Ort entwickelt es auf die einzelnen Arbeitsplätze zuge­ schnittene Deutschkurse. „Eine enge Abstimmung mit dem Krankenhaus oder der Pflegeeinrichtung ist im Vor­ feld sehr wichtig, damit die Kurse die Bedarfe aufgreifen und die Ärzte und Pflegekräfte passgenau qualifiziert werden“, erklärt Richter. Die Teilneh­ mer lernen in den Kursen nicht nur die Fachbegriffe sondern auch, wie sie mit den Patienten reden müssen. Der Unterricht ist dabei mit Rollenspielen und Exkursionen ganz nahe an der Re­ alität ausgerichtet. Teilweise coachen erfahrene Lehrkräfte die Ärzte und Pfleger und begleiten sie in echten Ar­ beitssituationen. Informationen zum deutschen Gesundheitssystem und den dahinter stehenden Institutionen runden das Angebot ab. „Unser Land hat aufgrund der Alte­ rung der Gesellschaft einen hohen Be­ darf an Ärzten und Pflegepersonal, den es aktuell nicht alleine decken kann. Da liegt es nahe, dass Arbeitgeber nach weiteren Potenzialen suchen“, erzählt Richter. Vor zwei Jahren fand in Nürn­ berg der erste ESF-BAMF-Kurs im Gesundheitsbereich mit Beschäftig­ ten der Caritas statt. Seitdem ist die Anzahl der Kurse stetig angestiegen. Allein im letzten Jahr fanden bundes­ weit 180 Kurse für Beschäftigte statt. Daneben gab es bundesweit 348 Kurse für ausländische Gesundheitsfachkräf­ te, die noch auf der Suche nach einer Anstellung waren. Das vom Bundesamt erarbeitete ESF­ BAMF-Programm sieht maßgeschnei­ derte Sprachkurse vor, die bundesweit flächendeckend von ausgewählten Bil­ dungsträgern umgesetzt werden. Die Kurse sind für das Krankenhaus und für die Teilnehmer ein kostenfreies Ange­ bot. Eine Kofinanzierung der Schulun­ gen erfolgt, indem die jeweiligen Klini­ ken das Personal unter Fortzahlung der Bezüge für den Kursbesuch freistellen. Teilnehmen können aber auch arbeit­ suchende Leistungs- und Nicht-Leis­ tungsbezieher. Weitere Informationen zur berufsbezo­ genen Sprachförderung finden Sie unter: www.bamf.de/esf-bamf Zakia Chlihi, Referat Informationszentrum Integration, Bürgerservice © istockphoto.com / Krystian Nawrocki www.facebook.com/ bamf.socialmedia Besuchen Sie das Bundesamt auf Facebook! Wissenswertes zu den Themen Migration und Integration jetzt auch im erfolgreichsten sozialen Netzwerk Als eine der ersten Bundesbehörden ist das Bundesamt mit einer eigenen Seite auf Facebook zu finden. Sie können dort das Bundesamt nun „adden“, „liken“ und vor allem mit ihm in Kontakt treten: „Wir sehen in sozialen Netzwerken die Chance, mit den Menschen direkt und auf Augenhöhe zu kommunizieren und sie für die Themen Integration und ge­ sellschaftliche Vielfalt zu interessieren“, erklärt der Präsident des Bundesamtes, Dr. Manfred Schmidt. Wer die Facebook-Seite des Bundesamts mit „Gefällt mir“ markiert (= abonniert), kann beispielsweise mit anderen da­ rüber diskutieren, was für die interkulturelle Öffnung der Universitäten getan werden kann oder ob die Bezeichnung „mit Migrationshintergrund“ noch zeitgemäß ist. Aktuelle Publikationen und Statistiken rund um die Themen Migrati­ on und Integration stehen direkt zum Download bereit. Das Redaktionsteam befüllt die Seite regelmäßig mit interessan­ ten Beiträgen und reagiert schnell auf die Fragen und An­ regungen der Abonnenten. Ein Engagement, das sich lohnt: In den ersten sechs Monaten konnte die Facebook-Seite des Bundesamts bereits fast 1000 „Fans“ gewinnen. Christiane Germann, Büro des Präsidenten des Bundesamtes, Social Media-Redaktion 15 Integrationslandschaft Deutschland Mikrokosmos Krankenhaus In Wiesbaden bildet ein Projekt muslimische Seelsorger aus Ein Aufenthalt im Krankenhaus ist für viele Menschen mit Un­ sicherheit und Angst verbunden: Werde ich wieder gesund? Wie lange muss ich bleiben? Wer kümmert sich um meine Familie? In der Regel verfügt jedes Krankenhaus über christliche Seel­ sorger, die Kranken in dieser Situation zur Seite stehen können. „Diese stoßen aber bei muslimischen Patienten an ihre Grenzen, weil sie einen anderen spirituellen Hintergrund haben und die religiösen Rituale nicht kennen“, weiß Gülbahar Erdem. Um hier Abhilfe zu schaffen, hat die Islamwissenschaftlerin 2009 das Pro­ jekt „Muslimische Seelsorge in Wiesbaden“ (MUSE) entwickelt. Seit drei Jahren unterstützt MUSE Wiesbadener Kranken­ häuser sowie Pflege- und Altenheime mit muslimischen Seel­ sorgern, die Patienten und ihren Angehörigen Trost geben und ihnen auf Wunsch bei der Ausübung religiöser Praktiken wie dem Gebet helfen. Immer wieder sind auch Sterbebeglei­ tungen und Beratungen zu sozialen oder theologischen Fra­ gestellungen Teil ihrer Aufgaben. Anders als ihre christlichen Kollegen arbeiten die MUSE-Seelsorger ehrenamtlich und sind in keiner festen Institution eingebettet. In