Nr. 31a. Gewerbegcricht.
daß der Schaden gerade auf den Zahlungsverzug des Arbeitgebers
zurückzuführen ist, was immer nur ausnahmsweise zutreffen wird
(etwa, wenn der Arbeiter eine auswärtige Stelle angenommen hat
und ihm nun infolge des Zahlungsverzuges das Reisegeld fehlt).
Die Lohnforderung als solche besteht nicht schon bei bloßem Zahlungs
verzug, sondern nur bei gehörigem Arbeitsangebot: letzteres ist
natürlich ausgeschlossen, wenn schon — wie in dem hier behandelten
Falle — die Entlassung erfolgt ist. Daß aber zu einer ordnungs
mäßigen Entlassung auch die rechtzeitige Löhnung gehöre, ist nirgends
bestimmt.
2. Merkwürdigerweise vertreten Arbeiter öfter sogar die Ansicht,
daß man nicht weiter arbeiten dürfe, ehe man den letzten fälligen
Lohn erhalten habe, da man sich sonst seines Rechtes auf diesen begäbe,
tz. B. Kammer 3, Nr. 118 und 244/05), ja daß man das Arbeits-
Verhältnis lösen müsse (Kammer 3, Nr. 794/05). Diese Rechts
auffassung entbehrt jedes gesetzlichen Anhalts. Es besteht lediglich ein
Recht des Arbeiters zu sofortiger Lösung des Arbeitsverhältniffes
(tz 124 Nr. 4 G. O.s und ein Recht zur Verweigerung der weiteren
Arbeitsleistung bis zur Bewirkung der Lohnzahlung (tz 320 B.G.B.).
Es läßt sich daher unmöglich aus der bloßen Ausübung solcher
Befugnis die Absicht des Arbeiters folgern, die Lohnschuld dem
Arbeitgeber zu erlassen.
8. Wenn der ohne Kündigung entlassene und deshalb Ansprüche
erhebende Arbeiter demnächst vom Arbeitgeber ordnungsmäßig zur
Weiterarbeit aufgefordert wird, so muß er bei Vermeidung des
Verlustes seiner Ansprüche darauf eingehen.
Auf Kündigungsvergütung klagende Arbeitnehmer haben aber vor
dem Gewerbegericht schon mehrfach erklärt, sie hätten die Weiterarbeit
verweigert, weil sie — also ähnlich dem Falle zu 2 — glaubten, sich
dadurch ihres Anspruches für den inzwischen abgelaufenen Teil der
Kündigungsfrist zu begeben. Sie übersehen dabei, daß der Arbeit-
geber gemäß ß 615 B.G.B. nur solange zur Weiterzahlung des
Lohnes auch ohne Gegenleistung des Arbeiters verpflichtet ist, als er
sich in Annahmeverzug befindet. Durch die gehörige Aufforderung
zur Weiterarbeit aber heilt er seinen Verzug. Nur wenn die Ent
lassung unter solchen Umständen erfolgt war. daß dem Arbeiter die
Weiterarbeit nicht gut zugemutet werden kann, (z. B. unter grober
Ehrverletzung des Entlassenen) oder unangemessene Arbeit verlangt
wird (z. B. von einem Polier Gesellenarbeit oder von einem Laden
arbeiter Fabrikarbeit), bleibt der Anspruch auch ohne Aufnahme der
Arbeit bestehen. Ist hiernach der Arbeiter regelmäßig verpflichtet, die
angebotene Arbeit aufzunehmen, wenn anders er sich die Weiterzahlung
des Lohnes für die Folgezeit sichern will, so kann hier ebensowenig,
wie oben aus der Ausübung eines Rechtes, aus der Erfüllung einer
Verpflichtung ein Schluß daraus gezogen weroen, daß der Arbeiter
auf die Lohnvergütung für die Zwischenzeit (zwischen Entlassung und
Arbeitsangebot) verzichten wollte.
4. Von Arbeitgebern wird in den Verhandlungen vor dem Ge
werbegericht öfter einredeweise geltend gemacht,
1. daß der Arbeiter seine vermeintlichen Lohnansprüche binnen
14 Tagen nach Fälligkeit einklagen müsse,
2. daß für Forderungen über 100 Jt (oder über 300 Jt) das
Gewerbegericht nicht zuständig sei.
