Verwaltungs-Bericht
des
Magistrats zu Berlin
für
das Ltatsjahr 1900.
M 39.
WerichL über öen städtischen Wieb- und Schlüchlbof sowie die
städtische Meischbeschau.
I. Bericht über den städtischen Bieh- nnd Schlnchthoft
Der städtische Vieh und Schlachthos zu Berlin hat sein zweites
Jahrzehnt zurückgelegt. Die bei seiner Eröffnung am 1. März 1881
kurz vor Einführung des Schlachtzwangs noch etwas gährenden Ver
hältnisse haben sich im Laus der Jahre beruhigt. Die Berliner
Schlächtermeister haben sich allmählich mit den Unbequemlichkeiten
ausgesöhnt, die ihnen die Schließung ihrer privaten Schlachtftätten,
die Konzentrirung der Schlachtbetriebe aus öffentliche, thierärztlich be
aussichtigte, in gewissem Sinne unter gegenseitiger Kontrolle stehende
Schlachthäuser brachte. Man hat eingesehen, daß die zeitgemäßen
hygienischen Forderungen sich anders nicht erfüllen lassen.
Immer weitere Fortschritte macht die Theilung der Arbeit in
Großbetrieb und Kleinbetrieb, in der Großschlächterei und in der
Fleischbehandlung des Ladenbetriebes. Weniger bemerkbar sind die
Veränderungen im Viehhandcl und in der Marktbeschickung, in den
Ställen der Master auf dem Lande. Zwar ist scheinbar eine Ver
besserung des Verkanfsmodus zu bemerken, da der Verkauf „nach
Stück", „per Kopf", wobei die Willkür häufig an die Stelle des Werth
schätzungsvermögens tritt, in den Modus des Verkaufs nach
Lebendgewicht übergegangen ist. Dieser Uebergang Hai zwar in
den meisten größeren Wirthschaften und auch in Bauerngemeinden
zur Anschaffung und zum Gebrauch des nothwendigsten Requisits, der
Viehwaage gefiihrt. Aber es wird von den Händlern beklagt, daß
die Biehwaage sehr häufig ohne amtliche Prüfung bleibt.
Die amtliche Marktpreisnotirung, gemeinschaftlich von der
Direktion und der Marktpolizei bewirkt, genießt so viel Vertrauen in
ihre Richtigkeit, daß es — so paradox es auch klingt — fast zum
Unsegen geworden ist. Anders ist es nietn zu verstehen, daß Master
und Händler sich beim Schweinehandel kaum mehr die Mühe geben,
den Verkaufswerth der Waare beim Einkauf festzustellen. Wir haben
wiederholt in den Jahresberichten beklagt, daßPer ländliche Schweine
verkauf „nach Notiz" (d. h. zu demjenigen Preise, welchen der amt
liche Bericht der Viehmarktdircktion vom nächsten Berliner Markt für
das Pfund lebenden Gewichts öffentlich nennen wird), auch aus den
Handel au den Märkten selbst übergegangen ist. Verkäufern und
Käufern ist cs bequem, keinen Preis zu fordern und zu bieten: man
handelt Schweine bester Waare lieber „nach Notiz", d. h. zu dem
noch unbekannten Preise, den die Direktion am Schluffe des Markts
für beste Waare verlautbaren wird. An einem bedeutenden Marktort
ist es bereits vorgekommen, daß die Marktdirektion, keinen Preis im amt
lichen Bericht nennen konnte, weil fast alles „nach Notiz" verkauft
worden ivar. Es ist zu besorgen, daß bei etwaiger Einführung des
Handels „nach Lebendgewicht" dieser Mißbrauch auch bei Rindern,
Kälbern und Schafen Platz greifen werde.
Erfreulich ist, berichten zu können, daß die Maul nnd Klauen
seuche im Laude erheblich abgenommen und unsern Markt Verhältniß
mäßig wenig belästigt hat: offenbar hat die Verschärfung der veterinär
amtlichen Aufsicht beim Ausladen der Thiere und die Jsolirung der
unverkauft gebliebenen „Ueberständer" dazu mitgewirkt. Von günstigem
Einfluß aus die schnelle Beseitigung etwa aus der Reise infizirter,
aber noch nicht sichtbar erkrankter Thiere ist, daß die Sonntags
schlachlung in den Frühstunden gestattet ist. Am Sonnabend und
Mittwoch ist bekanntlich der Markt: bis Sonntag früh 9 Uhr ist
nahezu die Hälfte der Thiere beseitigt. Die Verwaltung hat aus
diesem wichtigen Grunde kein Interesse daran, die Bestrebungen um
Abschaffung der Sonntagsschlachtuug zu unterstützen. Während nach
der amtlichen Statistik im Dezember 1899 noch rund 27 000 deutsche
erstattet vom Direktor, Lekonomicrath Haus bürg.
