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Nr. 31. Gewerbegericht.
Einigungsamts sich erübrigte. In dem Falle zu 3 schließlich konnte
der Unterzeichnete nach Anhörung des Deutschen Bäckerverbandes der
Anrusung durch die Arbeitgebervertreter wegen Unzuständigkeit des
Einigungsamtes nicht Folge geben.
0) Streiks und Lohnbewegungen, bei denen das Ge
werbegericht von beiden Teilen als Einigungsamt an
gerufen worden ist (Z 63 des Gewerbegerichtsgesetzes). Die
Anrufung erfolgte von:
1. Dem Verbände der Sattler Deutschlands, Ortsverwaltung Berlm,
und den beiden Militäreffektenfabrikanten Bruno Wiedermann
und Otto Sindel zur Beseitigung der Streitfrage wegen An
fertigung von Geschoßkörben, die von den Arbeitgebern nur noch
gegen Stundenlohn verlangt wurde, während die Arbeiter bisher bei
der Anfertigung gegen Stücklohn höheren Wochenverdienst erzielten.
2. Der freien Vereinigung der Holzindustriellen zu Berlin unter
Anschluß des Deutschen Holzarbeiterverbandes, Ortsverwaltung
Berlin, zur Beseitigung der Streitfragen über den Arbeitsnachweis.
3. Den Mitgliedern der Schlichtungskommission für das Stukkateur
gewerbe nach erfolglosen Verhandlungen dieser Kommission wegen
Abschlusses eines neuen Tarifvertrages.
4. Der Schlichtungskommission im Bauklempnergewerbe zur Er
ledigung der Tarifstreitigkeiten, über die eine Einigung nach
rechtzeitiger Kündigung des zwischen Arbeitgebern und Arbeit
nehmern mit Gültigkeit bis zum 31. März 1909 geschlossenen
Tarifvertrages durch die Arbeitgeber nicht erzielt werden konnte,
die vielmehr am 1. April 1909 zur Aussperrung der Klempner
seitens der Arbeitgeber und zum Streik der Klempner führten.
5. Dem Vorsitzenden des Vereins der Glacs- und Weißleder-
industriellen von Deutschland namens der Arbeitgeber und Arbeit
nehmer in dieser Industrie wegen Umgehung einer Vorschrift für
den Facharbeitsnachweis seitens der Firma Günther Schneider
bei Einstellung eines Gerbers.
6. Dem Deutschen Holzarbeiterverbande, Zahlstelle Berlin, unter
Anschluß der freien Vereinigung der Holzindustriellen zu Berlin
nach erfolglosen Verhandlungen der Schlichtungskommission zur
Entscheidung einer Streitfrage, die bei der Ausarbeitung eines
Sondertarifs für die Bautischlerei zwischen den Parteien ent-
standen war.
7. Denselben Parteien wie zu 6 zur Entscheidung der Frage, ob
die Tischlerei Firma Wilhelm, bei der ausschließlich in Lohn
gearbeitet worden war, mit Recht nachträglich die Akkordarbeit
eingeführt habe.
8. Dem Zentralverbande der Maschinisten und Heizer sowie Berufs-
genossen Deutschlands, Ortsverwaltung Berlin, und der Direktion
der Brauerei Ernst Engelhardt Nachfolger in Pankow zur
Entscheidung der Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung
eines zwischen den Parteien getroffenen Abkommens, das den
bisherigen zwischen der Firma und dem Zentralverbande der
Transportarbeiter geschloffenen Tarif mit Bezug auf die Bestim
mungen über die Arbeitszeit abändert.
9. Dem Zentralverbande der Lederarbeiter und -Arbeiterinnen
Deutschlands im Aufträge der Schlichtungstommission (Arbeit
geber und Arbeitnehmer) für die Glacölederindustrie Berlins zur
Entscheidung der Meinungsverschiedenheiten, die über die Ent
schädigung von Überstunden zwischen den Parteien entstanden
waren und in der Kommission nicht beseitigt werden konnten.
