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Nr. 14. Armenpflege.
tümer S., eine Dame, die in allerdings recht guten Berhältnisien lebt,
wenngleich sie auch einfachen, bürgerlichen Kreisen cntstatnmt, ließ es
sich angelegen sein, durch Rücksprache mit den beteiligten Organen der
freien Liebestätigkeit, wie auch unter Umständen persönlich, sofort
helfend bei ihren Pflegebefohlenen einzugreifen.
9. Der besonderen Erwähnung würdig ist es, daß die erschienenen
Herren sich in keiner Weise durch die Anwesenheit der Damen beengt
fühlten: im Gegenteil, es fand stets ein lebhafter Gedankenaustausch
in der gewinnendsten und dezentesten Form statt, wobei durchaus nicht
von den althergebrachten Kommissionsgewohnheiten abgegangen wurde.
Nach den hier gemachten Erfahrungen kann nur auf das Lebhafteste
gewünscht werden, daß recht bald in allen Armenkommissionen der
Stadt Berlin Armenpflegerinnen bestrebt sein mögen, die Sorgen und
die Not der Bedürftigen lindern zu helfen.
II. Vorgänge in der Verwaltung.
Die Arinendirektion hielt im Berichtsjahre 14 Sitzungen ab, in
denen 192 Gegenstände beraten wurden.
Wir heben die folgenden wichtigen Gegenstände hervor:
a) Die Kreis Versammlungen.
Die Einrichtung der Kreisversammlung hat sich auch weiter be-
währt und auch das lebhafte Interesse der beteiligten Armenkommissions
vorsteher hervorgerufen. Ueber einige formale Aenderungen soll im
nächsten Jahr in Beratung getreten werden. Das Ergebnis der
Tätigkeit stellt sich im einzelnen wie folgt:
Jahr
1904
Anträ
auf Gewährung von Unterst
übersct
Almosen und Pflegegeld
genehmigt abgelehnt
ge der Armenkommissionen
ützungen, die die Höchstsätze
weiten
Einmalige Unterstützung
gcnehmigt> | abgelehnt
auf Versagung
barer Unterstützung
genehmigt abgelehnt
Entscheidungen
in Beschwerdesachen
„ .. j Abänderung 1 ander-
Zuruck- iber Be,Esse
Weisung der Armen- "emg er-
ö I fomnuii, i Ißölgt
Sonstige
Beschlüsse
in
Personal
sachen
Gesamt
zahl der
Beschlüsse
April 1904 .
113
3
1
125
2
1
17
8
22
292
Mai . . .
129
1
o
144
—
2
2
—
14
5
1
18
325
Juni . . .
108 !
3
4
159
10
1
2
26
2
11
21
353
Juli....
122
1
9
123
1
1
4
—
16
1
6
12
296
August . . .
113
1
5
116
—
2
3
—
10
1
6
1
264
September
124
2
2
154
2
5
2
—
16
2
9
10
328
Oktober . .
179
1
1
197
—
2
4
2
14
3
5
9
417
November. .
163
1
5
185
2
8 -
4
3
2
2
4
9
388
Dezember . .
185
3
6
136
6
8
4
—
12
4
2
18
384
Januar 1905
67
2
4
119
8
3
—
1
24
6
6
17
257
Februar . .
77
6
4
96
3
2
2
3
26
1
6
12
236
März . . .
128
1
4
148
4
5
6
1
15
4
5
23
344
1904
1504
25
48
1702
26
50
38
13
191
31
75
178
3884
1903
1 480
31
75
1701
30
56
84
18
212
13
72
235
4 007
b) Die Einrichtung der Personalbücher.
Die Personalbücher, über deren Anlegung früher bereits aus
führlich berichtet worden ist, sind nunmehr fast vollständig für sämt-
liehe Armenkommissionen angelegt. An und für sich hat sich für die
geschäftliche Bearbeitung der Umstand sehr wohl bewährt, daß die
Hauptakten nicht mehr bei den einzelnen Armenkommissionen verstreut,
sondern an der Zentralstelle der Armendirektion selbst gesammelt sind :
auch haben die Personalbücher und die mir ihnen im Zusammenhange
herausgegebenen neuen Formulare für Fragebogen und Revisionen
vielfach dazu geführt, in die Verhältnisse der Unterstützten genauer
einzudringen. Immerhin läßt die Führung der Personalbücher durch
die Armenkommissionsvorsteher noch vielfach zu wünschen übrig. Es
darf gehofft werden, daß nach und nach sich die Einrichtung ein
bürgert.
c) Die Armenspeisungsanstalt.