der Anfangszeit fi­ nanzierte die Stadt Wiesbaden das Projekt. Nach Auslauf der Förderung versucht MUSE als gemeinnütziger Verein mit der Hilfe von Spenden alleine auf den Beinen zu stehen. Damit die Seelsorger für jede Situation gewappnet sind, be­ kommen sie von MUSE eine breite Ausbildung, die 140 Stunden und eine vierwöchige Praxisphase umfasst. Sie lernen in ihr die verschiedenen Techniken der Gesprächsführung und was sie im Umgang mit Kranken und ihren Angehörigen beachten müssen. Auch behandeln die Schulungen Trauer und Krisen aus islamischer Sicht und informieren zu den öffentlichen Hilfsangeboten der Stadt. Während und auch nach der Ausbil­ dung erhalten die Seelsorger zudem eine Supervision, in der sie ihre Einsätze reflektieren und eine Beraterin ihnen dabei hilft, mit den zum Teil belastenden Erfahrungen umzugehen. © MUSE Gülbahar Erdem (1. von links i. d. 2. Reihe) und Almira Begic (3. von links i. d. 2. Reihe) mit ihren Mitstreitern Derzeit sind 24 MUSE-Seelsorger im Alter zwischen 23 und 63 Jahren in der hessischen Hauptstadt tätig. „Die Gruppe hat be­ wusst eine heterogene Struktur, um der Vielfalt der Muslime in Wiesbaden gerecht zu werden. So engagieren sich bei uns Sun­ niten und Schiiten mit sehr unterschiedlichen Bildungs- und Migrationshintergründen“, erzählt Erdem. Wie so häufig im sozi­ alen Bereich überwiegen bei MUSE die Frauen. Eine von ihnen ist Almira Begic, die sich parallel zu ihrer Arbeit als Seelsorgerin zur Heilpraktikerin für Psychotherapie ausbilden lässt. „Vom Kran­ kenhaus erhalte ich eine Liste mit den muslimischen Patienten. Ich besuche ein Paar davon persönlich und biete ihnen meine Hilfe an. Welche menschlichen Schicksale mich dabei erwarten, weiß ich nie“, beschreibt sie ihr Vorgehen bei den Einsätzen. Ob sie sich noch an ihren schwierigsten Fall erinnern kann? Begic muss nicht lange nachdenken: Zwei Wochen lang be­ gleitete sie die Familie eines jungen Mannes, der versucht hat­ te sich das Leben zu nehmen und anschließend im Koma lag: „Alle Familienmitglieder sind anders mit seinem Selbstmord­ versuch und späteren Tod umgegangen. Jeden musste ich auf eine andere Weise trösten und unterstützen. Diese Geschichte habe ich noch lange mit mir herumgetragen.“ Aber es gibt auch viele schöne Momente in der Arbeit der Seelsorger, beispiels­ weise wenn sie einer Mutter zum neugeborenen Kind gratu­ lieren oder ein Patient nach langer Behandlung endlich das Krankenhaus verlassen darf. „Das Krankenhaus ist eben ein Mi­ krokosmos, in dem sich traurige und viele freudige Schicksale vereinen“, meint Begic. Weitere Informationen zu MUSE erhalten Sie unter: www.muse-wiesbaden.de Zakia Chlihi, Referat Informationszentrum Integration, Bürgerservice Rossana Szalaty (sitzend r.) mit ihren Mitstipendiaten Neustart für ausländische Akademiker in Deutschland Das Studienprogramm „ProSALAMANDER“ geht an den Universitäten Duisburg-Essen und Regensburg in die zweite Runde Seit sechs Jahren kämpft die Brasilianerin Rossana Szalaty dar­ um, in Deutschland beruflich Fuß zu fassen, bislang ohne Erfolg. In ihrem Heimatland war die Juristin Abteilungsleiterin in einer Bank. In Bergkamen, wo sie mit ihrem Mann lebt, musste sie als Kassiererin in einem Supermarkt anfangen – trotz mehrerer Deutschkurse und einer beruflichen Weiterbildung zur Wirt­ schaftsfachwirtin. Sie hat einen einfachen Wunsch: „Mein Ziel ist es, eine Stelle zu bekommen, die meine Qualifikationen wi­ derspiegelt“. Um dies zu erreichen, hat sie sich beim Programm zur Stärkung ausländischer Akademiker/innen durch Nachqua­ lifizierung an den Universitäten Duisburg-Essen und Regens­ burg (ProSALAMANDER) beworben. Im Rahmen des Projektes können Migranten mit auslän­ dischem Abschluss an den beiden teilnehmenden Universi­ täten studieren, um innerhalb von 12 bis 18 Monaten einen deutschen Bachelor- oder Master-Abschluss zu erreichen. „Weil ihre ausländischen akademischen Berufsabschlüsse nicht von deutschen Arbeitgebern akzeptiert werden, müssen viele Akademiker eine Stelle unter ihrem Qualifizierungs­ niveau annehmen, oder sie bleiben ohne Beschäftigung. Um wieder zur Uni zu gehen, fehlt ihnen aber das Geld“, weiß Dr. Katharina Jacob, die das Programm an der Universität Duisburg-Essen leitet. Diesen Teufelskreis durchbricht ProSALAMANDER, indem es die Teilnehmer mit einem monatlichen Stipendium von 800 Euro unterstützt. Parallel zu den Fachveranstaltungen er­ halten die Stipendiaten noch Deutschunterricht und werden von Mentoren begleitet. Gefördert wird das Projekt für vier Jahre von der Stiftung Mercator. Die ersten 24 Stipendiaten haben ihr Studium an den Universitäten Duisburg-Essen und Regensburg im Wintersemester 2012/2013 aufgenommen. Die zweite Be­ werbungsrunde für 40 weitere Studienplätze wurde gerade abgeschlossen. „Neben den formalen Kriterien, wie einem ab­ geschlossenen ausländischen Studium und bereits vorhande­ nen Deutschkenntnissen, müssen die Bewerber vor allem eine hohe Motivation mitbringen. Ein Teilzeit- oder Fernstudium finanzieren wir beispielsweise nicht“, erklärt Dr. Cornelia Schu von Mercator. Rossana Szalaty hatte Glück und konnte sich gegen die vie­ len Bewerber durchsetzen. Sie studiert nun an der Universität Duisburg-Essen Betriebswirtschaftslehre. Sie ist sich sicher: „ProSALAMANDER ist für mich die beste Chance, einen guten Job zu finden.