Nr. 29. Gewerbe-Deputation.
5>
(ber Sterbekaffe, der Krankenkasse und der Uinerstützimgskaffe) einver
standen, doch ertheilte nur die Vertretung der letzteren beiden ihre
Zustimmung zu dieser Uebernahme, während die Vertretung der
Sterbekasse ihre Zustimmung verweigerte. Die Versammlung der
Steinsetzer-Innung übernahm die Unterstützungskaffe der alten Innung,
dagegen lehnte sie die Uebernahme der Sterbekaffe ab. Die Ver
tretungen alter drei nicht übernommenen Sterbekassen haben zur Er
möglichung des Fortbestandes der Kassen die Verleihung der Korpo
rationsrechte an diese beantragt, doch war über die Anträge bis zum
Schluffe des Berichtsjahres noch nicht entschieden.
Das bei der geschlossenen Schmiede-Innung vorhanden gewesene
Ein- und Verkaufsgeschäft konnte bestimmungsgemäß auf die Schmiede-
lZwangs-) Innung nicht mit übernommen werden, da an seiner Er
haltung ein über den Kreis der Theilnehmcr hinausgehendes öffentliches
Interesse nicht bestand: es ist daher tn eine Genossenschaft umge
wandelt worden
Von Handwerkern, die einer Innung bisher nicht angehört haben,
ist ein Antrag auf Errichtung einer Zwangs-Innung nicht gestellt
worden, dagegen hat eine größere Anzahl von Fuhrgewerbetreibenden
die Errichtung einer freien Innung für das Personen Lohnfuhr-
gcwerbe beantragt und die entsprechenden Staiuten-Entwürfe einge
reicht. Die Aufsichtsbehörde hat diesen Antrag an den Herrn Polizei-
Präsidenten weitergegeben und gegen ihn umsoweniger Bedenken er
hoben, als die bereits bestehende Fuhrherren-Jnnnng hauptsächlich das
Lastfuhrgewerbe umiatzt. Das Statut war bis zum Schluß des Be
richtsjahres noch nicht genehmigt.
Mit besonderen Schwierigkeiten ist bei den hiesigen Verhältnissen
für die Zwangs-Innungen, speziell für die größeren, die Feststellung
des Mitgliederbestandes verknüpft.
Trotzdem die Mehrzahl der Zwangs-Innungen erst im Laufe des
Berichtsjahres ins Leben getreten ist, wurden doch schon bis zum
Schluffe desselben 177 Streitigkeiten wegen Jnnungszugehörigkeit
gemäß § 100h der Reichs-Gewerbeordnung bei der Aufsichtsbehörde
anhängig gemacht. Sie vertheilen sich auf die einzelnen Innungen,
wie fojgt:
t. Drechsler . 38 Streitigkeiten,
2. Korbmacher 6
3. Kupferschmiede 2
4. Maler 10
5. Posamentiere 17
6. Sattler 3
7. Schneider 88
8. Stell- und Rademacher 9
9. Tischler 2
10. Zeugschmiede 2
zusammen 177 Streitigkeiten.
Von diesen waren am Schluffe des Berichtsjahres durch die
Aussichtsbehördc entschieden 35 Streitigkeiten,
erledigt durch Verzicht der Innung 21
anderweitig erledigt 4
noch nicht entschieden 117
zusammen 177 Streitigkeiten.
