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Nr, 16. Waisenpflege.
st a t i o n unterbringen. In demselben Hause befindet sich im ersten
Stockwerk die Beobachtungsstation für psychisch abnorme Zöglinge.
dd) Ter Bau eines Werkstättengebäudes ans dem festigen Trocken
plast bietet keine Schwierigkeiten.
Durd) die Verlegung der Verwaltungsräume wird der Bau
eines neuen Beamtenhauses mit mindestens zwei Wohnungen
erforderlich. Wünschenswert ist es, daß »täglichst viele Erzieher in
der Nähe der Anstalt wohnen.
ee) Ein Gewächshaus mit Kalt- und Warmhaus kann vor
aussichtlich an der Rückseite der Turnhalle errichtet werden.
Eine Vergrößerung des Alborlgebäudes ist zweckmäßig.
Erwogen ivordcn ist, ob vielleicht statt des Umbaues der Anstalt
ein Neubau an anderer Stelle vorgeschlagen werden sollte. Ta aber
daim die absolut dringlich Reform Lichtenbergs noch auf mehrere
Jahre hinausgeschoben worden wäre, glaubte die Deputation, sich
auf ihre im vorhergehenden gemachten Vorschläge der Umgestaltung
Lichtenbergs beschränken zu müssen, zumal die Kosten der Umgestal
tung nicht sehr bedeutend werden können.
Kurz zusammengefaßt wird also — als der dringlichste Teil
dieser Vorschläge — für Lichtenberg beantragt;
1. Umbau des Haupthauses zum Familienwohngebäude; Einrich-
tung von vier Tagesräumen im Erdgeschoß.
2. Umbau des Hauses L zur Aufnahme der Verteilungsstation
und der Krankenabteilung.
3. Umbau der bisherigen Wohnung des Lehrers H e n t s ch e l und
des Portiers Viertel zu Vcrwaltungsräumen.
4. Neubau eines Werkstättengebäudes und Gewächshauses.
5. Errichtung eines Wohnhauses für den 1. Lehrer (Hentschel)
— siehe oben 3 — und 2—3 Erziehungsgehilfen.
6. Vergrößerung des Abortgebäudes.
II. Das Zöglingshaus Birkholz.
Die jetzigen Verhältnisse im Erziehungshause Birkholz sind nicht
haltbar, weil sie sowohl in erzieherischer Beziehung als auch hin
sichtlich der Ausbildung der Zöglinge erhebliche Mißstände bieten.
Die Anstalt ist jetzt im Grunde weiter nichts als ein Depot für Ar
beitskräfte, die dem Rieselgute gestellt werden. Dadurch tritt 1. der
Charakter des Hauses als eines Erziehungshauses sehr zurück.
Das ergibt sich aus der Außenarbeit der Zöglinge im Dienste
der fremden Verwaltung. Trost alles Entgegenkommens von dieser
Seite ist die Aufgabe, in erster Linie dauernd erziehliche Rücksicht
walten zu lassen, nicht zu erfüllen. Im Hause selbst ist die Mög
lichkeit, intensive Erziehungsarbeit zu leisten, auch nur gering.
Das Haus ist eben mehr nur als Aufenthaltsraum für Zöglinge
gebaut. Der wichtige pädagogische Grundsatz der Gruppierung und
Individualisierung läßt sich »ich; hinreichnd durchführen, da für die
30 Zöglinge nur ein Tages raum vorhanden ist. Unterricht kann
nur in beschränktem Maße im Winter erteilt werden; er läßt sich
nicht als Berufsunterricht gestalten.
2. Eine ivirkliche Ausbildung der Zöglinge iir der Landwirt-
schaft findet nicht statt, und der natürliche Weg der Erziehung zur
Arbeitsfreudigkeit in einem allmählich dem Zögling lieb werdenden
Berufe liegt somit abseits. Diese landwirtschaftliche Ausbildung oder
auch nur ein Anlernen ist aus einem Rieselgute wie Birkholz über
haupt schwierig oder unmöglich. Es wird anders gearbeitet, als
auf eincin normalen Gute oder in einer Bauernwirtschaft. Die
Zöglinge werden in erster Linie mit Arbeiten bei der Berieselung,
mit Schlickschaufeln, Reinigen der Aecker, Stein- und Unkrautlescn
beschäftigt, nur einige gelegentlich mit Pflügen und Bauen. Wich
tige Arbeiten der Landwirtschaft bleiben ihnen völlig fremd, z. B.