“ Weitere Informationen zum Projekt unter: www.prosalamander.de Zakia Chlihi, Referat Informationszentrum Integration, Bürgerservice 17 Integrationslandschaft Deutschland © IBBC e.V. Von Mann zu Mann: Väter informieren zu Erziehungsfragen Mit Schulungen zu sozialen und erzieherischen Themen wurden die Kiezväter auf ihren Einsatz im Berliner Stadtteil Neukölln vorbereitet. Berliner Projekt „Kiezväter“ hinterfragt erfolgreich patriarchale Rollenbilder Sogenannte Stadtteilmütter helfen be­ reits vielerorts Familien in Erziehungs­ fragen oder bei familiären Problemen. Ungewöhnlich ist, wenn Väter mit Mig­ rationshintergrund diese Aufgabe über­ nehmen – wie dies im Projekt „Kiezvä­ ter“ des interkulturellen Beratungs- und Begegnungs-Centrums (IBBC) im Berli­ ner Stadtteil Neukölln der Fall ist. Schulschwänzer, Raufereien oder res­ pektloses Verhalten gegenüber Lehrern – Seyhan Akgül ist zur Stelle und vermittelt, wenn es in der Carl-Legien-Oberschule in Berlin Neukölln Schwierigkeiten gibt. Der 46-jährige Karosseriebauer ist einer von insgesamt 38 Männern mit und ohne Migrationshintergrund, die im Projekt „Kiezväter“ speziell geschult wurden, da­ mit sie anderen Vätern und Familien bei der Erziehung ihrer Kinder – vor allem von Jungen – unterstützend zur Seite ste­ hen können. „Am Anfang war es schwierig, mit den Jugendlichen umzugehen und von den Familien akzeptiert zu werden“, erzählt Akgül, der selbst Vater von zwei Jugend­ lichen ist. Mit der Zeit haben er und ein weiterer Kiezvater, der an der Neuköllner Oberschule im Einsatz ist, das Vertrauen 18 der Schüler, Eltern und der Lehrerschaft gewonnen. Der Erfolg ihrer Arbeit ist spür­ bar: „Seit die Kiezväter an der Schule sind, hat sich das Klima wesentlich verbessert“, berichtet Projektleiterin Ilknur Gümüs. Mit dem Projekt wollte sie die Ausrich­ tung der Sozialarbeit in Neukölln verän­ dern. „Heute sind die Jungs die Bildungs­ verlierer“, meint Gümüs. „Als Erwachsene und Väter geben viele ihre Unsicherheit in Bildungs- und Erziehungsfragen an ihre Kinder weiter.“ Ziel des Projekts war es daher, patriarchale Rollenbilder zu hinterfragen und die Väter für Erzie­ hungsarbeit zu sensibilisieren. „Es war nicht einfach, Väter für das Projekt zu gewinnen“, erinnert sich Ilknur Gümüs. Ein halbes Jahr war sie dafür im Kiez unterwegs und hat für ihr Projekt geworben. Zunächst waren 16 Männer bereit, sich auf die neue Auf­ gabe einzulassen, weitere kamen später hinzu. Die meisten waren zuvor arbeits­ los. Über das Projekt konnten für einige von ihnen öffentlich geförderte Arbeits­ stellen geschaffen werden, die Mehrzahl ist ehrenamtlich engagiert. Die Väter sind nun an zwei Schulen, einem Kindergarten, einem Nachbar- schaftszentrum und in verschiedenen Migrantenvereinen beschäftigt. Ihre Aufgaben sind vielfältig: Sie kümmern sich um „auffällige“ Kinder und Jugend­ liche, vermitteln zwischen Organisation und Elternhaus, machen Hausbesuche und helfen bei Behördengängen und familiären Problemen oder bieten Mu­ sikangebote mit Gitarre oder Saz. Ilknur Gümüs ist stolz auf das Er­ reichte: „Entgegen vieler Vorurteile haben wir gezeigt, dass es möglich ist, Vätergruppen zu gründen. Zu Beginn wurden die Väter noch belächelt. Jetzt sind sie anerkannt und werden für ihr Wissen respektiert.“ Bis September 2012 hat das Bundes­ amt für Migration und Flüchtlinge das Projekt gefördert. Mit Unterstützung des Bezirksamts Neukölln und der Ar­ beitsagentur ist es gelungen, für weitere zweieinhalb Jahre eine Förderung von 15 Arbeitsstellen aus dem Bundespro­ gramm Bürgerarbeit zu erhalten. Andrea Mack-Philipp, Referat Grundsatzangelegenheiten der Integrationsförderung Integrationslandschaft Deutschland Zu Gast bei der Welt in Kreuzberg In Berlin betreiben ehemalige Integrationskursteilnehmer ein eigenes Restaurant Rinderhackbällchen mit getrockne­ ten Aprikosen aus Südafrika, Kokos­ Ingwer-Karottensuppe aus Hawaii, Fisch-Kebab aus der Türkei: Dies ist nur eine kleine Auswahl der Gerichte, die sich auf der ständig wechselnden Speisekarte der „Weltkü­ che“ in