10. Denselben Parteien wie zu 6 zur Entscheidung folgender beiden
Streitfragen:
a) Sind durch die Feier des 1. Mai alle Vertragsbedingungen
aufgehoben, selbst wenn alle vor dem 1. Mai Beschäftigten
nach 3 tägiger Aussperrung wieder weiter arbeiten?
d) Ist es nach § 4 des Stockarbeitervertrages zulässig, mit den
einzelnen Arbeitern Preisregulierungen vorzunehmen?
11. Der Firma Franz Cobau, Militäreffektenfabrik, und der Tarif
kommission der Militäreffektensattler zur Prüfung der Frage, ob
dem Verlangen der Arbeiter, den vom Einigungsamte am 1. Sep
tember 1908 gefällten Schiedsspruch aufzuheben, stattzugeben sei.
12. Denselben Parteien wie zu 1t zur Beilegung der Streitigkeiten
wegen der Akkordsätze für einzelne Ausrüstungsstücke.
13. Denselben Parteien wie zu 6 zur Entscheidung der Frage, ob
ein Brenner in einer Stockfabrik Facharbeiter sei.
14. Den Mitgliedern der Schlichtungskommission für das Dachdecker
gewerbe, in deren Sitzung eine Einigung über ven § 10 des
Tarifvertrages, das Fahrgeld betreffend, nicht erzielt werden
konnte, zur Abgabe eines Schiedsspruches.
15. Der Firma Karplus & Herzberger, Glacölederfabrik, und
deren Arbeitnehmern zur Entscheidung der Frage, ob für die-
jenige Arbeitszeit, welche auf Erfordern des Arbeitgebers nach-
geleistet wird, weil auf Antrag der Arbeitnehmer vorher eine
entsprechende Arbeitsverkürzung eingetreten war. der Zuschlag für
Überstundenarbeit zu zahlen sei.
16. Dem Inhaber der Firma „Blitzblank", Reinigungsinstitut,
Richard Schlesinger, und deren Arbeitern zwecks Beilegung
der bestehenden Streitigkeiten über die Arbeitsbedingungen.
17. Dem Verbände deutscher Textilarbeiter, Filiale Berlin, und dem
Generalbevollmächtigten der Dekaturvercinigung Berlin zur Ver-
Handlung über die in zwei Sitzungen der Schlichtungskommision
nicht beseitigten Streitfragen, die bei den Vorberatungen über
den Abschluß eines neuen Tarifvertrages entstanden waren.
18. Dem Bevollmächtigten des Allgemeinen deutschen Metallarbeiter-
verbandes und dem Vorstande des Arbeitgeberverbandes im Rohr-
legergewerbe zur Klärung der Frage, ob der vorgenannte Arbeit
nehmerverband als vertragsfähig erachtet werden könne, um die
ausgesetzten neuen Tarifverhandlungen mit ihm zu Ende zu
führen.
19. Den Mitgliedern der Schlichtungskommission für das Steinsetzer
gewerbe zur Verhandlung über einige noch strittige Punkte, über
die bei den Beratungen über den Abschluß eines neuen Tarif
vertrages eine Verständigung der Parteien in den Kommissions
fitzungen herbeizuführen, nicht möglich war.
20. Denselben Parteien wie zu 6 zur Fällung eines Schiedsspruches,
durch den der von der Kommission nicht geschlichtete Streit über
die Frage beendet werden sollte, ob die in den Betrieben der
Firmen Hoffmann, Lassen & Werner und Schmidt ver
arbeiteten Bekleidungen als Brcttbekleidungen zu bezeichnen seien
oder nicht.
In 7 Fällen (zu 1, 3, 8, 10, 12, 16 und 17) wurden Vergleiche
geschloffen. In 12 Fällen (zu 4, 5, 6, 7, 9, 11. 13, 14, 15, 18, 19
und 20) wurden Schiedssprüche gefällt, denen in 10 Fällen (5, 6, 7,
9, 11, 13, 15, 18, 19 und 20) beide Parteien sich unterworfen haben.
In 2 Fällen hat die eine Partei es abgelehnt, sich dem Schiedssprüche
zu unterwerfen, und zwar in dem Falle zu 4 die der Arbeitnehmer,
in dem Falle zu 14 die der Arbeitgeber. In einem Falle (zu 2)
kam weder eine Vereinbarung noch ein Schiedsspruch zustande.
