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Nr. 16. Waisenpflege.
Die geringere Zahl der Todesfälle in der Berliner Kostpflege
gegenüber derjenigen in der auswärligen bei ungefähr gleicher Zahl
der Pfleglinge erklärt sich daher, daß die hiesigen Pflegemütter die
Waisenkinder bei ernsteren Erkrankungen in das Kinderasyl zurück
bringen, wo dann oft nach kurzer Zeit das Ableben erfolgt.
9. Fickerfche Psiegestellen.
Mit den Mitteln der Fickerfchen Stiftung find wir in der Lage,
für besonders gute Familienpflegestellen einen Zuschuß von 12 M
monatlich zu dem Kostgelde zu gewähren. Die Aufnahme in die
Stiftung ist beschränkt auf Kinder unter 6 Jahren, die ganz verwaist
oder doch mutterlos sind. Da nach den testamentarischen Bestimmungen
des Fräulein Ficker eine Aufseherin diese Kinder besonders be
aufsichtigen und sie monatlich wenigstens einmal besuchen soll. ist es
nur möglich, für Kinder, die in Berlin oder den Vororten unter
gebracht sind, diesen Zuschuß zu bewilligen. Am 1. April 1908 er
hielten 9 Pflegemütter den Zuschuß, 1 Kind schied im Laufe des
Jahres aus, 1 trat im Laufe des Jahres neu hinzu, so daß am
1. April 1909 an 9 Pflegemütter der Zuschuß zum Kostgelde gezahlt
wurde. Die Aufseherin erhält eine Entschädigung von 150^ jährlich,
ebenfalls auf Grund testanientarischer Bestimmung.
19. Beschäftigung.
Die größeren Mädchen des Waisenhauses wurden außerhalb der
Schulzeit' mit Haus- und Handarbeiten beschäftigt. Die größeren
Knaben wurden unter Anleitung des Lehrers in allerlei Handfertigkeiten
unterwiesen.
11. Gesundheitspflege.
Waisenhaus Berlin. Aerztlicher Bericht des Professors
vr. Finkelstein.ß
(Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das vorige Etatsjahr 1907.)
Im Berichtsjahr 1908/09 wurden 4478 (4439) Kinder ärztlich
untersucht, darunter 490 (580) Fürsorgeerziehungszöglinge. Dazu
kamen 2622 (2 476) Kinder unter einem Jahr, von denen 2394
gleich nach der Aufnahme dem Kinderasyl überwiesen wurden. Ueber
sie ist im Abschnitt XII ein besonderer Bericht erstattet.
Von den über 1 Jahr alten Kindern wurden auf Grund der ersten
ärztlichen Untersuchung 244 (238) der Krankenstation des Waisenhauses
überwiesen, 27 (21) größtenteils infektionskranke Kinder wurden in
Krankenhäuser verlegt, 195 (170) in das Lazarett Rummelsburg, 4
(5) wurden Irrenanstalten bezw. Erziehungsanstalten für Schwach-
sinnige. 2 (1) nach Wuhlgarten. 67 (62) Kinder wurden Spezialärzten
zur Behandlung überwiesen.
Zu den 244 (238) Kindern, die gleich nach der ersten Unter-
suchung Aufnahme auf der Krankenstation fanden, kommen noch 448
(885), die während des Aufenthalts im Hause erkrankten und teils
ambulatorisch, teils auf der Krankenstation behandelt wurden. Hier-
nach erhöht sich die Zahl der im Waisenhause ärztlich behandelten
Kinder auf 692 (623). Von diesen wurden nachträglich 134 (131) dem
Lazarett Rummelsburg. 52 (56) den Krankenhäusern, 6 (3) in spezial-
ärztliche Behandlung überwiesen, so daß im ganzen 329 (801) Kinder
dem Lazarett Rumiuelsburg. 79 (77) den Krankenhäusern, 6 (6)
Irrenanstalten bezw. Wuhlgarten und 73 (65) in spezialärztliche Be-
Handlung überwiesen wurden.
Bei der ersten ärztlichen Untersuchung und während des Aufenthalts
(m Hause wurden folgende Erkrankungen festgestellt:
Allgemeine Schwäche ... 40
Blutarmut 19
Englische Krankheit.... 85
Neigung zu Krämpfen . . 34
Skrofulöse 12
Lungentuberkulose . . . . 24
Lungenblutung ..... 1
Gelenk- und Knochentuber-
kulose 3
Haultuberkulose 2
Asthma 4
Akuter Luströhrenkatarrh. . 60
Chronischer Luströhrenkatarrh 8
Pseudocroup 1
Lungenentzündung.... 15
Brustfellentzündung ... 3
Kehlkopfkatarrh 4
Halsentzündung .... 98
Rachenentzündung.... 42
Mundfäule 2
I Vergrößerung der Gaumen
mandeln 16
Bettnässen 17
Sprachstörung 2
Syphilis 5
Rückgralsvcrkrümmung . . 10
Plattfuß 2
Verstauchungen 2
Kniegclenksergutz .... 1
Sehnenerkrankungen ... 2
Tränennasengangs-
entzündung 4
Skrofulöser Bindehautkatarrh 5
Einfacher Bindehautkatarrh. 3
Hornhauterkrankungen . . 12
Lidrandentzündnng ... 1
Kurzsichtigkeit 6
Schielen 5
Mittelohrentzündung ... 42
Grhörgangsentzündung . . 1
Entzündung des Warzet
fortsatzes . . ■
Influenza . . .
