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Nr. 16. Waisenpflege.
X. Bericht über die augenärztliche Untersuchung der Zöglinge von Professor P. Silex in Berlin.
Von dem Waisenhause in Rummelsburg wurden zur Untersuchung
vorgestellt 111 Zöglinge und zwar 75 Knaben und 36 Mädchen mit
222 Augen.
Von diesen hatten sogenannten Normalbau 138 Augen — 62.« v.H.
Kurzsichtigkeit .14 - — 6,Z -
Uebersichligkeit stärkeren Grades 22 - — 9,s .
(die geringeren Grade ivurden zum Normal
bau gerechnet.)
Krümmungsanomalie der Hornhaut (Astig-
matismus) 48 - — 21,6 -
222 Augen.
Auffallend ist die verhältnismäßig hohe Zahl der Kurzsichtigen
und der Astigmatiker, doch ist zu bemerken, daß bei den früheren
Untersuchungen fast die gleichen Ziffern sich alljährlich ergeben haben.
Von Augenaffektionen wurden konstatiert und soweit es ging auch
therapeutisch in Angriff genommen: Bindehaut- und Hornhaut-
erkrankungen, Thränensackeitcrungen, Schielstellungen, Sehnen- und
Adcrhautveränderungen.
Von den 222 Augen hatten eine Sehschärfe von 1 / t und mehr
186 Augen und unter x / 2 36 Augen (16 v. H.). Diese 16 v. H. sind
nicht so gleichgültig, wenn man bedenkt, daß auch durch Brillen sich
eine Besserung der Sehschärfe nicht erzielen ließ und daß eine Seh-
schärfe unter 1 /. 2 den Träger für die meisten gewerblichen Berufsarten
nicht mehr befähigt. Die Besitzer solcher Augen müssen sich Berufs-
zweigen mit geringen optischen Anforderungen widmen.
Von der Erziehungsanstalt Lichtenberg kamen 31 Zöglinge, die
oben nicht mitgerechnet sind. Mit Rücksicht darauf, daß die Anstalt
selbst die schlecht Sehenden auswählt und herschickt, ist es erklärlich,
daß hier eine große Anzahl von recht minderwertigen Augen zur
Untersuchung gelangte. Auffallend waren die hohen Grade
von Uebersichligkeit, die durch Brillen sehr gut behoben werden konnten.
Recht oft wurden wir konsultiert von Knaben und Mädchen, die
sich in häuslicher Pflege hier und auswärts befinden, teils auf direkte
Veranlaffung der Waisenhausverwaltung, teils aber auch spontan von
den Pflegeeltern selbst.
Auch im Waisenhause zu Berlin konnten wir gelegentlich Rat
erteilen. In diesem Wirkungskreise war es uns zu unserer großen
Freude öfter vergönnt, ein wirklich fürsorgliches Empfinden von Seiten
der Pflegeeltern für ihre Schutzbefohlenen feststellen zu können.
XI. Berichte über die zahnärztliche Tätigkeit.
Aus den von den Zabnärzten erstatteten Berichten ist folgendes
hervorzuheben:
1 639 Kindern aus dem Waisenhause Berlin und aus Berliner
Pflegestellen sind die Zähne untersucht worden. In vielen Fällen sind
die schlechten Zähne gezogen worden. 420 Zähne konnten durch Ein
legen von Füllungen erhallen werden. In wenigen Fällen war eine
mehrwöchige Behandlung erkrankter Zähne notwendig. So mußte ein
siebenjähriges Mädchen acht Wochen lang an einer Backenfistel be
handelt werden, ehe eine Heilung eintrat.
Die Kinder im Waisenhause Rummelsburg wurde alle zwei
Monate zahnärztlich untersucht. Außer den notwendigen Extraktionen
wurden 459 Füllungen ausgeführt: daneben eine Anzahl von Zähnen
gereinigt und kranke Wurzeln und Kiefer behandelt.
Im Erziehungshause Lichtenberg fand die zahnärztliche Unter
suchung alle Vierteljahre statt. Es wurden über 100 Zähne gezogen,
158 Füllungen gelegt und 17 Wundbehandlungen ausgeführt. Ein
Teil der Zöglinge war trotz des Zuspruches von Lehrer und Zahnarzt
nicht zu bewegen, in die Maßnahmen zu willigen, die im Interesse
der Mundhygiene erforderlich waren.