Berlin-Kreuzberg finden lassen. Das Res­ taurant wird betrieben vom gemeinnützigen Verein Graefewirtschaft e. V., zu dem sich vor vier Jahren ehemalige Integrationskursteilneh­ mer und arbeitsuchende Migranten zusammenge­ schlossen haben. Unterstützt werden sie in ihrer Arbeit u. a. von der Unternehmensberaterin Annette Jankowski. Frau Jankowski, welches Ziel verfolgt die Weltküche? Unser Ziel ist die Integration und gesell­ schaftliche Teilhabe von Flüchtlingen und Migranten. Die Weltküche ist eine Initiative von Migranten, die aufgrund ihrer fehlenden Ausbildung Schwierig­ keiten hatten, in Deutschland eine Stelle zu finden. Um sich selbstständig zu ma­ chen, haben sie ein Restaurant gekauft und tun dort das, was sie am besten können: Gerichte aus ihren Heimatlän­ dern kochen. Zunächst haben wir sehr klein angefangen und nur einen Mit­ tagstisch angeboten. Heute organisieren wir Caterings für Tagungen mit bis zu 8000 Teilnehmern und versorgen zehn Schulen in Berlin. Wie viele Nationen umfasst momentan die Welt der Weltküche? Zurzeit rund 20 Nationen, wobei die Na­ tionalitäten ständig wechseln. Die Basis bilden Personen aus den Philippinen, Ecuador, der Türkei, Sri Lanka sowie Mitarbeiter aus arabischen und afrika­ nischen Ländern. Die Vielfalt im Team schlägt sich auch in der Speisekarte nieder. Welche Ge­ richte erfreuen sich besonders großer Beliebtheit bei Ihren Gästen? Sehr beliebt sind türkische Gerichte, ins­ besondere Sulu Köfte, das sind gewürzte Hackfleischbällchen in einer speziellen Tomatensoße. Aber auch Speisen aus Ecuador, Südafrika und Curry-Gerichte aus verschiedenen Ländern werden sehr gerne und oft bestellt. Wie erfolgreich ist die Weltküche da­ mit, Flüchtlinge und Migranten in Be­ schäftigung zu bringen? Ich würde uns als sehr erfolgreich bezeichnen. So ziemlich jeder, der bei uns in der Küche, der Schulversorgung oder im Service ein Praktikum absolviert, wird danach entweder direkt bei uns eingestellt oder kann weitervermittelt werden. Die Praktikanten und Arbeitssuchenden be­ werben sich bei der Welt­ küche aus zwei Projekten heraus, an denen der Verein Graefewirtschaft beteiligt ist. Bei „bridge“ fördern wir die Ar­ beitsmarktintegration von Blei­ beberechtigten und Flüchtlingen, in­ dem wir diese Menschen in den ersten Arbeits- und Ausbildungsmarkt vermit­ teln. „SoJung” hilft jungen Migranten, die beruflich benachteiligt sind, eigene soziale Unternehmen zu gründen. Und wie sieht die Zukunftsplanung der Weltküche aus? Die Schulversorgung ist ein sehr inter­ essanter Markt, auf dem wir weiter ex­ pandieren möchten. Er bietet auch eine hervorragende Möglichkeit, neue nied­ rigschwellige Arbeitsstellen zu schaffen, beispielsweise für Flüchtlinge. Als neues Tätigkeitsfeld ist ganz aktuell die Versor­ gung von Senioren hinzugekommen. Auf diesen Bereich möchten wir in Zu­ kunft ein besonderes Augenmerk legen. www.die-weltkueche.org Interview: Artur Negru, Referat Grundsatzangelegenheiten der Integration 19 #SchauHin, hier ist die deutsch-muslimische Bloggerszene Beim Fachgespräch „Internet nutzen“ der Deutschen Islamkonferenz diskutierten muslimische Blogger über die neuen Medien und die Chancen, die sich aus ihnen ergeben usay Kubra Gum om h. rterbuc c -fremdwoe www.ein Fo l gende Links dienen Ihnen zum Ei nstieg in die deutsch-muslimische B l o gg erszene : Ob Blogs, Twitter oder Facebook: Die neuen Medien gelten als besonders demokratisch, da ihre Nutzer nicht nur pas­ sive Konsumenten sind, sondern im Handumdrehen selbst publizieren können. Sie bieten daher auch Gruppen eine öf­ fentliche Plattform, die in den etablierten Medien kaum ver­ nommen werden. Um zu erkunden, wie stark Muslime diese Möglichkeit bereits ergreifen, lud die Deutsche Islam Konfe­ renz im September Blogger und Vertreter muslimischer Ver­ bände zum Fachgespräch „Internet nutzen“ ein. Ein zentrales Thema für die Teilnehmer der Veranstaltung war ihr eigenes Selbstverständnis: Möchten Sie als bloggen­ de Muslime oder vordergründig als Blogger wahrgenommen werden? Für letzteres hat sich klar Neslihan Doğan entschie­ den. Die Journalistin bloggt seit Jahren unter dem Namen „Lina Wunderlich“ über ihr Leben und was sie bewegt. Der Islam ist dabei auch ein Thema – aber eines unter vielen. In ihrem bislang erfolgreichsten Beitrag geht es beispielsweise darum, wie Männern in ihrem Bekanntenkreis zu Liebe und Ehe stehen. 