Nr. 16. Waisenverwaltung.
11
gebrachten. Dazu wurden jedoch nur solche Zöglinge gewählt, die sich
sonst, auch schon in anderen Stellungen, bewährt haben. Immerhin
bleibt der Aufenthalt in der Großstadt und ihrer nächsten Umgebung
für die meist zu großem Leichtsinn neigenden Mädchen gefährlich, falls
die Arbeitgeber nicht ein sehr wachsames Auge für sie haben. Sehr
bald entsteht in ihnen der Wunsch, gesicherte Dienststellen zu verlassen
und lieber in Fabriken und Geschäften thätig zu sein, um d,e Abende
und Sonntage für Vergnügungen frei zu haben. Sie überlegen dabei
nicht, und es muß ihnen dies erst immer wieder klar gemacht werden,
wie viel mehr ne dann zum Lebensunterhalt gebrauchen, ganz abge
sehen davon, daß sie kein gesichertes Heim haben und größeren sitt
lichen Gefahren ausgesetzt sind.
Bauliche Veränderungen
in der Anstalt erweiterten sie uni zwei Schlafräume mit je 4 Betten.
Gewonnen wurden sie durch Aufrichtung einer Wand in einem sehr
großen Zimmer. Sonstige Reparaturen und Anstrich der Wände zur
Hälfte mit Oelfarbe, machten die schon vorhandenen Schlaf- und Wohn-
räume viel freundlicher und sauberer.
Die Einnahmen
der Anstalt steigerten sich bisher von Jahr zu Jahr. Trotzdem der
Spargclertrag diesmal fortfiel, weil die Beete erneuert werden mußten,
ergab die Obsternte doch eine ziemlich gute Baareinnahme neben dem
Hausverbrauch. Die Verwerthung des Obstes ist freilich durch die
Entfernung von der Bahn und Sladt mit großen Mühen verbunden
und dadurch ist auch der Ertrag sehr verringert.
Baareinnahme für Gartenerzeugnisse . . . 525,«o Jt,
Hausverbrauch der Gartenfrüchte . . . 615,4« -
Summe 1141,oo Jt.
Es sind außerdem ini Lause des Jahres 102 Kleider angefertigt
und sind, neben der Annehmlichkeit, daß sie nach der Figur angefertigt
sind, durchschnittlich an jedem Kleide 8,so Jt erspart, also 102 Kleider
zu 8,60 Jt — 357 Jt.
Durch die Selbstanfertigung der Leib- und Bettwäsche sind keine
Baarersparnisse erzielt, doch sind sie vollkommener, zierlicher und zum
großen Theil praktischer hergestellt, wodurch Ersparnisse in der Haltbar
keit erlangt werden.
24 Knabenhemden wurden für die Erziehungsanstalt in Lichtenberg
angefertigt und dafür ein Nähgeld von 7,20 Jl in Anrechnung gebracht.
Die Gesammteinnahmen stellen sich demnach folgendermaßen:
Gartenfrüchte 1141,oo Jt,
Macherlohn für Kleider 857,oo •
Nähgeld für Knabenhemden 7,20 -
Stimme 1 505,20 Jt.
Kleinbeeren, den 31. Mai 1901.
M. Otto, Vorsteherin.
Bericht über die augenärztliche Untersuchung der Zöglinge des Waisenhauses zu Rnmmelsburg für das Jahr 1900
von Professor Dr* P. Silex.
Die Prüfung der Knaben wurde dieses Jahr einige Wochen
später vorgenommen, weil in die Neuordnung der Schule nicht störend
durch die Abordnung der Klassen eingegriffen werden durfte. Wie
früher, so rechne ich auch diesmal nicht »ach Individuen, sondern
nach Angen. Es hat dies theoretische und praktische Gründe.
Theoretische insofern, als man mit der Unterbringung der verschieden
gebauten Augen in die einzelnen Gruppen keine Schwierigkeiten hat
und ferner praktische in der Richtung, als heutigen Tages von Be
hörden für viele Berufsarten bestimmte Sehschärfegrade nicht von
dem Menschen als solchen, sondern von dem rechten resp. von dem
linken Auge gefordert werden. Dabei ist zu bemerken, daß sich die
Sehschärfenwerthe der einzelnen Augen nicht addiren, wie der Laie
gewöhnlich glaubt. Hat Jemand auf jedem Auge normale Sehschärfe,
die wir mit 1 bezeichnen, so sieht er nicht mehr, wie ein Anderer, der
auf dem einen Auge über volle Sehkraft und auf dem anderen nur
über V4 der Normalsehkraft verfügt. Der erstere ist freilich besser
daran wie der letztere, iveil, wenn er an einem Auge im Kampf
ums Dasein Schaden nimnit, er immer noch ein Auge mit normaler
Sehkraft behält.
Was nun die gefundenen Zahlen anlangt, so wurden mir
255 Schüler vorgeführt. Zwei von ihnen sind einäugig. Es kommen
mithin 508 Augen in Betracht: davon hatten
387 — 66,s pCt. sogenannten Normalban,
35 — 6,8 - waren kurzsichtig,
71 — 13,9 - waren übersichtig,
66 — 12,7 - hatten Astigmatismus,
das ist ein Zustand, bei dem die Hornhaut in dem einen Meridian,
z. B. im vertikalen, einen anderen Brechungszustand hat, als in
dem darauf senkrechten, dem horizontalen.
