Nr. 14. Armenpflege.
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die Armendirektion zu treffen haben, sobald die für die Verwaltung
der Armenpflege fe'.bft einzurichtende Organisation feststeht.
Dagegen enthalten die Fragen der Gruppen zwei und drei recht
eigentlich den Kern der für eine Reform wichtigen Maßregeln. Wie
aber schon angedeutet, lassen sie sich nicht einzeln, sondern nur in
organischem Zusammenhange mit einander lösen. In dieser Erkenntniß
trat die Armendirektion im Herbst 1898 erneut an die Aufgabe heran
und beschloß, die gesammte Organisation der Armenpflege und die für
die offene Armenpflege gegebene Geschäftsanweisung einer vollständigen
Durchprüfung zu unterziehen. Die früher ernannten Kommissionen,
nämlich die engere Kommission der Armendirektion und die aus Vor
stehern von Armenkommissionen bestehende Kommission wurden mit
der Maßgabe wieder eingesetzt, daß beide im engsten Anschluß an ein
ander in Thätigkeit treten sollten.
Die geschäftliche Bearbeitung fand daher in der Weise statt, daß
in der engeren Kommission zunächst die allgemeinen Grundsätze der
Reform berathen wurden und dann das gesammte Material der andern
von den Kommissionsvorstehern gebildeten Konimission überwiesen
wurde, die ihrerseits den Stoff in 13 Sitzungen durcharbeitete. Das
Ergebniß dieser Arbeit wurde in zwei Entwürfen niedergelegt, deren
einer die Organisation der Verwaltung der offenen Armenpflege be
handelt, während der andere eine neue Geschäftsanweisung für die
Organe der Armenpflege zum Gegenstand hatte. Die Armendirektion
berieth dann ihrerseits die Entwürfe in 7 Sitzungen, und legte sodann
beide Entwürfe dem Magistrat zur weiteren Veranlassung vor. Der
Magistrat setzte eine ans 7 Mitgliedern bestehende Kommission ein,
die wiederum in mehreren Sitzungen die Angelegenheit berieth und
hierbei insbesondere auch die Entwürfe nach der Richtung durcharbeitete,
daß diejenigen Bestimmungen ausgesondert wurden, die der Geneh
migung der Stadtverornetenvcrsammlung bedurften und diejenigen, die
lediglich durch den Magistrat zu genehmigen waren. Der Magistrat
beschlon sodann, die sogleich näher zu bezeichnenden Stücke, die die
Organisation der Armenverwaltung betreffen, mit einigen sachlich nicht
erbevlichen Abänderungen zu genehmigen und der Stadtverordneten
vers mmlung zur Beschlußfassung zu unterbreiten. Dies geschah
mittelst Vorlage vom 12. Oktober 1900. Die Stadtverordnetenver-
farnnilung setzte auch ihrerseits einen Ausschuß nieder, auf deffen
Bericht vom 20. Dezember 1900 sie der Magistratsvorlage zustimmte.
Diese nunmehr für die Verwaltung der offenen Armenpflege
verbindlichen Beschlüsse betreffen im Wesentlichen nur zwei Punkte:
erstens die Heranziehung der Frauen zur öffentlichen Armen-
pfl ge und die Dezentralisation der Armenverwaltung durch
Schaffung von Mittelgliedern zwischen den Armenkommissionen und
der Arnundirektion. Aenderungen in den Grundlagen der gesammten
Organisation sind von der Armendirektion nicht vorgeschlagen und
auch an keiner andern Stelle in Anregung gebracht worden. Die
Emtheilung des Stadtgebiets in örtliche Bezirke mit einem Vorsteher
an der Spitze entspricht gesunden Grundsätzen und stellt ein wesent-
liches Stück des Elberfelder Systems dar. Besserungen sind hier
vor Allem durch Maßregeln der inneren Verwaltung, sorgfältige
Auswahl der Mitglieder» Vermehrung der Zahl der Pfleger und
dergleichen anzustreben.
