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Nr. 19. Städtische Jrrenpflege.
III. Bericht über die III. Irrenanstalt in Buch.
A. Allgemeines.
Das zweite Etatsjahr der dritten Irrenanstalt in Buch führte die
volle Belegung derselben herbei. Am 15. Mai 1907 wurde das Ver
wahrungshaus (Haus XII. Kriminelle Männer, 46 Betten), am
18. Juli Landhaus VI (Frauen, 30 Betten), am 12. November Land
haus IV (Frauen, gleichfalls 30 Betten) und am 1. Februar 1908
die Jnfeklionsbaracke (Haus XI, 24 Betten, Männer und Frauen)
eröffnet. In letzterer verrichten nur Pflegerinnen den Dienst.
Die Belegung des Verwahrungshauses (46 Betten) gestaltete sich
so, daß dreimal fünf kriminelle Männer aus Dalldorf, fünfmal fünf
aus Herzberge und drei aus Wuhlgarten überführt wurden: die
restierenden drei Betten wurden vom Männerüberwachungshaus in
Buch (100 Betten) belegt. Die Transporte erfolgten im Polizeiwagen
unter Begleitung von zwei berittenen Gendarmen, zugleich war dem
Königlichen Landratsamt Tag und Stunde des Passierens der Trans
porte der respektive» Ortschaften mitgeteilt worden. So verliefen die
selben ohne jede Störung und auch ohne Schwierigkeiten.
Der Dienst in Haus XII wird von 18 Pflegern (inkl. einem stell
vertretenden Oberpfleger und des Pflegers, welcher das Heizen besorgt)
und einem Oberpfleger versehen: der Oberpfleger hat im benachbarten
Pflegerhaus Familienwohnung, sieben Pfleger wohnen im Haus XII
selbst, eli gleichfalls im benachbarten Pflegerhaus. Der Nachtdienst
im Innern des Verwahrungshauses ist so angeordnet, daß es nur
zwei wache Wachen gibt, von denen die eine vier Wochen lang je
eine ganze Nacht wacht, während zwei andere umschichtig je eine halbe
Nacht wachen, resp. auf einem Zellenflur schlafen: letztere wechseln all
abendlich. Bei dieser Zusammensetzung der Wachen werden dieselben
nicht „zu intim".
Von den beiden wachen Wachen sitzt die eine im Mittelbau,
während die andere das Haus abgeht und umgekehrt; zugleich gehen
die beiden Wachen nicht, es sind aber in allen Ecken der Zellenflure
elektrische Knöpfe zu Lärmglocken angebracht und außerdem liegen
auf den Zellenfluren angekleidet vier Manu Feuerwache (die anderen
vier schlafen, gleichfalls angekleidet, im Uebcrwachungshaus), welche
gleichfalls jeden Abend aus anderen Pflegern zusammengesetzt ist.
Diese sieben Mann sind also. abgesehen von den sieben im Ver
wahrungshaus wohnenden resp. schlafenden Pflegern, immer zur
Hand. Ueberdies werden die Umgebung und die Höfe des Ver
wahrungshauses zweistündlich von zwei Nachtwächtern begangen.
Der Besuch und die von ihm den Patienten mitgebrachten Geschenke
werden natürlich scharf kontrolliert.
Von den 46 im Verwahrungshaus untergebrachten Kranken be
finden sich 20 im zellenlosen Obergeschoß mit Korridor, dort sind ein
gemeinsamer Tagesraum, vier gemeinsame Schlafräume ü fünf Betten
und vier Werkstätten ä drei Mann. Von den 26 Einzelräumen des
Erdgeschosses sind zirka 18 Tag und Nacht besetzt, die übrigen acht
Patienten schlafen in den beiden im Erdgeschoß gelegenen Lazarettsälen,
wobei bemerkt sei, daß „Bettbehandlung" Krimineller im Verwahrungs
haus nicht zur Anwendung kommt: derartige Patienten werden in
das feste Lazarett des Ueberwachungshauses gelegt.