Wucherung der Rachenma
Magenkatarrh . .
Darmkatarrh . .
Blinddarmentzündung
Mastdarmvorfall .
Herzfehler . . .
Herzbeutelentzündung
Gelenkrheumatismus
Nierenentzündung .
Blasenkatarrh . .
Migräne ....
Hysterie ....
Epilepsie ....
Extremitätenlähmungei
Veitstanz....
Nervenschwäche . .
Schwachsinn. . .
del
1
4
10
14
34
1
5
10
2
2
3
10
2
4
2
4
2
3
5
Taubstummheit . .
Onanie ....
Drüsenentzündung.
; Furunkulose. . .
. Nagelbettentzündung
^Aeußere Verletzung
Ekzem
Schuppenflechtk. .
Impetigo....
Prurigo ....
Andere Hauterkrankungen
Frostschäden. . .
Verbrennung. . .
Krätze
Blutgefäßgeschwulst
Hasenscharte . . .
Wolfsrachen. . .
Muxoedem . . .
Rekonvaleszenz. .
Keuchhusten ...... 22
Diphtherie 12
Masern 2
2
2
10
5
1
4
40
4
5
3
4
5
1
52
1
1
1
1
10
Außerdem wurden 44 (51) Kinder zur Beobachtung auf die
Krankenstation aufgenommen.
Von ansteckenden Krankheiten wurden folgende festgestellt:
1. Bei der Aufnahme:
Scharlach 3
Windpocken
Tripper
4
3
2. W
Keuchhusten . .
Masern . . .
Diphtherie . .
Röteln....
ährend des Aufenthalts im Hause:
10
15
18
2
Windpocken
Scharlach.
Ziegenpeter
4
25
3
Die Säuglingsabteilung im Waisenhause Berlin wurde am
1. Dezember 1908 mit 32 Betten eröffnet. Am Schluffe des Berichts
jahres (31. März 1909) betrug die Bettenzahl 60.
Die Gesamtzahl der während der Berichtszeit aufgenommenen
Säuglinge betrug 259.
Von diesen waren:
a) gesund 84,
b) krank 175.
Von den Kranken litten an:
Furunkulose 12
Frühgeburt 21
Syphilis (angeboren)... 3
Tuberkulose 2
Ernährungsstörungen... 78
Lungenerkrankung .... 34
Rachitis 4
Anderen Krankheiten ... 21
Verstorben find 6 Kinder über ein Jahr, und zwar 3 an Lungen
entzündung, 2 an Tuberkulose, 1 an Krämpfen. Die verstorbenen
Säuglinge sind in der Statistik des Kinderasyls — Abschnitt XII —
mitberücksichtigt.
Berliner Kostpflege. Die ärztliche Behandlung geschah wie
bisher durch die Bezirksarmenärzte. Bei schweren und langwierigen
Krankheiten sind die Armenärzte berechtigt, die Kinder durch die
Vermittelung des Waisenrats einen, Krankenhause zu überweisen.
564 schwächliche, besonderer Wartung bedürftige Säuglinge sind gegen
ein erhöhtes Pflegegcld von 30 M hiesigen Frauen in Pflege gegeben
worden; zu gleicher Zeit waren etwa stets 270 Kinder in diesen
Pflegestellcn. Die Pflegemütter haben die Pflicht, alle 8—14 Tage
den Säugling hier im Kinderasyle vorzustellen, damit festgestellt
werden kann, welche Fortschritte er in seiner Entwickelung macht.
Die Kinder unter 2 Jahren wurden wie bisher regelmäßig durch
Säuglingsärzte und Helferinnen auf ihren Gesundheitszustand unter
sucht und in Fällen chronischer Erkrankungen von diesen Aerzten be
handelt. Die Kinder von 2-6 Jahren wurden durch die Helferinnen
allein besucht.
Aus den Berichten der acht Säuglingsärzte ist zusammenfassend
hervorzuheben, daß ganz allgemein den Pflegeeltern und Pflegestellen
wiederum ein sehr günstiges Zeugnis ausgestellt wird. Nur in einer
sehr kleinen Zahl der Aufhebungen von Pflegestellen war der Grund
in deren Unzulänglichkeit gegeben. Die Pflegeerfolge waren be-
friedigende; verschiedentlich wird der Erfolg bei den Rekonvaleszenten
besonders hervorgehoben. Günstiges wird auch über die Einwirkung
des Sommeraufenthaltes in den Laubenkolonien geäußert.
Die folgende Tabelle belehrt über den Umfang, in dem die
Säuglingsärzte ihre Tätigkeit ausgeübt haben.