Hervorzuheben und bewerkenswerth ist die hohe Zahl der Astig-
manker, und dies einmal deshalb, weil dieser Fehler fast immer mit
Schwachsichtigkeit gepaart ist und dann deshalb, weil wir ihn in den
Statistiken anderer Schiiluntersuchungsberichte nur in einem sehr ge-
Prozentsatz, bisweilen aber auch garnicht erwähnt finden. Da
im seit wahren zu demselben Resultat gelangt bin, und man die An
nahme, daß die Rummelsburger Kinder eine exzeptionelle Stellung
eimiehmen sollten, kurzweg von der Hand weisen kann, so'stehe ich
man an, zu behaupten, daß alle jene Schulnntersucher, die den Fehler
gar nicht oder nur in minimalsten Prozentsätzen gefunden haben, ein
gcwipes Defizit erkennen lasten. Als mit Astigmatismus behaftet
m a!' .- mir dmenigen Augen betrachtet, bei denen mit Gläsern sich
eine Bepernng erzielen und auch der Augenspiegel das Leiden er
kennen latzt. Hier bei unseren Knaben war der Astigmatismus, nicht
ciwa die Kurzsichtigkeit, auf die gewöhnlich besonders stark das Augen-
merk gerichtet wird. neben den gleich zu berührenden Hornhautflecken,
oer wichtigste Faktor für das, was man Sehschädigung nennt.
Von den 508 Augen 33 — 6,6 pCt. Hornhautflecken. Es sind
n 5 •$■,.» große und verschieden gestaltete mattgraue Trübungen,
ucverbletbsel skrophulöser Augenentzündungen, durch die die Sehkraft
omiernd vermindert wird. Daß wir diese so häusig fanden, erklärt
t? Pkobachtungsmaterial. Die Knaben verlebten in der
Mehrzahl lehr traurige Kindersahre, acguirirten in Folge der schlechten
sozialen Verhältnisse englische Krankheil und Skrophulosc, die ihnen
dann auf die Augen schlug.
Dank der vortrefflichen Pflege ini Waisenhaus, dank der Ge
staltung des Stundenplanes, der die Pflege des Geistes nicht der
körperlichen Ausbildung nachstellt, konnte ich in Bezug auf die skrophu-
lösen Erkrankungen stets im Laufe der Jahre eine überraschende
Besserung konstattren. Das irische und gesunde Aussehen der Kinder
beweist die Richttgleit der vorstehenden Worte.
Was nun weitere Zahlen anlangt, so hatten von den Augen der
Normal gebauten
der Kurz-
der Ueber-
der Ästig-
sichtigen
sichtigen
matiker
Sehschärfe V« CO—94 Augen
— 0 Augen
— 14 Angen
— 4 Augen
6 / 9 = 215
= 19
= 28 -
= 3
- Vu = 18 -
= 10 -
= 25 -
- Vis = 18
= 7
= 18 -
= 32 -
s Gj __ 1
— 2
= 4 -
= 1 -
. Vis = 0 -
= 0 .
— 2
= 0 -
- Vs* - 1
— 0
= 5 -
= 0 -
Summe 337 Augen
— 35 Augen
— 71 Augen
= 65 Augen
Mit einer Sehschärfe von Vs und mehr wird man durchschnittlich,
wenn es sich um die Erwählung eines Berufes Handel!, nicht in Ver
legenheit kommen. Der Grad V 2 reicht indessen nicht für Alles aus.
und daran muß man frühzeitig denken. Für den Schlosserberuf z. B.
ist dies genügend. Wird aber Jemand Schlosser mit der Hoffnung,
später eininal nach Absolvirung der Examina z. B. Lokomotivführer
zu werden, so erleidet er dann eine bittere Enttäuschung. Für
Lokomotivführer wird nämlich jederseits Sehschärfe 2 /s verlangt. Unseren
Zöglingen kann dies nun nicht passiren, da sie untersucht werden, cs
wäre eine derartige Unterweisung aber auch für andere Kreise
wünschenswerth.
Augen mit Sehschärfe Vs und mehr hatten wir inner 508 Augen
432 — 85,o pCt., ein im Ganzen recht günstiges Resultat. Durch
Verletzungen, innere und äußere Erkrankungen nimmt diese Zahl im
späteren Leben noch etwas ab.
Hinsichtlich der Kurzsichtigkeit resp. ihres Verhaltens in den
einzelnen Klassen ließ sich das Folgende feststellen:
In Klasse Augen davon kurzsichtig
I
60
10 =
16,6 pCt,
11
126
8 =
6,4
III
116
6,0 -
IV
122
8 =
6,0
V
62
2 =
3.2
VI
24
0 =
—
510 35
Wir finden hier, wie das auch sonst festgestellt worden ist, in der
ersten Klaffe die meisten Kurzsichtigen. Die Zahl 16.« pCt. hat nicht
allzu viel zu bedeuten, da.es sich im Ganzen um sehr geringe
Kurzsichtigkcitsgrade mit guter Sehschärfe handelt.
Von der Erziehungsanstalt in Lichtenberg kamen 30 Jnsaffen
und diese boten, da nur die schlecht Sehenden gebracht wurden, die
verschiedensten Anomalien dar.
Druck von ÜB. * S. Lueweuthal, Berlin.