Die Einordnung der Frauen in die Armenpflege begegnete
anfänglich, wie schon hervorgehoben, sehr starkem Widerspruch: gegen
ihre Gleichstellung mit den männlichen Pflegeorganen wurden rechtliche,
auf die Städteordnung gegründete Bedenken hervorgehoben.
In dieser Beziehung ist jedoch zu bemerken, daß für die Ver
waltung der Armenpflege durch das preußische Ausführungsgesetz vom
8. März 1871 eine beivußle Ausnahme gemacht worden ist, um die
Theilnahme auch nichtbürgerlicher Mitglieder der Gemeinde zu ermög
liche», wie aus den nachfolgenden Ausführungen hervorgeht:
„Das zur Ausführung des Reichsgesetzes über den
Unterstützungswohnsitz erlassene Gesetz vom 8. März 1871
behandelt in § 3 die Organisation der Armcnverwaltung,
durch den die allgemeinen Vorschriften der Städteordnung
ergänzt werden sollten.
_ Der Regierungsentwnrf lautete in seinem hierhin ge
hörigen Theil (Seite 356 § 5): Auf Grund eines Gemeinde
beschlusses können in allen Gemeinden für die Verwaltung
der öffentlichen Armenpflege besondere, dem Gemeinde
vorstand untergeordnete Deputationen aus Mitgliedern des
Gemeindevorstandes und der Gemeindevertretung, geeigneten
Falles unter Zuziehung anderer stimmfähiger Gemeinde
mitglieder gebildet werden. Diese Fassung wurde vom
Herrenhause, dem der Entwurf zuerst vorgelegt wurde,
angenommen.
In der Kommission des Abgeordnetenhauses fand die Be
stimmung düses Paragraphen, wonach nur stinimfähige
Gemeindemitglieder geeigneten Falls zu den Aruiendepulationen
zugezogen werden dürfen, vielfachen Widerspruch. Es wurden
nach dieser Richtung drei Anträge gestellt:
1. nicht nur in Alinea 1, sondern auch in Alinea 2 das
Wort „stimmfähig" ganz zu streichen,
2. statt „stimmfähiger Gemeindeglieder" überhaupt zu
sagen „Ortseinwohner",
3. statt „stimmfähiger Gemeindeglieder" zu setzen „bciirags-
pflichtiger Gemeindeglieder".
Zur Begründung dieser drei Anträge wurde ausgeführt,
daß es sich durchaus nicht empfehle, die Zuziehung solcher
Gemeindeglieder an das Kriterium der Stimmfähigkeit zu
knüpfen. Namentlich das Verhältniß in den ländlichen
Gemeinden, wo die Stimmfähigkeit vielfach nur einen Theil
der Gemeindeglieder umfaffe, lasse wünschenswerth erscheinen,
auch solche Personen zur Aushilfe auf dem Gebiete der
Armenpflege in die Armenkommission zu ziehen, welche nicht
stimmberechtigt seien. Man brauche nur auf die große
Zahl der nicht stimmberechtigten und nicht beitragspflichtigen
Häusler, auf die Geistlichen, Lehrer tind Pächter zu ver
weisen, unter denen gerade die geeignetsten Elemente zur
Mitwirkung bei der Armenpflege seien. Es sei ein
rechter Akt der Selbstverwaltung, alle nur ge
eigneten Elemente auf diesem Gebiete zur Mit
wirkung heranzuziehen. Hierbei handele es sich nicht
um Uebertragung eines Gemeindeamtes, bei dem
nach den Gemeindeverfasinngsgesetzen die Stimmfähigkeit
vorausgesetzt werde, sondern um die bloße Verstärkung
von Armenkommissionen durch Zuziehung geeigneter
Kräfte aus der Gemeinde, ohne daß letztere in ein wirkliches
Gemeindeamt treten.
Die Kommission entschied sich deshalb mit Majorität
dafür, nicht nur das Wort „stimmfähig" in den Alineas 1
und 2 zu streichen, sondern ganz allgemein dafür zu sagen:
„Ortseinwohner".
In dieser Fassung genehmigte das Plenum des Abge
ordneten- und demnächst des Herrenhauses den 8 3 des
Gesetzes.