Gehöfte durch die Maul- und Klauenseuche infizirt waren, fiel diese Zahl
im Januar 1900 auf 17 373, im März 1900 auf 4 750, im Mai 1900
auf 2 000, im August auf 1 250, nahm dann allerdings wieder zu,
sank aber bis zum März 1901 auf 485 und bis zum 15. Juli auf
294 Gehöfte, wovon aus die östlichen preußischen Provinzen, von denen
wir unser Vieh erhalten, nur 13 entfielen. Hiernach ist die gänzliche
Tilgung der Maul- und Klauenseuche in Deutschland nicht ganz
aussichtslos, zumal in den für unsere Viehversorgung wichtigen
Nachbarstaaten die Verhältniße noch günstiger liegen als bei uirs
nnd von einer Einschleppungsgefahr nicht mehr erirsthast gesprochen
werden kann.
Obwohl man in den Nachbarstädten Eharloitenburg, Schöne
berg k. den Wunsch hat nnd seiner Ausführung bereits näher getreten
ist, eigene Schlachtviehhöie zu erbauen, hat der Berliner Magistrat
sich doch nicht länger dem Bedürfniß nach Erweiterung der städtischen
Vieh- und Schlachthofanlagen verschließen können und ist daher wegen
Erwerbung von Terrain in Verhandlungen getreten. An> meisten
macht sich der Raummangel am Viehmarkt bemerkbar. Die un
erwartete Zunahme des Auftriebes an Rindern und Schweinen
machen die Erbauung von L-tällen und die Erweiterung der Hallen
nöthig. Die Schwierigkeiten, sie bei dem beschränkten Baulerrain
ohne Zerreißung der zusammengehörigen Märkte der Rinder, Kälber,
Schweine und Schafe zu bewirken, sind nicht zu verkennen, aber sie
sind nicht unüberwindlich. Die Zerreißung der Märkte, die jetzt in
4 dicht aneinandergrenzenden, nur durch eine Straße von einander
getrennten Verkausshallen stattfinden, würde die Händler uitd den
Markt erheblich schädigen. Unsere meisten Händler bringen gleich
zeitig alle 4 Gattungen zu Markt und belheiligen sich sehr lebhaft au
dem Verlauf, haben also begreifliches Interesse daran, ohne weite
Wege überall zu jeder Zeit eingreifen zu können. Die Konjunkturen
an einem Exporttnarkl wechseln mitunter erheblich in wenige» Stunden,
je nach Vermehrung des Auftriebs während der Marktzeit und je
nach eingehenden Telegrammen.
In der Gewährsmängelsrage hat sich, trotz der Vorstellungen
des Deutschen Fleiicherverdandes noch nichts geändert. Die Rinder
finne, obwohl häufiger als die unter den Gewährsmängeln ge
nannte Schweinefinne und gleich der letzteren die Uriache der amt-
lichcn Beanstandung des betreffenden Kadavers, nt unter die Krank
heilen, die den Verkäufer ersatzpflichtig machen, noch immer nicht anf-
genommen. Im letzten Jahre sind wegen Finnen 921 Rinder, aber
nur 474 Schweine beanstandet worden.
Der bisherige Pächter der Albuminsabrik hat sich genöthigt
gesehen, wegen Niedergang des Markts für Bluteiweiß die Fabrikation
desselben nach 20jährigeni Betriebe ganz aufzugeben und den Vertrag,
mit Zustimmung der städtischen Behörden, an eine neugedildele Ge
sellschaft: „Deutsche Pcpionfutterwerke" zu zediren. Es wird nun
mehr unter Benutzung des Blutes und des Mageninhalts der Thiere
ein stickstoffreiches Viehfultcr dort hergestellt.
Das neue Kühlhaus ist, da sich im Herbst keine Miether
fanden, erst ain 1. April 1901 in Benutzung genommen worden, aber
trotz wohlfeiler Miethspreise (3 JC für das Quadratmeter und Monat
für Kühlräume, 2 M für gekühlte Pökelzellen und 1 JC für Räucher
kammern) kaum zur Hälfte vermiethei worden. Insbesondere find
die Rinder-, Kälber- und Hammelschlächter aus dem alten Schlachthos
zurückgeblieben: sie ziehen vor, sich in den unter ihren Ächlachtkammcrn
befindlichen Kellern Eiskammern gegen Miethe herstellen zu lasten.
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