Mähen, Garbenbinden, die eigentliche Bestellung des Ackers, Melken
und jegliche Viehwirtschaft. Von einer systematisch» Ausbildung
kann also nicht die Rede sein. Es ist darum and) schwer möglich, die
Zöglinge zur rechtet: Arbcitssreudigkeit zu erziehen. Es fehlt das
lebendige Interesse an der Arbeit, da es fremdes Land, fremde L>aat
uird Ernte ist. Es sind nicht ihre Kartoffeln, es ist nicht ihr Heu,
das herein muß, eine Auffassung, die man den Zöglingen in einer
selbständigen landwirtschaftlichen Erziehungsanstalt, wie das Bei
spiel saldier Anstalten beweist, wohl näher bringen kann.
Die Folge der fetzigen Beschäftigung ist, daß die Zöglinge, wenn
sie zu Landwirten in Dienst konimen, nicht als vor- oder ausgebildete
Knechte gelten, die einen ortsüblichen Lohn beanspruchen können,
sondern als ungelernte, bestenfalls als solche, denen einige landwirt
schaftliche Arbeiten nicht ganz fremd sind. Daher halten die Zög
linge draußen bei den Bauern nickst gut aus. Der Dienstherr ist
unzufrieden mit dem kräftigen Burschen, der nichts versteht. Der
Zögling verliert den Mut, wird verdrießlich und läuft weg.
Es ist deshalb sehr wünschenswert, die Möglichkeit zu haben,
die Zöglinge als landwirtschaftliche Arbeiter vorzubilden. Wie schon
erwähnt worden ist, gibt es eine Anzahl von Zöglingen, die ein
Handwerk nickst lernen wollen, auch nicht können, weil sie dazu nicht
fähig und ivei! sie zu alt geworden sind, die aber wohl Lust zur
Landwirtschaft haben. Es ist wiederholt die Erfahrung gemacht
worden, daß Berliner Jungen große Freude, viel Geschmack an tand-
wirtschaftlichen Arbeiten, besonders an der Viehwirtschaft und dem
Umgang mit Pferden gewonnen haben. Auch ist zu bedenken, daß
die Arbeit in freier Luft für die Stadtjungcn sehr gesund und fräs
tigend wirkt. Ferner übt die Berührung mit der Natur, das Beob
achten des Werdens und Wachsens der Saat und der Ernte auf das
Gemüt und das Innenleben, auf Geist und Charakter eine wohl
tätige, nicht zu unterschätzende erzieherische Wirkung aus. Endlich
lernen arbeitsscheue Zöglinge auf dem Lande häufig tüchtig arbeiten.
Wir find daher zu dem Ergebnis gekommen, daß es sich empfiehlt,
Birkholz aufzugeben und an anderer Stelle auf einem Rieselgute
in einem landlvirischaftlichen Betriebe den Zöglingen eine möglichst
vielseitige Ausbildung in der Landlvirtschaft zu geben, wobei zu
gleich die Erziehungsarbeit intensiver gehandhabt werden kann. Durch
das Entgegenkommen der .Kanalverwaltung wurde die Deputation
auf den Gutshof Struweshos bei Großbeercn aufmerksam ge
macht. Nach dem Gutachten des Güterdirektors Schröder ist dieser
Gutshof geeignet für die Einrichtung einer landwirtschaftlichen An
stalt in dem angegebenen Sinne. Die Besichtigung des Gutshofes
durch eine Kommission der Waisendeputation ergab in der Tat, daß
sich hier sehr ivohl die Reformpläne verwirklichen lassen. Auf deln
eigentlichen Gutshoß der mit seinen Gebäuden ein Viereck bildet,
befinden sich auf den Seiten die folgenden Gebäude;
1 eingeschossiges Wohnhaus mit einer Schulklasse und zwei
Familienwohnungen, 1 Siallgebäude für ungefähr 9 Pferde und
32 Kühe, im oberen Stockwerk sind Kornspeicher. Die Ställe sind
gut und modern eingerichtet. Dem Wohnhause gegenüber steht
eine geräumige Scheune, und dahinter, parallel zu der Scheune,
ein großer, offener Geräteschuppen. Dem Stallgebäude gegen
über liegt ein niedriges Gebäude, in dem jetzt eine Wär
terbude, ein Geräteraum, ein Stall sich befinden. An seiner
Stelle müßte ein Schiveinestall und Hühnerstall errichtet werden.