3. Ausschuß für Gutachten und Anträge.
Gutachten sind in diesem Berichtsjahre von dem Ausschüße
einmal abgegeben worden. Die Gewerbedeputation des Magistrats
ersuchte um gutachtliche Äußerung über eine anderweite Festsetzung
des Wertes von Kost und Logis für Lehrlinge. Der Ausschuß vertrat
gutachtlich einmütig den Standpunkt, daß als Wert von Kost und
Logis für Lehrlinge, den gegenwärtigen Verhältnissen entsprechend, der
Satz von 1,bo JC für den Tag angemessen erscheint. Von diesem
Standpunkte haben wir der Gewerbedeputation unter Mitteilung einer
Abschrift des Protokolls über die Ausschußsitzung Kenntnis gegeben.
Von den im vorigen Berichtsjahre besprochenen Anträgen konnte
bis zu dessen Ablauf einer nicht vollständig beraten werden, wie wir
bereits im vorigen Jahresbericht an dieser Stelle zu 4 erwähnten.
Der Antrag bezweckte die Abänderung der Bekanntmachung des Bundes
rats vom 11. März 1895 wegen der ununterbrochenen Sonntagsruhe
im Bäckergewerbe. Von den zusammen 8 Sitzungen — 4 Voll- und
4 Kommissionssitzungen —. in denen der Antrag eingehend beraten
wurde, entfielen zwei, darunter eine Vollsitzung, in das laufende Be
richtsjahr. Währeud der Verhandlungen wurde die Anhörung von
Auskunftspersonen sowie die Veranstaltung von Erhebungen nach Maß
gabe eines von den Arbeitnehmern überreichten Fragebogens er-
forderlich. Zu einer in diesem enthaltenen Frage haben wir einem
Kommissionsbeschlusse zufolge die Königlichen Regierungen in Düssel
dorf, Münster (Westfalen), den Senat der Stadt Hamburg und den
Polizeipräsidenten, Abt. II, in Berlin um gutachtliche Äußerung ge
beten. Nach Eingang der Antworten, von denen der Ausschuß Kenntnis
erhielt und nach Vorlegung weiteren statistischen Materials durch die
Arbeitnehmer. das noch zu längeren Erörterungen für und wider den
Antrag Stoff gab. wurde dieser schließlich mit 10 gegen 6 Stimmen
bei Stimmenthaltung des unterzeichneten Vorsitzenden angenommen.
Demgemäß haben wir den Reichskanzler gebeten, den vom Aus-
schusse beschloffenen Antrag dem Bundesrate zur weiteren Veranlassung
vorzulegen. Abschriften des Antrages und der gesamten Verhandlungs
protokolle haben wir unserm Schreiben beigefügt.
Neu eingegangen ist ein Antrag, der von 30 Beisitzern unsers
Gerichts unterzeichnet war, mit dem Ziele, bei den gesetzgebenden
Körperschaften dahin zu wirken, daß die Zivilberufsmusiker den übrigen
gewerblichen Arbeitern gleich erachtet und dem Titel VII der Reichs
gewerbeordnung unterstellt werden. Er wurde in der Anfang Fe
bruar 1910 abgehaltenen Ausschutzsitzung einer sechsgliedrigen Kom
mission zur Vorberatung überwiesen. Diese sollte aber aus Anregung
des stellvertretenden Ersten Vorsitzenden, der die Ausschußsitzung in
Verhinderung des Unterzeichneten leitete, erst stattfinden, wenn seitens
des Gewerbegerichts das sehr umfassende Material gesammelt und
beschafft worden sei. Diese Beschaffung zog sich bis zum Schluffe des
laufenden Berichtsjahres hin. Die Kommission konnte daher ihre
Tätigkeit nicht mehr beginnen. Wir hoffen im nächsten Jahresbericht
Weiteres mitteilen zu können.
Berlin, den 23. August 1910.
Gewerbegericht zu Berlin.
vH Schulz.
Druck von W. & S. Locwenthal, Berlin.