Es ist damit in Berücksichtigung der eigenthümlichen Natur der
Armenpflege, die in erster Linie auf zahlreiche freiwillige Kräfte an
gewiesen ist, eine Sonderstellung für die Armenverwaltung im Rahmen
der Städteordnung geschaffen worden. Während in allen übrigen
Verwaltungen der Besitz der Bürgereigenschaft die Voraussetzung des
passiven Wahlrechts bildet, genügt für die Armenpflege die Eigenschaft
des Einwohnens.
Da hiernach rechtliche Bedenken gegen § 5 des Entwurfs nicht
vorlagen, beschloß die Armendirektion, § 5 Satz 1 in der vorliegenden
Fassung in den Entwurf aufzunehmen.
Dagegen wurde in Bezug auf die Zulassung weiblicher Per
sonen ein mehr aus der Eigenthümlichkeit der Armenpflege erwachsendes
Bedenken geltend gemacht und der Antrag gestellt, den zweiten Satz
wie folgt zu fassen: „Die Armendirektion wird ermächtigt, weibliche
Personen den Armenkommissionen zuzuordnen". Es sollte damit die
Angelegenheit eine interne Verwaltungsmaßregel der Armendirektion
bleiben und nicht zugleich durch Gemeindebeschlnß die volle Gleich
berechligung der Frauen festgelegt werden. Diese Bestimmung würde,
wie die ihre Aufnahme vertretende Minderheit meinte, der Armen
direktion genügend Spielraum lassen und ihr ermöglichen, zunächst
mit der Zulassung der Frauen Erfahrungen zu sammeln.
Die Armendirektion und mit ihr der Magistrat und die Stadt
verordnetenversammlung haben jedoch nicht nur die Zulassung der
Frauen zur Mitwirkung in der Armenpflege, sondern auch ihre
völlige Gleichstellung mit den männlichen Organen der Armen
pflege in der Erwägung beschlossen, daß es von vornherein die
Arbeitsfreudigkcit der weiblichen Mitglieder beeinträchtigen würde,
wenn sie nur mit gleichen Pflichten, nicht aber mit gleichen Rechten
herangezogen würden. Einschränkend ivirkt ohnehin die Vorschrift,
daß keine Pflegerin zugelassen >verden darf, die nicht im Bezirk der
Armenkommission wohnt, und daß die Uebertragung des Vorsteheramts
durch die Faffung des § 4 ausgeschlossen ist. Von praktische» Ge
sichtspunkten aus läßt sich 'überdies annehmen, daß die Stimm
fähigkeit schon deswegen Nachtheile für die Verwaltung nicht mit sich
führen könne, weil die naturgemäß geringere Zahl der weiblichen
Mitglieder ohnehin den Stimmen der männlichen Mitglieder gegen
über in der Minderheit bleiben würde, wenn sie unzulässige oder
unzweckmäßige Anträge stellen sollten.
Was die Dezentralisation angeht, so sind hierüber aus Anlaß
der Errichtung der Armenämter im Jahre 189i (Bericht der Armen-
direklion vom 31. Januar 1898) sehr eingehende Erörterungen
gepflogen worden. Es mußte sich nun darum handeln, ob^man mit
der Schaffung von Armcnimtcrn für das gesammte Stadtgebiet
weiter vorschreitcn oder einen anderen Weg einschlagen wollte, um
die als unbedingt nolhivendig anzuerkennende Dezentralisation zu
erreichen.
Die Armendirektion erkannte an, daß die Armenämter unter der
tüchtigen und umsichtigen Leitung ihrer bisherigen Vorsteher zu einer
Verbesserung der Arinenpflege nicht unwesentlich beigetragen haben.
Doch sprachen niannigfache und geivichtige Gründe dagegen, diese
Einrichtung iveiter und allmählich auf ganz Berlin auszudehnen. In
der Thätigkeit der Armenvcrivaltung ist die pflegerische und die
juristische Thätigkeit zu unterscheiden. Die juristische Thätigkeit kann
aber nicht nur ebensogut bei der Zentralstelle der Armeudirekiion