20 Auch Eren Güvercin machte bei der Veranstaltung klar, dass er sich nicht in die Rolle des „Berufs-Muslims“ drängen lassen möchte: „Ich bin weder Islam- noch Türkei-Experte und das Thema Salafismus – obwohl es wichtig ist – langweilt mich“. Der freie Journalist und Autor des Buches „Neo-Moslems: Portrait einer deutschen Generation“ legt in seinem Blog „grenzgängerbeatz“ den Schwerpunkt auf Interviews und Begegnungen mit interessanten Persönlichkeiten wie Roger Willemsen, Navid Kermani und Feridun Zaimoglu. Wie auch die anderen Teilnehmer des Fachgesprächs, fokussiert er sich nicht nur auf seinen Blog, um Inhalte zu publizieren. Face­ book und Twitter spielen für ihn eine ebenso wichtige Rolle. Gerade der Kurznachrichtendienst Twitter wird immer häufiger verwendet, um innerhalb kürzester Zeit Aufmerk­ samkeit für ein bestimmtes Thema zu generieren. So stellte Integrationslandschaft Deutschland an s.com n Dog rdpres Nesliha underlich.wo aw www.lin Akif Sahin www.akifsahin.de in uH cha #S Eren G uvercin www.ere nguever cin.word press.c om Hasibe Ozasla n www.eb isah.wo rdpres s.c om Kübra Gümüşay, Journalistin und eines der bekanntesten Ge­ sichter der deutsch-muslimischen Bloggerszene, beim Fach­ gespräch die Kampagne „#SchauHin“ vor. In Anlehnung an die erfolgreiche Twitter-Aktion „#Aufschrei“, bei der es um Sexismus in Deutschland geht, forderte sie mit anderen Ak­ tivisten die Netzgemeinde dazu auf, unter dem Schlagwort #SchauHin Erfahrungen mit Alltagsrassismus zu teilen. Tau­ sende Menschen sind dem Aufruf gefolgt und sendeten via Twitter ihre Geschichten: „Das Teilen nimmt die Last von den Schultern, es macht öffentlich, was oft verborgen blieb. Es problematisiert, prangert an, verurteilt und schafft Raum für die Zukunft“, ist sich Gümüşay sicher. com er. tt twi Erfolgreiche Aktionen wie „#SchauHin“ zeigen, welches Potenzial im sogenannten „Web 2.0“ steckt. „Die Deutsche Islam Konferenz sieht in Blogs oder Twitter neue Kanäle des Dialogs und des Informationsaustausches. Wir möchten sie in Zukunft noch stärker nutzen, um gegen Muslimfeindlich­ keit, Antisemitismus und religiös begründeten Extremismus anzugehen“, erläutert Bundesamtsmitarbeiter Florian Knape, der das Fachgespräch organisiert hat. Die Teilnehmer der Ver­ anstaltung zeigten ebenfalls großes Interesse daran, sich wei­ ter auszutauschen und die Vernetzung untereinander voran zu treiben – gerne auch offline. Anne Denkinger / Zakia Chlihi, Referat Religiöse, weltanschauliche und kulturelle Aspekte der Integration / Referat Informationszentrum Integration, Bürgerservice 21 Blick über die Grenzen Nur die Hintertür führt nach Japan Der asiatische Staat steht Einwanderern noch skeptisch gegenüber – wie lange wird er sich das noch leisten können? Wer im Japanischen ein Wort für „Einwanderer“ sucht, wird zunächst nicht fündig. „In unserem herkömmlichen Sprach­ gebrauch sind Migranten ausschließlich diejenigen, die aus­ wandern, das heißt Emigranten“, sagt Prof. Takeuchi von der japanischen Universität Kagoshima. Zwar sind Immigranten in Japan nicht etwas gänzlich Unbekanntes. Aber mit einem Ausländeranteil von 1,6 Prozent liegt das Land weit abge­ schlagen hinter anderen Industrienationen. Dabei benötigt Japan dringend Einwanderung: „Viele In­ dustriebranchen wie Automobilzulieferer oder Fischverarbei­ tungsfabriken können schon heute ohne Arbeitsmigranten nicht mehr bestehen“, so Takeuchi. Zudem hat der demogra­ fische Wandel Japan längst erfasst. Laut aktuellen UN-Daten soll die Bevölkerung im Land der aufgehenden Sonne bis 2100 um 33 Prozent schrumpfen. Den Berechnungen zufolge müsste Japan pro Jahr 650.000 ausländische Arbeitskräfte aufnehmen, um den Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren konstant zu halten. Doch wäh­ rend Deutschland mittlerweile auf Anwerbung ausländischer Fachkräfte setzt, um die Folgen des Bevölkerungsrückgangs abzumildern, zögert Japan noch. Das japanische Migrationsrecht ist weiterhin restriktiv und ermöglicht kaum legale, dauerhafte Arbeitsmigration. Ihren Bedarf, insbesondere an niedrig qualifizierten Arbeits­ kräften, schöpft die japanische Wirtschaft vor allem aus zwei Gruppen: Ausländischen Ehegatten von Japanern und Nachkommen von japanischen Auswanderern aus Südame­ rika, die den Titel „Langfristiger Aufenthalt“ erhalten. Alle 22 anderen Menschen, die in Japan arbeiten möchten, müssen häufig auf die Aufenthaltstitel „Studium“ oder „Praktikum“ ausweichen – obwohl sie in Wirklichkeit als vollwertige Ar­ beitskräfte eingesetzt werden. Dementsprechend werden sie in Japan „Hintertürmigranten“ genannt. Im Land angekommen, sehen sich Einwanderer dann mit weiteren Hürden konfrontiert. Der Staat unterstützt nicht beim Spracherwerb und bietet auch keine Förderung für ausländische Kinder an. In einzelnen Berufen, wie dem des Krankenpflegers, müssen Zuwanderer trotz vorhandenen Abschlusses innerhalb von drei Jahren eine staatliche Prü­ fung bestehen – auf Japanisch. Hieran scheitern regelmäßig an die 90 Prozent der ausländischen