In 13 Fällen ist gegen die Entscheidung der Aufsichtsbehörde
Beschwerde bei dem Königl. Oberpräsidenten erhoben worden, der die
erstinstanzliche Entscheidung in 3 Fällen bestätigte und in 6 Fällen
aufhob, während er in 4 Fällen noch nicht entschieden hat. Fünf
von den 6 aufgehobenen Entscheidungen betrafen solche Betriebe, die
von der Aufsichtsbehörde als Fabrikbetriebc erachtet wurden. Ueber-
haupt muß betont werden, daß die in den Motiven znr Jnnungs-
novelle ausgesprochene Vermuthung, der Streit, ob handwerksmäßiger
oder fabrikmäßiger Betrieb vorliege, tverdc in der Praxis nicht so
oft vorkommen und die Unterscheidung nicht so schwierig sein, nach
den jetzt bereits hier gemachten Erfahrungen nicht zutrifft: denn der
größte Theil der Streitigkeiten ist verursacht durch die Behauptung
der betreffenden Gewerbetreibenden, daß ihr Betrieb ein fabrikmäßiger
und nicht ein handwerksmäßiger sei. Die Aufsichtsbehörde ist in ihren
Entscheidungen, da das Gesetz den Begriff „Fabrik" nicht definirt, von
den durch das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung aufgestellten
Grundsätzen ausgegangen und hat insbesondere darauf Gewicht gelegt,
ob neben dem der gewerblichen Herstellung gewidmeten Theil des Be
triebes ein völlig getrennter und kaufmännisch organisirter Theil dem
Vertriebe gewidmet war. In dens Entscheidungen des Oberpräsidenten
dagegen werden neben der Arbcitstheikung die umfangreiche Ver
wendung von Maschinen und eine große Zahl von Arbeitern in den
Vordergrund gestellt. So ist der Oberpräsident im Gegensatz ■ zu
uns zu dem Grundsatz gelangt, daß im Schneidergewerbe auch die
größten Konfektionsgeschäfte handwerksmäßige Betriebe insoweit dar
stellen, als eigene Werkstätten, sei es auch nur für Zuschneider, vor
handen sind. Weitere Ausführungen müssen, da am Schluffe des
Berichtsjahres erst eine geringe Zahl von oberinstanzlichen Ent
scheidungen vorlag, dem nächsten Verwaltungs-Bericht vorbehalten
bleiben.
Es sei nur noch erwähnt, daß für diejenigen Zwangs-Innungen,
denen nur Handwerker anzugehören haben, die der Rcgel nach Gesellen
oder Lehrlinge beschäftigen, auch von der höheren Verwaltungsbehörde
in Einzelfällen dahin entschieden worden ist, daß unter „Gesellen" im
Sinne der Jnnungsnovelle auch weibliche Personen zu verstehen sind;
denn unter „Gesellen" in ihrer Beziehung zum Handwerk und zur
Innung fallen alle im Handlverk beschäftigten gewerblichen Hilfs
personen, die eine technische Ausbildung erfahren haben und sie in
einem Handwerksbetriebe bethätigen. Unerheblich ist es, ob solche
Personen eine bestimmte mehrjährige Lehrzeit durchgemacht haben und
ob für die Erlernung der technischen Fähigkeiten des Handwerks ein
Lehrvertrag geschloffen worden war. Von praktischer Bedeutung ist
diese Auslegung in erster Linie für die Schneider-Innung.
Nachdem die Organisation der Innungen in diesen: Jahre zum
größten Theile durchgeführt war, konnte auch mit den Vorarbeiten
für die hier zu errichtende Handwerkskammer begonnen werden.*)
Das von km Minister für Handel und Gewerbe nach Anhörung der
Betheiligten, darunter auch des Magistrats von Berlin, erlassene
Statut von: 31. August 1899 bestimmt, daß sie den Namen: Hand
werkskammer zu Berlin führen, ihren Sitz in Berlin haben und ihr
Bezirk außer dem Stadtkreis Berlin den Regierungsbezirk Potsdam
umfassen soll. Sie zerfällt in 3 Abtheilungen**) und hat 50 Mitglieder
und ebenso viele Ersatzmänner. Die Wahlen der zur Abtheilung
Berlin gehörenden 30 Mitglieder sind nach der ebenfalls durch den
Minister für Handel und Gewerbe erlassenen Wahlordnung von:
9. November 1899 unter Leitung des Magistrats oder des von diesem
bestellten Kommissars vorgenommen worden.ff) Für sich allein haben
gemäß ß 4 der Wahlordnung folgende Innungen gewählt:
*) g 103, Abs. 1 u. 2 R. G. O.: Zur Vertretung der Interessen des
Handwerks ihres Bezirks sind Handwerkskammern zu errichten.
Die Errichtung erfolgt durch eine Verfügung der Landes-Zentralbehörde,
in welcher der Bezirk der Handwerkskammer zu' bestinlmen ist. Dabei kann
die Bildung von Abtheilungen für einzelne Theile des Bezirks oder für
Gewerbegruppen angeordnet werden.