Die Einzelräume dürfen nachts nie ohne Hinzuziehung des
Oberpflegers oder deffen Stellvertreters geöffnet werden, telephonische
Verbindung zwischen dem Verwahrungshaus und seinem Pflegerhaus
ist natürlich vorhanden, außerdem geht vom Verwahrungshaus eine
direkte elektrische Lärmverbindung nach dem Pflegerhaus und eine nach
der Feuerlärmsirene. Die Einzelbehandlung wird übrigens von einer
ganzen Anzahl Vorbestrafter beliebt und übt einen unverkennbar
günstigen Einfluß auf sie aus: wir brachten im Laufe des Etatsjahres
fünf in Haft zurück, sechs erklärten wir für strafrechtlich wieder ver
antwortlich und verwirkten so ihre Entlassung. Mindestens die Hälfte
der in den Einzelräumen befindlichen Patienten beschäftigt sich, wie
im ganzen sowohl im Uebcrwachungshaus (Haus IX —100 Betten)
wie im Verwahrungshaus je */« der Patienten beschäftigt werden.
Auch sonst wird selbstverständlich großes Gewicht auf die Be-
schäftigung aller Patienten der Anstalt gelegt. Es sind z. B. zur
Zeit 19 Nähmaschinen und zwei Strickmaschinen im Betrieb. Im
übrigen ist das Verhältnis der beschäftigten zu den nichtbeschäftigten
Patienten der Anstalt bei den Männern —1:2,4, bei den Frauen — 1:6,5.
Am 28. September 1907 wurde die gesamte Anstalt vom Vor
sitzenden der Deputation für städtische Jrrenpflege, Stadtrat Geheimen
Rat vr. Straßmann, übernommen und dem Direktor übergeben,
am 5. Oktober fand vor geladenen Gästen die Einweihung der Fest-
säle der Anstalt durch Spiel und Tanz statt.
Es steht nur noch die Uebergabe der Desinfektionszisterne aus.
AIs sehr vorteilhaft für den Betrieb der Anstalt stellten sich die
Doppelgärten an den Nord- und Südfronten, gleichsam Sommer-
und Wintergärten, heraus, sodann die große Anzahl Einzelzimmer
für ruhige Kranke, von denen die beiden offenen Häuser je 14, die
beiden Aufnahmehäuser je 8, die vier Pflegehäuser je 13, die beiden
Ueberwachungshäuser je 22. das unpaare Frauenhaus (100 Betten)
15 zur Verfügung haben, in Summe 155 Einzelzimmer bei
1 555 Betten.
Das Erysipel, an welchem im April 1907 noch vier Patienten
erkrankten, von denen einer starb, -trat im Mai und August noch mit
je einem tätlich verlaufenden Falle auf, ein Fall im November wurde
geheilt, von drei Fällen des Dezember verlief ein Rezidiv tätlich, im
Januar 1908 wurde ein Fall zweifelhafter Diagnose geheilt, im
Februar verlief ein Fall tätlich, ein zweiter (eine Pflegerin) heilte
im Krankenhaus: von den 13 Patienten des ganzen Etatsjahres
starben also fünf, von den neun Patienten des ersten Etatsjahres
vier, von den 22 Patienten der beiden Jahre also neun. Von den
22 Fällen beider Jahre betrafen 5 Männer, darunter ein Pfleger
nnd der Hausvater der Frauenabteilung, 17 Frauen, darunter eine
Pflegerin. Seit Mai 1908 sind zwei Patientinnen erkrankt, darunter
eine im Juni zum zweiten Male, seitdem ist kein Fall mehr beobachtet,
es ist aber im Wiederholungsfälle nicht nur Desinfektion nnd
Streichen, sondern auch Räumung der resp. Räume für Wochen oder
Monate, sowie noch möglichst langer Aufenthalt der Genesenen in
den Infektionsabteilungen resp. der Jnfeklionsbaracke in Aussicht
genommen.