Wir haben in unserem Bericht für 1902 ausführliche Mitteilungen
über die Verhältnisse der Armenspeisungsanstalt gemacht und dabei
namentlich hervorgehoben, daß auf Grund einer von uns ver-
anstalteien, sorgfältigen Erhebung die Armendireklion zu der Auf.
faffnng gelangt ist, daß die Küchen für die ärmere Bevölkerung nicht
zu entbehren seien, daß es aber wünschenswert sei, die Anstalt als
private Wohltätigkeitseinrichtung zu erhalten und denjenigen Bedarf,
der durch die Armcndirektion für die zu ihr gehörigen Armen ver
ursacht ist. entsprechend zu vergüten. Während diese Vergütung seit
langen Jahren in der Gewährung einer Pauschalsumme von zuletzt
40 000 Jt bestand, ist neuerdings beschlossen worden, einen Versuch
mit der Vergütung für die einzelne Portion zu machen, sodaß ein
bestimmter Satz für diejenigen Portionen gewährt wird, die von der
Armendirektion tatsächlich bestellt sind. Die im Etat zur Verfügung
gestellte Summe ist aus diesem Anlaß vom 1. April 1905 ab auf
50 000 Jt erhöht worden, sodaß dafür je nach dem Preise, der ver
mutlich zwischen 9 und 10 ^ pro Portion sich stellen wird, 5- bis
600000 Portionen geliefert werden können. Der Berechnung soll
eine genaue Aufstellung der Aufwendungen der Armenspeiseanstalt
zugrunde gelegt werden.
d) Kranken- und Gesundheitspflege.
1. Der armenärztliche Dienst.
Die Armendirektion beschäftigte sich seit Jahren mit der Frage
des armenärztlichen Dienstes, dessen Reorganisation wiederholt von
den städtischen Behörden angeregt worden war. Schon in den
früheren Jahren halte die Armcndirektion eine statistische Erhebung
veranlaßt, die zu dem Ergebnis führte, daß die armenärztlichen Be
zirke sehr ungleich belastet seien, daß es aber gleichwohl sehr schwierig
sei, diese Ungleichmäßigkeit zu beseitigen. Wir sind zurzeit noch be
schäftigt. die Einteilung der Stadt in geeignete armenärztliche Bezirke
zu erörtern, wobei jedoch das bisherige Prinzip der Einteilung in
tunlichst gleichmäßige armenärztliche Bezirke und die Vergütung der
armenärztlichen Tätigkeit durch ein festes Honorar beibehalten werden
soll. Dies Honorar ist durch Beschluß der städtischen Behörden für
alle Aerzte das gleiche und beträgt seit dem 1. April 1905 gleich-
mäßig 1 500 Jt. Die Frage der freien Arztwahl ist bei dieser
Gelegenheit sehr eingehend erörtert worden; doch ist man nicht dazu
gelangt, die freie Arztwahl einzuführen, und zwar nicht sowohl aus
theoretischen, als vielmehr aus sehr ernsten praktischen Bedenken
Die Schwierigkeiten, die sich schon in der Praxis der Krankenkassen
bei der freien Arztwahl ergeben, werden fast unüberwindbar, wo es
sich um Arme handelt. Bei den Krankenkassen liegt die Sache insofern
günstiger, als bei ihnen den Aerzten immer eine Kundschaft gegen
übersteht, die selbst für die Behandlung Beiträge leistet und die daher
ein lebhaftes Interesse daran hat. Mißbrauch zu verhüten und dafür
zu sorgen, daß Aerzte und Krankenpflege nicht unnütz in Anspruch
genommen werden, wenngleich die Neigung der einzelnen Mitglieder
nicht zu verkennen ist, dafür, daß sie Beiträge bezahlen, die vorhandenen
Einrichtungen auch auszunützen. Die Armenpflege bildet dagegen die
einzige wirtschaftliche Leistung, der keine Gegenleistung gegenübersteht.
All das, was andere direkt als Privatleute oder indirekt durch Beitrags
leistung als Mitglieder von Kassen und dergl. bezahlen müssen, wird
den Armen unentgeltlich geboten. Je besser daher die Einrichtungen
dieser Art sind, umsomehr und umso unbefangener werdm sie in
Anspruch genommen, namentlich wenn, wie es bei der ärztlichen
Behandlung der Fall ist, irgend welche Nachteile, wie insbesondere der
Verlust des Wahlrechts, damit nicht verbunden sind. und auch die
Einziehung der Kosten für Arzneimittel entweder garnicht oder nur in
allermildester Weise versucht wird. Hierin aber gerade steckt schon
für die Krankenkassen die große Schwierigkeit, die ganz außerordentlich
wächst, wenn es sich um garnicht zahlende Patienten handelt. Es ist
durchweg die Erfahrung gemacht worden, daß gerade die ärmsten
Patienten nicht aus bösem Willen, sondern vermöge ihres geringeren
Bildungsgrades, sehr leicht ungeduldig werden und, wenn ihnen der
eine Arzt nach ihrer Meinung nicht sogleich hilft, nicht genug verschreibt,
sofort geneigt sind, einen zweiten, einen dritten, einen vierten Arzt
aufzusuchen und bei diesem ihr Heil zu versuchen. Wird nun durch
Freigabe der Arztwahl dieser Neigung nachgegeben, und wird gleich-
zeitig, wie es nicht anders sein kann, dem Arzt die Berechtigung
gegeben, auf Kosten der Armenkasse Arzneien und diätetische Heilmittel,
wie Fleisch, Milch, Wein u. dergl. zu verschreiben, so liegt für den
Arzt wiederum die Verführung sehr nahe, hiervon sehr erheblichen
Gebrauch zu machen. Hiergegen Schutzmaßregeln zu treffen, erscheint