In Köpenick wurden 52 Kinder untersucht. 16 hatten gesunde
Zähne, 36 mußten behandelt werden. ‘ Die Behandlung bestand
in Extraktionen, Füllungen, Zahnmarkbehandlungen, Zahnreinigungen
und — in einem Falle — in lokaler Betäubung.
Ganz ähnliches wird aus den Kolonien Wendisch-Buchholz, Halbe,
Teupitz und Kirchhain berichtet.
XII. Bericht über das Kinderasyl (Schmidt-Gallischstiftnng).
I. Urrn»alt«rtgsbertcht.
Der Betrieb des Kinderasyls ist unverändert geblieben. Es ha
nicht nur seinen eigenen Pfleglingen bis zur Ausgabe in eine Familie
Aufnahme gewährt, sondern auch, wie schon seit seiner Eröffnung im
Jahre 1901, die dem Ortsarmenverbande Berlin anheinigefallenen
Säuglinge (Kinder bis zu 1 Jahr) auf Kosten der Stadt aufgenommen.
Außerdem hat es in besonderen Fällen schwerkranke Säuglinge auf
Kosten der Staatsschen Stiftung (siehe XIII 2) aufgcnomnien. Die
Zahl aller Pfleglinge war im Durchschnitt 144 täglich gegen 139 im
Etatsjahr 1907, ist also nur wenig gestiegen. Allerdings war das
Kinderasyl bei dieser Belegung, die an einem Tage des Jahres auf
178 Kinder stieg, an der Grenze feiner Leistungsfähigkeit angelangt und
eine Entlastung war dringend geboten. Diese ist denn auch im De
zember 1908 durch Eröffnung der Säuglingsstation im neuen Waisen
hause Berlin erreicht worden. Eine gewisse Verbindung zwischen diesen
in der neuen Säuglingsstation des Waisenhauses untergebrachten
Kinder und dein Kindcrasyl blieb insofern noch bestehen, als das Kinder-
asyl für diese Kinder die Nahrung lieferte, da bis zum Schlüsse des
Berichtsjahres die Milchküche des Waisenhauses noch nicht fertig war.
Es wurden deni Kinderasyl für die Nahrung jedes Kindes täglich
31 die Selbstkosten, im ganzen 1618 Jt vergütet.
Eine dankenswerte bedeutende Zuwendung hat das Kinderasyl
durch einen Betrag von 50 060 Jt erfahren, den ihm die am
19. April 1908 verstorbene grau Rentiere Sobernheim, geb. Joseph,
letztwillig vermacht hat. Die Summe ist bestimmt, um aus den Zinsen
einer Anzahl von befähigten Zöglingen des Asyls noch dem 14. Lebens»
fahre eine beffere Ausbildung zu gewähren, während die Schmidt-
Gallischstifinvg nach ihren Vestimniungen nur bis zum 14. Lebens
jahre für ihre Zöglinge sorgen kann. Das Legat ist im Berichtsjahre
landesherrlich genehmigt und ausgezahlt worden.
Die Gesamteinnahme des Kinderafyls hat nach dem Etatabschluß
im Jahre 1908 193 138 ./fc betragen, die Gesamtausgabe 182 356
An dieser Ausgabe ist die Anstalt (das Kinderasyl) mit 117 508 Jt
beteiligt, die Pflege von Stiftskindern in Familien mit 13 081 Jt,
der Ankauf von Wertpapieren mit 47 926 Jt, der Unterhalt zweier
der Stiftung gehörigen Mietshäuser Mit dem Rest. In der Einnahme
stecken 78 374 Jt., die die Stadthauptkasse für die Pflege von orts-
armen Säuglingen, und 1 860 Jt, die die Staatssche Stiftung für
die Pflege kranker Säuglinge an die Stiftung gezahlt haben.
Wenn man die Kosten berechnen will, die im Durchschnitt ein
Säugling jährlich verursacht hat, muß man die Einnahmen, die die
Anstalt mit 3 273 Jt gehabt hat, von der Ausgabe — 117 508 Jt —
abziehen. Es verbleiben dann 114 235 Jt., die sich auf 144 Kinder
verteilen, auf ein Kind also eine Ausgabe von 793 Jt ergeben. Für
1907 erhält man bei einer gleichen Berechnung eine Ausgabe von
752 Jt für ein Kind im Jahr, sodaß die Ausgabe im Berichtsjahre
um 41 Jt gestiegen ist.
An die Sliftung angegliedert sind die Säuglingsfürsorgestellen,
über die unter Nr. XIII befonders berichtet wird.
Berlin, den 27. November 1909.
Städtische Waisendeputation.
Düring.