Es kamen zwei Selbstmorde vor, ein beabsichtigter und ein
unbeabsichtigter: im letzteren Falle trank eine blöde Patientin Lysol,
welches die Pflegerin einen Augenblick unbewacht in einem Einzel
raum hatte stehen lassen müssen (seitdem wird das Lysol gleich in die
resp. mit Waffer gefüllten Eimer geschüttet) und starb drei Tage nach
der Vergiftung an Lungenentzündung, im ersteren Falle brachte sich
ein auf eigenen Wunsch in einem Einzelzimmer Tags mit Lesen
beschäftigter Patient mit seinen Brillengläsern, die er zerbrach,
Schnittwunden am Halse bei, welche zu einem tätlichen Glottisödem
führten; in beiden Fällen sah die Königliche Staatsanwaltschaft von
einer strafrechtlichen Verfolgung ab.
Es fanden 38 Entweichungen — Entfernungen von Außenarbeit
event, auf auch nur kurze Zeit — statt und neun leichte Ausbrüche,
darunter drei aus dem Aufnahmehaus (einem Patienten wurde vom
Pfleger die Tür geöffnet, einer hatte wahrscheinlick einen Nachschlüssel,
einer entschlüpfte nachlässigen Pflegern durch die Tür, ohne daß sich
dieselben ernstlich um sei» Wiedereinholen bemüht hätten) und vier
aus einem Pflegehaus (dieses waren blöde Patienten, welche in
unbewachten Augenblicken aus dem nur leicht versicherten Hause in
die Gärten drängten). Aus dem Ueberwachungs- und Verwahrungs
haus (100 resp. 46 Betten) brach kein Patient aus. Auch eine Frau
entwich und zehn brachen aus; sieben Ausbrüche erfolgten aus offenen
Häusern durch offene Fensterflügel oder nach Beseitigung der leichten
Flügelhemmung, zwei ließen sich an zusammengeknüpften Laken aus
dem Obergeschoß herunter, eine Kranke des Ueberwachungshauses
entwich durch die nicht verschlossene Tür nach dem Garten und
kletterte mit Hilfe einer Gartenbank vom Laut cko loup aus über
die Mauer: da sich die betreffende Patientin in Freiheit einem
höheren Beamten gegenüber gemeingefährlich benommen hatte, strengte
dieser eine Klage gegen Unbekannt wegen Gefangenenbefreiung an,
die bislang noch nicht zu Ende geführt ist. Die Entwichenen, welche
vor Aktenabschluß wieder zur Anstalt zurückkehren, sind übrigens
nicht in der Zahl der Entlassenen (siehe später) enthalten.
Von den Assistenzärzten ging Dr. Zendig im Juni ab, ein
Assistenzarzt gab im August nach drei Tagen den Dienst freiwillig
wieder auf, da er die deprimierenden Eindrücke desselben nicht
überwinden konnte: vr. Franke ging im Oktober, vr. Levy im
Dezember ab; vr. Müller ging im Januar 1903 zu, vr. Schulz
im März (aus Dalldorf) und vr. Rosenberg am 1. April 1908.
So beschäftigte die Anstalt am Schluß des Etatsjahres neun
Assistenten und begann das neue mit zehn. 255 bezw. 156 Pfleger
und Pflegerinnen traten neu ein, während 218 bezw. 136 ausschieden.
R. Statistisches.
In der Zeit vom 1. April 1907 bis 31. März 1908 gestaltete sich die Gesamtbewegung in folgender Weise:
Der Gesamtbestand der Irren betrug am 31. März 1907
I. in der Hauptanstalt 669 Männer, 617 Frauen — 1 286 Köpfe.
II. in den Filialen 69 - 24 - — 93
III. in Familienpflege 4 3 - = 7 -
742 Männer, 644 Frauen — 1 386 Köpfe.