Teilnehmer. Für den Migrationsexperten steht Japan am Scheideweg: Entweder es bleibt eine Industrienation, indem es mehr Zu­ wanderung erlaubt, oder es nimmt das Schrumpfen der Be­ völkerung und einen Rückgang der Wirtschaftskraft in Kauf. Takeuchi plädiert für das Erste. Um Japans Größe und Bedeu­ tung zu erhalten, empfiehlt er seiner Heimat ein gesteuertes Arbeitsmigrationssystem. Wie in Deutschland solle Japan die Branchen ermitteln, in denen es den Arbeitskräftemangel nicht aus eigener Kraft ausgleichen kann, um dann gezielt und geordnet Arbeitskräfte aus dem Ausland aufzunehmen. Die Migranten müssten dann auch nicht mehr durch die Hintertür ins Land. Cordelia Carlitz, Informationszentrum Integration, Bürgerservice ( * Stift, der Bedeutung: (umgangssprachlich) [jüngster] Lehrling Synonym: Azubi [a'tsu:bi] Das neue Ausbildungsportal www.wir-sind-bund.de der Bundesregierung informiert Bewerberinnen und Bewerber aller Nationalitäten über den Berufseinstieg in der öffentlichen Verwaltung. Veranstaltungen Ja, wir verändern uns – und das ist auch gut so! © BAMF Die Nürnberger Tage für Integration füllen den Begriff „Anerkennungskultur“ mit Leben Gemeinsam mit Dr. Manfred Schmidt (3.v.l.) zeichnete Gabriele Hauser (4.v.r.) vier vom Bundesamt geförderte Projekte aus, die einen konkreten und nachhaltigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten. Detlef Scheele (1.v.r.) gratulierte ebenfalls den Preisträgern. „Wir“ – ein kleines Wort mit großer Bedeutung, das im Mittel­ punkt der vierten Nürnberger Tage für Integration stand. Was muss getan werden, um in Deutschland ein „Wir“-Gefühl zu entwickeln, das keinen in der Gesellschaft ausschließt? Wie kann die Anerkennung aller in Deutschland lebenden Men­ schen mit Migrationshintergrund durch die Aufnahmegesell­ schaft gefördert und damit der Begriff „Anerkennungskultur“ mit Leben gefüllt werden? Diese Fragen diskutierten die rund 200 Experten am 13. und 14. Juni 2013 in der Nürnberger Zen­ trale des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Die „Anerkennungskultur“ erhält anders als die „Will­ kommenskultur“ kaum Aufmerksamkeit in der öffentli­ chen Diskussion. In seiner Begrüßung stellte der Präsident des Bundesamtes, Dr. Manfred Schmidt, daher die Bedeu­ tung dieses Begriffs noch einmal heraus: „Bei einer gelebten Anerkennungskultur stehen die Potenziale der Menschen mit Migrationshintergrund im Mittelpunkt – nicht die Her­ kunft ihrer Eltern und Großeltern. Da hinzukommen muss unser Ziel sein". 24 Die Leiterin der Abteilung Migration und Integration im Bundesministerium des Innern, Gabriele Hauser, schlug an­ schließend den Bogen zwischen demografischem Wandel und Integration: „Heterogenität und demografischer Wandel gehören zu den zentralen gesamtgesellschaftlichen Heraus­ forderungen. Wir werden in gegenseitiges Vertrauen, in Parti­ zipation und Respekt investieren müssen, um diesen Heraus­ forderungen erfolgreich zu begegnen“. Das Hamburger „Wir-Konzept“ Hamburg hat einen eigenen Weg gefunden mit dieser Heraus­ forderung umzugehen. Das Konzept des Bundeslandes „Teil­ habe, interkulturelle Öffnung und Zusammenhalt“, das der Hamburger Senator für Arbeit, Soziales, Familie und Integra­ tion, Detlef Scheele, bei den Nürnberger Tagen vorstellte, fußt auf einem „Wir“-Gedanken und spricht die Gesellschaft als Ganze an. Denn: „In einer Gesellschaft, in der, wie in Hamburg, rund jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund hat, geht es um das ‚Uns‘ das ‚Wir alle gemeinsam‘“, führte Scheele aus. Veranstaltungen Das Konzept basiert auf zwei wesentlichen Strängen: interkul­ tureller Öffnung und Anti-Diskriminierung. Hamburg müsse nicht mehr Angebote entwickeln, sondern Sorge dafür tragen, dass alle Zugang zu den bestehenden erhalten. Auch der Psychologe Prof. Dr. Ulrich Wagner von der Uni­ versität Marburg machte in seinem Vortrag deutlich, dass die andauernde Unterscheidung in „Wir und Ihr“ mehr schadet als nützt. „Menschen nehmen diese Kategorisierung schnell auf und handeln ihr entsprechend“, so der Experte. Personen der eigenen Gruppe bewerteten sie positiver, wogegen „die Anderen“ eher mit Vorurteilen belegt würden. Die allgegen­ wärtige Klassifizierung in „Wir und die Anderen“ sowie der fehlende Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Migrati­ onshintergrund seien daher wesentliche Ursachen für beste­ hende Diskriminierungen und Vorbehalte. darum, diese Berührungsängste ‚Ich muss wissen, wie ich mit ihm umgehe, weil er aus einer anderen Kultur kommt‘ erst einmal aufzulösen. Ich muss dem Menschen begegnen, ich darf diese Angst nicht haben“, merkte sie an. Einig waren sich die Diskutanten darin, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt kein automatisches Produkt ist sondern dass er gestaltet werden muss. In Erlangen geschieht dies u.a. durch Cafés und Vereine, denn „Man muss möglichst viele Gelegenheiten zur Begegnung schaffen. Ganz von alleine geht es nicht“, erläu­ terte Balleis. Tucci erinnerte daran, dass eine der wichtigs­ ten Begegnungsstätten der Arbeitsplatz sei, hier gebe es aber noch Benachteiligungen zu beseitigen: „Ein gesellschaftlicher Zusammenhalt, ein ‚Wir‘ kann nicht ohne die Arbeit an einer strukturellen Gleichheit funktionieren“. Praxisansätze am zweiten Tag Gesucht: Das neue „Wir“ Befindet sich Deutschland aufgrund seiner Vielfalt auf dem Weg zu einem neuen „Wir“? Diese Frage diskutierten zum Abschluss des ersten Veranstaltungstages der Präsident des Bundesamtes, der Oberbürgermeister der Stadt Erlangen, Dr. Siegfried Balleis, die Soziologin Dr. Ingrid Tucci vom Deut­ schen Institut für Wirtschaftsforschung und die Autorin des Buches „Sie können aber gut Deutsch!“, Lena Gorelik. Schmidt erinnerte daran, dass Deutschland bereits große Fortschritte bei seinem Umgang mit Vielfalt gemacht habe: „Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir uns politisch und gesellschaft­ lich geweigert haben, uns als Einwanderungsland zu verste­ hen. In den letzten Jahren sind wir einen erheblichen Schritt weitergekommen, zu einem neuen Verständnis, zu einem neuen ‚Wir‘“. Dennoch fehlt es aus Sicht von Gorelik manchen Menschen im Alltag noch an einer Unbefangenheit: „Es geht Die Foren am zweiten Tag nahmen jeweils verschiedene Wege in den Blick, die Aufnahmegesellschaft interkulturell zu öffnen. An diesen Gedanken schloss der Impulsvortrag von Prof. Dr. Karin Weiss, Abteilungsleiterin Integration im Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen des Landes Rheinland-Pfalz am zweiten Veranstaltungstag an. Sie berich­ tete von den praktischen Schritten in ihrem Bundesland, um zu einer gelebten Anerkennungs- und Willkommenskultur zu gelangen. „Wir fangen an zu sehen, dass wir nicht nur indivi­ duell etwas verändern müssen (‚Der/die Zugewanderte muss Deutsch lernen‘). Sondern wir müssen etwas an den entspre­ chenden Strukturen verändern, um wirklich aufnahmefähig zu sein“, betonte sie. In Rheinland-Pfalz geschehe dies u.a., indem Kommunen bei der Erstellung von Integrationskonzepten ge­ fördert würden und interkulturelle Kompetenz als Pflichtmo­ dul in Aus- und Weiterbildungen integriert werde. Nachge­ dacht werden müsse auch über neue Begriffe. Die Bezeichnung „Migrant“ sei mittlerweile ein erblicher Status, der auch zur Stigmatisierung beitrage. Deutschland brauche eine neue De­ finition davon, wer Deutscher ist und dazugehört. Denn „Inte­ gration kann nur bei einer neuen gemeinsamen Identität auf der Basis von demokratischem Pluralismus gelingen“, so Weiss. Den Abschluss der Tagung bildeten fünf Fachforen, in denen konkret der Frage nachgegangen wurde, wie eine An­ erkennungskultur etabliert und die Aufnahmegesellschaft weiter geöffnet werden können. Jedes Forum stellte dabei ei­ nen anderen Zugangsweg in den Mittelpunkt: Unternehmen, kommunales Engagement, Kommunikationskampagnen, Di­ alogprojekte und das Engagement in Jugendorganisationen. © BAMF Die Vorträge und Ergebnisse der Tagung werden demnächst auf der Seite des Bundesamts www.bamf.de dokumentiert. Katrin Hirseland/Zakia Chlihi, Büro des Präsidenten des Bundesamtes/Referat Informationszentrum Integration, Bürgerservice 25 (Spät-)Aussiedler sind in der Gesellschaft angekommen Festveranstaltung würdigt 60-jähriges Bestehen des Bundesvertriebenengesetzes Vor 60 Jahren schuf das Bundesvertriebenen- und Flücht­ lingsgesetz (BVFG) den gesetzlichen Rahmen für die Aufnah­ me und Integration von rund 4,5 Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutsch­ land kamen. Die Integration der (Spät-)Aussiedler ist seither gut gelungen – so lautete das Fazit einer Festveranstaltung, zu der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemein­ sam mit der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und dem Jugend- und Studentenring der Deutschen aus Russland im Juli nach Nürnberg geladen hatte. Christoph Verenkotte, Präsident des Bundesverwaltungs­ amtes, würdigte in seinem Vortrag das 60-jährige Bestehen des BVFG, das bis heute die Grundlage für die Aufnahme, Verteilung und Integration von Aussiedlern und Spätaus­ siedlern – wie sie seit 20 Jahren heißen – bildet. Er skizzierte die Entwicklung des Gesetzes, das im Laufe der Jahre mehr­ fach reformiert wurde, und stellte die jüngste, im Juni 2013 beschlossene Gesetzesänderung vor. Sie soll die Zuwande­ rung von Familienangehörigen künftig erleichtern. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nutzten in den 1990er Jahren viele deutsche Volkszugehörige aus der ehema­ ligen Sowjetunion die Chance nach Deutschland zu kommen, von 1990 bis 2000 allein über zwei Millionen Menschen – mehr als in den gesamten vier Jahrzehnten zuvor. Seit 2001 sinken die Zugangszahlen kontinuierlich. In diesem Jahr zogen bis­ her nur rund 700 Spätaussiedler und deren Angehörige nach Deutschland. In der neuen Heimat angekommen, galt es eine Bleibe und Arbeit zu finden. „Den meisten Landsleuten ist das ganz gut gelungen“, stellte Waldemar Eisenbraun, Bundesvorsit­ zender der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland 26 fest. Die 3,2 Millionen heute hier lebenden (Spät-)Aussiedler sind überdurchschnittlich qualifiziert und meist gut in den Arbeitsmarkt integriert – wenn auch häufig unterhalb ihrer mitgebrachten beruflichen Qualifikationen. „Die Aufnahme und Integration der (Spät-)Aussiedler ist eine beachtliche gemeinsame Solidarleistung, auf die wir mit Stolz blicken können“, betonte Dr. Manfred Schmidt. Er stellte heraus, dass sich (Spät-)Aussiedler in einer ganz beson­ deren Lebenssituation befinden: „Sie kommen als Deutsche nach Deutschland, haben aber in den ersten Jahren häufig ähnliche Integrations- und Unterstützungsbedarfe wie an­ dere Zuwanderer. Unsere Integrationsangebote richten sich daher auch an sie.“ Neben Beratung und Integrationskursen bietet das Bundes­ amt speziell für Spätaussiedler die Fördermaßnahme „Identität und Integration PLUS“ an. In diesem 200-stündigen Kurs be­ schäftigen sich die Teilnehmer unter anderem mit Fragen der Identität sowie den Herausforderungen und Chancen des deut­ schen Arbeitsmarktes. „Die bisherigen Integrationsangebote wurden von den Men­ schen gut angenommen“, resümierte Dr. Christoph Bergner, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern. Für ihn ist das jedoch kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Es sei wichtig, dass (Spät-)Aussiedler stolz auf ihre eigene Geschichte und Kultur seien, sich aber auch als Teil der deutschen Kulturgemeinschaft verstünden. An die­ sem Verständnis, erklärte Bergner, müsse weiter gearbeitet werden. Andrea Mack-Philipp, Referat Grundsatzangelegenheiten der Integrationsförderung Literaturhinweise Lexikon des Dialogs: Grundbegriffe aus Christentum und Islam Wer sich mit jemandem austauchen will, muss dieselbe Sprache wie sein Gegen­ über sprechen. Im interreligiösen Dialog zwischen Muslimen und Christen fehlt es jedoch häufig an einem einheitlichen Verständnis von zentralen Begriffen. Gott, Auferstehung und Jenseits – aus christlicher und muslimischer Sicht un­ terschiedliche Dinge. Um hier Abhilfe zu schaffen, hat die Eugen-Biser-Stiftung mit finanzieller Unterstützung des Bun­ desamts für Migration und Flüchtlinge und des Europäischen Integrations­ fonds das „Lexikon des Dialogs“ ent­ wickelt. In ihm erklären 24 deutsche und 54 türkische Wissenschaftler rund 330 Grundbegriffe, jeweils aus christli­ cher und islamischer Perspektive, und beleuchten auch die gesellschaftlichen Grundpositionen beider Religionen. Von A wie „Adam und Eva“ bis Z wie „die Zehn Gebote“ finden Interessierte in dem ca. 850 Seiten umfassenden, zwei­ bändigen Lexikon Antworten. Den Her­ ausgebern und Autoren ist es gelungen, die Artikel überschaubar und zugleich umfassend zu halten. Die Erklärungen sind leichtverständlich und richten sich sowohl an Laien als auch Spezialisten. Das Werk ist auf Deutsch beim Herder Verlag und auf Türkisch im Verlag der Universität Ankara erschienen. Willkommen in Hessen: Tipps für den erfolgreichen Familiennachzug Jährlich kommen etwa 5000 Menschen im Rahmen des Familiennachzugs nach Hessen. Um den nachziehenden Ehe­ partnern und Kindern beim Einleben in Deutschland zu helfen, hat das Hes­ sische Ministerium der Justiz, für Inte­ gration und Europa einen Wegweiser entwickelt. Die Broschüre „Willkom­ men in Hessen“ gibt auf 40 Seiten Tipps zum alltäglichen Leben in Hessen. Wo kann ich Deutsch lernen? Wer hilft mir bei der Arbeitssuche? Wo finde ich wichtige Ansprechpartner wie Migrati­ onsberatungsstellen und Integrations­ lotsen? Eine Auflistung von nützlichen Telefonnummern und Internetlinks rundet die Publikation ab. Die Broschüre steht auf Deutsch und Türkisch zur Verfügung. Sie können sie herunterladen unter: www.integrationskompass.de/ Publikationen 27 Sie haben im auSland Studiert oder einen beruf gelernt? dann informieren Sie Sich Über die offizielle anerkennung ihrer zeugniSSe. Jetzt starten! mit dem anerkennungs-finder auf www.anerkennung-in-deutschland.de den anerkennungs-finder direkt nutzen? Jetzt Qr-code scannen. herauSgeber gefördert im rahmen Von
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