**) Abth. I: für den Stadtkreis Berlin mit dem Sitz in Berlin;
Abth. II: für die Kreise Charlottenburg, Rixdors, Schöneberg, Teltow,
Nieder-Barnim, Ober-Barnim, Beeskow-Storkow, Angermünde, Templin
und Prenzlau mit dem Sitz in Charlottenburg;
Abth. III: für die Kreise Brandenburg, Potsdam, Spandau, Jüterbog-
Luckenwalde, Zauch-Belzig, Ost- und West-Havelland, Ostpriegnitz,
Westpriegnitz und Ruppin mit dem Sitz in Potsdam.
ff) Die hier in Frage kommenden §§ 1—8 der Wahlordnung lauten:
g 1. Wahlberechtigt sind unter der Voraussetzung, daß sie ihren Sitz
im Bezirk der Handwerkskammer haben,
1. die Handwerker-Innungen (§ 103 a Abs. 3 Ziff. 1 der Gewerbe
ordnung,
2. diejenigen Gewerbevereine und sonstigen Vereinigungen, welche die
Förderung der gewerblichen Interessen des Handwerks verfolgen
und mindestens zur Hälfte ihrer Mitglieder aus Handwerkern be
stehen sg 103 a Abs. 3 Ziff. 3 der Gew.-Ordn.).
§ 2. Wählbar find diejenigen Mitglieder der im § 1 bezeichneten
Körperschaften, welche
1. zum Amt eines Schöffen wählbar sind (§§ 31, 32 des Gerichts
verfassungs-Gesetzes),
2. das 30. Lebensjahr zurückgelegt haben,
3. in: Bezirk der Handwerkskammer seit mindestens drei Jahren ein
Handwerk selbstständig betreiben und
4. die Besugniß zur Anleitung von Lehrlingen besitzen (§g 129, 129 a
der Gew.-Ordn. und Art. 7 des R.-Ges. vom 26. Juli 1897).
g 3. Von den fünfzig Mitgliedern der Handwerkskamnier (g 2 des
Statuts) werden zunächst gewählt:
a) durch die Handwerker-Innungen in der Abtheilung Berlin 25 und in den
Abtheilungen Charlottenburg und Potsdam je 9 Mitglieder,
b) durch die Gewerbevereine u. s. w. in der Abtheilung Berlin
5 Mitglieder und in den Abtheilungen Charlottcnburg und
Potsdam je 1 Mitglied.
Für jedes Mitglied wird 1 Ersatzmann gewählt.
§ 4. In der Abtheilung Berlin hat jede Innung mit 500 bis 1 000 Mit
gliedern ein Mitglied, jede Innung mit mehr als 1000 Mitgliedern zwei
Mitglieder zur Handwerkskammer zu wählen. Zwecks Wahl der übrigen
Mitglieder legt der Magistrat zu Berlin die kleineren Innungen zu Wahl-
abtheilungen zusammen, deren jede ein Mitglied zu wählen hat. Ebenso
legt der Magistrat die wahlberechtigten Gewerbevereine u. s. w. zu fünf
Wahlabtheilungen zusammen.
Den Regierungsbezirk Potsdani theilt der Regierungs-Präsident in Wahl
bezirke ein, und zwar gesondert für Innungen einerseits und für Gewerbe-
vereine u. s. w. andererseits. In Wahlbezirken, wo mehr als ein Mitglied
der Kamnier zu wählen ist, können Wahlabtheilungen nach Handwerkszweigen
gebildet werden, von denen jede ein Kammermitglied und einen Ersatzmann
zu wählen hat
§ 5. Abgesehen von denjenigen Innungen in Berlin, die nach § 4 für
sich allein wählen, hat jeder Wahlkörper (§ 1) mit 20 und weniger Mit
gliedern eine Stimme, bei 21 bis 50 Mitgliedern erhält er zwei Stimmen,
bei 51 bis 100 Mitgliedern 3 Stimmen und für je 100 weitere Mitglieder
eine weitere Stimme.
Bei Gewerbevereincn u. s. w. find hierbei nur diejenigen Mitglieder zu
zählen, die selbstständige Handwerker sind und keiner Innung angehören.
§ 6. Jede untere Verwaltungsbehörde — in Berlin der Magistrat —
stellt ein Verzeichnis; derjenigen Wahlkörper auf, die in ihrem Bezirk ihren
Sitz haben. Aus dem Verzeichniß muß auch die nach g 5 auf jeden ent
fallende Stimmenzahl ersichtlich sein. Die Verzeichnisse werden zur Einsicht
der Betheiligtcn während einer achttägigen Frist am Sitze der unteren Ver
waltungsbehörde ausgelegt mit der Aufforderung, etwaige Beschwerden binnen