Beides ist falsch. Ansprüche aui Arbeitslohn verjähren erst mit
Schluß des 2. Kalenderjahres nach Ablauf des Kalenderjahres der
Entstehung (tztz 196 Nr. 9, 198, 201 B.G.B.) Die abweichende Auf
fassung ist offenbar durch Verwechslung mit der Vorschrift des
tz 122 G.O. hervorgerufen, wonach die Kündigungsfrist 14 Tage
beträgt.
Die Zuständigkeit der Gewerbegerichte ist bezüglich der Höhe
der Klageforderungen unbegrenzt: auch Millionenprozesse, auf Grund
eines gewerblichen Arbeitsverhältnisses angestrengt, würden vor das
Gewerbegericht gehören. Die Grenze von 300 Jt besteht nur für die
Amtsgerichte: die Grenze von 100 Jt endlich kommt nur für die
Frage der Berufungsfähigkeit gewerbegerichtlicher Urteile in Be-
tracht.
5. Aus die Ausstellung der Zeugnisse wird nicht genügend Sorg-
fall verwandt. Allerdings ist die Ausstellung eines richügen Zeugniffes
oft eine recht schwierige Sache, zumal unter einfachen Verhältniflen,
in kleinen Betrieben und bei kurzer Dauer des Arbeitsverhältniffes.
De lege ferenda wäre hier vielleicht eine Einschränkung der Ver-
pflichlung zur Ausstellung eines Zeugnisses über Führung und Leistun
gen nn Interesse sowohl der Arbeitgeber, wie der Arbeiter angebracht.
Bei der jetzigen Lage der Gesetzgebung ist aber den Arbeitgebern nur
zu raten, jede Uebereilung bei Ausstellung von Zeugnissen zu vermeiden.
Es wird hierdurch schweren Schädigungen vorgebeugt.
6. Die Arbeilgeberklagen wegen Kontraktbruches und auf Heraus
gabe der fertiggestellten oder unfertigen Arbeiten mehren sich (siehe
Kammer 1 und 2), in letzter Hinsicht auch die Anträge auf Erlaß von
einstweiligen Verfügungen.
Hierbei ist zu bemerken, daß bei vielen Heimarbeitern die irrige
Anficht verbreitet ist, daß sie, falls sie noch irgend welchen rückständigen
Lohn vermeintlich zu fordern haben, oder der Arbeitgeber ihnen die
fraglichen Sachen, wie sie glauben zu unrecht, nicht abnehmen will,
die Sachen einfach versetzen können. Diese Eigenhilfe ist ungesetzlich.
7. Eine eingehendere gesetzliche Behandlung des Heimarbeiter-
verhältnisses tut not, ebenso die gesetzliche Regelung des Akkordvertrages.
8. Die Unterscheidung des tz 5 des G.G.G. zwischen kleineren
und größeren Zwischenmeistern in bezug auf die sachliche Zuständig
keit der Gerichte macht sich für die Kammern 1 und 2, bei denen die
„Zwischenmeisterei" (Konfektion je.) so verbreitet ist, sehr lästig und
schafft für die Firmen sowohl wie für die Zwischenmeister eine ständige
Unsicherheit in der Rechtsversolgung, die gerade hier oft der größten
Beschleunigung bedarf. Dazu kommt, daß die Scheidung weder be
grifflich, noch in der Praxis scharf eingehalten werden kann und so
viele verschiedene Behandlungen an sich mit einander analoger Fälle
zeitigt. Es wäre geboten, alle Zwischenmeister überhaupt vor das
Gewerbegericht zu bringen.
9. Ein Übelstand ist die Unmöglichkeit, vor dem Gewerbegericht
eine Klage gegen den Vater bezw. gegen die Mutter des Lehrlings
mit der Klage gegen den Lehrling selbst zu verbinden. Häufig schweben
infolgedessen gleichzeitig ganz gleichliegende Prozesse beim Gewerbe
gericht gegen den Lehrling, vertreten durch seinen Vater und beim
ordentlichen Gericht gegen den Vater selbst.
Beide Prozesse werden durch das Nebeneinauderlaufen verzögert.