Ungefähr 150 m von deni Gutshof entfernt stehen 2 Arbeiterwohn
Häuser für 16 Familien. Die Häuser ließen sich voraussichtlich
ohne besondere Schwierigkeit zu Bcamtenwohnhäusern für 8 Familien
einrichieu. Besonders günstig ist es, daß etwa 200 m von dem Hos
entsernt 60 Morgen Naturland liegen, daß etlva 8 Morgen Wiese
vorhanden sind und daß leicht ungefähr IM Morgen Rieselland
zum Gute geschlagen werden könnten. Guter Kiefernwald befindet
sich in der Nähe, eine Wasserleitung liefert angeblich gutes Trink
wasser. Das Gut könnte zur Ausbildung von 50 Jungen dienen,
und zwar würde sich nach fachmännischem Urteil die Bewirtschaftung
sogar finanziell nicht ungünstig gestalten können.
Der Stadt Berlin stünde dann in Lichtenberg eine Handwerker-
bildungsanstalt, in Struweshos eine landwirtschaftliche Ausbildungs
anstalt zur Verfügung.
An Gebäuden wäre in Struweshos außer den vorhandenen
zunächst
a) ein Wohnhaus für die 50 Zöglinge erforderlich.
Es müßte zwei Tagesräume enthalten, die durch besondere Vorrich
tungen zu einem Zimmer vereinigt werden könnten, außerdem zwei
Schlafsäle für je 25 Zöglinge mit je fünf Einzelschlafzimmern, zwei
Jsolierräume, eine Wohnung für den Inspektor, der mit seiner Frau
das Hauselteritpaar für die Anstalt sein müßte. Seine Wohnung
könnte aus vier Zimmern und Küche usw. bestehen. Neben den
Schlassälen wohnen praktischcrwcise zwei Gehilfen. Auf geeignete
Bodenräume mit Kleiderkammer», auf solide Unterkellerung mit
Spül- und Putzräumen wäre Bedacht zu nehmen.
d) In angemessener Entfernung von diesem Wohn
hause müßte das Haus für etwa schwer erziehbare Zöglinge erbaut
werden. Die Anlage ist am zweckmäßigsten so zu halten, daß ein
Jnncnhof entsteht, zu dem hin im ersten Stockwerk 20 Einzelzimmer
liegen, von denen vier auch tagsüber als Jsolierarbeitszimmer ein
zurichten sind. Dadurch ist die Möglichkeit gegeben, die Außenseite
des Hauses freundlich und nicht gefängnismäßig zu bauen. Das
Haus müßte im Erdgeschoß zwei Tagesräunie und zwei Waschräume
enthalten. Zweckmäßig ist es, daß auch eine Hauseltcrnwohnung
eingebaut wird und zwischen den Isolierzellen zwei Gehilsenzimmer
Platz finden. Der Jnnenhof bietet die Möglichkeit, Zöglinge, die
nicht aus dem Hause hinaus solbn, im Freien zu beschäftigen. Die
meisten Zöglinge sollen unter starker Aufsicht der Kanalverwaltung
zu straffer Arbeit zur Verfügung gestellt werden.
c) Endlich erscheint es sehr zweckmäßig, mit der ganzen Anlage,
freilich in räumlicher Trennung, ein H a u s s ü r s ch u l p f l i ch t i g e,
geistig schwach begabte Zöglinge zu bauen. Die Not
Wendigkeit, eine solche Einrichtung zu treffen, ergibt sich aus der
bisher mangelhaften Versorgung solcher Zöglinge. Die Errichtung
einer städtischen Hilfsschulabteilung empfiehlt sich ^außerdem, weil
es erwünscht und leicht möglich ist, dieser von der Stadt zu errich
tenden Abteftung für schwach begabte, schulpflichtige Zöglinge die
reichen Erfahrungen und Einrichtungen der städtischen Hilfsschulen
zugute kommen zu lassen. Es sei bemerkt, daß z. B. die Provinz
Brandenburg in Strausberg, die Provinz Hannover im Stephans
stift, die Rheinprovinz in Bonn mustergültige Hilfsschuleinrichtungen