10. Auf dem Gebiete des Akkordverlrages tritt ziemlich allgemein
auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite das Bestreben hervor, diese
Vertragsart auszubauen und an die Stelle der Willkür feste Normen
zu setzen. Besondere Schwierigkeiten bereitet den Beteiligten die
Regelung des Kolonnenakkordes. Differenzen entstehen hier haupt
sächlich dadurch, daß es an der Erkenntnis fehlt, daß die durch den
Kolonnenakkord begründeten Rechte nur mit Zustimmung aller Be
teiligten geändert oder festgestellt werden können. Die Stellung des
Kolonnenführers gegenüber dem Arbeitgeber und gegenüber der Kolonne,
entbehrt meist der Regelung, die z. B. durch Arbeitsordnung erfolgen
könnte. Verkannt wird mitunter, daß Fabriktarife nicht durch bloßen
Aushang Bestandteil des Arbeitsvertrages werden. Sie könnten viel
leicht als Bestandteil des Arbeitsvertrages angesehen werden, wenn
sie in der Arbeitsordnung als solcher bezeichnet werden.
11. Die rechtliche Bedeutung der sogenannten Tarifverträge, ins-
besondere die Ausdehnung der rechtlichen Verbindlichkeit derselben auf
solche Personen, welche nicht unmittelbar am Vertragsschluß beteiligi
waren, wird oft streitig. Diese Streitigkeiten nehmen das größte
Interesse weiter Kreise der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Anspruch.
Bezüglich der Anwendbarkeit solcher Tarifsvertragsbestimmungen
ist hervorzuheben, daß diese nach Lage der heutigen Gesetzgebung für
das einzelne Arbeitsverhältnis nur dann Geltung haben, wenn sie
nach den Umständen als Bestandteile der Bedingungen des Einzel-
arbeitsvertrages angesehen werden können; daß sie aus eben diesem
Grunde aber auch dann weiter in Geltung bleiben für das einzelne
Arbeitsverhältnis, wenn etwa der Tarifvertrag als solcher inzwischen
seine Geltung verloren hat.
12. Häufig wird noch der Einwand erhoben, daß, weil eine
Schlichtungskommission für das Gewerbe bestehe, der Rechtsweg un
zulässig sei. Schlichlungskommissionen sind aber als solche keine
Schiedsgerichte, also bleibt der Rechtsweg regelmäßig offen. Aber
häufig konnte den Parteien aus Zweckmäßigkeitsgrüuden empfohlen
werden, die Entscheidung der Schlichtungskommission herbeizuführen,
insbesondere, wenn die Kommission laut Tarifvertrag berufen war.
gewisse Tarifbestimmungen für die Teilnehmer des Tarifabkommens
endgültig auszulegen (während das gerichtliche Urteil doch nur eine
Entscheidung für den Einzelfall gegeben hätte, die im nächsten Fall
wieder hätte verlassen werden können).
13. Die Beschränkung der Aufrechnung und Zurückbehaltung
gegenüber gewerblichen Lohnforderungen (tztz 273, 394 B.G.B.) wird
jetzt im allgemeinen von Arbeitgebern anerkannt.
Von dem vorstehend unter 1 bis 13 Aufgeführten sind die sud Io
und d, 2, 3 und 4 angegebenen Wahrnehmungen bereits in der
Sozialen Praxis vom 3. August 1905, Seite 1169 und vom 11. Januar
1906, Seite 398 veröffentlicht.
Personalnachrichten.
Von den acht ständigen Gewerberichtern schied mit dem 1. April 1905
Magistratsrat Dr. Meyer aus dem städtischen Dienst und somit auch
aus unserm Kellegium, dem er seit April 1897 angehört hatte. Er
zog sich in das Privatleben zurück. An seine Stelle trat an demselben
Tage Magistratsaffeffor Dr. Schocken.
Für den Magistratsaffeffor Dr. Neumann, welcher mit dem
1. November 1905 aus der Zahl der ständigen Gewerberichter aus-
schied, um zunächst aushilfsweise das Amt eines Vorsitzenden am
hiesigen Kaufmannsgericht zu übernehmen, trat Magistratsaffeffor
Korn ein.
Von den Beisitzern schieden vor Ablauf ihrer Wahlzeit, teils in
folge Enthebung auf Grund des tz 25 unsers Ortsstatuts (tz 21 des
Gewerbegerichtsgefetzes), teils wegen Ablebens, 8 Arbeitgeber und
4 Arbeitnehmer aus ihrem Amte.